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#BlackLivesMatter: Deutschland muss sich seiner Kolonialgeschichte stellen


Was heute wichtig ist
Deutschlands falsche Helden

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 16.06.2020Lesedauer: 7 Min.
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Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Auf dem deutschen Kolonialfriedhof in Lüderitz, Namibia, sind Angehörige der sogenannten Schutztruppe begraben.Vergrößern des Bildes
Auf dem deutschen Kolonialfriedhof in Lüderitz, Namibia, sind Angehörige der sogenannten Schutztruppe begraben. (Quelle: imago images/Archivbild)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Die falschen Helden standen lange genug auf ihrem Podest. In den USA trifft es Generäle wie Robert E. Lee, die im Bürgerkrieg auf Seiten der Sklavenhalter gekämpft und für sie Siege errungen haben. In Großbritannien sind die Sklavenhändler dran. Die Menschenschinder darf man nicht mit Denkmälern ehren – eigentlich eine naheliegende Erkenntnis, dennoch brauchte es erst die Proteste der "Black Lives Matter"-Bewegung, damit die Statuen von Demonstranten demontiert, gestürzt oder gar ins Hafenbecken geworfen werden. In Belgien wiederum geht es König Leopold II. an den Kragen, der den Kongo für seinen Privatbesitz hielt und dort eine Terrorherrschaft errichtete, um Land und Leute bis aufs Blut auszubeuten.

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Und in Deutschland? Wir schauen uns den Sturm auf die Denkmäler aus sicherer Entfernung an. Unsere Geschichte ist voll menschenverachtenden Handelns, aber wenigstens diesmal haben wir nichts damit zu tun. Wenn es um Kolonialismus, Versklavung, Unterdrückung von Schwarzen geht, können wir unsere Hände in Unschuld waschen – oder? Tja, wenn das mal bloß so wäre.

Das Verbrechen des Holocaust überschattet die deutsche Geschichte so sehr, dass ein anderer Genozid es nicht ins kollektive Gedächtnis unserer Nation geschafft hat. Wie viele genau starben, ist schwer zu beziffern. Bis zu 100.000 Menschen vielleicht, umgebracht und ausgelöscht von einer deutschen Truppe. Zehntausende starben, als sie vor den Soldaten des Kaiserreichs in die Wüste flohen und in der Falle saßen. Die Deutschen besetzten die Wasserstellen, riegelten den Rand der Wüste ab und ließen die Zeit den Rest erledigen. "Das Röcheln der Sterbenden und das Wutgeschrei des Wahnsinns ... verhallten in der erhabenen Stille der Unendlichkeit!", vermerkte der kaiserliche Generalstab. Jeden, der vor ihre Gewehrmündungen komme, solle man niederknallen, befahl der Kommandeur seinen Leuten. Damit keine Missverständnisse aufkamen, fügte er hinzu: "Ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf." Falls Sie einmal durch eine Von-Trotha-Straße flanieren: Sie ehrt den Völkermord-General.

Das Bemühen um Vergangenheitsbewältigung ist im Umgang mit dem Nationalsozialismus zur Staatsraison geworden. Wenn es jedoch um Deutschlands koloniale Vergangenheit in Afrika geht, sieht es anders aus. Der Völkermord in "Deutsch-Südwestafrika", dem heutigen Namibia, wird in der Sache von niemandem bezweifelt. Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts wüteten Kolonialtruppen jahrelang unter den Volksgruppen der Herero und Nama. Zu einer offiziellen Entschuldigung hat sich Berlin dennoch bisher nicht durchringen können – auch deshalb, weil es ums Geld geht: Mit der Anerkennung der Schuld gehen Entschädigungsforderungen und Ansprüche auf Wiedergutmachung einher. Immerhin arbeiten Regierungsvertreter an einer Einigung. Nach mehr als 110 Jahren wird es allerhöchste Zeit. Aber auch in den Schulen muss das Kapitel endlich angemessen behandelt werden. Ich bin erschrocken, als ich hörte, dass viele junge Kollegen noch nie von den deutschen Verbrechen in Afrika gehört hatten.

Während Amerikaner, Briten und Belgier in ihrem historischen Keller die Türen aufgestoßen haben und in die Kisten mit den düsteren Erinnerungen schauen, stehen bei uns Deutschen in einer Ecke noch immer Kartons herum, für die sich niemand besonders interessiert. Das geht nicht. Wir müssen hineinschauen und uns der Geschichte unserer Vorfahren stellen. Es sind eben doch nicht nur die anderen, die entdecken, dass das Leben schwarzer Menschen nicht immer etwas gezählt hat. "Black Lives Matter" geht auch auf Deutsch.


WAS STEHT AN?

Seit bald vier Monaten kämpft Deutschland gegen das Coronavirus – im Vergleich zu anderen Ländern ziemlich erfolgreich, wenngleich die Folgeschäden der Kontaktsperre beträchtlich sind. Umso wichtiger ist es, dass sich die Wirtschaft und das öffentliche Leben möglichst schnell vollständig normalisieren. Geschäfte brauchen Einkäufer, Restaurants Gäste, Unternehmen Kunden, Verkehrsbetriebe Fahrgäste. Die bekommen sie aber nur, wenn das Infektionsrisiko gebannt ist und die Bürger nicht jederzeit neue Ausbrüche wie in Göttingen oder gestern in Berlin fürchten müssen. Deshalb hat die Bundesregierung ein neues Instrument entwickeln lassen: Neben der Abstandsregel und der Maskenpflicht soll die Corona-App dabei helfen, die Verbreitung des Virus einzudämmen. Heute Vormittag wird sie vorgestellt und sie ist schon jetzt kostenlos im App-Store von Apple und bei Google Play verfügbar. Aber einen relevanten Schutz bietet sie nur, wenn Millionen Menschen bereit sind, sich das Ding auf ihr Smartphone zu laden.

Um Ängste und Vorurteile gegen die App auszuräumen, hat die Bundesregierung viel Arbeit in Kauf genommen – und viel Zeit: Angekündigt war die App eigentlich für Mitte April. Dann verkündete Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), sie würde bis Mitte Mai fertig. Nun ist es sogar Mitte Juni geworden. Die Planer hatten den technischen Aufwand unterschätzt, beispielsweise um die mit Bluetooth arbeitende App so zu programmieren, dass sie die Smartphone-Akkus nicht ruckzuck leer saugt. Außerdem musste die Regierung eine strategische 180-Grad-Wende vollziehen: Eigentlich wollte sie die in der App erhobenen Daten der Nutzer auf einem zentralen Server speichern, um sie wissenschaftlich auszuwerten. Proteste von Datenschützern verhallten, erst als die Konzerne Apple und Google klarstellten, dass sie eine App mit zentraler Speicherung nicht akzeptieren würden, beugte sich die Bundesregierung: Nun bleiben die Daten auf den einzelnen Smartphones gespeichert, die Geräte tauschen lediglich einen anonymen Code aus (unsere Digitalexperten Jan Mölleken und Laura Stresing erklären Ihnen hier alles Wissenswerte).

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Amerikanische Technologieriesen kämpfen also für den Schutz der Daten deutscher Nutzer: Klingt doch schön, oder? Leider ein bisschen zu schön. Schaut man sich die Geschäftspraktiken von Apple und Google genauer an, erkennt man ein Muster: Die Konzerne wehren sich gegen jeden staatlichen Einfluss, seien es Kartellvorgaben, Steuergesetze, Regeln gegen Hass und Hetze – oder eben fremde Server, die nicht im Silicon Valley stehen. Über ihre Betriebssysteme beherrschen die beiden kalifornischen Firmen den weltweiten Smartphone-Markt, und sie wollen ihre Macht keinesfalls teilen. Schon gar nicht, wenn es um eine App geht, die so viele Leute nutzen.

Diese Hintergründe sollte man kennen – und kann die App trotzdem guten Gewissens ausprobieren. Ihre Wirksamkeit wird womöglich überschätzt, aber sie könnte tatsächlich dabei helfen, die Epidemie einzudämmen. Gefahren jedenfalls scheint sie nicht zu bergen. "Diese App ist so sicher, wie sie nur sein kann", sagt Helge Braun (CDU). Der Chef des Bundeskanzleramts ist einer der engsten Vertrauten von Kanzlerin Angela Merkel und hat die Entwicklung der Corona-App koordiniert. Praktischerweise ist er auch Intensivmediziner. Genau der richtige Mann also, um kritische Fragen zur App zu beantworten. Im Interview mit meinem Kollegen Tim Kummert und mir gibt der 47-Jährige bereitwillig Auskunft: Was genau soll die App wirklich bezwecken, könnte womöglich doch ein Nutzungszwang entstehen – und was geschieht, falls Geschäftsinhaber oder Restaurantbesitzer plötzlich nur noch Kunden in ihre Läden und Gaststätten lassen, die die App auf ihrem Handy installiert haben? Drängende Fragen. Die Antworten des Kanzleramtschefs lesen Sie hier.


In Frankfurt beginnt der Prozess gegen Stephan E. Der Rechtsextremist soll den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ermordet haben. E. hat die Tat zunächst gestanden, sein Geständnis später aber widerrufen. Es war der erste rechtsextremistisch motivierte Mord an einem deutschen Politiker seit 1945. Wegen Beihilfe ist außerdem Markus H. angeklagt. Der Prozess findet unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt und könnte auch einige Strukturen der Neonazi-Untergrundszene in Deutschland offenlegen. Die besten Einblicke gibt Ihnen Annette Ramelsberger, Gerichtsreporterin der "Süddeutschen Zeitung".


Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle gibt seine Prognose für den Sommer bekannt. Die Ökonomen haben berechnet, wie sich das Konjunkturpaket und die Mehrwertsteuersenkung ab 1. Juli auswirken könnten.


Der Bundesgerichtshof entscheidet, ob Google-Nutzer ein "Recht auf Vergessenwerden" haben. Die Kläger waren in der Vergangenheit Gegenstand negativer Berichterstattung geworden. Nun verlangen sie, dass die Artikel nicht mehr in der Trefferliste der Suchmaschine auftauchen.


Viele deutsche Politiker tun sich schwer mit der Rassismusdebatte. Frank-Walter Steinmeier nicht. Der Bundespräsident lädt heute zu einer Diskussionsveranstaltung über Rassismus in Deutschland ins Schloss Bellevue.


Friedensforscher haben zahlreiche internationale Konflikte untersucht und geben heute in Berlin klare Empfehlungen, welche Schlüsse Politiker daraus ziehen sollten.


WAS LESEN?

Sie ist seit über sieben Jahren "Tagesschau"-Sprecherin, spricht zu Millionen Menschen – trotzdem ist Linda Zervakis für viele einfach nur "die erste 'Tagesschau'-Sprecherin mit Migrationshintergrund". Warum sie das so ärgert, unter welchem Druck sie in ihrer Kindheit stand und warum sie ihre eigenen Kinder ganz anders erzieht, hat sie meinem Kollegen Steven Sowa in einem lesenswerten Interview erzählt.


Corona-Krise, Wirtschaftseinbruch, Proteste gegen Rassismus: Eigentlich bräuchten die USA jetzt einen Präsidenten, der das Land eint – stattdessen heizt der Mann im Weißen Haus die Konflikte weiter an. Absichtlich, glaubt Volker Depkat. "Trump will gar nicht der Präsident aller Amerikaner sein", sagt der Historiker im Interview mit unserem Zeitgeschichteredakteur Marc von Lüpke. Wen Trump wirklich vertreten will, erklärt er hier.


Bei Protesten geraten zwei Lager aneinander: auf der einen Seite Demonstranten gegen Rassismus, auf der anderen Rechtsextreme. Ein Weißer wird verletzt – ein Schwarzer rettet ihn. Die Bilder aus London sind um die Welt gegangen. Meine Kollegin Liesa Wölm erklärt Ihnen, was dahintersteckt.


Wieder eine chinesische Millionenstadt, wieder ein Großmarkt – der neue Corona-Ausbruch in Peking schürt weltweit die Sorge: Steht uns nun die zweite Welle der Pandemie bevor? Meine Kollegin Madeleine Janssen berichtet Ihnen, was bisher bekannt ist.


Neuseeland hat es vorgemacht: Covid-19 lässt sich komplett besiegen. Könnte das auch in Deutschland gelingen? Ja, erklärt der Chemiker Lars Fischer im Magazin "Spektrum", denn ausgerechnet das "Superspreading" macht das Virus verwundbar.


Testen, testen, testen: Das empfehlen Experten zur Eindämmung der Corona-Pandemie – doch das nötige Material wird immer knapper. Forscher aus Deutschland haben eine mögliche Lösung gefunden: Pool-Tests. Wie sie funktionieren, erklärt Ihnen meine Kollegin Melanie Weiner.


WAS AMÜSIERT MICH?

Jetzt, wo wir wieder reisen dürfen, ist Schlagfertigkeit besonders wichtig!

Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Tag.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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