Am Montag gibt es ein Erwachen
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung ΓΌbernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
Vertrauen ist ein starkes Wort. Wir vertrauen anderen Menschen, wir vertrauen auf uns selbst. Vertrauen schenkt man, Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit. Man vertraut auf FΓ€higkeiten, Handlungen und Aussagen. Zuvorderst aber ist Vertrauen ein GefΓΌhl, das sich aufbaut, das aber auch zerstΓΆrt werden kann.
Am Sonntag ist Bundestagswahl. Und wir alle sind aufgefordert, einer oder mehreren Parteien, Kandidatinnen und Kandidaten unser Vertrauen zu schenken. Wir wΓ€hlen in der Erwartung, dass unser in die GewΓ€hlten gesetztes Vertrauen nicht enttΓ€uscht wird.
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SchlieΓlich sollen sie uns die nΓ€chsten vier Jahre vertreten. Eine lange Zeit. Da braucht es viel Vertrauen, um am Wahlsonntag guten Gewissens die Kreuze auf den Wahlzetteln machen zu kΓΆnnen.
Die vergangenen Wochen und Monate haben die Parteien und ihre Kandidaten viel Zeit und Geld verwendet, um unser Vertrauen zu erlangen. Wahlprogramme wurden geschrieben, Sofortprogramme obendrauf gesetzt. Es gab drei Wahl-Trielle, ungezΓ€hlte Kandidatenauftritte, tonnenweise Plakate, Internet-Werbung, TV-Werbespots.
Und nach wie vor wissen 40 Prozent der Deutschen nicht, wen sie wΓ€hlen wollen.
Die Zahl erschreckt mich. Die Wahl am Sonntag ist das wichtigste Element unserer Demokratie. Sie konstituiert unseren Staat alle vier Jahre wieder aufs Neue.
Doch auch nach einem langen Wahlkampf bleibt ein erklecklicher Anteil der Menschen verunsichert zurΓΌck. Warum ist das so? 63 Prozent der Deutschen finden, dass die Spitzenkandidaten nicht ΓΌberzeugend seien. 56 Prozent sagen, die Parteien gΓ€ben einfach kein gutes Bild ab.
Was schafft Vertrauen fΓΌr unsere Wahlentscheidung? Sind es die Kandidaten? Parteiprogramme? Wahlplakate? Auftritte im Fernsehen? Kommentare eines Chefredakteurs?
Ich hatte neulich geschrieben, mir persΓΆnlich wΓ€re wohler, die drei Kanzlerkandidaten wΓΌrden eine nicht ganz so medial exponierte Rolle spielen. Sie waren auf der Mattscheibe so omniprΓ€sent, dass der Eindruck entstehen konnte, sie alleine wΓΌrden bestimmen, wofΓΌr ihre Parteien stehen. Dabei ist Politik eine Teamleistung, und ein Koalitionsvertrag bestimmt letztlich die politische Richtung der kommenden vier Jahre.
Demnach mΓΌssten wir unser Vertrauen nicht in einzelne Kandidaten setzen. Sondern in Kandidatenteams, womΓΆglich sogar in Koalitionen. Im Wahlkampf versuchen sich die Parteien gegeneinander abzugrenzen, doch hinterher werden sie miteinander regieren. Vertrauen Sie also auf eine Ampelkoalition? Oder doch lieber Jamaika? Oder Rot-GrΓΌn-Rot? Rein psychologisch gesehen fΓ€llt uns Vertrauen schwerer, je abstrakter und weniger assoziativ etwas ist.
Der nΓ€chste Punkt: Wir vertrauen am Wahlsonntag darauf, dass die handelnden Personen Wahlprogramme und Wahlversprechen umsetzen. Doch nach der Wahl mΓΌssen Kompromisse gefunden werden. Politik beruht auf gesellschaftlichem Ausgleich. Im Wahlkampf hoffen wir auf zwΓΆlf Euro Mindestlohn oder maximal 700 Euro Pflegezuzahlung. Nach der Wahl ist dann die EnttΓ€uschung schnell groΓ, wenn es nicht kommt wie versprochen. Wer Realist ist, weiΓ natΓΌrlich um die politischen Mechanismen. Aber worauf sollen wir denn vertrauen, wenn nicht auf Wahlversprechen?
In den vergangenen WahlkΓ€mpfen rΓΌckt deshalb mehr und mehr die Redlichkeit der Kandidaten in den Fokus. Wer empathisch und ehrlich wirkt, von dem erwarten wir nach der Wahl auch ein entsprechend verantwortungsvolles Verhalten. Dann lacht Armin Laschet an der falschen Stelle, Annalena Baerbock gibt ihr Weihnachtsgeld beim Bundestag nicht an und Olaf Scholz kann nicht ausrΓ€umen, dass Durchsuchungen in seinem Ministerium nicht doch etwas mit seiner Verantwortung zu tun haben. Da fΓ€llt es schwer, zu vertrauen.
Was bleibt?
WΓ€hlen Sie also am Sonntag gerne mit Restzweifeln im Hinterkopf. Vertrauen Sie darauf, dass die Wahl nicht am Sonntag um 18 Uhr endet. Der Wahltag ist eine wichtige ZΓ€sur in der bundesdeutschen Politik, aber zugleich auch nur der Beginn eines Prozesses. Es ist wichtig, das richtige politische Personal zu wΓ€hlen, aber getragen werden politische Entscheidungen jeden Tag von uns allen.
Um ein Beispiel zu nennen: Der Atomausstieg stand bei der CDU nicht im Wahlprogramm von 2009. Er wurde von Angela Merkel angesichts der Katastrophe von Fukushima entschieden β nicht, weil die Kanzlerin fΓΌr ihre radikale Entschlussfreudigkeit bekannt ist, sondern weil die gesellschaftliche Stimmung damals die Entscheidung ermΓΆglichte. Auch 2015 konnte Merkel die vielen FlΓΌchtlinge nur willkommen heiΓen, weil eine Mehrheit der Menschen damals diese Entscheidung guthieΓ. In Berlin kΓΆnnen "die da oben" nicht vier Jahre lang tun, was sie wollen. Sie sind immer auf unser Wohlwollen angewiesen.
Wir entlassen Politikerinnen und Politiker am Wahlsonntag keineswegs in die nΓ€chsten vier Jahre. Wir mΓΌssen sie regelmΓ€Γig an ihre Verantwortung und das in sie gesetzte Vertrauen erinnern. Wir sind ein Volk von 83 Millionen Menschen, und jeder prΓ€gt diese Republik mit. Jeden Tag, egal ob im Supermarkt oder in den Vorstandsetagen der Konzerne. Wir mΓΌssen auf uns selbst vertrauen.
Wir mΓΌssen wachsam sein
Der Mord von Idar-Oberstein ist mit menschlichem Verstand nicht zu fassen. Ein Mann weigert sich, in einer Tankstelle eine Maske zu tragen. Kommt wenig spΓ€ter zurΓΌck und erschieΓt den Angestellten der Tankstelle. Es ist die Tat eines EinzeltΓ€ters, doch getragen wird sie von der aufgeheizten Stimmung unter Corona-Leugnern. Nur zwei Tage spΓ€ter folgte schon der nΓ€chste Γbergriff. Im Innenministerium hieΓ es gestern, man stelle fest, dass ein radikaler Kern der "Querdenker"-Szene sich weiter radikalisiere. Vor der Gewaltbereitschaft von Teilen dieses politischen Spektrums warnen Experten schon lΓ€nger.

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Was folgt daraus? ZunΓ€chst gilt mein MitgefΓΌhl den AngehΓΆrigen und Freunden des Opfers. Jeder, der schon einmal einen wichtigen Menschen verloren hat, weiΓ, wie schlimm das ist.
DarΓΌber hinaus: Wenn sich Teile der Gesellschaft radikalisieren, mΓΌssen alle beisammenstehen und wachsam sein. Solche Taten mΓΌssen hart bestraft werden, mΓΆglichen Sympathisanten muss konsequent begegnet werden. Zudem: Eine Minderheit darf niemals radikal ihre Meinung der Mehrheit oktroyieren. Zugleich muss die gesellschaftliche Mehrheit verstehen, empathisch mit Kritik umzugehen. Unsere Gesellschaft muss immer dialogfΓ€hig bleiben. Das gilt fΓΌr alle Seiten. Alles andere ist nicht tolerierbar.
14 Jahre ist es her, da bemΓΌhte sich die EU-Kommission schon einmal um einheitliche Ladebuchsen fΓΌr Handys. Damals war das Chaos deutlich grΓΆΓer als heute, es gab etwa 30 verschiedene Anschluss-Typen. Γbrig geblieben sind drei Formate: Lightning, USB-C und Micro-USB.
Heute soll das Nebeneinander ein endgΓΌltiges Ende finden. EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton prΓ€sentiert in BrΓΌssel einen 18-seitigen Vorschlag. Seine LΓΆsung ist eine simple Idee: Die Hersteller sollen verpflichtet werden, dass alle Handys kabellos geladen werden kΓΆnnen. Die EU-Kommission rechnet damit, dass allein dadurch jΓ€hrlich 980 Tonnen weniger Elektroschrott anfallen werden. Eine unfassbare Zahl, wiegt doch ein Handy-Ladekabel nur wenige Gramm.
Was lesen?
Die Freiheit vermissen wir erst, wenn wir sie nicht mehr besitzen. Hans-JΓΌrgen Papier, Ex-PrΓ€sident des Bundesverfassungsgerichts, hat ein PlΓ€doyer zum Schutz unserer Freiheitsrechte verΓΆffentlicht. Einen Auszug lesen Sie hier.
Noch immer gibt es keine Antwort darauf, wie die Corona-Pandemie entstanden ist. Eine Untersuchung legt jetzt nahe: Die Pandemie kΓΆnnte sogar mehrere tierische UrsprΓΌnge haben. Meine Kollegin Melanie Rannow hat sich die Ergebnisse angesehen.
Seit anderthalb Jahren wird an Impfstoffen geforscht, um das Coronavirus zu bekΓ€mpfen. Ein Forschungsteam der UniversitΓ€t Kassel hat jetzt einen ganz anderen Ansatz verfolgt: Mit niedriger elektrischer Spannung soll das Virus unschΓ€dlich gemacht werden. Meine Kollegin Sandra Simonsen und unsere Grafikerin Heike AΓmann erklΓ€ren, wie das funktionieren soll.
Wenn es jemals eines singulΓ€ren Ereignisses bedurft hΓ€tte, um zu zeigen, dass der Brexit fΓΌr GroΓbritannien hoch riskant ist, so tritt es in diesen Tagen ein. Das Land erlebt eine gefΓ€hrliche Energiekrise, verursacht durch den Austritt aus der EU. Die Kollegen von "Zeit Online" haben die Geschichte wunderbar pointiert zusammengefasst.
Was machen Sie, wenn Sie sauer sind? Ich gestehe, als Kind habe ich manchmal Dinge durch die Gegend geworfen. Jetzt weiΓ ich: Ich bin nicht allein. Forscher haben ein Γ€hnliches Verhalten bei Oktopussen feststellen kΓΆnnen.
Was mich amΓΌsiert
Zum Schluss noch eine gute Nachricht. Die CDU Mecklenburg-Vorpommern veranstaltet im Wahlkampf keine Abschlusskundgebung. Das Format werde "als nicht effizient" angesehen, sagte ein Sprecher gestern. Kann man mal machen.
Ich wΓΌnsche einen spΓ€tsommerlichen Donnerstag. Morgen schreibt mein geschΓ€tzter Kollege Steven Sowa an dieser Stelle.
Ihr
Peter Schink
Stellvertretender Chefredakteur t-online.de
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