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Deutschland und die Pandemie-Bekämpfung: Ein tödliches Missverständnis


Tagesanbruch
Ein tödliches Missverständnis

  • Johannes Bebermeier
MeinungVon Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 16.04.2021Lesedauer: 6 Min.
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Michael Müller (von links), Markus Söder und Angela Merkel nach einer der letzten Ministerpräsidentenkonferenzen: Viel mehr ist ohne die Bund-Länder-Runde jetzt auch nicht passiert.Vergrößern des Bildes
Michael Müller (von links), Markus Söder und Angela Merkel nach einer der letzten Ministerpräsidentenkonferenzen: Viel mehr ist ohne die Bund-Länder-Runde jetzt auch nicht passiert. (Quelle: IPON/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

heute schreibe ich für Sie den kommentierten Überblick über die Themen des Tages.

Wir haben nichts gelernt

Fast vier Wochen ist es jetzt her, seit Deutschland die bundesweite Pandemiebekämpfung eingestellt hat. Damals, am 22. März, beschloss die Ministerpräsidentenkonferenz die "Osterruhe", für mehr reichte es bei all dem Streit der Länderchefs und der Bundesregierung nicht mehr: Ein einziger zusätzlicher Feiertag sollte die dritte Welle brechen. Zumindest ein bisschen. Im Optimalfall. Vielleicht ja ein Osterwunder?

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Der Ausgang ist bekannt. Selbst dieser Minimalkompromiss funktionierte nicht, er war zu kompliziert, zu wenig durchdacht. Ein Osterdesaster.

Und was ist danach passiert?

Seitdem hat Angela Merkel für den Fehler mit der "Osterruhe" um Verzeihung gebeten, ohne aber einen anderen Plan parat zu haben.

Seitdem hat Merkel den Ministerpräsidenten gedroht, sie werde dem Nichtstun in den Ländern vielerorts nicht mehr lange zusehen, und hat dann doch lange zugesehen.

Seitdem hat CDU-Chef Armin Laschet nachgedacht und ist irgendwann auf einen "Brückenlockdown" gekommen, von dem er aber kaum jemanden außer sich selbst überzeugen konnte.

Seitdem hat sich die Bundesregierung ausgedacht, die Corona-Notbremse jetzt bundeseinheitlich zu regeln, damit sie dann auch endlich wirklich überall gilt. Das war am vergangenen Freitag. Plötzlich sollte alles ganz schnell gehen. Doch auch die "Bundesnotbremse" lässt noch auf sich warten.

Und weil sonst ja nichts zu tun wäre, hat seitdem auch noch die Union ausgiebig über ihr Spitzenpersonal gestritten.

Die Pandemie? Sie hat in diesen knapp vier Wochen ungestört weitergewütet. Seit der vergangenen Ministerpräsidentenkonferenz ist die Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland von 107 auf 160 gestiegen.

In allen Bundesländern. Nicht nur im schon in der zweiten Welle besonders gebeutelten Thüringen, sondern auch in Niedersachsen, wo Ministerpräsident Stephan Weil sagte, die Lage in den Krankenhäusern sei "entspannt". Und sogar in Schleswig-Holstein, das bislang oft relativ gut zurechtkam.

Und auch darauf sollte man in diesen Tagen hinweisen: Beim vermeintlichen Corona-Helden Markus Söder in Bayern ist die Inzidenz stärker gestiegen als bei Armin Laschet in Nordrhein-Westfalen.

Eine steigende Inzidenz, das lehrt die Pandemieerfahrung, führt nach einiger Zeit auch zu mehr Intensivpatienten. Das ist in der dritten Welle nicht anders: Lagen vor knapp vier Wochen in Deutschland noch 3.145 Menschen auf den Intensivstationen, waren es zuletzt 4.679. Nicht mehr 1.678 von ihnen werden invasiv beatmet, sondern jetzt 2.662.

Und die traurigste Lehre aus mehr als einem Jahr Pandemie ist: Eine gute Intensivmedizin kann Leben retten, aber eben längst nicht alle. 4.667 Menschen sind seit der letzten Bund-Länder-Runde an Covid-19 gestorben.

Viertausendsechshundertsiebenundsechzig Menschen.

Und die Politik? Die ist in der Sache nicht weiter als damals. Wie auch? Der Streit hat sich jetzt nur aus der Bund-Länder-Runde in den Bundestag und später den Bundesrat verlagert. Am heutigen Freitag wird das Parlament das erste Mal über die Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes beraten, also über die "Bundesnotbremse".

Der Streit ist dadurch nicht unbedingt übersichtlicher geworden, geschweige denn leichter zu lösen. Denn die Streitfragen sind die gleichen geblieben, und über sie dürfen jetzt noch wesentlich mehr Politiker als eine Kanzlerin und 16 Ministerpräsidenten ganz offiziell mitentscheiden: Könnte der Einzelhandel nicht vielleicht doch ein bisschen länger offenbleiben? Sind Ausgangssperren wirklich verhältnismäßig? Kann man Modellprojekte nicht trotz Notbremse offenhalten? Aber auch: Sollten Schulen nicht doch früher schließen?

Über alle diese Fragen lässt sich diskutieren, über einige sinnvoller als über andere. In normalen Zeiten sollte das auch unbedingt passieren. Das Problem ist nur, dass gerade keine normalen Zeiten sind. Es ist, man muss daran offenbar erinnern, Pandemie.

Und in dieser Pandemie gibt es immer noch ein fatales Missverständnis. Es kommt beim Kampf gegen ein hochansteckendes Virus nicht darauf an, immer das Perfekte zu tun. Es kommt darauf an, möglichst schnell etwas möglichst Sinnvolles zu tun. Denn je mehr Zeit vergeht, je weiter das Virus schon verbreitet ist, desto schwerer fällt es, überhaupt noch irgendetwas zu erreichen. Selbst mit den perfekten Regeln.

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Wie so vieles andere in dieser Pandemie ist das eigentlich keine neue Erkenntnis. Der WHO-Epidemiologe Michael Ryan hat sie schon vor einem Jahr formuliert: "Sei schnell, bedauere nichts", sagte er damals in einem weitverbreiteten Video. "Das Virus wird dich immer kriegen, wenn du nicht schnell etwas tust. Wenn alles stimmen muss, bevor du überhaupt etwas machst, wirst du niemals gewinnen. Schnelligkeit ist wichtiger als Perfektion."

Wenn die Geschichte der Corona-Bekämpfung in Deutschland etwas lehrt, dann dass die politischen Kompromisse am Ende meistens schwächer sind, als sie sein müssten, um die Pandemie entschieden zu bekämpfen. Das zeichnet sich auch für die "Bundesnotbremse" ab.

Und doch sollte sie jetzt endlich kommen, denn sie wird vermutlich besser sein als nichts. Besser als die immer gleichen Appelle allemal. Im Zweifel muss es danach schnell weitere unperfekte Regeln geben.

"Jeder Tag zählt gerade in dieser schwierigen Lage", hat Gesundheitsminister Jens Spahn am Donnerstag gesagt. Und an die Bundesländer appelliert, doch bitte, bitte schon mal zu handeln, bevor die "Bundesnotbremse" irgendwann dann auch Gesetz wird. Also frühestens nächste Woche.

Es klang fürchterlich hilflos. Aber er hat ja recht.


Wie geht's weiter in der Ostukraine?

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Joe Biden und Angela Merkel haben Russland schon ermahnt. Doch der Ukraine reichen Appelle nicht aus, während sich russische Truppen an der Grenze sammeln und der Konflikt um die Ostukraine erneut zu eskalieren droht. "Dieser Aufmarsch ist viel mehr als Muskelspiel, Säbelrasseln oder Kriegstrommeln", sagte der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrej Melnik, im Deutschlandfunk. "Wir brauchen militärische Unterstützung." Es seien "reale Kriegsvorbereitungen eines neuen militärischen Angriffs auf die Ukraine, die auch in Berlin ernst zu nehmen sind".

Wie ernst die internationalen Partner die Situation nehmen, und vor allem was daraus dann folgt, könnte schon heute etwas klarer werden. Der französische Präsident Emmanuel Macron empfängt seinen ukrainischen Kollegen Wolodymyr Selenskyj in Paris. Auch Kanzlerin Angela Merkel soll per Video dazugeschaltet werden. Klar ist: Allein von Appellen lässt sich Wladimir Putin für gewöhnlich nicht sonderlich beeindrucken.


Was lesen?

Um deutliche Worte war Gerhard Schröder bereits zu seiner Zeit als Regierungschef nicht verlegen. Auch heute scheut sich der Altkanzler nicht, zu kontroversen Themen Klartext zu reden. Umso mehr freuen wir uns, dass Schröder ab sofort regelmäßig auf t-online über politische und gesellschaftliche Themen schreibt. In seinem ersten Beitrag fordert er vom politischen Spitzenpersonal mehr Führung, um die Jahrhundertkrise erfolgreich zu meistern. Er erklärt auch, warum CSU-Chef Markus Söder zwar als Macher gilt, Führung aber mehr simuliert, "als dass er sie tatsächlich ausübt". Aber lesen Sie selbst.


Borussia Mönchengladbach und der BVB haben ihre Wunschtrainer für die kommende Saison bereits gefunden. Doch wie sieht es bei den anderen Bundesligavereinen aus? Nicht mal Rekordmeister Bayern München weiß aktuell, mit welchem Trainer sie in die kommende Saison gehen. Mein Kollege Noah Platschko hat sich das Trainerbeben in der Bundesliga mal genauer angeschaut.


Er prägte RTL wie kein Zweiter. Über ein Jahrzehnt führte Helmut Thoma den Privatsender zum Erfolg. Nun rechnet er mit seinem "Baby" ab. Mit meinem Kollegen Steven Sowa spricht er über die Umbrüche in Köln und warum er den Rauswurf von Dieter Bohlen heftig kritisiert.


Der Berliner Mietendeckel ist Geschichte, weil der Bund für das Mietpreisrecht zuständig ist und nicht die Länder. Die Entscheidung der Verfassungsrichter sei eine Blamage für den rot-rot-grünen Berliner Senat, meint mein Kollege Florian Schmidt – und eine gute Entscheidung.


Was amüsiert mich?

Diese Lösung des Unionsstreits wäre zumindest konsequent.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Da hören Sie dann meine Kollegen Marc Krüger, Sven Böll und Christine Holthoff im Wochenend-Podcast.

Ihr

Johannes Bebermeier
Politischer Reporter
Twitter: @jbebermeier

Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.

Mit Material von dpa.

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