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Türkei-Präsident Erdoğan: Sein Wirtschaftskurs ist hochgefährlich


Entwertung der Lira
Wie Erdoğan sein eigenes Land ruiniert

MeinungEine Kolumne von Ursula Weidenfeld

Aktualisiert am 26.10.2021Lesedauer: 3 Min.
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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (Archivbild): Erdogan erzwingt Zinssenkungen, doch damit ruiniert er den Wohlstand seiner Wählerschaft, kommentiert Kolumnistin Ursula Weidenfeld.Vergrößern des Bildes
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (Archivbild): Erdogan erzwingt Zinssenkungen, doch damit ruiniert er den Wohlstand seiner Wählerschaft, kommentiert Kolumnistin Ursula Weidenfeld. (Quelle: imago-images-bilder)

Die Türkei befindet sich in einer schweren Wirtschaftskrise. Staatschef Recep Tayyip Erdoğan steuert einen äußerst riskanten Kurs – und enteignet damit seine Wähler.

Die Operation "Wiederwahl" läuft auf vollen Touren, da macht man keine Gefangenen. Zwei Jahre vor den Präsidentschaftswahlen droht dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan allerdings die Munition auszugehen.

Die türkische Währung, die Lira, verfällt in atemberaubenden Tempo, im Jahresvergleich hat sie nach offiziellen Zahlen ein Fünftel ihres Wertes verloren; die wahre Inflationsrate liegt wahrscheinlich deutlich darüber. Ein Ende ist nicht in Sicht. Die Folge: Die Zustimmungswerte für den Präsidenten sinken deutlich.

Der türkische Präsident galt früher als Reformer

Angetreten war Erdoğan einst als entschiedener Reformer. Als Ministerpräsident bescherte er der Türkei nach der Jahrtausendwende das "goldene Zeitalter".

Die marktwirtschaftlichen Reformen, allesamt vom Internationalen Währungsfonds (IWF) empfohlen, zahlten sich schnell aus. Der Wohlstand wuchs, das Wirtschaftswachstum beförderte immer größere Teile der Bevölkerung in die Mittelschicht, ausländische Firmen entdeckten das Land als Investitionsstandort.

2013 zahlte das Land seine letzten Schulden beim IWF zurück, es stieg in den Kreis der 20 mächtigsten Wirtschaftsnationen der Welt auf. Das Versprechen, für das Erdoğan seit dem Jahr 2002 immer wieder gewählt wurde, war schlicht: Wohlstand, Stabilität, Wirtschaftswachstum.

Erdoğan wendet sich vom Westen ab

Die Wende kam im Jahr 2016. Nach dem gescheiterten Putsch steuerte Erdoğan auch in der Wirtschaft um. Nicht nur politisch, auch wirtschaftlich wandte er sich vom Westen ab. Um den Wohlstand nicht zu gefährden, hetzte er die Unternehmen seines eigenen Landes auf einen ehrgeizigen Wachstumskurs und nahm in Kauf, dass die türkische Währung erst langsam, dann immer schneller verfiel.

Die Corona-Pandemie traf die Türkei nicht nur wegen der vielen Erkrankungen hart. Der Tourismus, immerhin für mehr als zehn Prozent des türkischen Bruttoinlandsproduktes gut, brach vollständig zusammen.

Von der rasanten Erholung der allgemeinen Wirtschaft nach der Krise profitierte ausgerechnet die Reisebranche nur mäßig: Immer noch fürchteten sich die Touristen vor einer Ansteckung, die verheerenden Brände an der Küste schreckten zudem viele Last-Minute-Interessenten ab.

Firmenbosse wenden sich kaum gegen Erdoğan

Auch ausländische Investoren ziehen sich zurück. Heute geben sie in der Türkei nur noch ein Drittel der Summe aus, die sie 2007 investierten. Erdoğan reagierte darauf mit Isolationismus. Er forderte türkische Unternehmer und Privatpersonen im Frühjahr dieses Jahres auf, ihre Gold- und Devisenreserven gefälligst im eigenen Land auszugeben.

Der Erfolg des patriotischen Appells war überschaubar: Wenn man Angst vor Inflation hat, behält man den Notgroschen in Gold oder Devisen lieber, als ihn in die Scheinblüte der heimischen Wirtschaft zu stecken.

Nun droht dem Wachstum der Infarkt. Nur wenige Unternehmer wagen es, den Präsidenten und seinen Kurs infrage zu stellen. Einer von ihnen ist Ömer Koç, Chef der Koç Holding. Mitte Oktober verlangte Koç, einer der mächtigsten Unternehmer im Land, die Rückkehr zu einer vernünftigen Reformagenda. Der innere Frieden und der Wohlstand der Türkei stünden auf dem Spiel. Den Namen Erdoğan nahm auch Koç bei dieser Abrechnung nicht in den Mund. Doch jeder wusste, wessen Regierung gemeint war.

Erdoğan ruiniert seine Stammwähler

Doch der Präsident ist entschlossen, die Warnungen zu überhören. Er erzwingt Zinssenkungen, anstatt die Lira zu stabilisieren. Wenn die Notenbanker nicht mitmachen, setzt er sie vor die Tür. Seine Stammwählerschaft begeistert er mit solchen Aktionen. Doch materiell ruiniert er sie. Lohnempfänger, Alte und konservative Sparer werden durch die Geldentwertung enteignet, Immobilien- und Aktienbesitzer und Schuldner dagegen profitieren.

Unabhängig davon, ob es dem türkischen Präsidenten gelingt, das fiebrige Wachstum noch ein paar Monate zu sichern: Seine Wiederwahl wird immer wackliger.

Viele seiner Anhänger freuen sich zwar über Drohungen und Rüpeleien gegen westliche Botschafter, über das neue Selbstbewusstsein ihres Landes. Doch mindestens ebenso wichtig ist ihnen das Vertrauen in eine gute wirtschaftliche Entwicklung. Das aber hat in den vergangenen Monaten schweren Schaden genommen.

Ursula Weidenfeld arbeitet als Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Ihr neuer Bestseller heißt: "Die Kanzlerin. Portrait einer Epoche". Sie können es hier bestellen.

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