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Proteste für George Floyd: Donald Trump ignoriert eine wichtige Wahrheit


Was heute wichtig ist
US-Präsident Trump ignoriert eine wichtige Wahrheit

  • Peter Schink
MeinungVon Peter Schink

Aktualisiert am 09.06.2020Lesedauer: 6 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
US-Präsident Donald Trump am Freitag im Rosengarten des Weißen Hauses.Vergrößern des Bildes
US-Präsident Donald Trump am Freitag im Rosengarten des Weißen Hauses. (Quelle: ap-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages, heute stellvertretend für Florian Harms:

WAS WAR?

"Kein Frieden ohne Gerechtigkeit", "Stoppt Rassismus" oder "Ich kann nicht atmen", schreien sie. In London, in Rom, Madrid, Berlin oder Brisbane. Nicht nur in den USA, in vielen Ländern der Welt wird demonstriert. Der Tod von George Floyd bewegt unfassbar viele Menschen. Wut, Trauer, Mitgefühl.

Und es ist leider so: Rassismus gegen Schwarze begleitet die USA quasi seit ihrer Gründung, die Gewalt von Polizisten richtet sich meist gegen Schwarze. Die Statistiken sind eindeutig.

Eines aber ist nach Floyds Tod anders: Das Staatsoberhaupt versucht nicht, Trost zu spenden. Was Not täte, was gefordert wäre. Stattdessen pöbelt US-Präsident Donald Trump gegen die Protestierenden, beschimpft sie als "Antifa" und droht ihnen mit dem Einsatz des Militärs. Der Protest ist deshalb auch einer gegen das Amerika, wie Trump es lebt.

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Doch es ist nicht ein Protest der Straße. In der vergangenen Woche erhielten die Protestierenden die Unterstützung aller vier noch lebenden früheren US-Präsidenten: Obama, Clinton, Bush und Carter. Am Sonntag schließlich meldete sich der hochrangige Republikaner, Vier-Sterne-General und Ex-Außenminister Colin Powell zu Wort. Trump entferne sich von der Verfassung, sagte er. Er sei "gefährlich für unsere Demokratie, gefährlich für unser Land". Und kündigte an, bei der Präsidentschaftswahl im November für Joe Biden stimmen zu wollen.

Die Lage ist ernst.

Die USA sind wie kein Land der Welt stolz auf gemeinsame Werte, die quer durch alle Bevölkerungs- und Landesteile ein Gefühl von Zusammengehörigkeit ausmachen. Freiheit, Eigenverantwortung, Selbstbestimmtheit, Chancengleichheit und Toleranz. Doch diese Verabredungen scheinen inzwischen nicht mehr selbstverständlich zu gelten. Immer mehr Menschen in den USA sind besorgt, dass die aktuelle Krise auch eine dauerhafte werden könnte. Dass das Land nicht mehr zusammenfindet. Dass der "American Dream" zu Ende geträumt ist.

Und in Deutschland wird demonstriert. Trump als Hassobjekt, das ist einfach.

Doch halt. Wie ist das eigentlich bei uns? Bevor wir mit dem Finger auf die USA zeigen – was hält eigentlich unsere Gesellschaft in ihrem Inneren zusammen? Den deutschen Wertekanon, gibt es den eigentlich? Und wie stabil ist eigentlich unsere Demokratie?

Nach dem Zweiten Weltkrieg war lange der wirtschaftliche und soziale Fortschritt ausreichend für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die gesellschaftlichen Ränder spielten zunächst kaum eine Rolle. Das änderte sich mit zunehmendem Alter der Bundesrepublik. Erst mit den 68ern und der RAF, dann der Friedens- und Ökologiebewegung. In den Achtzigerjahren mit dem Erstarken der rechten "Republikaner". Spätestens mit den gesellschaftlichen Verwerfungen der Wiedervereinigung wurde klar, aus wie vielen widerstrebenden Einzelteilen unsere Gesellschaft besteht: Arm und Reich, Ost und West, hier Geborene und Migranten, Weiße und Schwarze, Rechte und Linke, Frauen und Männer, Alte und Junge. Eine ganze Menge sozialer Sprengstoff für eine Gesellschaft.

Was uns immer geholfen hat, bei der Wiedervereinigung, der Finanzkrise, der Flüchtlingskrise, nun bei Corona – es ist das, was man landläufig als solidarische Wertegemeinschaft bezeichnet. Sie hat im Wesentlichen zwei Grundfesten: zum einen das juristische Gerüst, mit dem Grundgesetz als Fundament. Zum anderen fußt unsere Gemeinschaft auf der Tatsache, dass wir alle füreinander einstehen. So erwirtschaften bei uns 44,8 Millionen Erwerbstätige den Wohlstand von insgesamt 83,0 Millionen Einwohnern. Kinder, Alte, Kranke, Arbeitslose, sie werden getragen von allen anderen. Wir machen uns das viel zu selten bewusst. Eine großartige Leistung.

Dieses Einstehen heißt auch, im Alltag solidarisch mit anderen umzugehen: beim Masketragen in der U-Bahn genau wie bei der Bekämpfung des Rassismus genau wie beim Kommentieren auf Facebook. Vieles davon beruht auf Freiwilligkeit, auf sozialem Verhalten. "Anstand" hätte man früher gesagt. Der Begriff ist nur aus der Mode gekommen, an Wert verloren hat er keinesfalls.

So etwas lässt sich in Gesetze gießen, aber wirklich verordnen lässt es sich nur schwer. Solidarität ist das fragilste Element unserer Gesellschaft.

Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker fasste das einmal so zusammen: "Nur eine solidarische Welt kann eine gerechte und friedvolle Welt sein." In unserer individualisierten Gesellschaft wird das manchmal vergessen.

Okay, US-Präsident Trump hat das bislang offenbar ignoriert. Aber es reicht nicht, auf die USA zu zeigen. Gefeit vor solchen Entwicklungen sind wir keinesfalls. Wir müssen täglich um unsere solidarische Wertegemeinschaft bemüht sein.


WAS STEHT AN?

Der nächste unsolidarische Akt des US-Präsidenten? Konkret werden in dieser Woche voraussichtlich die Pläne seiner Regierung, die 34.500 in Deutschland stationierten Soldaten teilweise nach Polen zu verlegen. Unabgestimmt seien die Pläne, hieß es dazu verschnupft in Berlin am Wochenende. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte, der "reibungslose Betrieb zahlreicher Einrichtungen" der US-Streitkräfte in Deutschland würde damit infrage gestellt.

Jetzt möchte man argumentieren, die russische Aggression drohe nun einmal weiter im Osten. Doch die militärische Wahrheit ist: Die USA haben Deutschland vor allem als Drehscheibe für ihre globalen Einsätze genutzt. Ein Teilabzug schadet deshalb vor allem den USA. Und lässt uns Europäer vielleicht etwas näher zusammenrücken? Ach, wohl wieder mal nicht.

Experten befürchten jedoch noch etwas ganz anderes. Professor Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität in München sagte am Sonntag im ZDF, die Verlegung von Kampftruppen nach Polen verstoße seiner Einschätzung nach gegen die Nato-Russland-Grundakte. Dort wurde festgeschrieben, dass sich die Nato im Osten auf rein defensive Kräfte beschränkt. Russland könnte sich ernsthaft provoziert fühlen.


Großbritannien schottet sich an diesem Montag ab. Mit wenigen Ausnahmen (Lastwagenfahrer, Erntehelfer, irische Staatsbürger) gilt ab nun eine 14-tägige Quarantänepflicht für Einreisende. Wer sich nicht an die verordnete Selbstisolation hält, muss mit einem Bußgeld von 1.000 Pfund (rund 1.117 Euro) rechnen. Das gilt vorerst bis Ende Juni.


Hierzulande wird in dieser Woche wohl vor allem über die Rückkehr zum Regelbetrieb in Schulen und Kitas diskutiert werden. Wie das gehen soll, ist unklar. Aber irgendwann muss es wohl gehen.

Der Deutsche Lehrerverband hatte erklärt, bei einem Normalbetrieb der Schulen sei eine Maskenpflicht während des Unterrichts sinnvoll. In der Zeitung "Die Welt" antwortet nun die Vorsitzende des Deutschen Philologenverbands, Susanne Lin-Klitzing, das sei problematisch: "Damit wird der Kern jedes Unterrichts torpediert: Unterricht beruht auf klarer Kommunikation, auf zwischenmenschlicher Interaktion." Sie fordert freiwillige Tests für alle Schüler und Lehrer zweimal wöchentlich. Klingt auch nicht wirklich praktikabel.

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WAS LESEN ODER ANSCHAUEN?

Die aufgeheizte Stimmung in den USA bekamen am Wochenende auch E-Mail-Nutzer in Deutschland zu spüren. So wurde etwa die Tagesanbruch-Ausgabe vom Samstag von mehreren großen E-Mail-Anbietern nicht zugestellt – offenbar weil diese Stichworte wie "Trump", "Rassismus", "George Floyd", "Polizeigewalt und "Corona" enthielt.

Zehntausende Tagesanbruch-Abonnenten erhielten die Ausgabe gar nicht, bei anderen landete sie im Spam-Filter. Das zeigt, wie schwer sich Webdienste tun, zwischen seriösen und propagandistischen Informationen zu unterscheiden. Wer die Ausgabe und den Podcast mit Fabian Reinbold, Marc Krüger und Florian Harms noch lesen und hören will, findet sie hier.


So schnell schreiben nur wenige: Nur sechs Wochen nach Beginn der Corona-Krise hat der Ökonom Daniel Stelter ein ganzes Buch veröffentlicht, das sich mit den wirtschaftlichen Folgen von Corona beschäftigt. Mein Kollege Florian Schmidt hat ihn interviewt – und mit ihm über die hohen Kredite gesprochen, die Deutschland jetzt aufnimmt. Das Urteil des Ökonomen: "Es braucht ein Endlager für Schulden."


Ja, die Bundesliga droht schon wieder langweilig zu werden, zumindest, wenn es um die Meisterschaft geht. In der zweiten Liga dagegen ist der Kampf noch in vollem Gange. Der ehemals glorreiche HSV empfängt heute Abend Holstein Kiel – und kann in der Tabelle auf einen direkten Aufstiegsplatz klettern. Einer, der beide Vereine bestens kennt, ist Ralf Becker. Der 49-Jährige war Geschäftsführer Sport bei Holstein Kiel, ehe er zum HSV wechselte. Vor dem Duell hat mein Kollege Noah Platschko mit dem gebürtigen Schwaben gesprochen. Über die schwierige Phase beim HSV, darüber, wem er heute Abend die Daumen drückt, und auch über mögliche Folgen der Corona-Krise für den Profisport. Das Interview lesen Sie ab heute Vormittag im Sport.


Droht eine zweite Infektionswelle – und wenn ja, wann könnte diese Deutschland erreichen? Diese Frage wird dieser Tage kontrovers diskutiert. Ob die Lockerungen der Corona-Maßnahmen die Infektionszahlen bisher in die Höhe getrieben haben und wie sich der vielfach erwähnte R-Wert in der letzten Zeit entwickelt hat, zeigen Ihnen meine Kollegen Sandra Sperling und Nicolas Lindken in ihrem Video und versuchen so, Antworten zu liefern.


Für Schauspieler, Dokufilmer und Naturschützer Hannes Jaenicke haben oberste Priorität: der Einsatz für die Umwelt und mehr Nachhaltigkeit, der Kampf gegen Lobbyismus und Augenwischerei großer Konzerne. Mit meiner Kollegin Maria Holzhauer hat er über seine Herzensthemen gesprochen.


Rund zwei Monate bevor George Floyd starb, am 13. März 2020, erschossen Polizisten die 26-jährige schwarze Rettungssanitäterin Breonna Taylor, nachdem sie ihr Haus ohne Ankündigung gestürmt hatten. Am Freitag wäre sie 27 Jahre alt geworden. Unsere Autorin Neneh Sowe geht deshalb der Frage nach, warum der Aufschrei über andere Opfer ausbleibt.


WAS AMÜSIERT MICH?

Die Proteste in den USA sind auch der "Sesamstraße" eine Sondersendung wert. Siehe da: Elmo und Louie schalten sich aus dem Homeoffice zu, vor virtuellem Hintergrund. Sie sagen: "In der Sesamstraße lieben und respektieren wir uns alle." Müssen Sie sehen (leider nur auf Englisch).

Ich wünsche Ihnen einen gesunden Wochenstart.

Ihr

Peter Schink
Stellvertretender Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Twitter: @peterschink

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