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Friedrich Merz in Finnland: Das kann er in Sachen Verteidigung lernen


Tagesanbruch
Sie zeigen Deutschland, wie Verteidigung geht

MeinungVon David Schafbuch

Aktualisiert am 27.05.2025 - 07:43 UhrLesedauer: 7 Min.
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Finnischer Soldat bei einer Übung in Porvoo: Das Land verfügt über ein gut ausgebildetes Militär. (Archivfoto) (Quelle: Heikki Saukkomaa/imago-images-bilder)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

als ich in der vergangenen Woche erfuhr, dass Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) gestern und heute Finnland besuchen wird, um die Vertreter der nordischen Staaten zu treffen, musste ich an ein vergangenes Interview denken. Denn vor fast genau drei Jahren sprach ich mit einem Mann aus Finnland: Alexander Stubb. Dieser war zu dem Zeitpunkt Dozent an einer Hochschule in Florenz – zwischen 2014 und 2015 aber auch Regierungschef von Finnland.

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Anlass des Interviews war die Entscheidung der finnischen Regierung, gemeinsam mit Schweden der Nato beizutreten. Wenige Wochen zuvor hatte Russland die Ukraine überfallen. Einige Mitglieder wie die Türkei und Ungarn hatten zu diesem Zeitpunkt noch Vorbehalte gegenüber einem Beitritt Schwedens und Finnlands.

Stubb jedoch machte sich wenig Sorgen. Das werde schon alles klappen, er und seine Landsleute seien generell "ruhig, kühl und gelassen", sagte er mir. Und Stubb behielt Recht: Tatsächlich sind Schweden und Finnland seit 2023 Mitglieder der Nato – und Stubb mittlerweile der Präsident seiner Heimat.

Heute wird Merz am zweiten Tag seines Besuches in Finnland auch Gespräche mit dem Staatsoberhaupt führen. Der Kanzler sollte Stubb genau zuhören, wenn er seine eigenen ambitionierten Ziele umsetzen will. Denn das Land ist Deutschland trotz seiner geringen Einwohnerzahl militärisch voraus – sowohl in seiner Mentalität als auch in der Einsatzfähigkeit seiner Soldaten.

Merz spricht selbst davon, die Bundeswehr zur "konventionell stärksten Armee Europas" machen zu wollen. Sollte er es mit diesem Ziel tatsächlich ernst meinen, könnte er sich von den Finnen eine Menge abschauen.

Von der Fläche betrachtet sind Deutschland und Finnland ähnlich groß. Allerdings leben in dem nordeuropäischen Staat keine 83 Millionen Menschen, sondern gerade einmal 5,5 Millionen. Dementsprechend ist die Zahl der aktiven finnischen Soldaten mit rund 24.000 vergleichsweise gering. Im Ernstfall kann das finnische Militär aber mehr als 256.000 Reservisten einziehen. Es hätte dann mehr aktive Soldaten zur Verfügung als die Bundeswehr.

Ein Schlüssel für eine solch hohe Zahl an Reservisten liegt in der Wehrpflicht. Im Gegensatz zu Deutschland wurde sie in Finnland nie ausgesetzt. Sie gilt in dem Land für alle Männer zwischen 18 und 60 Jahren, während Deutschland den Kontakt zu vielen Reservisten seit dem Ende der Kreiswehrersatzämter verloren hat.

An dieser Stelle wäre es leicht, eine Rückkehr der Wehrpflicht in Deutschland zu fordern. Wer in der Bundeswehr mehr Soldaten benötigt, könnte über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht natürlich mehr Menschen zum Dienst verpflichten. Doch eine solche Rückkehr wäre kompliziert, langwierig und würde bei Weitem nicht alle Probleme der Bundeswehr lösen.

In Finnland weiß man das offenbar auch. Denn das Sicherheitskonzept des Staates geht über das eigene Militär hinaus. Das Land folgt dem Prinzip der "Totalverteidigung". Damit ist gemeint, dass die Sicherheit des Staates nicht allein vom Militär, sondern von der ganzen Gesellschaft getragen werden muss.

Die konsequente Folge: Jeder Bürger sollte möglichst auf verschiedene Krisenfälle vorbereitet sein. Dafür hat die Regierung im vergangenen Herbst einen digitalen Leitfaden veröffentlicht: Er liefert nicht nur Antworten, was in einem Kriegsfall zu tun ist, sondern auch bei Pandemien oder Cyberangriffen. In Schweden und Norwegen wurden ähnliche Broschüren per Post verschickt.

In Finnland sind landesweit zudem etwa 55.000 Bunker verteilt, die einem Großteil der Bevölkerung Schutz bieten. In Deutschland dagegen gibt es laut dem Innenministerium aktuell lediglich 579 Schutzräume, in denen weniger als eine halbe Million Menschen im Fall der Fälle Platz hätten.

Warum Finnland sich so stark für den Ernstfall rüstet, hat historische und geografische Gründe. Das Land teilt sich mit Russland eine mehr als 1.300 Kilometer lange Grenze, die in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder angegriffen wurde, zuletzt 1939.

Durch den Zweiten Weltkrieg, in dem Finnland mit Deutschland kollaborierte, musste das Land einen Teil seines Gebiets an die damalige Sowjetunion abtreten. Finnland entschied sich daraufhin, lange Jahre politisch neutral zu bleiben, um keinen weiteren Konflikt mit den Nachbarn zu provozieren. Ohne den Schutz von EU oder Nato war man dort jahrzehntelang für seine Sicherheit allein verantwortlich. Es galt das selbstgewählte Motto: Wenn wir uns nicht verteidigen können, macht es keiner.

Ein russischer Angriff auf Finnland scheint in der nahen Zukunft unwahrscheinlich. Immerhin ist die russische Armee aktuell nicht einmal in der Lage, größere Geländegewinne in der Ukraine zu erzielen. Zuletzt berichteten aber verschiedene Medien über Satellitenaufnahmen, die zeigen, dass Russland entlang der Grenze neue Standorte für Soldaten errichtet. Innerhalb der Nato wird generell davor gewarnt, dass Russland bis 2029 militärisch bereit für einen größeren Angriff auf Nato-Gebiet sein könnte. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, sagte etwa jüngst der "Zeit", dass 2029 ein "kritisches Jahr" werden könnte.

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Deutschland verfolgte dagegen bis zuletzt einen anderen Kurs: Wenn man Hilfe brauchte, gab es in der Regel Unterstützung aus den USA. Doch diese Gewissheit löst sich mit dem Präsidenten Donald Trump gerade in Rauch auf.

Ein Appell an die deutsche Bevölkerung, dass die eigene Sicherheit allerdings nicht nur von der Bundeswehr getragen werden kann, ist bisher ausgeblieben. Die Bundesregierung mag erkannt haben, dass sie sich angesichts von Trump und Putin stärker um die Verteidigung Deutschlands kümmern muss. Sie hat es allerdings bisher nicht geschafft zu verdeutlichen, dass diese Aufgabe nicht nur von Soldaten, sondern von der gesamten Bevölkerung getragen werden muss.

Ob die USA Deutschland und die anderen Nato-Staaten in Zukunft im Stich lassen werden, kann heute noch niemand wissen. Friedrich Merz könnte sich von Alexander Stubb aber auch einige Tipps im Umgang mit Donald Trump abholen. Denn anders als der Kanzler hat der finnische Präsident bereits seinen US-Amtskollegen getroffen. Seitdem wird Stubb zu Trump ein recht gutes Verhältnis nachgesagt. Der Finne traf Trump nicht nur in kahlen Besprechungsräumen, sondern spielte mit ihm auch eine Runde Golf. Es ist ein Spiel, das auch der neue Bundeskanzler beherrscht.


Der Ton ändert sich

Den Anfang machten am Wochenende Armin Laschet und Johann Wadephul. "Unerträglich" nannte der Außenminister die aktuelle Situation im Gazastreifen in der ARD. Laschet, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, sprach im ZDF davon, dass die israelische Regierung gegen das Völkerrecht verstoße, wenn sie die Menschen in dem Palästinensergebiet aushungern lasse.

Es waren Äußerungen, die es in dieser Deutlichkeit von Vertretern der Union bislang nicht gab. Am gestrigen Montag schlug dann auch der Bundeskanzler neue Töne an. Das, was Israel aktuell im Gazastreifen mache, lasse sich nicht mehr mit dem Kampf gegen die Hamas begründen, sagte Friedrich Merz beim "WDR Europaforum" in Berlin. Der Kanzler betonte aber gleichzeitig die Partnerschaft mit dem Land. Deutschland müsse sich zudem wie kein anderes Land auf der Welt mit Ratschlägen in Richtung Israel zurückhalten.

Welche Konsequenzen daraus folgen, ist noch offen. Innerhalb der SPD wird bereits gefordert, künftig keine deutschen Waffen mehr nach Israel zu liefern. Vonseiten der Union wird das allerdings bislang abgelehnt. Unterdessen hatte die israelische Armee Menschen dazu aufgerufen, den Süden des Gazastreifens zu verlassen. In der Gegend hatte die Armee einen "beispiellosen Angriff" gegen die Terrororganisation Hamas angekündigt.

Der Bundeskanzler änderte allerdings auch bei einem anderen Thema seinen Ton. "Es gibt keinerlei Reichweitenbeschränkungen mehr für Waffen, die an die Ukraine geliefert worden sind, weder von den Briten, noch von den Franzosen, noch von uns, von den Amerikanern auch nicht", sagte Merz auf der Veranstaltung weiter.

Aber auch hier gilt: Was das genau bedeutet, weiß aktuell niemand. Merz könnte damit verbal eine deutsche Taurus-Lieferung vorbereitet haben. Das wäre natürlich ein Paradigmenwechsel, da die Bundesregierung das bisher abgelehnt hat. Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) sagte allerdings, dass es bei diesem Thema "keine neue Verabredung" gebe. So wären Merz Worte bislang reine Symbolpolitik, meint mein Kollege Patrick Diekmann, die an der militärischen Lage der Ukraine wenig ändern.


Was steht an?

Prozessauftakt nach mutmaßlicher Terrortat: Im vergangenen August stach ein Syrer wahllos mit einem Messer auf Menschen in Solingen ein und tötete dabei drei Menschen. Heute beginnt ab 10 Uhr in Düsseldorf der Prozess gegen den 27-Jährigen. Ihm werden dreifacher Mord, zehnfacher Mordversuch und Mitgliedschaft in einer Terrorvereinigung vorgeworfen. Die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) reklamierte die Tat für sich.


Ärztetag beginnt: Wie entwickelt sich das deutsche Gesundheitswesen weiter? Antworten soll es bis Freitag auf dem Ärztetag in Leipzig geben. Erwartet wird unter anderem auch die neue Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU).


Olympia in Deutschland? Seit mehr als 50 Jahren hat Deutschland nicht mehr die Olympischen Spiele ausgerichtet. Jetzt will die Bundeshauptstadt Berlin gemeinsam mit den Bundesländern Brandenburg, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein ein Konzept für die Sommerspiele vorstellen. Auf der Pressekonferenz ab 14 Uhr werden unter anderem die Ministerpräsidenten der Bundesländer und der Regierende Bürgermeister Berlins, Kai Wegner, ihre Idee für "Berlin+" präsentieren.


Ohrenschmaus

Bei Sportveranstaltungen läuft ja meiner Erfahrung nach eher selten gute Musik. Dieses Lied ist aber eine Ausnahme.


Lesetipps

Der CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann trommelt für die Aktivrente. Doch einen nennenswerten Effekt für den Arbeitsmarkt ist davon nicht zu erwarten, meint meine Kollegin Christine Holthoff.


Russland hat sich im Ukraine-Krieg Zeit verschafft. Während die russische Armee Kiew bombardiert und seine Angriffe intensiviert, hat Wladimir Putin US-Präsident Donald Trump politisch ausgespielt. Wie ist ihm das gelungen, fragt sich mein Kollege Patrick Diekmann.


Vor dem Russischen Haus in Berlin haben Aktivisten einen vom Krieg beschädigten ukrainischen Krankenwagen geparkt. Eine Reaktion lässt nicht lange auf sich warten. Was hinter der Aktion steckt, hat mein Kollege Lars Wienand herausgefunden.


Die Co-Vorsitzende der Grünen Jugend zeigt sich in einem Pullover mit polizeifeindlichem Aufdruck. Sie will damit eine Debatte über die Polizei anstoßen. Mein Kollege Philipp Michaelis meint: Sie scheitert an sich selbst.


Florian Wirtz wird wohl nicht zum FC Bayern wechseln. Muss der Rekordmeister jetzt seine Strategie ändern? Darüber diskutieren meine Kollegen Robert Hiersemann und Florian Wichert im "Zweikampf der Woche".


Zum Schluss

Eine wirkliche Strafe ...?

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Dienstag. Morgen kommt der Tagesanbruch von Bastian Brauns.

Herzliche Grüße
Ihr

David Schafbuch
Stellvertretender Ressortleiter Politik & Wirtschaft
Bluesky: @schubfach.bsky.social

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Mit Material von dpa.

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