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USA unter Trump und Deutschlands Wirtschaft: Experte ordnet ein


Deutsche Wirtschaft
"Das könnte der allergrößte Schlag werden"

InterviewVon Marc von Lüpke

18.07.2025 - 16:02 UhrLesedauer: 8 Min.
Donald Trump (Archivbild): Die Zolldrohungen des US-Präsidenten betreffen vor allem Deutschlands Wirtschaft.Vergrößern des Bildes
Donald Trump (Archivbild): Die Zolldrohungen des US-Präsidenten betreffen vor allem Deutschlands Wirtschaft. (Quelle: Julia Demaree Nikhinson)
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Deutschlands Wirtschaft befindet sich in der Dauerkrise, zahlreiche Probleme machen ihr zu schaffen. Der eigentliche Grund ist alarmierend, sagt Journalist Wolfgang Münchau: Das deutsche Modell funktioniere nicht mehr.

Für seine Wirtschaft wurde Deutschland in der Vergangenheit oft bewundert, doch momentan gibt es dafür wenig Grund: Die deutsche Wirtschaft schwächelt. Und das nicht erst seit gestern, sagt Wolfgang Münchau, Journalist und Wirtschaftsexperte.

Im Interview erklärt Münchau, warum das deutsche Modell nicht mehr reibungslos funktioniert, welche Gefahr momentan von Donald Trump ausgeht und auf welchem ungeborgenen "Schatz" Deutschland sitzt.

t-online: Herr Münchau, der Titel Ihres neuen Buches lautet "Kaputt" und handelt von der deutschen Wirtschaft. Wie ernst ist die Lage?

Wolfgang Münchau: Die Lage ist ziemlich dramatisch, denn die deutsche Wirtschaft befindet sich im Niedergang. Das Wirtschaftsmodell, das sich Deutschland in der Nachkriegszeit gegeben hat, funktioniert einfach nicht mehr. Auf der anderen Seite gibt es in Deutschland Dinge, die sehr gut funktionieren. Dazu zähle ich das Ausbildungssystem, das zahlreiche gut qualifizierte Fachkräfte hervorbringt. Darin ist Deutschland spitze, es gibt keinen Grund, warum das Land nicht auch in Zukunft erfolgreich sein sollte.

Gleichwohl türmen sich die Probleme. Was braucht es jetzt?

Es braucht richtungsweisende Entscheidungen, die bislang nicht getroffen worden sind. Für diese Unterlassung lässt sich keine einzelne Bundesregierung verantwortlich machen, es bestand ein allgemeiner gesellschaftlicher Konsens, dass das bisherige deutsche Wirtschaftsmodell das richtige sei. Das traf früher zu, der Erfolg der deutschen Wirtschaft sprach lange Zeit ja auch für sich. Aber nun haben sich grundsätzliche Dinge geändert.

Welche?

Der Niedergang der deutschen Wirtschaft begann 2017 – und zwar mit dem Brexit. Damals haben wenige Leute darüber geredet, aber Großbritannien war die größte Quelle des deutschen Leistungsbilanzüberschusses. Als sich Großbritannien dann aus dem EU-Binnenmarkt verabschiedete, war der Einbruch entsprechend groß. Dann kam 2020 die Coronapandemie, die die Probleme der deutschen Lieferketten an den Tag brachte: Da hatte man zu stark optimiert und auf den perfekten Durchfluss anstelle von robuster Nachhaltigkeit gesetzt. Zwei Jahre später ordnete Wladimir Putin dann die Vollinvasion der Ukraine an und machte Schluss mit dem billigen Erdgas.

Zur Person

Wolfgang Münchau, Jahrgang 1961, ist Wirtschaftsjournalist und Autor. 1999 war Münchau Mitbegründer und 2001 bis 2003 Chefredakteur der "Financial Times Deutschland", gegenwärtig ist er Direktor des Wirtschaftsinformationsdienstes "Eurointelligence". Münchau hat zahlreiche Bücher verfasst, gerade ist mit "Kaputt. Das Ende des deutschen Wirtschaftswunders" sein aktuelles Buch erschienen.

Nun droht Donald Trump mit heftigen Zöllen.

Das könnte der allergrößte Schlag werden. Momentan droht Trump mit Zöllen in Höhe von 30 Prozent ab dem 1. August gegen die EU: Wenn wir da noch die 25 Prozent für aus der EU importierte Automobile und die 50 Prozent für Stahl und Aluminium dazu nehmen, dann wird es für Deutschland richtig brenzlig. Der Euro ist doch schon um rund 15 Prozent gegenüber dem Dollar aufgewertet. Die USA sind der größte Exportmarkt Deutschlands, die Folgen werden einschneidend sein, wenn er wegbricht.

Zumal China sich vom Partner zum ernsthaften Konkurrenten gewandelt hat?

China verfolgte längere Zeit ein komplementäres Wirtschaftsmodell, von dem Deutschland ziemlich profitiert hat: Chinesische Unternehmen kauften Maschinen und Produkte in Deutschland, im Gegenzug verkaufte China Konsumgüter. Dann änderte sich Chinas Wirtschaftsmodell ziemlich radikal, es drang in Gebiete vor, die vorher von Deutschen besetzt waren: Autos, wenn auch mit Elektroantrieb, oder etwa Solar- und Umwelttechnik. Zwar gibt es noch immer Bereiche, die man in Deutschland noch besser beherrscht als in China, aber der Wandel ist schon dramatisch: Deutschland hatte große Handelsüberschüsse gegenüber China, nun hat Deutschland selbst ein Handelsdefizit mit China.

Das gilt allerdings nicht nur für China.

China ist eingebrochen, Großbritannien ist eingebrochen, Russland selbstverständlich auch und jetzt droht auch noch Amerika. Deutschland hat glücklicherweise die Eurozone, aber das Problem wird doch deutlich: Die deutsche Wirtschaft ist zu stark auf den Export ausgerichtet, das ist alles andere als gesund und funktioniert zudem nicht länger.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass der Abstieg schon vor Jahrzehnten begann. Warum ging es Deutschland trotzdem relativ lange gut?

Die ersten zehn Jahre unter der Kanzlerschaft Angela Merkels waren tatsächlich gut. Ihr Vorgänger Gerhard Schröder hatte reformiert, dann kamen noch ein paar andere Faktoren dazu: Die EU-Osterweiterung war unglaublich wichtig für die Großunternehmen, weil sie ihre eigenen Lieferketten an billige Länder ausgliedern konnten. Die Euro-Krise war zugleich für die deutsche Industrie fantastisch, weil sie die Währung real abwertete, das heißt, ohne Inflation. Es kamen eine Menge Dinge zusammen, die sich für Deutschland positiv auswirkten und die grundsätzlichen Probleme, die im deutschen Wirtschaftsmodell damals schon bestanden, ein wenig überdeckten.

Bis der Brexit kam?

Dann war es 2017 mit der deutschen Glückssträhne vorbei, ja. Der Brexit war eine geopolitische Veränderung, genauso wie Russlands Krieg, Donald Trumps "America First" und Chinas neuer Umgang mit den Lieferketten seit Corona. Wir leben mittlerweile in einer ganz anderen Zeit, wir können auch keiner Regierung vorwerfen, dass sich die Welt verändert hat und das alte Modell, das so lange erfolgreich war, jetzt Probleme aufwirft.

Was tun?

Wir müssen diversifizieren, das ist meine Hauptnachricht. Mein Buch ist keine Abhandlung, was jetzt alles getan werden müsste, sondern die Erzählung, wie wir an diesen Punkt gekommen sind. Da ist einerseits die deutsche Fixierung auf den Export zu nennen, andererseits die einseitige Ausrichtung auf die Industrie. So erfolgreich sie auch gewesen ist, mittlerweile ändert sich das. Deutschland braucht neue Firmen und neue Sektoren.

Wo sollen die herkommen?

Deutschland verfügt über die entsprechenden Leute, oft gehen sie – gerade im IT-Bereich – allerdings weg. Das Problem liegt aber zunächst anderswo: In meinem Buch schreibe ich zu Beginn nicht über die Industrie, Russland oder den Export, sondern über die Banken, das Finanzsystem. Ohne den entsprechenden Kapitalmarkt bekommt man diese Umstrukturierung der Wirtschaft nicht hin. Denn eine solche erfolgt nicht durch die Regierung, sondern durch das Finanzsystem. Traditionelle Banken können das nicht leisten, man würde Banken damit überfrachten. Das von den Sparern bei Banken angelegte Geld fließt an mittelständische und große Konzerne, aber nicht an junge, innovative Unternehmen. Keine Sparkasse hätte das Start-up finanziert, das den meisten Menschen auf dem Planeten heute als Google geläufig ist.

Sie sprechen also von Risikokapitalgebern, wie es sie vor allem im angelsächsischen Raum gibt?

Ja. Der Bereich Venture Capital war in Deutschland zwischenzeitlich nahezu tot, nun gibt es wieder ein paar Erfolge. Was Deutschland aber immer noch fehlt, ist das Bindeglied der ersten Phase eines Gründerunternehmens und dem zweiten Stadium, in dem eine Firma dann richtig viel Geld für die Erweiterung bekommen muss. Anders ausgedrückt: Die erste Million bekommt man in Deutschland hin, bei den nächsten 100 Millionen wird es dann schwierig. Dafür braucht man eine Kapitalmarktinfrastruktur, die wir in Deutschland nicht haben. Ich lebe in Großbritannien, hier ist das eine der wenigen Sachen, die relativ gut funktioniert.

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Deutschland hat eine neue Bundesregierung, sehen Sie entsprechende Ansätze?

Im schwarz-roten Koalitionsvertrag steht, dass die Autoindustrie weiterhin eine Schlüsselindustrie für Deutschland darstellt. Das ist doch hochproblematisch, denn wer so denkt, lenkt auch das Geld in die entsprechende Richtung.

Deutschland reitet mit der Autoindustrie das sprichwörtliche "tote Pferd": Spielen Sie darauf an?

In Deutschland ist die Einsicht nicht bis kaum vorhanden, dass die Schaffung neuer Unternehmen die Zerstörung von existierenden Unternehmen beinhaltet. Der österreichische Unternehmer Joseph Schumpeter hat das einst mit dem Begriff von der schöpferischen Zerstörung beschrieben.

Das wirkt wenig tröstlich für die zahlreichen Arbeiter und Angestellten in der deutschen Autoindustrie und bei deren Zulieferern.

Die Welt hat sich verändert, das alte deutsche Wirtschaftsmodell ist nicht mehr tragfähig. Das ist eine Tatsache, die den Umbau der deutschen Wirtschaft umso notwendiger macht. Deutschland ist ein unglaublich reiches Land, wir haben das Potenzial, diesen Umbau aktiv zu gestalten, anstatt ihn zu erleiden. Wir haben alte Strukturen, politische Interessen und Unternehmen, die angesichts der Entwicklungen so nicht konkurrenzfähig sind.

Haben Sie ein Beispiel?

Nehmen wir die deutsche Autoindustrie: Sie wird in Zukunft nicht die gleiche Rolle spielen, die sie bislang innehatte. Warum? Weil Deutschland die technologische Führung verloren hat. Das selbstfahrende Auto wird in den USA und in China entwickelt, ganz sicher nicht in Deutschland. Die Batterietechnologie für Elektroautos ist mittlerweile auch bereits nahezu vollständig chinesisch. Da ist Deutschland also völlig abgehängt. Wissen Sie, womit bei einem Verbrennerauto das eigentliche Geld verdient wird? Mit dem Motor, dem Getriebe und anderen technischen Teilen. Beim Elektroauto macht man Geld mit der Batterie und der Software.

Also stehen der deutschen Autoindustrie angesichts ihres technologischen Rückstands bei Elektroautos und der chinesischen Übermacht die wirklich turbulenten Zeiten erst noch bevor?

Ich kann mir gut vorstellen, dass in Deutschland auch zukünftig Autos gebaut werden, aber wahrscheinlich wird niemand mehr viel Geld damit verdienen. Wahrscheinlich werden die Europäer die Chinesen dazu zwingen, einen Teil ihrer Elektroautos in Europa zu fertigen, ähnlich agiert ja auch Donald Trump für die USA. Aber die guten, alten Zeiten sind vorbei.

Hat die deutsche Politik das Problem erkannt?

Olaf Scholz kam sehr spät darauf, dass die deutsche Wirtschaft ernsthafte Probleme hat. Was hat er dann getan? Er lud Vertreter der Industrie ins Kanzleramt ein – und zwar von Auto-, Stahl- und Chemieindustrie. Das ist in Scholz' Vorstellung die Wirtschaft. So etwas wie der Dienstleistungsbereich kam da nicht vor, aber dort gibt es für Deutschland ein gewaltiges Potenzial.

Wie steht es mit Scholz' Nachfolger Friedrich Merz?

Merz hat kapiert, dass das deutsche Geschäftsmodell zerbrochen ist. Es bestand daraus, Vorprodukte aus dem Ausland herzuschaffen, sie mit billigem russischem Gas zusammenzusetzen und dann mit dem Label "Made in Germany" weiterzuverkaufen. Beim Weltwirtschaftstreffen in Davos hatte Merz den Microsoft-Chef Satya Nadella getroffen, der ihn auf die irrsinnige Menge an Daten im Mittelständlerland Deutschland ansprach. Deutschland solle laut Nadella mehr über Datensicherheit und Daten-Business-Modelle anstatt Datenschutz sprechen, um diese Daten zu nutzen. Da sitzt Deutschland nämlich tatsächlich auf einem wahren Schatz.

Datenschutz ist per se sicher nicht verkehrt.

Das ist er nicht. Aber es kommt darauf an, wie weit man es treibt. Die EU hat seit zehn Jahren fast die gesamte Datenwirtschaft kaputt reguliert. Diese ganzen verschiedenen Regulierungen haben es nahezu unmöglich gemacht, gesunde Wirtschaftsmodelle in diesem Bereich aufzubauen. Das liegt auch daran, dass Deutschland auf klassische Industrien setzt, statt auf die Chancen des Digitalen. Ich bin keineswegs gegen Industrie, ich bin aber für Chancengleichheit. Nehmen wir den Brexit: Ich habe seinerzeit geschrieben, dass der Brexit sehr gut funktionieren könnte – allerdings nur unter der Bedingung, dass die Briten sich ein neues Modell zulegen. Das wurde verpasst, Deutschland sollte nicht in die gleiche Falle tappen.

Seit Bundeskanzler Helmut Kohl vor Jahrzehnten auf Kupferkabel anstelle von Glasfaser setzte, hinkt Deutschland im digitalen Bereich hinterher. Wird das Land irgendwann den Anschluss schaffen?

Bei Vorträgen fallen mir die Zuhörer immer wieder fast vom Stuhl, wenn die Rede darauf kommt, dass in Deutschland immer noch Faxgeräte in Betrieb sind. Hier in Großbritannien kennt jeder Audis deutschen Werbespruch vom "Vorsprung durch Technik". Es ist vollkommen absurd, dass ein Land wie Deutschland, das sich über seine Technologieführerschaft definiert, sich im Digitalen so schwertut. Ich denke, es liegt daran, dass die Grundlage der deutschen Ingenieurkunst auf Physik, Chemie und Mechanik basiert. In Deutschland sind analoge Systeme extrem weit entwickelt, aber das bringt einem wenig, wenn es die Zukunftstechnologien eben digital sind. Nehmen wir ein modernes Elektroauto: Das ist ein ganz anderes Produkt als ein klassischer Verbrenner, deswegen kann ein Telekommunikationsausrüster wie Huawei auch ohne Probleme in die Elektroautoherstellung einsteigen.

Deutschland hat nun immerhin ein lang ersehntes Bundesdigitalministerium bekommen. Haben Sie Hoffnung?

Wenn damit zumindest die Digitalisierung der Verwaltung gelingt, ist schon viel erreicht. Ich sehe grundsätzlich großes Potenzial in Deutschland. Was ich derzeit nicht sehe, sind die politischen Mehrheiten, um es zu wecken.

Herr Münchau, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Wolfgang Münchau via Videokonferenz
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