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Bundesweite 2G-Regel könnte Aufschwung beschleunigen
Seit rund 21 Monaten steckt Deutschland in der Corona-Krise. Nun haben fĂŒhrende Ăkonomen ihre Prognose deutlich gesenkt. Trotzdem sehen sie die Chance fĂŒr einen Aufschwung. Es gibt da nur ein Problem.
Dass die Corona-Krise noch lange nicht vorbei ist, machen nicht nur die steigenden Infektionszahlen deutlich. Auch die Wirtschaft wird die Krise so schnell nicht los. Nun hat der SachverstĂ€ndigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung seine Prognose fĂŒr 2021 gesenkt.
Die Expertinnen und Experten, die umgangssprachlich "Wirtschaftsweisen" genannt werden, rechnen nur noch mit einem Wachstum von 2,7 Prozent. Bereits im FrĂŒhjahr war das Gremium lediglich von einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts von 3,1 Prozent ausgegangen, vor einem Jahr, also inmitten der zweiten Corona-Welle, von 3,7 Prozent.
Doch woran liegt das? Und vor allem: Wann und wie wird Deutschland denn die Krise los? Drei Lehren aus dem Gutachten der Wirtschaftsexperten.
1. Die Risiken fĂŒr die Wirtschaft sind immens
Das Gremium senkt erneut seine Wirtschaftsprognose. Grund dafĂŒr seien die "vielfĂ€ltigen Liefer- und KapazitĂ€tsengpĂ€sse", erklĂ€rte der SachverstĂ€ndigenrat. Zwar habe sich die Erholung der deutschen Wirtschaft im Sommer fortgesetzt, allerdings werde diese "durch vielfĂ€ltige angebotsseitige EngpĂ€sse gedĂ€mpft", teilten die Expertinnen und Experten mit.
Im Klartext heiĂt das: Die Lieferketten wurden durch die Corona-Krise durcheinandergewirbelt, Mikrochips und andere Vorprodukte fehlen und Rohstoffpreise ziehen an. Das setzt Firmen unter Druck, sie können die Nachfrage nicht bedienen.
FĂŒr das kommende Jahr erwarten die Fachleute jedoch ein stĂ€rkeres Wachstum von 4,6 Prozent. Das Vorkrisenniveau von Ende 2019 werde vermutlich im ersten Quartal 2022 wieder erreicht. "Die wirtschaftliche Erholung bleibt intakt, sie verschiebt sich nur", sagte der Wirtschaftsweise Volker Wieland bei der Vorstellung des Gutachtens.
Doch bei diesem vermeintlich positiven Ausblick gibt es ein groĂes "Aber". Denn: "Die Unsicherheit ĂŒber die kommende wirtschaftliche Entwicklung ist hoch", warnen die Regierungsberater. "Erneute gesundheitspolitische EinschrĂ€nkungen oder lĂ€nger anhaltende LieferengpĂ€sse könnten die Erholung stĂ€rker belasten."
- Fazit: Das Risiko fĂŒr die Wirtschaft bleibt hoch und könnte wachsen, je stĂ€rker die Corona-Zahlen noch ansteigen. Sollte es erneute Teil-Lockdowns fĂŒr Ungeimpfte geben, oder sollten die Lieferketten durch das Aufflammen der Corona-Krise in anderen LĂ€ndern, etwa China, noch stĂ€rker gestört werden, hĂ€tte das fatale Folgen. Dann könnte sich der Aufschwung weiter verzögern.
2. Wir entscheiden mit, wie hoch die Inflation bleibt â und die EZB
Bei der Inflation, die derzeit mit 4,5 Prozent auf dem höchsten Wert seit Ende 1993 liegt, erwarten die Wirtschaftsweisen allmĂ€hlich Entspannung. Die Jahresteuerung dĂŒrfte von durchschnittlich 3,1 Prozent in diesem Jahr auf 2,6 Prozent im nĂ€chsten Jahr sinken.
Die Entwicklung der Inflation hĂ€ngt laut den Experten von drei Faktoren ab. Dadurch könnten eigentlich vorĂŒbergehende Preistreiber zu dauerhaft höheren Inflationsraten fĂŒhren.
- 1. Lieferkrise: FĂŒr die Inflation ist es entscheidend, wie lange die EngpĂ€sse noch anhalten und wie stark sie die Preise treiben. Denn: Sollten das Auto, der Computer oder das Smartphone durch den Chipmangel dauerhaft teurer werden, macht sich das auch im allgemeinen Preisniveau bemerkbar.
- 2. Energiepreise: Dazu kommt die Entwicklung der Energiepreise, die die Inflation ebenfalls in die Höhe trieben, so Wirtschaftsweise Veronika Grimm. Bleiben die Kosten fĂŒr Gas und Strom auch im kommenden Jahr hoch, könnten viele Produkte noch teurer werden â besonders die Industrieproduktion ist sehr energieintensiv. Doch auch Verbraucher könnten die Energiepreise bald im Geldbeutel spĂŒren, wenn nicht schon geschehen.
- 3. Höhere LohnabschlĂŒsse: In Erwartung, dass die Preise dauerhaft anziehen, könnten Gewerkschaften höhere Löhne fordern und Arbeitnehmer könnten bei ihren Chefs anklopfen. Das ergab auch jĂŒngst eine reprĂ€sentative Umfrage fĂŒr t-online. Das Problem: Es könnte ein PhĂ€nomen entstehen, die sogenannte Lohn-Preis-Spirale. Hierbei steigen die Preise allein deshalb weiter, weil alle glauben, dass es so kommt.
Mahnende Worte richten die Wirtschaftsweisen deshalb an die EuropĂ€ische Zentralbank (EZB), die HĂŒterin der Geldpolitik im Euroraum. Die zunehmenden Inflationsrisiken könnten sich zu einem Dilemma entwickeln, warnt der SachverstĂ€ndigenrat. Zumal viele EU-Mitgliedstaaten, die sich aktuell billig verschulden können, vom niedrigen Zinsniveau abhĂ€ngig seien.
Die EZB mĂŒsse daher bald handeln und das Ende der pandemiebedingten geldpolitischen MaĂnahmen ins Auge fassen. "Wenn die Geldpolitik zu spĂ€t oder zu inkonsequent reagiert, kann dies die wirtschaftliche Entwicklung gefĂ€hrden", erklĂ€rte Ratsmitglied Wieland. Es mĂŒsse eine Normalisierungsstrategie kommuniziert werden, wozu auch gehöre, die Zinsen schrittweise anzuheben.
- Fazit: Zwar gibt es externe Risiken, die die Preise auch nĂ€chstes Jahr deutlich höher halten könnten als vor der Pandemie. Allerdings ist ein Inflationsrisiko vor allem die Erwartung, dass die Inflation steigen könnte. Die EZB mĂŒsse daher bald kommunizieren, dass sie die Krisenhilfen zurĂŒckfĂ€hrt, die Zinsen womöglich mittelfristig wieder anhebt. So lieĂen sich die Inflationsrisiken eindĂ€mmen und das Preisniveau stabilisieren, so die Wirtschaftsweisen.
3. 2G-Regel könnte Wirtschaftserholung beschleunigen
Die Noch-Regierung und die LĂ€nder ringen um ein gemeinsames Vorgehen bei 2G oder 3G. Bislang ist deren EinfĂŒhrung Sache der LĂ€nder. Auch der Gesetzentwurf der Ampelparteien, mit dem Neuregelungen fĂŒr die Zeit nach der epidemischen Lage von nationaler Tragweite geschaffen werden sollen, sieht hier keine grundlegende Ănderung vor.
Lediglich fĂŒr den Arbeitsplatz wollen SPD, GrĂŒne und FDP kĂŒnftig bundesweit die weichere 3G-Regel festlegen. Sie schreibt vor, dass entweder ein Impf-, Genesenen- oder Testnachweis vorgelegt werden muss. Bei der 2G-Regel entfĂ€llt die Möglichkeit des Freitestens.
Der Rat der Wirtschaftsweisen gibt hier eine klare Empfehlung. Die EinfĂŒhrung bundesweiter 2G-Regeln kann dem Wirtschaftsweisen Volker Wieland zufolge der Konjunktur auf die SprĂŒnge helfen.
"Ich wĂŒrde schon sagen, dass das ja sogar das Wachstum beschleunigen kann", so Wieland. Dies zeige die Erfahrung in anderen LĂ€ndern, wo im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus eine 2G-Regelung eingefĂŒhrt und mehr geimpft wurde.
- Fazit: AuĂer Frage steht, dass mehr Impfungen (auch mehr Booster-Impfungen fĂŒr besonders gefĂ€hrdete Gruppen) eine vierte Welle verlangsamen oder gar verhindern könnten. Dass eine bundesweite 2G-Regel, bei der nur Genesene und Geimpfte ins Kino, Restaurant oder zum Friseur dĂŒrften, tatsĂ€chlich eingefĂŒhrt wird, ist indes unwahrscheinlich. Aufhorchen dĂŒrften einige Politiker dennoch, wenn sich die Wirtschaftsweisen fĂŒr eine solche Regel aussprechen â um das Wachstum anzukurbeln.