Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Mittelständler geht an die Börse Das könnte erst der Anfang gewesen sein

Wenn es um Börsengänge geht, herrschte zuletzt Flaute in Deutschland. Nun aber wagt ein Mittelständler den Schritt. Ein Startschuss für mehr?
Der Jubel auf dem Frankfurter Parkett wollte kein Ende nehmen: Der Zulieferer für den Energiesektor, Pfisterer, feierte sein Börsendebüt mit viel Enthusiasmus und lang anhaltendem Börsenläuten. Denn der Start war – anders als so mancher andere Gang auf das Parkett in der Vergangenheit – gut gelungen. Der erste Kurs lag bei 30 Euro. Die Aktie war zu 27 Euro ausgegeben worden. Am Ende des ersten Handelstages waren es 30,11 Euro. Jetzt muss sie sich beweisen.
95 Millionen Euro bekommt der Mittelständler mit Sitz in Winterbach bei Stuttgart aus dem Börsengang. Und will weiter investieren. Erst im vergangenen Jahr hatte Pfisterer eine neue Produktion in den USA eröffnet, um sich in Nordamerika stärker aufzustellen. Das Unternehmen ist Nutznießer einer wachsenden Nachfrage nach Energie-Infrastruktur. Viele Volkswirtschaften wie Deutschland bauen ihre Energieversorgung aus und um. Pfisterer liefert Teile dafür.
Das Unternehmen entwickelt und produziert Verbindungen und Isolierungen für elektrische Leiter in Stromnetzen. Mit rund 1.200 Mitarbeitern und 17 Standorten weltweit gilt Pfisterer als international gut aufgestellt, machte 2024 einen Umsatz von gut 383 Millionen Euro – ein Plus von 15 Prozent. Der Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen stieg um knapp 24 Prozent auf 64,6 Millionen Euro. Die Zahlen lieferten eine gute Basis für den Börsengang.
Die Stimmung muss passen
Hat der gute Start an der Börse Signalwirkung für andere Unternehmen? Nun, sagen wir so: Es war ein mutiger Schritt im aktuell unsicheren Börsenumfeld. Aber das Geschäftsmodell, die Expansion und die Zahlen sprachen für sich. Es zeigt sich: Wenn die Story stimmt, sind Investoren auch bereit, mitzugehen und Geld hineinzustecken.
Eine wichtige Frage dabei ist auch: Was macht ein Unternehmen mit dem Geld aus dem Börsengang? Investitionen sind gern gesehen, sinnvolle Zukäufe auch. Aber wenn hauptsächlich Altaktionäre ausgezahlt werden, kommt das weniger gut an. Schließlich muss auch genau am Tag des Börsengangs die Stimmung unter Investoren passen.
Man muss sich das so vorstellen: Ein Börsengang ist ein Kostenfaktor und großer Aufwand. Unternehmen arbeiten rund ein Jahr darauf hin. Sie machen einen Plan, sie sprechen mit potenziellen Geldgebern, sie müssen auch wirtschaftlich gut dastehen. Wenn aber dann ausgerechnet an so einem Tag der Markt tief fällt und eher Angst unter Anlegern vorherrscht, dann wirkt sich das auch negativ auf den Börsengang aus.

Zur Person
Antje Erhard arbeitet seit rund 20 Jahren als Journalistin und TV-Moderatorin. Ihr Weg führte sie von der Nachrichtenagentur dpa-AFX u. a. zum ZDF. Derzeit arbeitet sie für die ARD-Finanzredaktion in Frankfurt und berichtet täglich, was in der Welt der Börse und Wirtschaft passiert.
Planbarkeit für Unternehmen nicht gegeben
Grundsätzlich brauchen Unternehmen und Investoren Stabilität und Planbarkeit. Und die waren in den vergangenen Monaten nicht gegeben, sind es nach wie vor nicht. Die Zoll-Politik der US-Regierung ist da ein bestimmender Faktor. Solange Unternehmen nicht wissen, zu welchen Konditionen sie exportieren können, können sie nicht planen. Selbst wenn ein Zollabkommen steht, wie das mit China, heißt das, dass Unternehmen die Preiserhöhungen entweder auffangen oder weitergeben müssen.
Wenn man sich auf dem Parkett umhört, rechnen viele Akteure nicht mit vielen Börsengängen. Das Pharmaunternehmen Stada zum Beispiel stand schon in den Startlöchern, hat den Gang auf das Parkett aber aufgeschoben.
International läuft es gut mit Börsengängen
Fairerweise muss man dazu sagen: Das erste Quartal ist saisonal kein starkes für Börsengänge. Da testen Unternehmen erst einmal Stimmung und Lage und wagen sich gegebenenfalls im zweiten oder dritten Jahresviertel eher aus der Deckung. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es international gar nicht so schlecht lief, zum Jahresauftakt.
Die Unternehmensberatung EY hat die Zahlen mal zusammengetragen: In den USA gingen im ersten Quartal 59 Unternehmen an die Börse – im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es 38. In Asien waren es 116 statt 118 im Vorjahr – allerdings stieg das Emissionsvolumen um fast das Doppelte auf knapp elf Milliarden US-Dollar. Europa registrierte 29 Börsengänge statt 30 im Vorjahr. Anders in Deutschland: Pfisterer ist jetzt im Mai der erste nennenswerte Börsengang.
Schon im vergangenen Jahr war die Lage überschaubar. 2024 waren sechs Unternehmen in Deutschland an die Börse gegangen, darunter die Parfümerie Douglas, der Rüstungszulieferer Renk und der Verlag Springer Nature. Die Aktie von Douglas hat seitdem rund die Hälfte an Wert verloren, die Papiere von Springer Nature notieren heute etwa 12 Prozent tiefer als zum Börsendebüt. Nur Renk hat profitiert: Die Aktien sind fast doppelt so teuer wie zum Börsenstart Anfang 2024. Lesen Sie hier mehr zum Boom der Rüstungsaktien.
US-Börsen als Alternative
Die positive Marktentwicklung im vergangenen Jahr hat sich also nicht für alle ausgezahlt. Und da die Perspektiven hierzulande wirtschaftlich schwierig waren und sind, sind viele Unternehmen auch bereit, andernorts zu investieren und zu produzieren. Sie gehen dann auch im Ausland an die Börse – weil man ihre Marke dort kennt und sie dort ihre Geschäfte machen.
Und so suchte auch manches europäische Unternehmen in den vergangenen Jahren sein Wohl verstärkt an US-Börsen. Bekanntes Beispiel: der Schuhhersteller Birkenstock. Das will Europa ändern und verweist auf Zahlen der britischen Denkfabrik New Financial: Von 130 Unternehmen, die in den vergangenen zehn Jahren an die US-Börsen gegangen sind oder dorthin gewechselt haben, sind 70 Prozent inzwischen an der Börse weniger wert als zum Börsengang. Im Schnitt haben sie seither neun Prozent verloren.
Das ist aber nicht das gravierendste Problem: New Financial meint, die größere Gefahr sei der private Markt. In den vergangenen zehn Jahren verschwanden in Europa mehr als 1.000 börsennotierte Unternehmen mit einem Gesamtwert von knapp über einer Billion US-Dollar, weil sie von Privatunternehmen oder Private-Equity-Firmen übernommen wurden. Wer den Trend umkehren will, muss Anreize setzen: weniger komplexe Regulierung, das richtige Umfeld für Investitionen und einen soliden Plan für Wirtschaftswachstum. Dann klappt's auch an der Börse.
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