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Lohndumping: Mitarbeiter werfen Edeka Ausbeutung vor


Lohndumping
Mitarbeiter werfen Edeka Ausbeutung vor

Von spiegel-online
08.10.2013Lesedauer: 5 Min.
Die harsche Kritik an den Arbeitsregeln bei den privat geführten Edeka-Läden könnten am positiven Image der Supermarktkette kratzenVergrößern des BildesDie harsche Kritik an den Arbeitsregeln bei den privat geführten Edeka-Läden könnten am positiven Image der Supermarktkette kratzen (Quelle: dpa-bilder)
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Leiharbeit, Dumpinglöhne, verhinderte Betriebsräte: Beschwerden über privat geführte Edeka-Märkte nehmen drastisch zu, Mitarbeiter berichten von einer unmenschlichen Atmosphäre. Deutschlands größter Einzelhändler spricht von Einzelfällen und einer Kampagne. Doch der gute Ruf des Riesen steht auf dem Spiel.

Branchenprimus mit positivem Image

Im deutschen Lebensmittelhandel gibt es die Billiganbieter mit dem Schmuddel-Image - und den Branchenprimus mit den schönen, gewienerten Einkaufspalästen: Edeka. Dort ist die Qualität der Ware hoch und die Preise oft ebenfalls. Mitarbeiter, so können Kunden annehmen, werden entsprechend bezahlt.

Wie kostbar dieses Image des netten Händlers von nebenan für die Supermarktkette ist, weiß Edeka am besten und hat entsprechend viel Geld in eine Wir-haben-uns-alle-furchtbar-gern-Kampagne investiert, unter dem Slogan "Wir lieben Lebensmittel". Doch ausgerechnet der Konzern selbst wirkt stark daran mit, dass das Bild inzwischen tiefe Risse bekommt.

Filialen in privater Hand

Seit rund zehn Jahren macht der Edeka-Konzern verstärkt Dampf bei der Privatisierung seiner Märkte: Selbständige Kaufleute übernehmen die Läden und damit auch das Risiko, haben zugleich neue Freiheiten - etwa bei der Bezahlung der Mitarbeiter.

In den allermeisten Fällen werden nach der Privatisierung die Löhne gedrückt, wirft die Gewerkschaft Ver.di Edeka in einer Studie vor, weil die Bedingungen der Tarifverträge nach einem Jahr auslaufen. Fast immer werden den Mitarbeitern auch Mitbestimmungsrechte verwehrt oder es wird praktisch nahezu unmöglich gemacht, sie auszuüben.

Vorwürfe wie bei Schlecker

Tarifflucht und fehlende Betriebsräte: Das waren bislang eher Vorwürfe, mit denen Discounter wie die insolvente Drogeriemarktkette Schlecker zu kämpfen hatten. Wie so etwas auch im netten Edeka-Land tagtäglich passieren kann, berichten Gisela Ubrecht und Erika Seefeld*.

Die beiden Frauen arbeiten seit fast zehn Jahren in einem Edeka-Markt im Harz. Der Ort ist klein, man kennt sich, geht freundlich miteinander um. Das Gleiche galt Ubrecht und Seefeld zufolge bis Anfang dieses Jahres auch für ihren Arbeitsplatz, dann übernahm ein 27-Jähriger den Markt.

Mitarbeiter klagen über "unmenschliche Atmosphäre"

Er habe Kameras installieren lassen, den Urlaub von sechs auf fünf Wochen gekürzt und ältere Mitarbeiter herausgedrängt, um sie durch Billigkräfte ersetzt, die für teilweise nur 5,50 Euro die Stunde arbeiten. "Es herrscht eine unmenschliche Atmosphäre bei uns im Betrieb", sagen Ubrecht und Seefeld. Dennoch nähmen die meisten die Veränderungen hin. "Jeder hat Angst, nichts anderes mehr zu finden", sagen die Frauen, die beide über 50 Jahre alt sind.

Um das Prinzip Edeka zu verstehen, muss man kurz zurückschauen. Die Gruppe ist um 1900 entstanden, als sich mehrere Einkaufsvereine zu einer regionalen Einkaufsgenossenschaft zusammenschlossen, um gemeinsam Lebensmittel für ihre Läden zu erwerben.

Mehr als 300.000 Beschäftigte

Die Kaufleute nannten ihren Verbund Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler, kurz E.d.K - später Edeka. Heute ist aus der kleinen Genossenschaft ein Koloss mit mehr als 300.000 Beschäftigten und fast 8000 Märkten geworden, der mit seiner Wucht auch dem Kartellamt Sorgen bereitet.

Auch Netto und Marktkauf gehören zu dem Handelsimperium. Rund 1400 Edeka-Märkte werden statt von selbstständigen Kaufleuten von Regionalgesellschaften zentral gesteuert, doch die Zahl soll sinken. Der Großteil der Märkte ist schon heute in privater Hand. Weitere folgen: Allein zwischen 2004 und 2011 hat sich die Zahl selbständiger Märkte um 510 erhöht, während im gleichen Zeitraum nahezu 900 zentral gesteuerte Läden wegfielen.

Ver.di kritisiert Zwei-Klassen-Gesellschaft

Aus Sicht der Gewerkschaft Ver.di geht mit der fortschreitenden Privatisierung einher, dass sich der Edeka-Verbund zunehmend zu einer Zwei-Klassen-Genossenschaft entwickelt: Auf der einen Seite stehen die von Edeka zentral gesteuerten sogenannten Regiemärkte, in denen nahezu flächendeckend Betriebsräte existieren und Tarifverträge gelten. Gelernte Kräfte bekommen bis zu 14 Euro pro Stunde. Schichtzuschläge und die Vergütung von Überstunden sind selbstverständlich, meist werden auch Urlaubs- und Weihnachtsgelder gezahlt. Rund 50.000 Mitarbeiter profitieren davon.

Auf der anderen Seite gibt es die rein privat betriebenen Märkte mit rund 150.000 Mitarbeitern. Einige der Inhaber orientieren sich an den Bedingungen der Regiemärkte. Doch nach Ver.di-Angaben werden in weit mehr als 90 Prozent der Fälle Löhne gezahlt, die durchschnittlich 30 Prozent unter Tarif liegen. Das gilt vor allem für neues Personal, insbesondere für die sehr oft eingesetzten Minijobber. Nicht selten wird ein Teil der Belegschaft auch durch Leiharbeiter ersetzt.

Viel zu wenig Betriebsräte

Außerdem gibt es in den mehr als 6000 privatisierten Läden nur rund 40 Betriebsräte. "Wir fürchten, dass die alten Belegschaften in den privaten Märkten bald komplett ausgetauscht sein werden und nichts mehr von dem übrig bleibt, was mal war", sagt eine Edeka-Betriebsrätin aus Goslar.

Es liegt auf der Hand: Wo keine Betriebsräte sind, wird es für die Beschäftigten fast unmöglich, sich um soziale Standards und die Einhaltung der Arbeitsschutzgesetzte zu kümmern. Zugleich schwindet der gewerkschaftliche Einfluss. Im Gespräch mit "Spiegel Online" berichten einige Mitarbeitervertreter privatisierter Märkte, wie sie von ihrem Management schikaniert werden.

Arbeitnehmervertreter nicht freigestellt

Das fange bei der Wahl der Arbeitnehmervertretung an und höre bei der Teilfreistellung für die Betriebsratsarbeit auf. "Freistellung?", fragt eine Edeka-Mitarbeiterin aus Goslar ironisch. "Blödsinn! Das ist mein privates Vergnügen." Manche Vorgesetzte versuchten auch, Betriebsratsmitglieder aus dem Unternehmen zu drängen.

Experten führen die bedenkliche Entwicklung auf den anhaltenden Verdrängungswettbewerb im Einzelhandel zurück. Schätzungen zufolge gibt es 20 bis 30 Prozent zu viel Verkaufsfläche in Deutschland, der Spardruck steigt. Und während etwa die Edeka-Gruppe ihre Marktmacht ausnutzt, um die Preise im Einkauf zu drücken, bleibt den einzelnen Händlern meist nur, die Gehälter zu senken.

Lohndumping könnte Ruf ruinieren

Wie riskant diese Strategie ist, zeigen Beispiele aus der Vergangenheit: Als etwa Schlecker die Löhne seiner Mitarbeiter nach starkem öffentlichen Druck angehoben hatte, war der Ruf schon ruiniert. Inzwischen ist nichts mehr von der Drogeriekette übrig.

Ver.di sieht daher die Edeka-Gruppe in der Pflicht, etwas an den Rahmenbedingungen zu ändern. "Wir wollen, dass Edeka als zentraler Arbeitgeber haftet und dafür sorgt, dass die Tarifverträge und sozialen Standards in allen Märkten gelten", sagt Gewerkschaftssekretärin Katharina Wesenick.

"Es gibt jede Menge Vorgaben aus der Zentrale gegenüber den selbstständigen Kaufleuten, aber bei den Arbeitsregeln weigert sich der Konzern, Verantwortung für existenzsichernde Arbeitsplätze und die freie Wahl von Betriebsräten zu übernehmen."

Konzern weist Vorwürfe zurück

Der Konzern widerspricht auf Anfrage von "Spiegel Online". Die von der Gewerkschaft erhobenen Vorwürfe "weisen wir deutlich zurück", schreibt Edeka in einer Stellungnahme. "Die Beispiele von Ver.di stützen sich nur auf wenige Einzelfälle, die mit der Übergabe der Märkte nicht im Kontext stehen und die in unzulässiger Weise pauschalisiert werden."

Es sei Auftrag des Edeka-Verbunds, "wirtschaftlich gesunde, voll existenzfähige Betriebe selbständiger Unternehmer des mittelständischen Lebensmittel-Einzelhandels zu schaffen, sie zu fördern und zu erhalten". Bei den Betriebsübergaben bestünden geltende Regelungen zudem grundsätzlich weiter. "Die gesetzlichen Bestimmungen gewährleisten, dass die erworbenen arbeitsvertraglichen Rechte der Arbeitnehmer mindestens für ein Jahr bestehen bleiben." Auch sei es allen Mitarbeitern möglich, sich gewerkschaftlich zu organisieren.

Mitarbeiter wehrten sich erfolgreich

Dass sich die Edeka-Zentrale nicht immer erfolgreich auf das Genossenschaftsprinzip berufen kann, zeigt ein Beispiel aus Wolfsburg: In vier privatisierten Betrieben eines Inhabers begehrten die Mitarbeiter Ende vergangenen Jahres auf. Sie wandten sich immer wieder an die Edeka-Zentrale, bis die reagierte.

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Seit dem Frühjahr werden die vier Märkte wieder zentral gesteuert. Manche Löhne wurden drastisch angehoben, um das Tarifniveau zu erreichen. "Da ist uns erst richtig klar geworden, was für sittenwidrige Löhne bei uns teilweise gezahlt wurden", sagt Betriebsratsvorsitzender Sascha Tietz. "Der Kampf hat sich gelohnt."

* Namen von der Redaktion geändert

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