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Bundesnotbremse für Deutschland – das ist Merkels großer Fehler


Tagesanbruch
Merkels großer Fehler

  • Annika Leister
MeinungVon Annika Leister

Aktualisiert am 22.04.2021Lesedauer: 6 Min.
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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei der Fragestunde zur Bundesnotbremse im Bundestag: Endlich wird die Pandemiepolitik dort gemacht, wo sie hingehört.Vergrößern des Bildes
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei der Fragestunde zur Bundesnotbremse im Bundestag: Endlich wird die Pandemiepolitik dort gemacht, wo sie hingehört. (Quelle: Uwe Koch/Eibner PF/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

herzlich willkommen zum Tagesanbruch. Ich bin Annika Leister, Redakteurin für Politik, und darf Sie heute zum ersten Mal in den neuen Tag begleiten. Apropos: Wenn Sie den Tagesanbruch abonnieren möchten, können Sie diesen Link nutzen. Dann bekommen Sie den Newsletter jeden Morgen um 6 Uhr kostenlos per E-Mail geschickt.

Es ist ein wichtiger Tag für Deutschland. Der Bundestag hat gestern mehrheitlich die Bundesnotbremse beschlossen. Sie wird heute wohl den Bundesrat passieren, Bundespräsident Steinmeier könnte das Gesetz danach innerhalb weniger Stunden unterschreiben. Schon am Wochenende könnte die Notbremse in Kraft sein. Sie sieht die bisher härteste Maßnahme in dieser Pandemie vor: Ausgangssperren von 22 bis 5 Uhr für alle Landkreise, die eine Inzidenz von 100 überschreiten.

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Dass diese Regel auch Sie trifft, ist wahrscheinlich. 294 Landkreise hat Deutschland, am Mittwoch lagen dem Robert Koch-Institut zufolge nur noch rund 60 unter der 100er-Marke. Bedeutet: 80 Prozent des Landes wird bei Nacht das Ausgehen verboten werden. Es ist ein harter Einschnitt, wie auch Corona-Deutschland ihn noch nie erlebt hat.

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Aber ist es Ihnen aufgefallen? Fühlen Sie es auch? Dieser außergewöhnliche Schritt, zum ersten Mal in einem Bundesgesetz verankert, führt gerade nicht zu Wut, Verunsicherung, Protest und Politikverdruss – im Gegensatz zu viel weniger gravierenden Maßnahmen in der Vergangenheit.

Zwar lieferten sich im Berliner Regierungsviertel Rechtsextreme, Corona-Leugner und Maßnahmen-Gegner Scharmützel mit der Polizei. Aber der Rest von Deutschland wirkt befriedet. In den Tageszeitungen spielte das Thema Infektionsschutzgesetz am Mittwoch auf den letzten Seiten. Plötzlich sind Mutmaßungen über neue Beschlussvorlagen nicht mehr das größte Reizthema, das alle privaten Diskussionen bestimmt. Das kollektive Kopfschütteln ist beendet.

Das liegt daran, dass die Pandemiepolitik endlich dort diskutiert und gemacht wird, wo sie hingehört: im Bundestag. Das Land ist befreit von der Ministerpräsidentenkonferenz als dysfunktionale Schaltzentrale in dieser Krise.

Endlich lenken nicht mehr Landesfürsten mit sehr regionalen Interessen candycrushspielend das Pandemiegeschehen. Endlich bestimmen nicht mehr allein halbgare Informationen und gezielte Durchstechereien von einer Handvoll Machtmenschen an Deutschlands unvernünftigste Boulevardzeitung die öffentliche Diskussion. Endlich ist Schluss mit Hinterzimmer. Endlich können wir alle einschalten, das Für und Wider im Bundestag transparent im Livestream verfolgen.

Das ist wahnsinnig erholsam. Das stiftet Vertrauen. Das war lange überfällig.

Es ist Merkels großer Fehler, dass sie diesen Weg erst jetzt beschreitet. Mehr als ein Jahr lang hat die Bundeskanzlerin sich der parlamentarischen Demokratie verweigert. "Ich glaube an die Kraft der Aufklärung", hat sie oft gesagt. Im Lenken des Volkes in dieser Krise hat sie das nie unter Beweis gestellt.

Natürlich ist der Beschluss im Bundestag nicht perfekt. (Zu Kritik und zentralen Fragen, die bleiben, lesen Sie hier den Text meiner Kollegin Sonja Eichert.) Die Grenze der 100er-Inzidenz liegt zu hoch – aber niedriger hätten auch die Ministerpräsidenten sie sicher nicht gesetzt. Und jetzt entscheiden 709 Köpfe, nicht mehr 17. Viele Köche verwässern potenziell den Brei. Doch das ist ein Riesenfortschritt – denn bisher gab es in der gesamten Krise ja nicht einmal einen gemeinsamen Brei. Bayern backte Schwarzbrot, das Saarland reichte den Bürgern Zuckerwatte.

Das langanhaltende Misstrauen der Kanzlerin gegenüber dem eigenen Parlament hat bittere Folgen. Die Bundesnotbremse kommt für viele zu spät. Für jene, die sich in den letzten Wochen infiziert haben, die nun die Intensivstationen füllen. Und für jene, die des Regel-Hickhacks, der sich ständig ändernden Verordnungen schon überdrüssig sind und einfach ihre eigenen Regeln befolgen.

Ihre Zahl ist nicht zu unterschätzen. "Ach, gelten in Berlin grad Ausgangsbeschränkungen?", fragte mich ein studierter Bekannter, der in Berlin lebt, überrascht – am Tag, nachdem verschärfte Ausgangsregeln für die Hauptstadt bereits in Kraft getreten waren und seit mindestens einer Woche hart diskutiert wurden.

Einen guten Teil der Bürger hat die Kanzlerin, haben die Länderchefs, mit ihrem Vorgehen in den vergangenen Monaten bereits als wirksame Akteure in dieser Pandemie verloren. Wegen ihres Streitens und Zögerns fallen die Ausgangssperren jetzt zusammen mit dem echten Frühlingsbeginn, mit Sonnenschein und hohen Temperaturen. Um die Unwilligen und Desinteressierten zurückzugewinnen, um sie zurückzuholen ins Boot der Pandemiebekämpfer, um sie auf das Zuhausebleiben einzuschwören, ist jetzt der schlechtestmögliche Zeitpunkt.

Das Bundesverfassungsgericht wird deswegen nur die erste Hürde sein, die das Bundesgesetz jetzt nehmen muss. Schon hier könnte es scheitern, zahlreiche Klagen sind angekündigt. Besonders die Ausgangssperren stehen auf der Kippe – weil sie zwar das Ausgehen verbieten, aber eigentlich auf das Verbot privater Kontakte in Innenräumen abzielen. Ob die Gerichte diesen Bogen mittragen werden, ist fraglich. Viele Corona-Beschlüsse haben Gerichte bereits als unverhältnismäßig gekippt, auch Ausgangssperren auf Landesebene.

Besteht das Gesetz die Prüfung der Justiz, werden die zweite, noch größere Hürde die Bürger selbst sein. Werden sie die Maßnahme mittragen, obwohl diese nicht zielgenau ist? Werden sie sich an die Regel halten, obwohl diese nicht flächendeckend kontrolliert werden kann? Haben sie noch Kraft, Ausdauer, Verständnis, sich so weit einzuschränken?

Die monatelange Fehlkommunikation der Bundesregierung und das Frühlingswetter könnten die Bundesnotbremse scheitern lassen. Das wäre vermeidbar gewesen – mit ein bisschen mehr Vertrauen in die Demokratie.

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Bidens Klimagipfel

Heute schaltet sich US-Präsident Joe Biden virtuell mit 40 Staats- und Regierungschefs zum Klimagipfel zusammen – darunter Bundeskanzlerin Merkel, Russlands Präsident Wladimir Putin und Chinas Staatschef Xi Jinping. Das allein bestimmende Thema: der Kampf gegen die andere große Krise unserer Zeit – die Klimakrise. An Bidens Tisch werden jene, die besonders unter dem Klimawandel leiden, jenen gegenübersitzen, die die stärksten Treiber des Klimawandels sind. An Tag eins soll es unter anderem um Finanzierungsfragen gehen. Ob es bei warmen Worten bleibt oder sich eine starke Allianz der Willigen bildet, bleibt abzuwarten. In dieser Grafik von meiner Kollegin Heike Assmann sehen Sie, welche Ziele sich die EU-Staaten gesetzt haben:


Handshake zwischen Autokraten

Russlands Präsident Wladimir Putin trifft sich heute außerdem in Moskau mit dem belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko. Während die EU Herrn Lukaschenko nicht mehr als Präsidenten anerkennt, will Putin mit ihm über einen Weg aus der innenpolitischen Krise diskutieren. Nie in Vergessenheit geraten sollte dabei, was diese beiden Männer seit Jahrzehnten an der Macht hält: das Niederknüppeln von Demonstranten, das Zerstören jeder Opposition. Mein Kollege Patrick Diekmann hat in diesem Text die Folgen für Putin-Konkurrent Alexej Nawalny analysiert, der nach wie vor im Hungerstreik in Haft für unabhängige medizinische Versorgung kämpft.


Was lesen?

Über Ausgangssperren wurde bereits viel diskutiert. Welche Maßnahmen aber sieht die Bundesnotbremse noch vor? Was gilt jetzt für Schulen und Kitas, für Friseure und Masseure, für Gastronomie und Kultur, für private Freizeit und Sport? Meine Kollegin Sandra Simonsen liefert hier den Überblick.


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Am Dienstag war Wirtschaftsminister Peter Altmaier da, heute folgt Finanzminister Olaf Scholz und morgen Kanzlerin Merkel: Der Wirecard-Untersuchungsausschuss im Bundestag tritt in die heiße Phase ein. Um was ging es dabei nochmal – und wieso ist es so brisant, dass die Spitzenpolitiker jetzt aussagen müssen? Mauritius Kloft fasst hier alle Antworten auf die wichtigsten Fragen zusammen.


Kann es denn so einfach sein? Schon länger wird Gurgeln empfohlen, um das Corona-Infektionsrisiko zu senken. Forscher sehen nun Hinweise, dass Mundspülungen noch einen weiteren Effekt erzielen, wie meine Kollegin Melanie Weiner erklärt. Doch es kommt auch darauf an, wie sie angewandt werden.


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Der FC Schalke 04 steigt zum vierten Mal aus der Bundesliga ab. Obwohl es sich seit Wochen und Monaten angedeutet hat, ist das ein herber Schlag für alle Fans und Sympathisanten der Königsblauen – so auch für meinen Kollegen Dominik Sliskovic. Mit einem emotionalen Brief nimmt er Abschied von seinem Herzensklub. Vorerst.

Was amüsiert mich?

Morgen lesen Sie hier wieder Florian Harms. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, frei von Machtkämpfen und Herzschmerz!

Ihre

Annika Leister
Redakteurin Politik
Twitter: @AnnLei1

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Mit Material von dpa.

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