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Ukraine-Krieg: "Deutschland wäre das nächste Opfer"


Krieg in der Ukraine
Putin ist auf dem Vormarsch


26.01.2024Lesedauer: 6 Min.
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Ukrainische Artillerie schießt auf russische Ziele: Russland ist im Ukraine-Krieg aktuell in der Offensive.Vergrößern des Bildes
Ukrainische Artillerie schießt auf russische Ziele: Russland ist im Ukraine-Krieg derzeit in der Offensive. (Quelle: IMAGO/Konstantin Mihalchevskiy/imago-images-bilder)

Die ukrainische Armee steht im Krieg gegen Russland zunehmend mit dem Rücken zur Wand. Während der Munitionsmangel größer wird, scheint der Westen Winterschlaf zu halten. Ein Überblick über das Kriegsgeschehen.

Ein Flugzeug stürzt am Mittwoch über der russischen Stadt Belgorod vom Himmel. Am Boden eine Explosion, ein riesiger Feuerball. Laut russischen Angaben starben in der Maschine vom Typ Iljuschin Il-76 insgesamt 65 ukrainische Kriegsgefangene und neun russische Besatzungsmitglieder. Angeblich wurde das Flugzeug von einer Flugabwehrrakete getroffen. Aber stimmt das auch? Waren die besagten Personen überhaupt an Bord der Maschine?

Video | Video zeigt Absturz russischer Transportmaschine
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Quelle: t-online

Das alles ist völlig unklar. Der Absturz der Iljuschin Il-76 ist längst Teil der Kriegspropaganda geworden. Wenig überraschend macht der russische Außenminister Sergej Lawrow die Ukraine verantwortlich, wenig überraschend verbreitet der Kreml, dass der Abschuss mit einem Patriot-Flugabwehrsystem aus den USA erfolgt ist. Während die ukrainische Führung am Mittwoch zögerlich reagierte, war Moskau vergleichsweise schnell darin, den Vorfall kommunikativ zu nutzen. Das Motiv ist klar: Russland möchte erneut die westlichen Waffenlieferungen für die Eskalation in der Ukraine verantwortlich machen.

Dabei macht Kremlchef Wladimir Putin auch weiterhin deutlich, dass er seinen Angriffskrieg bis zur Kapitulation der Ukraine führen möchte. Zwar kommt die russische Armee nur sehr langsam voran, aber der Kreml sieht sich mittelfristig auf der Siegerstraße. Das hängt vor allem mit der Schwäche des Westens zusammen.

Ukraine in der Defensive

Die Debatte über den Absturz der russischen Militärmaschine ist ein Nebenkriegsschauplatz. Russland veröffentlichte bereits am Mittwoch eine Namensliste mit der angeblichen Besatzung, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte eine internationale Untersuchung. Das wird der Kreml auf russischem Staatsgebiet kaum zulassen und so werden die genauen Umstände des Vorfalls wahrscheinlich ein Rätsel bleiben. Zumindest so lange, wie dieser blutige Krieg tobt.

Die Ukraine wehrt seit fast zwei Jahren eine großangelegte russische Invasion ab, aber die Lage für die ukrainischen Verteidiger wird immer dramatischer.

Im Osten verschlechterte sich die Situation in Awdijiwka in den vergangenen Tagen immer weiter. Im südöstlichen Teil des Landes gelang es russischen Soldaten, einige stärker befestigte Stellungen der ukrainischen Armee zu erobern. Da ein Großteil der Stadt aus Datschen – also wenig befestigten Häusern besteht – gibt es für die ukrainischen Verteidiger nur bedingt Möglichkeiten, starke Befestigungen zu errichten.

Bislang konnte die Ukraine eine Einkesselung der symbolisch-wichtigen Stadt verhindern. Doch Militärexperten schlagen aufgrund der langsamen Fortschritte Alarm. "Russland scheitert bei Awdijiwka, dringt aber mit Angriffen an mehreren Frontabschnitten geringfügig vor", schreibt etwa der Verteidigungsexperte Nico Lange auf der Plattform X (vormals Twitter).

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Rattenseuche an der Front

An anderen Frontabschnitten in der Ukraine gab es am 701. Tag des russischen Angriffskrieges keine signifikanten Veränderungen. Im Nordosten im Raum Kupjansk und in der südlichen Oblast Cherson finden Stellungskämpfe statt, zu größeren Offensiven kam es allerdings nicht.

Fest steht aber: Die russische Armee hat aktuell die Initiative in dem Krieg, die ukrainischen Truppen sind in der Defensive. Trotzdem beißt sich Putins Armee weiterhin die Zähne aus. Erfolge sind rar.

Beobachter vergleichen die Stellungskämpfe in der Ukraine mit den Grabenkämpfen im Ersten Weltkrieg – mit dem Unterschied, dass beide Kriegsparteien Drohnen und Raketen einsetzen. Die Soldatinnen und Soldaten harren bei Kälte und vor allem auch Nässe in den Schützengräben aus. Dabei ist der feindliche Beschuss nicht das einzige Problem.

Ratten und Mäuse befallen mittlerweile die Schützengräben, die Bunker, beschädigen wichtige militärische und elektrische Geräte und verbreiten Krankheiten wie das "Mäusefieber". "Stellen Sie sich vor, Sie gehen zu Bett und die Nacht beginnt damit, dass eine Maus in Ihre Hose oder Ihren Pullover kriecht, Ihre Fingerspitzen kaut oder in Ihre Hand beißt", sagte eine ukrainische Soldatin mit dem Rufzeichen "Kira" dem US-Fernsehsender CNN. Sie soll in einem Bunker mit drei Soldaten und schätzungsweise knapp 1.000 Mäusen gewesen sein. "Es waren nicht die Mäuse, die uns besuchten; wir waren ihre Gäste."

Artilleriemunition ist knapp

Doch während die Nagetiere für die Soldaten beider Kriegsparteien eine Plage sind, macht den ukrainischen Truppen momentan vor allem eines zu schaffen: Munitionsmangel.

An vielen Frontabschnitten wird die russische Überlegenheit in Sachen Feuerkraft immer offensichtlicher. Ukrainische Soldaten an der Front berichten von einem Schussverhältnis, das punktuell sogar bei 1:10 zugunsten der Russen liege. "Der Feind wird bei seinen Sturmangriffen von Artillerie unterstützt", sagte ein ukrainischer Soldat dem Fernsehsender n-tv. Die russische Taktik: "Sie haben viele Granaten. Also feuern sie und versuchen mit kleinen Trupps zu stürmen."

Putin nimmt dabei keine Rücksicht auf Verluste. Der Kremlchef sieht sich in einem Abnutzungskrieg mittelfristig im Vorteil, weil Russland auf mehr Soldaten, mehr Ausrüstung und Munition zurückgreifen kann. Sein Plan scheint derzeit aufzugehen, denn die westliche Unterstützung für die Ukraine bröckelt.

Selenskyj hat seine Bevölkerung darauf vorbereitet, dass es im Jahr 2024 keine Offensive geben wird. Der ukrainische Angriff im vergangenen Jahr hat nicht die erhofften Ergebnisse erbracht. 2024 wird es für die Ukraine darum gehen, ihre Stellungen zu halten. Im kommenden Jahr dann geht Selenskyj davon aus, wieder in den Angriff zu kommen. Aber sicher ist das nicht.

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Scholz nimmt europäische Partner in die Pflicht

Denn die ukrainische Führung muss zunächst erneut den Westen nahezu anflehen, damit sie endlich die Waffensysteme bekommt, die für die Verteidigung gegen Russland nötig sind. Bislang haben westliche Länder ihre Wirtschaft – im Gegensatz zu Putin – nicht auf Kriegsproduktion umgestellt. Die versprochenen eine Million Schuss Munition aus der Europäischen Union kamen nicht.

Es scheint, als sei der Westen erneut in einen Winterschlaf gefallen. Zum Beispiel unternimmt Frankreich für eine europäische Mittelmacht wenig, ist beim finanziellen Volumen der Ukraine-Unterstützung nicht einmal unter den ersten 15 Ländern. Bundeskanzler Olaf Scholz forderte die europäischen Länder auf, mehr zu tun. "Die Beiträge, die die europäischen Staaten bisher für 2024 vorgesehen haben, sind noch nicht groß genug", sagte er der Wochenzeitung "Die Zeit".

Aber auch Deutschland steht zum Beispiel bei der möglichen Lieferung des Marschflugkörpers Taurus auf der Bremse. "Wir tun so, als sei das der Gamechanger. Auch die Panzer waren wichtig, aber sie waren kein Gamechanger", sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Donnerstag der "Bild". "Deutschland ist der zweitgrößte Unterstützer und alle reden immer nur über das eine Instrument, das wir nicht zur Verfügung stellen. Das wird der Leistung Deutschland nicht gerecht."

In der Ukraine wächst langsam die Wut auf die westlichen Verbündeten und das spielt Russland in die Karten. Putin atmet auf.

Ukraine braucht Marschflugkröper

Denn in Moskau wurde eine mögliche Taurus-Lieferung durchaus mit Respekt verfolgt, meinen Experten. Zwar ist das Waffensystem wahrscheinlich kein Gamechanger, aber es ist durchaus wirkungsvoller und hat eine größere Reichweite als die französischen Scalp, die britischen Storm Shadow und amerikanische ATACMS. All das sind vergleichbare Raketen, Taurus hat allerdings eine höhere Reichweite und mehr Durchschlagskraft. Damit könnte die Ukraine vor allem russische Nachschublinien, Waffendepots und Kommandozentralen ins Visier nehmen. Russland müsste auf diese Bedrohung reagieren, ihre Angriffskraft wäre geschwächt.

Doch Scholz zögert trotzdem, wahrscheinlich in Absprache mit US-Präsident Joe Biden. Denn auch die USA liefern im Endeffekt nicht die Marschflugkörper, die die Ukraine momentan braucht. Immer wieder betont die Bundesregierung, dass Deutschland die meiste Unterstützung für die Ukraine im europäischen Vergleich geleistet habe. Das stimmt allerdings nur, weil die Hilfen für ukrainische Geflüchtete einen Großteil dieser Unterstützung darstellen.

Und überhaupt gilt: Durch einen Wettbewerb unter seinen Verbündeten gewinnt die Ukraine nicht diesen Krieg. Im Gegenteil.

Es ist vor allem Großbritannien, das den Druck auf Deutschland erhöht. Nun könnte es erneut einen Ringtausch geben. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur (dpa) gibt es Überlegungen, Großbritannien oder auch Frankreich Taurus-Raketen der Bundeswehr zu liefern. Im Gegenzug würden die Nato-Verbündeten dann ihre eigenen Marschflugkörper der Typen Storm Shadow oder Scalp in die Ukraine exportieren.

Kuleba warnt Deutschland

Das ist für die Bundesregierung auch deshalb unangenehm, weil in der Vergangenheit auch behauptet wurde, die Bundeswehr bräuchte die Taurus für ihre Bestände. Nun ist eine Lieferung vielleicht doch möglich, nur halt nicht an die Ukraine. Das sorgt für Unmut, nicht nur in Kiew. "Sind wir hier im Kindergarten und machen Ringelreihen oder was?", meinte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), am Donnerstag. Die Briten sollten die Storm Shadow an die Ukraine liefern und Deutschland gleichzeitig Taurus. "Wir brauchen keinen Ringtausch."

Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter sagte der dpa, ein solcher Ringtausch wäre "peinlich" für Deutschland und widerspreche einem deutschen Führungsanspruch in Europa. "Außerdem ist es ein Zeichen mangelnden Vertrauens in die Ukraine, wenn Deutschland dem Angebot nachkommt", betonte er.


Quotation Mark

"So lächerlich es auch klingen mag, aber es scheint so, dass Nordkorea ein effizienterer Partner für Russland ist als die Freunde, die versuchen, die Ukraine mit Artilleriemunition zu versorgen"


Dmytro Kuleba, UKRAINISCHer AUSSENMINISTER


Während also ukrainische Soldaten darüber berichten, dass sie mittlerweile Rauchgranaten anstatt explosionsfähiger Munition benutzen müssen, leistet sich der Westen weitere Lieferdebatten. Darüber zeigt sich die ukrainische Führung zunehmend verbittert.

"So lächerlich es auch klingen mag, aber es scheint so, dass Nordkorea ein effizienterer Partner für Russland ist als die Freunde, die versuchen, die Ukraine mit Artilleriemunition zu versorgen", sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba im Interview mit "Welt". Westliche Staaten sollten sich nicht durch zu viele Überlegungen vom Ziel ablenken lassen, dass die Ukraine den Krieg gewinnt. "Denn die Ukraine wäre dann das erste Opfer. Aber Deutschland und andere europäische Nationen wären das nächste. Und dazwischen läge nicht viel Zeit."

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