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Schlacht um Awdijiwka: "Es ist die Hölle"


Putin wirft alles in diese Schlacht
Schwere Verluste


Aktualisiert am 16.02.2024Lesedauer: 6 Min.
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Die Lage für die ukrainischen Soldaten rund um Awdijiwka ist nach Einschätzung des Generalstabs schwierig.Vergrößern des Bildes
Die Lage für die ukrainischen Soldaten rund um Awdijiwka ist nach Einschätzung des Generalstabs schwierig. (Quelle: Evgeniy Maloletka/AP/dpa)

In der Schlacht um Awdijiwka spitzt sich die Lage für die ukrainischen Soldaten dramatisch zu. Dennoch scheint die ukrainische Führung den Ort halten zu wollen.

3.000 Meter. So groß soll laut ukrainischen und russischen Militärbloggern der Korridor sein, der den ukrainischen Soldaten noch bleibt, um aus Awdijiwka zu fliehen. Die Stadt im Osten der Ukraine wird seit Monaten von drei Seiten eingekreist, nun soll es russischen Truppen gelungen sein, die Hauptversorgungsroute der ukrainischen Armee zu erobern: die Straße 00542. Die einzige geteerte Straße im Nordwesten der Stadt.

Den ukrainischen Truppen, die in Awdijiwka ausharren, bleibt damit nur noch ein schmaler Streifen unwegsamen Territoriums, über den der Nachschub an Munition, militärischem Gerät und medizinischer Versorgung läuft. Jede Bewegung auf diesem Areal ist lebensgefährlich, da es unter russischem Feuer liegt. Dennoch traf der Generalstab vor einigen Tagen eine wichtige Entscheidung.

Kiew schickte die Dritte Brigade in die Schlacht um Awdijiwka.

Die Brigade ist berüchtigt. Gegründet wurde sie erst 2022 als Zusammenschluss von Spezialkräften der ukrainischen Armee, unter anderem aus Resten des Asow-Bataillons, das in der Schlacht um Mariupol eingekesselt worden war und dabei schwere Verluste erlitt. Bislang war die Eingreiftruppe als Reserve zurückgehalten worden, für die besonders kritischen Lagen. Eine solche scheint nun eingetreten zu sein.

"Es ist die Hölle"

Der neue ukrainische Armeechef Oleksandr Syrskyj hatte die Lage am Mittwoch bei einem Truppenbesuch als "äußerst schwierig" bezeichnet und eingeräumt, dass die russischen Einheiten dort zahlenmäßig überlegen seien. Und Präsident Wolodymyr Selenskyj sah sich am Donnerstagabend genötigt, in seiner täglichen Videoansprache zu versichern, dass man alles unternehme, "den Soldaten an der Front im Osten des Landes die notwendigen logistischen und technischen Mittel zur Verfügung zu stellen, die sie brauchen, um möglichst viele ukrainische Leben zu retten".

Das klingt danach, als ob ein Rückzug aus Awdijiwka nur noch eine Frage der Zeit sein könnte, bevor die in der Stadt verbliebene Garnison vollständig eingekesselt wird und zahlreiche Soldaten, darunter einige von Selenskyjs besten Kämpfern, womöglich sterben. Das wäre das Worst-Case-Szenario für Kiew.

"Es ist die Hölle", schrieb der Kommandeur der Dritten Brigade, Andrij Biletskyi, nun im Onlinedienst Telegram. Die Lage dort sei "bedrohlich und instabil", dennoch habe man Vorstöße gegen russische Truppen in der Stadt unternommen und dem Gegner schwere Verluste zugefügt. Die Schlacht ist demnach schon in ihre letzte Phase eingetreten: den Häuserkampf.

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Putin setzt auf einen Propaganda-Sieg

Laut dem US-Thinktank Institute for the Study of War (ISW) sollen russische Truppen inzwischen 17,5 Prozent der Stadt kontrollieren. Viel wichtiger ist aber das Territorium um die Stadt herum, denn das wird zu weiten Teilen vom russischen Aggressor behauptet. Nach dem Verlust ihrer Hauptversorgungsroute, der Straße 00542, sind die ukrainischen Verteidiger nur noch über Feldwege zu erreichen.

"Der Nachschub für Awdijiwka und die Evakuierung aus der Stadt sind erschwert, doch wird jetzt eine rechtzeitig vorbereitete logistische Arterie genutzt", versicherte der für den Frontabschnitt zuständige Sprecher, Dmytro Lytschowij, am Donnerstag im ukrainischen Fernsehen. Ohne genauer auszuführen, welche Verbindung das sein soll. Insgesamt sei die Frontlinie stark in Bewegung und einige ukrainische Einheiten hätten sich auf "vorteilhaftere Positionen" zurückziehen müssen, so Lytschowij.

Die Industriestadt Awdijiwka hatte vor dem russischen Einmarsch vor knapp zwei Jahren noch mehr als 30.000 Einwohner. Behördenangaben nach sollen derzeit nur noch einige Hundert Zivilisten in den Ruinen ausharren. Denn in Awdijiwka steht so gut wie kein Gebäude mehr. In monatelangen Bombardements hat die russische Armee die Stadt quasi dem Erdboden gleichgemacht. Experten vermuten, dass Russlands Machthaber Wladimir Putin die Einnahme der Stadt noch vor dem Wahltag Mitte März verkünden will.

73 Luftangriffe auf die Stadt an einem einzigen Tag

Dafür spricht auch, dass Putin sich vor Kurzem detailliert zu der militärischen Lage in der Region geäußert hat, was er normalerweise nur sehr selten tut. "Einer unserer wichtigsten Vorstöße geschah nun bei Awdijiwka", sagte der russische Potentat Ende Januar bei einer Veranstaltung im Kreml. "Dort gelang es unseren Truppen, 19 Häuser einzunehmen." Noch stehen Putins Truppen nur in den Außenbezirken, doch die vollständige Einnahme der Stadt wäre für die russische Armee der größte militärische Erfolg seit der Einnahme von Bachmut im Mai 2023.

"Awdijiwka hat symbolische Bedeutung, genau wie Bachmut", sagt der Politikwissenschaftler Nico Lange im Interview mit der Deutschen Welle (DW). "Es geht Russland darum zu zeigen, dass es noch Orte einnehmen kann."

Dafür nimmt der 71-Jährige auch schwerste Verluste seiner Truppen in Kauf. Laut US-Geheimdienstangaben sollen allein seit Oktober 2023 mehr als 13.000 russische Soldaten in der Schlacht um Awdijiwka gefallen sein, dazu konnten die ukrainischen Verteidiger zahlreiches Militärgerät zerstören.

Die Generäle in Moskau ficht das offenbar nicht an. Um Putin einen symbolträchtigen Sieg zu bescheren, haben sie bis zu 50.000 Soldaten um die Stadt zusammengezogen. Alleine am Mittwoch befehligten sie 73 Luftangriffe auf Awdijiwka, laut einem Sprecher der ukrainischen Armee sind es normalerweise nur 30 pro Tag.

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Zur Erschöpfung kommt der akute Materialmangel

Am Beispiel Awdijiwkas zeigt sich auch das derzeit größte Problem der ukrainischen Armee. Es fehlt an Nachschub. Weil die Mobilisierung ukrainischer Soldaten nur schleppend läuft, bekommen die Einheiten an der Front zu wenige Pausen. Kiew kann seine Truppen nicht so oft rotieren, wie es eigentlich nötig wäre. So hielten Soldaten der 110. Brigade teilweise mehr als ein Jahr ohne Unterbrechung die Stellung in Awdijiwka, bevor sie kürzlich ausgetauscht werden konnten.

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Zur Erschöpfung kommt der akute Materialmangel. Munition ist ein knappes Gut in der ukrainischen Armee. Der Westen liefert nicht wie versprochen. Und die Ukraine selbst verfügt nicht über die Kapazitäten, um der russischen Überlegenheit etwas entgegenzusetzen.

Und noch etwas hat sich im Verlauf der vergangenen zwei Kriegsjahre geändert: Nach Berichten von Militärexperten hat die russische Armee ihre Gefechtsstrategie angepasst. Warfen die Besatzer in der Schlacht um Bachmut vor allem unerfahrene oder schlecht ausgebildete Kämpfer an die Front, hat Russland um Awdijiwka nun einige seiner besten Einheiten versammelt. Auf intensive Luft- und Artillerieangriffe der Russen folgen gezielte Vorstöße russischer Eliteeinheiten. So gelang es Moskaus Armee, langsam, aber kontinuierlich vorzurücken.

"So gehen sie [die Russen] in Awdijiwka vor, erst macht die Artillerie alles dem Erdboden gleich, dann rücken gut ausgebildete und ausgeruhte Spezialkräfte in kleinen Gruppen vor", zitiert das Magazin "Politico" einen ukrainischen Offizier.

Offenbar wächst auch der Unmut unter ukrainischen Experten über die Situation in Awdijiwka. "Es gibt dort quasi kein Leben mehr. Wir machen dieselben Fehler wie in Bachmut", zitiert "Politico" eine Analyse des ukrainischen Militärportals "DeepState". Wozu die Stadt also noch verteidigen und dafür viele Menschenleben riskieren?

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Dazu merkt der Politikexperte Nico Lange an: "Ich vermute, dass die Frage, ob Awdijiwka gehalten wird oder nicht, ein Teil des Streits zwischen General Saluschnyj und Präsident Selenskyj gewesen ist. Das Ergebnis ist bekannt: Nun führt General Syrskyj die Truppen an."

Der von seinem Posten als Oberbefehlshaber entlassene Walerij Saluschnyj hatte bereits bei der Schlacht um Bachmut mehrfach darauf gedrungen, die eigenen Truppen abzuziehen. Selenskyj hingegen wollte die Stadt unbedingt halten und forderte eine Fortführung der Kämpfe. Diese eher defensive Taktik dürfte ihn unter anderem das Amt gekostet haben.

Schlechte Nachricht für die Verteidiger von Awdijiwka

Mit dem neuen Oberbefehlshaber Oleksandr Syrskyj hat der ukrainische Präsident nun einen General ernannt, der für eine rigorose Linie bekannt ist. "Soweit ich weiß, konzentriert sich Syrskyj im Vergleich zu Saluschnyj mehr auf militärische Ziele und weniger auf die Vermeidung von Verlusten", sagt der ehemalige Offizier des britischen Militärgeheimdienstes Frank Ledwidge gegenüber DW. Für die verbliebenen ukrainischen Soldaten in Awdijiwka könnte das eine schlechte Nachricht sein.

Die USA warnten bereits vor einer Einnahme der Stadt durch Russlands Truppen. Es bestehe die Gefahr, dass Awdijiwka "unter russische Kontrolle gerät", sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby. Das hat auch mit den USA zu tun.

Da die Republikaner, angeleitet von Donald Trump, ein Hilfspaket für die Ukraine in Höhe von rund 60 Milliarden Dollar blockiert haben, können die Truppen Kiews nicht mit mehr Munition und schwerem Gerät rechnen. Im Gegenteil.

An der Front bedeutet das jeden Tag den Verlust von Menschenleben. "Es ist ein Kampf um Leben und Tod", schildert ein ukrainischer Hubschrauberpilot die Lage im US-Sender CNN. "Wir bekommen nicht die Unterstützung, die wir brauchen, aber wir kämpfen weiter. Was bleibt uns anders übrig?"

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