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Zusammenbruch von Afghanistan: Die Helfer der Bundeswehr wurden zur Zielscheibe


Tagesanbruch
Wie im Mittelalter

  • David Schafbuch
MeinungVon David Schafbuch

Aktualisiert am 24.05.2022Lesedauer: 7 Min.
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Afghanistan: Nach der Anordnung der Taliban präsentierten sich Nachrichtensprecherinnen verschleiert im TV – doch sie äußerten Kritik. (Quelle: Reuters)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

für Khatereh Ahmadi und Sonia Niazi war der Sonntag kein Tag wie jeder andere. Die beiden Nachrichtenmoderatorinnen des Senders Tolo News mussten ihre Garderobe ändern. Das mag für Fernsehleute an sich nichts Ungewöhnliches sein. Doch es ging nicht etwa um die Farbe von Blazern oder Schuhen: Beide Frauen traten vollverschleiert vor die Kameras. Zu erkennen war nur noch ein schmaler Ausschnitt der Augen und der Stirn beider Frauen.

Die Entscheidung trafen sie nicht selbst, sondern Gottso erklärte es zumindest ein Sprecher des "Ministeriums für Laster und Tugend" in Afghanistan. Seit diesem Tag ist es Frauen in dem Land nicht mehr erlaubt, ohne volle Verschleierung im Fernsehen aufzutreten.

Afghanistan, Sie erinnern sich? Das ist das Land, dessen ohnehin wacklige Ordnung im vergangenen Sommer innerhalb kürzester Zeit zusammenbrach – wovon die Staaten des Westens allesamt überrascht wurden.

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Im Juni hatte die Bundeswehr nach fast zwanzig Jahren dort ihre Zelte abgebrochen. Bereits Mitte August hatten die radikalislamischen Taliban die Kontrolle über den Präsidentenpalast übernommen. Das bis dato amtierende Oberhaupt Ashraf Ghani hatte das Land einfach verlassen. Die letzten US-Soldaten folgten ihm wenig später. Die Bilder von verzweifelten Menschen, die nur noch raus aus dem Land wollten, gingen um die Welt.

Die Taliban hatten nach der Machtübernahme eine für ihre Verhältnisse moderate Politik angekündigt. Was sie darunter verstehen, erinnert an das Mittelalter oder andere dunkle Zeiten: Im Taliban-Land müssen Frauen nicht nur maskiert in Fernsehstudios auftreten, auch der Schulunterricht ist für sie stark eingeschränkt. Reisen dürfen sie nur mit männlicher Begleitung.

Es gibt Berichte von Femiziden, die Leichen der Frauen landen auf Müllhalden oder in Straßengräben. Zudem schlossen die Taliban zahlreiche Einrichtungen wie die Kommissionen für Wahlen oder für unabhängige Menschenrechte. Das besagte "Ministerium für Laster und Tugend" ersetzte das Frauenministerium.

All diese furchtbaren Dinge scheinen nicht nur räumlich weit weg zu sein. Nach Afghanistan kamen für uns die Bundestagswahl, die Ampelregierung mit neuem Kanzler, eine Omikron-Welle und nun ein Krieg in Europa. Doch Deutschland hat für Afghanistan Ziele formuliert, an die man in diesen Tagen wieder erinnern sollte.

"Wir bemühen uns weiterhin mit allen Kräften, vor allem den Afghanen zum Verlassen des Landes zu verhelfen, die Deutschland als Ortskräfte der Bundeswehr, der Polizei und der Entwicklungszusammenarbeit zur Seite gestanden und sich für ein sicheres, freies Land mit Zukunftsperspektiven eingesetzt haben", sagte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel im vergangenen August. Man dürfe und werde Afghanistan nicht vergessen, versicherte die Kanzlerin.

Öffentlich flammt das Thema neun Monate später in Deutschland kaum noch auf. Dabei sind die Probleme mitnichten gelöst: Noch immer warten Ortskräfte in Afghanistan darauf, das Land verlassen zu können. Knapp 11.000 sollen es laut einem Bericht des "Spiegel" sein, während rund 20.000 bisher die Ausreise gelang.

Dass diese Zahlen vollständig sind, darf bezweifelt werden. Ein Recht auf eine Ausreise erhalten nur Ortskräfte, die ab 2013 direkt für deutsche staatliche Organisationen gearbeitet hatten. Alle, die davor unseren Soldaten oder anderen Stellen halfen, haben Pech. Auch Menschen, die bei Subunternehmen im Interesse Deutschlands tätig waren, fallen durch das Raster.

Doch selbst wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, gibt es keine Garantie. "Mein Leben ist in Gefahr, weil ich für die deutsche Regierung gearbeitet habe", klagte im März ein ehemaliger Helfer im Gespräch mit meiner Kollegin Camilla Kohrs. Zehn E-Mails hatte der Mann seit dem Zusammenbruch seiner Heimat an seinen ehemaligen Arbeitgeber, die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), geschickt. Zwischen 2019 und 2020 war er dort tätig.

Getan hat sich bis heute nichts. Mit Frau und Kindern sitzt er weiter in Afghanistan fest und fürchtet die Rache der Taliban: "Wenn sie mich finden, werden sie mich und meine Familie töten", ist sich der Mann sicher.

Diese Menschen haben für die Sicherheit unserer Landsleute ihr Leben riskiert. Sie haben für Soldaten und Hilfsorganisationen Kontakte geknüpft. Sie haben Gespräche übersetzt in einem Land, in dem Dutzende Sprachen und Dialekte gesprochen werden, von denen die meisten Deutschen noch nie etwas gehört haben. Dadurch, dass sie der Bundeswehr im Kampf gegen die Taliban halfen, wurden sie und ihre Familien zur Zielscheibe. Als Dank haben sich die Truppen nicht nur im Hauruckverfahren aus dem Land verabschiedet, sondern auch ihre Helfer mit den ehemaligen Feinden zurückgelassen.

Es mag sein, dass die Streitkräfte und Geheimdienste von der Geschwindigkeit der Ereignisse überrascht wurden. Gerade in den letzten Wochen zeigt sich, dass viele Experten militärische Stärken und Schwächen wohl weniger gut einschätzen können, als sie das selbst zugeben würden. Dass neun Monate nach dem Zusammenbruch des Staates aber noch immer afghanische Helfer auf unsere Rettung warten, ist beschämend.

Angela Merkel wird das nicht mehr ändern können. Doch auch die Ampelkoalition mit Kanzler Olaf Scholz hat sich für Afghanistan Ziele gesetzt: Ein Untersuchungsausschuss wird wohl ab Juni klären, was bei dem Truppenabzug alles schiefgelaufen ist. Zudem will die Regierung das "Ortskräfteverfahren so reformieren, dass gefährdete Ortskräfte und ihre engsten Familienangehörigen durch unbürokratische Verfahren in Sicherheit kommen." So steht es im Koalitionsvertrag. 25 Millionen Euro hat der Haushaltsausschuss zuletzt für ein Aufnahmeprogramm bewilligt.

Das klingt nach viel Geld, dem Problem wird es trotzdem nicht gerecht. Denn das Innenministerium will schon jetzt wissen, dass damit nur 5.000 Ortskräften die Ausreise ermöglicht werden kann. Glaubt man der Grünen-Politikerin Jamila Schäfer, könnte das aber nur der Anfang sein. Die Ampelregierung soll bis zum 31. August einen detaillierten Plan vorlegen, mit dem mindestens 20.000 gefährdete Personen und ihre Familien in Sicherheit gebracht werden können. Falls das klappt, hätte die Bundesregierung spätestens ein Jahr nach dem Abzug der letzten US-Soldaten eine Idee, wie sie ihre vielen Helfer möglicherweise vor dem Tod retten könnte. Von einem Minimalziel zu sprechen, wäre wohl übertrieben.

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Auf der ganz großen Bühne

Bei seinem letzten Besuch auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos war Robert Habeck noch Parteichef der Grünen, mittlerweile ist er der deutsche Vizekanzler. Der Auftritt auf der großen Bühne scheint ihm zu gefallen, genauso wie die Rolle des Staatsmannes, berichtet Florian Schmidt aus der Schweiz.

Doch es war nicht der einzige bemerkenswerte Auftritt am ersten Tag des Forums. Mit Spannung wurde auch die Videoansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj erwartet: "Ich hoffe, dass jeder von Ihnen jeden Morgen aufwacht mit dem Gedanken: Was mache ich heute für die Ukraine?", redete Selenskyj den Lenkern von Politik und Wirtschaft ins Gewissen.

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Rettung gegen die alte Liebe

Als Spieler war Felix Magath eine Legende beim Hamburger SV. Als Trainer von Hertha BSC hat er verhindert, dass sein Herzensklub wieder in die erste Liga zurückkehrt: Mit einem 2:0-Auswärtserfolg in der Relegation gelingt den Berlinern gerade noch so der Klassenerhalt. Damit konnte der Klub die ganz große Katastrophe nach einer durch und durch chaotischen Saison noch verhindern. Für die großen Ambitionen des Klubs ist das trotzdem viel zu wenig. Die Hamburger gehen dagegen nach ihrem Abstieg 2018 in ihre fünfte Zweitligasaison. Auch hier gilt: Für diesen großen Klub ist das zu wenig.


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Was amüsiert mich?

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Dienstag. Morgen lesen Sie an dieser Stelle von Camilla Kohrs.

Ihr

David Schafbuch
Redakteur Politik und Panorama
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Mit Material von dpa.

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