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Rechtsextreme Marine Le Pen: Plötzlich droht Europa eine neue Gefahr


Tagesanbruch
Plötzlich droht eine neue Gefahr

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 06.04.2022Lesedauer: 7 Min.
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Wahlkämpferin Marine Le Pen mit Anhängern auf einer Messe.Vergrößern des Bildes
Wahlkämpferin Marine Le Pen mit Anhängern auf einer Messe. (Quelle: imago-images-bilder)

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Es war ein Donnerschlag, der Millionen Menschen in die Glieder fuhr. Niemand hatte damit gerechnet: Donald Trump, der TV-Egomane mit der großen Klappe, stand in der Nacht zum 9. November 2016 plötzlich als Wahlsieger fest. Seine Gegnerin, die seriöse, arrogante Hillary Clinton, war an den Behauptungen des Lügenbarons gescheitert, vor allem aber an ihrer eigenen Unbeliebtheit. Vor der Wahl war Clinton als klare Favoritin gehandelt worden. Doch das halbe Amerika sah in ihr ein Symbol des Sumpfs in Washington. Sie war zum Gesicht einer politischen Klasse geworden, die sich um die einfachen Leute nicht scherte.

Eine Welle des Hasses brandete Hillary Clinton von jenen entgegen, die sich abgehängt fühlten: die Landeier fern der Metropolen, die Verlierer der Globalisierung in den verfallenden Industriegebieten, manche ohne Geld, viele ohne Job, alle voller Frust. Der richtete sich auch gegen die Einwanderer, die angeblich irgendwie an allem schuld waren – geklaute Jobs, die Kriminalität, islamistischer Terror, alles hineingeschmissen in einen großen Topf. Dann kam der Wahltag – und zack: hatten wir einen gefährlichen Populisten auf dem Chefsessel in Paris.

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Nein, Moment! Entschuldigung. Nicht Paris. Washington natürlich. Ich bin gerade durcheinandergekommen. Wir waren doch bei den alten Zeiten, Hillary und der Donald, die schockierende Wahlnacht auf der anderen Seite des Atlantiks. Nicht die in Paris, die kommt ja erst jetzt: In Frankreich wird am Sonntag der Präsident gewählt, und der Amtsinhaber Emmanuel Macron liegt vorn. Die Prognosen fallen so deutlich aus, dass man das Ergebnis des ersten Wahlgangs diesmal recht sicher vorhersagen kann: Macron wird aller Voraussicht nach den ersten Platz belegen, die Rechtspopulistin Marine Le Pen den zweiten. Dem linken Hardliner Jean-Luc Mélenchon werden nur noch Chancen auf den dritten Platz eingeräumt, womit er aus dem Rennen wäre, genau wie die inzwischen abgehängten anderen Kandidaten. Zwei Wochen später steht dann die entscheidende Stichwahl an: Macron gegen Le Pen. Der Showdown.

Macron ist auch in der Stichwahl der Favorit, allerdings nicht mehr so strahlend, wie er vor Kurzem noch erschien. Nur ein paar dürre Prozentpunkte trennen ihn – und Deutschlands wichtigstes Partnerland – zur Zeit von einem Sieg des rechten Rands. Dann säße mit Le Pen plötzlich eine alte Freundin Wladimir Putins im Élysée-Palast. Und noch andere verstörende Bündnisse täten sich auf. Viktor Orbán, der antidemokratische Wahlsieger aus Ungarn, hätte im Herzen Europas eine mächtige Verbündete gefunden. Die weitere europäische Integration wäre mit Le Pen passé, die Initiativen zur Verteidigung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der EU beerdigt, die Allianz an der Seite der Ukraine massiv verwundet. Man mag es sich nicht ausmalen. Doch Macrons Vorsprung ist inzwischen so knapp, dass es tatsächlich schiefgehen kann.

Eigentlich schien das Rennen schon gelaufen zu sein. Seit Beginn der Ukraine-Krise ist der französische Präsident geschmeidig in die Rolle des Krisenmanagers geschlüpft. Macron spricht als einziger europäischer Staatschef oft mit Putin, Macron sitzt mit ihm am meterlangen Tisch in Moskau, Macron verhandelt um die Evakuierung Mariupols, Macron versammelt die EU-Chefs in Versailles. Frankreich ist geschockt vom Krieg und stellt sich hinter den Präsidenten. Seine Zustimmungswerte schossen nach oben, Landeskenner hatten die Wahl bereits abgehakt. Doch in der vergangenen Woche machten alarmierende Zahlen die Runde: Der präsidiale Bonus verflüchtigt sich. Was ist da los?

Seine Herausforderin Marine Le Pen befindet sich im Aufwind, weil sie die erste Schlacht bereits gewonnen hat. Sie musste sich mit Éric Zemmour herumschlagen, einem rechtsextremen Konkurrenten, der mit seinen kruden Thesen unter ihren Anhängern gewildert hatte. Le Pen hat ihn in der Wählergunst erfolgreich überrundet und kann sich spätestens im zweiten Wahlgang auf die Stimmen seiner Anhänger verlassen. Zugleich profitiert sie davon, dass Zemmours Positionen Le Pen gemäßigt erscheinen lassen. Im Vergleich mit dem Hetzer wirkt selbst die Madame aus der führenden rechtsradikalen Familie Frankreichs so zahm, dass auch bürgerliche Wähler erwägen, das Kreuzchen bei ihr zu machen. Dennoch: Das Wählerpotenzial am rechten Rand blieb bisher einigermaßen konstant. Ungefähr ein Drittel der Franzosen stellt sich hinter Le Pen oder Zemmour. Der rechte Rand ist ganz schön breit. Aber für eine Mehrheit reicht das nicht.

Die entscheidende Unterstützung könnte ausgerechnet vom anderen Rand kommen: von ganz links. Bei rund 15 Prozent liegt der Linksaußenkandidat Mélenchon derzeit. Auch er war – wie Le Pen und Zemmour – auf Putin immer gut zu sprechen. Raus aus der Nato will er, von Waffenlieferungen an die Ukraine hält er nichts. Wenn er im ersten Wahlgang aus dem Rennen um das Präsidentenamt ausscheidet, könnte sich ein Teil seiner Anhänger auf die Seite Le Pens schlagen. Oder beim zweiten Wahlgang zu Hause bleiben. Unter den Wählern der Linken gibt es viele, die sich dem Durchmarsch der Rechten nicht entgegenstellen oder sich ihm sogar anschließen würden. Die Frage, warum das so ist, führt uns zum eigentlichen, beunruhigenden Kern des französischen Problems.

Denn es gibt sie auch in Frankreich: die Abgehängten, die Vergessenen, die Wähler von Typen, die anderswo Donald Trump heißen. Sie wohnen zum Beispiel in Landstrichen, in denen Stahlwerke standen, die es längst nicht mehr gibt; in denen die Industrie zugemacht hat und nach Osteuropa abgewandert ist, wo die Löhne niedriger sind. In solchen Regionen steht ein Frankreich hoch im Kurs, das es früher mal gab, jedenfalls wollen das viele glauben: genug Arbeit, ordentliche Löhne, Tradition, nicht so viele Ausländer. Abseits der Hauptstadt ist die Verachtung für die politischen Schnösel in Paris groß. Und ganz besonders für Monsieur Macron. Er gilt als arrogant, was daran liegen mag, dass er oft genug so auftritt – der ehemalige Investmentbanker, der Politik für seine Buddies macht. So einer hat doch keine Ahnung vom Leben und den Problemen der normalen Leute! Nee, den wählen wir nicht! Der Mélenchon, der Linke, der will wenigstens was ändern für uns. Oder die Le Pen, die ist bodenständig, die gehört nicht zu den elitären Zirkeln in Paris. Sie hat gesagt, sie kandidiert zum letzten Mal. Vielleicht sollte man es mit ihr mal probieren? So denken viele.

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Gewiss, es ist Krieg in der Ukraine, da muss man hinter dem Präsidenten zusammenstehen. Aber die Auswirkungen dieses Krieges kommen allmählich auch in Frankreich an. Das Einkaufen wird teurer, das Tanken auch. Es geht nicht länger nur um Putin, sondern auch um die sozialen Folgen und die Flaute im Portemonnaie. Mitgefühl und eine soziale Ader nehmen viele Menschen, selbst unter Macrons Wählern, dem Bewohner des Élysée-Palastes nicht ab. Aus seinem Mund vernehmen sie stattdessen Sätze wie diesen: "Wir müssen mehr arbeiten". Macron hat angekündigt, das Rentenalter von 62 auf 65 Jahre anzuheben. Das ist ökonomisch sicher richtig. Es fügt sich aber auch in ein Gesamtbild ein: das von Macron als Macher unter Managern, von einem Leben im Konferenzsaal und im feinen Zwirn.

Ich möchte nicht schwarzmalen. Nach aktueller Lage ist eine zweite Präsidentschaft Emmanuel Macrons das wahrscheinlichste Ergebnis der französischen Wahl. Ausgefeilte Modelle geben seinem Sieg eine Chance von bis zu 80 Prozent. Die Restwahrscheinlichkeit von 20 Prozent – für eine gesamteuropäische politische Katastrophe mit ungeahnten Konsequenzen – ist allerdings auch noch ganz schön groß. Vor allem aber sitzen die Probleme Frankreichs tief und die gesellschaftliche Spaltung auch. Nur in der Verachtung für die politische Klasse sind sich die meisten Franzosen einig. An alldem hat sich während der Regierungszeit Macrons nichts geändert. Es wird höchste Zeit dafür. Sonst ist es, früher oder später, aus für Hillary, pardon, für Emmanuel natürlich. Es ist wie verhext, ich komme da immer durcheinander.


Olaf muss antworten

Als sich Bundeskanzler Olaf Scholz im Januar seiner ersten Regierungsbefragung stellte, warb er noch kräftig für eine allgemeine Corona-Impfpflicht. Wenn er den Bundestagsabgeordneten heute zum zweiten Mal Rede und Antwort steht, kann er nur noch das Scheitern seines Projekts einräumen. Nicht mal das Kompromissmodell einer Impfpflicht für Menschen ab 50 Jahren, über das morgen ohne Fraktionszwang abgestimmt werden soll, hat eine Mehrheit sicher. Nun soll es auf den letzten Metern ein Vorschlag richten, der hier im Tagesanbruch, hüstel, bereits vor mehr als zwei Monaten unterbreitet wurde: die Impfpflicht ab 60 Jahren. Allerdings wird das Thema Corona heute ohnehin nicht die Hauptrolle spielen, denn natürlich ist der Redebedarf zum Ukraine-Krieg, zu möglichen weiteren Sanktionen gegen Russland und zu deren wirtschaftlichen Folgen größer. Mit dem Massaker der russischen Truppen an ukrainischen Zivilisten in Butscha beschäftigt sich das Parlament im Anschluss auch in einer Aktuellen Stunde.


Was lesen?

Emmanuel Macron will die Präsidentschaftswahl in Frankreich gewinnen, um Europa umzukrempeln. Was das bedeutet, hat der Historiker Joseph de Weck meinem Kollegen Marc von Lüpke und mir erklärt.


Lauterbachs Kommunikationsdebakel: Erst am Montag hatte der Gesundheitsminister das Ende der Isolationspflicht verkündet. Stattdessen solle man freiwillig zu Hause bleiben. Am Dienstagabend ruderte er wieder zurück.


Heute beschließt das Bundeskabinett Robert Habecks großes "Osterpaket": Damit soll Deutschland endlich den Übergang zu den erneuerbaren Energien schaffen – und in die Unabhängigkeit von Putins Gas. Hält das 500 Seiten dicke Werk, was es verspricht? Unsere Reporter Johannes Bebermeier, Theresa Crysmann und Fabian Reinbold haben die Antwort.



Beim Einkauf im Supermarkt fänden Sie es sicher gut, dass für die Produkte niemand ausgebeutet wird, oder? Dann schauen Sie bitte mal auf diese Meldung.


Was amüsiert mich?

Alles wird jetzt teurer …

Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Tag.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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