Geld für ausländische Konzerne Dahin fließen die Bundesmilliarden
Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Der Bund unterstützt die Ansiedlung von gleich mehreren Chipherstellern in Ostdeutschland mit Milliardenbeträgen. Doch ob das eine gute Idee ist, ist unter Experten umstritten.
Infineon, Intel, TSMC: Im vergangenen Jahr kündigten gleich mehrere globale Konzerne an, neue Standorte in Ostdeutschland errichten zu wollen. Eine große Chance, die Region wirtschaftlich nach vorn zu bringen und nach den Erfahrungen aus den vergangenen Krisen die Lieferketten in Europa zu stärken. Doch das Ganze hat auch einen deutlichen und vor allem teuren Haken: Alle Projekte hängen an Unterstützungen des Bundes in Milliardenhöhe. Die Effekte davon sind umstritten.
Klaus-Heiner Röhl, Ökonom am arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, sagt im Gespräch mit t-online: "Die Subventionen für Großkonzerne in Ostdeutschland haben einen doppelten Effekt. Zum einen sichern sie Deutschland eine Möglichkeit, am internationalen Technologiewettbewerb teilzunehmen. Zum anderen sind sie wichtig für den wirtschaftlichen Angleichungsprozess zwischen Ost- und Westdeutschland."
Noch immer große Unterschiede zwischen Ost und West
Denn noch immer gibt es deutliche Unterschiede bei den Einkommensverhältnissen. So lag das Durchschnittseinkommen im Jahr 2023 im Westen bei 4.578 Euro, im Osten hingegen bei 3.754 Euro. Die Ansiedlung von spezialisierten Firmen bringt somit potenziell auch besser bezahlte Jobs mit sich.
Die Effekte können laut Röhl auch noch deutlich darüber hinausgehen. "Solche Summen können einen Standort nachhaltig verändern, aber die vollen Ausstrahlungseffekte werden erst in zehn bis zwanzig Jahren zu spüren sein", sagte der Ökonom.
Doch was und wo genau wird investiert? Gleich mehrere große Chipkonzerne wurden mit der Aussicht auf Subventionen in Milliardenhöhe an ostdeutsche Standorte gelockt, darunter die Branchenriesen Infineon, Intel und TSMC.
Hintergrund für die Investitionen sind die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie und den Auswirkungen des Ukraine-Krieges. Innerhalb kürzester Zeit wurde deutlich, dass die langen Lieferketten vor allem bei Halbleitern anfällig sind. Mit dem Aufbau einer eigenen Chipindustrie mit eigenen Fertigungsstätten in Deutschland soll künftigen Engpässen und Abhängigkeiten von einzelnen Produktionsländern vorgebeugt werden.
Die rechtliche Grundlage dafür bietet der Chips Act der Europäischen Union. Dieser sieht vor, dass mit einem Volumen von insgesamt 43 Milliarden Euro an öffentlichen und privaten Investitionen der Anteil der europäischen Halbleiterproduktion am Weltmarkt bis 2030 auf 20 Prozent verdoppelt werden soll.
Infineon-Chef: "Voll im Zeitplan"
Eine der Großinvestitionen in Deutschland ist dabei bereits in der Umsetzung. Der deutsche Chiphersteller Infineon baut seit Mai ein neues Werk in Dresden. Bereits ab 2026 soll dort produziert werden. Bedenken, dass sich dieser Start verzögern könnte, widersprach der Konzern zuletzt. "Die beiden Projekte in Dresden mit unserer Beteiligung sind voll im Zeitplan", sagte Vorstandschef Jochen Hanebeck der "Süddeutschen Zeitung".
1.000 neue Jobs sollen durch das Werk entstehen. Dresden ist bereits jetzt einer der größten Standorte von Infineon. Derzeit arbeiten am Platz gut 3.250 Menschen, insgesamt hat das Unternehmen weltweit 56.200 Beschäftigte.
Die Kosten dafür: Infineon investiert fünf Milliarden Euro, der Bund unterstützt mit einer weiteren Milliarde. Zur Begründung führte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck an, dass die Innovationen des Unternehmens "notwendig sind für die Transformation hin zur Klimaneutralität". Die Halbleiter, die in Dresden produziert werden sollen, seien "notwendig für die Nutzung erneuerbarer Energien oder für die E-Mobilität".
Auch der Marktführer soll nach Deutschland kommen
Infineon ist noch bei einem weiteren Projekt beteiligt: Mit zehn Prozent ist der Konzern auch bei der neuen Dresdner Fabrik des taiwanesischen Chipherstellers TSMC an Bord. Bereits am Dienstag soll hier der erste Spatenstich für die zehn Milliarden Euro teure Fabrik gesetzt werden. Die Bundesregierung unterstützt das Vorhaben mit fünf Milliarden Euro.
TSMC ist der weltweit größte Chiphersteller, hat einen Marktanteil von fast 60 Prozent und fertigt bislang vor allem in Taiwan. Die aus Halbleitermaterialien wie Silizium hergestellten Mikrochips des Unternehmens stecken in vielen Alltagsprodukten wie Handys, Computern und Autos. So setzt etwa Apple für seine iPhones auf das Unternehmen und auch große Autokonzerne wie Tesla und VW verbauen die Chips in ihren Fahrzeugen.
Intel: Subventionen als "Schlüsselfaktor"
Der dritte große Player ist US-Hersteller Intel. Auch hier steht der Startschuss kurz bevor. Vorstandsmitglied Keyvan Esfarjani hatte im Frühjahr von einem Baubeginn "vielleicht" noch 2024 gesprochen.
Das Unternehmen will mit seiner sogenannten "Megafab" in Magdeburg 10.000 Arbeitsplätze – inklusive Zulieferer – schaffen. Dazu hatte das Unternehmen im vergangenen Jahr eine Investition von 17 Milliarden Euro in den Standort angekündigt. Der Bund sagte damals eine Unterstützung von 6,8 Milliarden Euro zu und startete damit das Rennen um – sowie die Diskussionen über – staatliche Subventionen für Chipkonzerne.
Die finanzielle Unterstützung ist laut Esfarjani "ein Schlüsselfaktor". Prompt gab es Berichte, dass das Unternehmen weitere staatliche Gelder fordere. Finanzminister Christian Linder sagte damals, dass der Staat sich nicht erpressen lasse. Letztlich entschied die Bundesregierung, staatliche Hilfen von 9,9 Milliarden Euro zu genehmigen, die aber noch von der EU abgesegnet werden müssen.
Röhl: Politik macht sich erpressbar
Das Problem des Drucks durch die Firmen erkennt auch Experte Röhl: "Mit großen Einzelsubventionen macht sich die Politik zukünftig erpressbar, das ist eine reale Gefahr. Das darf im Umkehrschluss allerdings nicht heißen, dass man solche Subventionen von vorneherein ausschließen sollte." Stattdessen müsse abgewogen werden.
Der Ökonom sieht darüber hinaus noch eine ganz andere Herausforderung, bei der auch die staatlichen Mittel nicht helfen werden. "Intel wird international Fachkräfte anwerben müssen, da teils sehr spezielle Qualifikationen erforderlich sind. Erste Stellenausschreibungen habe ich bereits gesehen. Das wird spannend zu sehen, wie gut das gelingt", so Röhl.
Ökonom: "Wir werfen das Geld zum Fenster raus"
Deutlich kritischer blickt Reint Gropp, Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), auf die Subventionen. "Wir werfen das Geld zum Fenster raus", sagte er über die staatliche Unterstützung für Intel und Infineon der "Süddeutschen Zeitung".
Wenn der Bund eine Milliarde bei Infineon investiere und daraus 1.000 Arbeitsplätze entstünden, sei das quasi eine Million Euro Subvention pro Job und schlicht zu viel, so Gropp. "Warum sollte man so profitablen Unternehmen noch Geld geben? Es dürfen keine Geschenke verteilt werden", sagte er weiter.
Konkurrent: Wettbewerb wird verzerrt
Auch von Konkurrenzunternehmen gibt es deutliche Kritik. Der US-Chiphersteller Globalfoundries betreibt schon länger einen Standort in Dresden, staatliche Förderung erhielt er dafür nicht. Von den aufgebauten Strukturen würden jetzt TSMC und Infineon profitieren, so Chef Thomas Caulfield. Im "Handelsblatt" sagte er: "Es kann nicht sein, dass der Branchenführer Subventionen bekommt für eine Fabrik, und die anderen erhalten nichts." Damit werde die Wettbewerbsgrundlage "verzerrt".
Hinzu kommt: Sowohl Infineon als auch Intel haben in den vergangenen Monaten weltweite Stellenstreichungen verkündet. In einem großen Sparprogramm fallen bei Intel insgesamt rund 15.000 Jobs weg. Bei Infineon sollen 1.400 Stellen gestrichen und weitere 1.400 Stellen in Niedriglohnländer verschoben werden. Davon sind auch deutsche Arbeitsplätze betroffen. Das Unternehmen hatte zuletzt mit stark schwankenden Umsatzzahlen zu kämpfen.
"Natürlich hätte mit dem Geld auch viel anderes, sinnvolles umgesetzt werden können", sagt auch Röhl. "Der Mittelstand in Ostdeutschland braucht Unterstützung gegen den Fachkräftemangel und Hilfe bei der Digitalisierung, auch Start-ups und Universitäten hätten sich über Hilfen gefreut. Allerdings reden wir über solch große Summen, die dann auf sehr viele kleinere Projekte verteilt werden müssten." Mit den Investitionen in die großen Konzerne sichere sich der Bund einen Platz im Technologiewettlauf.
Innovationen nach Europa zu holen und Abhängigkeiten zu reduzieren, sind für ihn die großen Vorteile der Subventionen. Er rechnet hingegen nicht damit, dass sie politisch eine große Rolle spielen werden. "Ich bin skeptisch bei Thesen, die eine direkte Verbindung zwischen wirtschaftlichen Kennzahlen und den Wahlerfolgen der AfD herstellen wollen", so Röhl. "Auch der gut situierte Mittelstand wählt im Osten oft AfD." Insofern nützten große Investitionen der Regierung kurzfristig wenig, um die Bevölkerung mitzuziehen, sagt der Experte.
- Eigene Recherche
- Gespräch mit Klaus-Heiner Röhl
- tagesschau.de: "Startschuss für Infineons Milliardenprojekt"
- sueddeutsche.de: "Wir werfen das Geld zum Fenster raus"
- sueddeutsche.de: "Infineon will eine Milliarde vom Bund - und baut einfach schon mal los"
- focus.de: "'Wir werfen das Geld zum Fenster raus', weil uns Chipfabrikanten erpressen"
- saechsische.de: "Scharfe Kritik an Milliardensubvention für Infineon-Chipfabrik Dresden"