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Deutsche Waffen: Merz macht Ankündigung – Putin kontert sofort


Kreml manipuliert
Putins Reaktion erzielt ihre Wirkung


Aktualisiert am 27.05.2025 - 07:22 UhrLesedauer: 6 Min.
Putin in einer Musikschule in der Region Krasnodar: "Mit der Mentalität eines Terroristen".Vergrößern des Bildes
Putin in einer Musikschule in der Region Krasnodar: "Mit der Mentalität eines Terroristen". (Quelle: Vyacheslav Prokofyev/Reuters)
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Friedrich Merz macht eine Ankündigung zu deutschen Waffen in der Ukraine. Der Kreml kontert umgehend. Und zeigt dabei sein Arsenal psychologischer Kriegsführung.

Putin droht dem Westen. So beginnen unzählige Meldungen der vergangenen drei Jahre im Kontext des völkerrechtswidrigen Überfalls Russlands auf die Ukraine. Dieser brutale Angriffskrieg, den Diktator Wladimir Putin ausdrücklich als Vernichtungsfeldzug des Nachbarlandes, seiner Sprache und Kultur versteht, wird vom Kreml stetig flankiert von dem Versuch psychologischer Manipulation.

Am Montag war das erneut zu beobachten. Da hatte Bundeskanzler Friedrich Merz beinahe im Vorbeigehen einen fundamentalen Kurswechsel in der deutschen Ukrainepolitik angekündigt. Er sprach davon, die Reichweitenbeschränkungen für deutsche und westliche Waffen, die bereits an die Ukraine geliefert worden sind, aufzuheben. Sollte das wirklich so kommen, wäre es ein Paradigmenwechsel und ein Bruch mit der Politik seines Vorgängers Olaf Scholz.

Putin reagierte umgehend. Er drohte am Montag den in Russland verbliebenen westlichen Firmen, die angeblich Moskaus Interessen schadeten. "Wir müssen sie erdrosseln", sagte der Machthaber bei einem Treffen mit Unternehmern. Das würde zunächst weniger europäische als US-amerikanische Unternehmen treffen, etwa US-Technologiefirmen wie Zoom und Microsoft, die derzeit nur begrenzte Dienste in Russland anbieten. "Wir haben niemanden ausgewiesen (...), wir haben die günstigsten Bedingungen geschaffen, damit sie auf unserem Markt arbeiten können, und sie versuchen, uns zu erdrosseln", sagte Putin. "Wir müssen in gleicher Weise reagieren, ihre Handlungen spiegeln."

Der martialische Tonfall, den Putin wählt, kommt nicht von ungefähr. Kaum etwas scheut US-Präsident Donald Trump so sehr wie wirtschaftlichen Druck und geschäftliche Nachteile für US-Firmen. Die Drohung des Kreml galt also vornehmlich den USA. Putin weiß: Ohne Trumps Unterstützung sind auch die Europäer im Ukrainekonflikt erheblich eingeschränkt in ihren Möglichkeiten.

Auch auf die Merz-Äußerung reagierte der Kreml. Dies seien "ziemlich gefährliche Entscheidungen, wenn es sie gegeben hat", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow mit Blick auf die mögliche Aufhebung der Reichweitenbeschränkung für westliche Waffen in der Ukraine. In der Rhetorik des russischen Regimes ist somit Merz derjenige, der eskaliert.

Eine große Gefahr für das westliche Bündnis

Psychologen beschreiben diese Art der Opfer-Täter-Umkehr als Darvo-Methode. Die Abkürzung steht für Denial (Leugnen), Attack (Gegenangriff) Reverse Victim and Offender (Opfer-Täter-Umkehr). Sie gilt als beliebte Methode im Repertoire von Menschen mit ausgeprägt narzisstischen Zügen. Die Taktik wird von fast allen autoritären Organisationen angewandt, von den palästinensischen Terroristen der Hamas bis zu den weißen Suprematisten der Maga-Bewegung. Und nicht zuletzt vom amtierenden US-Präsidenten selbst.

Doch kaum jemand beherrscht die Technik so gut wie die Propagandisten des Kreml. Eine Studie der Nato kam schon 2016 zu dem Schluss, dass Russlands Versuche, die Öffentlichkeit im Westen systematisch zu manipulieren, eine große Gefahr für das Bündnis darstellen.

"Russland ist gut gerüstet mit Wissen über verschiedene Zielgruppen im In- und Ausland", heißt es in einem Bericht. So streue der Kreml gezielt konstruierte Narrative, "um die Qualität der Medien, die Objektivität der präsentierten Nachrichten und die Glaubwürdigkeit der westlichen Politiker und internationalen Organisationen zu untergraben." So sollten westliche Gesellschaften gespalten und das Vertrauen in westliche Politiker und demokratische Institutionen untergraben werden, "während in Russland die staatliche Kontrolle über die Medien es ermöglicht, kohärente und klare Botschaften zu präsentieren, die die Position der politischen Elite und W. Putins unterstützen und festigen, dessen Politik auf der internationalen Bühne von den Bürgern nicht infrage gestellt wird."

Kreml: Den Westen mit Worten gefügig machen

Daran hat sich auch zehn Jahre später nichts geändert. Im Gegenteil: Seit dem Beginn des Ukrainekriegs hat der Kreml seine Attacken auf den ideologischen Gegner verstärkt. Ganz wie in Zeiten des Kalten Kriegs überschwemmt Russland insbesondere die Unterstützer der Ukraine mit hybriden Desinformationskampagnen, verdeckten Operationen – und ganz offensichtlicher Beeinflussung, etwa in Form von atomaren Drohungen. Putins Ansage von Montag, westliche Firmen "zu erdrosseln", ist nur eine weitere Volte.

Inzwischen scheinen zumindest die europäischen Staatenlenker – Keir Starmer, Emmanuel Macron und Friedrich Merz – gewillt, sich von dieser manipulativen Rhetorik nicht länger in ihren politischen Entscheidungen beeinflussen zu lassen. Zuletzt wurde ein neues Sanktionspaket gegen russische Akteure verhängt, ein weiteres soll in Vorbereitung sein. Das vor wenigen Monaten noch undenkbar erscheinende Ziel, fünf Prozent der Staatshaushalte für Verteidigung auszugeben, wird nun ernsthaft diskutiert. Und selbst die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern wird von Teilen der neuen Bundesregierung ernsthaft in Erwägung gezogen.

Jedoch: Selbst die offensichtlichen russischen Versuche, den Westen mit Worten gefügig zu machen, erzielen letztlich den erwünschten Effekt, erzeugen sie beim Adressaten doch ein Gefühl des Unwohlseins und der latenten Nervosität. Wladimir Putin, dessen Sprecher Dmitri Peskow, Außenminister Sergej Lawrow oder der notorisch überhitzte Ex-Präsident Dmitrij Medwedew schert es nicht, wie plump ihre Drohungen sein mögen, sie erzielen ihre Wirkung.

Seit Trumps Antritt ist Atom-Karte keine Option mehr

Im Zentrum der russischen Propaganda steht dabei eine weitere Methode aus dem Arsenal sowjetischer Geheimdienste: die reflexive Kontrolle. Der Gegner wird dabei so lange mit bestimmten Informationen überfrachtet, dass er irgendwann ganz von selbst im Interesse des Kreml handelt.

Beliebtes Mittel des Kreml sind dabei Eskalationsdrohungen. Die lösen bei bestimmten Vertretern westlicher Demokratien fast immer den gleichen Reflex aus. Wie zum Beleg dafür nannte der sozialdemokratische Außenpolitiker Ralf Stegner die Ankündigung von Bundeskanzler Friedrich Merz in Sachen Reichweitenbeschränkung "nicht hilfreich". Alles, was den Krieg ausweite, sei falsch. "Ich finde es vielmehr richtig, die diplomatischen Bemühungen zu verstärken", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Die Methode der reflexiven Kontrolle hat bereits in den Hochzeiten des Kalten Kriegs, zu Zeiten des Sowjetführers Nikita Chruschtschows, funktioniert. Auch das Putin-Regime macht sie sich zunutze. Nahezu drei Jahre lang waren aus dem Kreml immer wieder Drohungen eines Atomkriegs zu hören. Seit Donald Trump im Weißen Haus sitzt, ist die Atomkriegs-Karte aber erst einmal keine strategische Option mehr. Trump setzt auf Friedensverhandlungen und Putin muss irgendwie den Anschein erwecken, er würde da mitmachen, obwohl es ihm, wie seine Unterhändler kürzlich in Istanbul unumwunden zugaben, nur darum geht, den Krieg fortsetzen zu können.

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Putin (l.) und Donald Trump telefonierten zuletzt häufiger.
Putin (l.) und Donald Trump telefonierten zuletzt häufiger. (Quelle: Maxim Shemetov/Reuters)

Reflexive Kontrolle

Reflexive Kontrolle ist "ein Mittel, einem Partner oder Gegner speziell aufbereitete Informationen zu übermitteln, um ihn zu veranlassen, freiwillig die vom Initiator der Aktion gewünschte, im Voraus festgelegte Entscheidung zu treffen", erklärt Timothy Thomas, ein führender amerikanischer Experte für Russlands Informationskriegführung. Im Grunde eskaliert Russland die Situation, um den Gegner zur Deeskalation zu zwingen. Dabei stellt sich Russland als unkalkulierbare Atommacht dar und zwingt den Gegner dazu, sein Vorgehen entweder auch zu eskalieren oder den Konflikt zu beenden. Allein die Zurschaustellung von nuklearer Stärke, Fähigkeiten und Bereitschaft reicht aus, um das Gegenüber zu alarmieren. Zu den üblichen Schritten in Putins Arsenal gehören dabei in der Regel die Versetzung der Nuklearstreitkräfte in höchste Gefechtsbereitschaft, Militärübungen und Tests nuklearfähiger Raketen.

Putin nutze insbesondere seine Ausbildung als KGB-Agent, er denke und handle "mit der Mentalität eines Terroristen", sagt der Ex-CIA-Agent John Sipher. Demnach schleiche sich der Kremlherrscher ins Unterbewusstsein seiner Feinde. "Die russischen Dienste haben lange Zeit viel mehr Zeit auf Dinge wie Desinformation, Sabotage, Täuschung, Agitation und Attentate verwendet", so der Russlandkenner Sipher gegenüber "Business Insider": "Was wir in den letzten 20 Jahren von Putin gesehen haben, sind genau diese asymmetrischen Angriffe. Wie eine terroristische Gruppe, die es nicht direkt mit dem Feind aufnehmen kann, sucht er nach Schwachstellen, die er ausnutzen kann, und nach weichen Zielen, die er angreifen kann."

Putin und Lenin: Ähnlichkeiten sind kaum Zufall

Putin hält nicht nur die USA und deren Präsident Donald Trump, sondern den ganzen Westen für schwach. Das machen er und seine willfährigen Helfer immer wieder in Reden und Postings in sozialen Medien klar. Sich selbst sieht Russlands autoritärer Herrscher in der Rolle des starken Mannes, und er glaubt an eine ihm historisch zugewiesene Aufgabe: die liberale, pluralistische Demokratie des Westens, die er für dekadent hält, zu bekämpfen. Darin wissen Putin und seine Adepten sich einig mit Lenin. Der kommunistische Revolutionär brachte seine Verachtung für den Westen einst auf folgende Formel: "Die Kapitalisten werden uns den Strick verkaufen, mit dem wir sie dann hinterher erdrosseln."

Ähnlichkeiten in der Wortwahl zwischen Putin und dem Marxistenführer und Begründer der Sowjetunion sind vermutlich kaum Zufall. Dass Putin ebenso sehr geprägt von den Methoden des KGB wie von den Maximen des Leninismus und Stalinismus ist, zeigt auch folgendes, dem kommunistischen Revolutionsführer zugeschriebenes Zitat: "Fragen von großer historischer Bedeutung können nur mit Gewalt gelöst werden."

In diesem Sinne interpretiert die US-Denkfabrik ISW auch die jüngste Kampagne aus dem Kreml. Demnach nutzt Putin die verheerenden Langstreckenangriffe auf ukrainische Städte auch dazu, nicht nur die Ukraine selbst, sondern auch den Westen zu demoralisieren. Deren Intensivierung ziemlich genau mit dem Amtsantritt Trumps zusammenfällt, seit Januar 2025 hat das russische Regime sieben der bisher größten Drohnen- und Raketenangriffe während des Krieges gefahren.

Die Forcierung der militärischen Offensiven an der Front soll zudem den im Westen schon seit Längerem bestehenden Eindruck verstärken, die Ukraine könne den Krieg letztendlich nicht gewinnen und eine weitere militärische Unterstützung des Landes sei sinnlos. "Russische Offizielle überschwemmen derzeit den Informationsraum mit Aufforderungen an die Ukraine, Zugeständnisse in Bezug auf ihre Souveränität und territoriale Integrität zu machen", schreibt das ISW.

Fähigkeiten des russischen Militärs erheblich beeinträchtigt

Bei den USA hat Putin damit schon gepunktet. Die Unterstützung sowohl großer Teile der republikanischen Partei als auch der US-Bevölkerung für den Ukrainekrieg ist stark rückläufig. Trump, JD Vance und andere sprechen davon, dass dieser Konflikt von keiner Seite gewonnen werden könne. Allerdings ignorieren sie dabei die Tatsache, dass sich die Lage auf dem Schlachtfeld seit Anfang 2022 dramatisch verändert hat und dass drei Jahre voller Verluste an Arbeitskräften und Material die Fähigkeit des russischen Militärs, die Ukraine zu erobern, erheblich beeinträchtigt haben. Die russischen Vorstöße haben sich deutlich verlangsamt, Putins Streitkräfte müssen jeden Tag weiterhin erhebliche Personalverluste hinnehmen. Dennoch ist der Diktator nach wie vor fest entschlossen, von den Realitäten auf dem Schlachtfeld abzulenken.

Bislang lassen zumindest die führenden europäischen Staaten nicht den Willen erkennen, sich auf eine Reduzierung der Ukrainehilfen einzulassen.

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