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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Eine Krankenschwester erzählt Wie ist Weihnachten mit unheilbar Kranken, Frau Wehrhahn?

Sina Wehrhahn pflegt sterbende Menschen. Warum die Stimmung an Weihnachten eine ganz besondere ist und wie sie das Fest der Liebe mit unheilbar Kranken erlebt, erzählt die Krankenpflegerin im Interview.
Die Krankenschwester Sina Wehrhahn begleitet und pflegt gemeinsam mit ihrem Team unheilbar kranke Patienten auf der Palliativstation im Klinikum Oldenburg. Pflegepersonal, Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter versuchen, den Patienten auf körperlicher, seelischer und sozialer Ebene bestmöglich zu helfen.
Zur Weihnachtszeit entstehe auf der Station dann eine ganz besondere und emotionale Atmosphäre, beschreibt die Krankenschwester. Die 54-Jährige erzählt, wie es sich anfühlt und was für schöne und traurige Momente hier entstehen.
t-online.de: Frau Wehrhahn, Sie arbeiten an Heiligabend und dem ersten Weihnachtstag auf der Palliativstation. Mit wem verbringen Sie diese Tage?
Sina Wehrhahn: Über Weihnachten bleiben die Menschen bei uns auf der Station, die sich nicht mehr selbst versorgen können oder deren Angehörige sich nicht mehr in der Lage fühlen, sich fachgerecht um sie zu kümmern. Viele dieser Patienten möchten die Weihnachtszeit natürlich in ihrer häuslichen Umgebung verbringen und verhandeln regelrecht mit den Ärzten, ob sie nicht doch noch nach Hause dürfen. Das ist leider oft unmöglich. Manche Patienten haben aber auch keine Bezugsperson mehr und bleiben aus diesem Grund bei uns. Wir sind dann hier zusammen mit dem eingeteilten Pflegepersonal eine kleine Weihnachtsgemeinschaft. Generell versuchen wir es unseren Patienten zu ermöglichen, an Weihnachten zu Hause zu sein. Diese Zeit ist schließlich etwas ganz Besonderes.
Info: Die Palliativstation ist eine Abteilung in einem Krankenhaus. Auf der Palliativstation liegen Patienten, die unheilbar krank sind und nur noch eine begrenzte Lebenszeit haben. Auf der Station wird versucht, die bestmögliche Lebensqualität zu erhalten, indem zum Beispiel Symptome wie Schmerzen und Übelkeit gelindert werden. Auf der Station arbeiten Ärzte und Pfleger, aber auch Psychologen, um eine ganzheitliche Behandlung zu gewährleisten.
Wie unterscheidet sich die Arbeit in dieser besonderen Zeit zur restlichen Zeit im Jahr?
Bei uns liegen schwer kranke Menschen mit einer begrenzten Lebenszeit. Für die meisten wird es leider das letzte Weihnachtsfest sein, das sie erleben dürfen – und das wird ihnen und den Angehörigen gerade in dieser Zeit sehr bewusst. Die Stimmung zur Vorweihnachtszeit und an den Weihnachtstagen ist dann ganz anders und viel emotionaler. Es gibt viele schöne, besinnliche Momente. Um diese nachzuempfinden, muss man selbst dabei gewesen sein.
Wie würden Sie die Stimmung beschreiben?
Wir wissen nie, was uns erwartet, wenn wir den Dienst beginnen. Die Stimmung ist oft sehr emotional, aber dennoch individuell. Die Patienten und ihre Angehörigen versuchen, die Tage ganz bewusst zu erleben und die verbleibende Zeit zu genießen. Die Familien mit Kindern und Enkelkindern verlegen ihr traditionell geprägtes Weihnachtsfest von zu Hause auf das eigens geschmückte Patientenzimmer. In diesen Momenten geht es bei uns sehr fröhlich zu, die Stimmung kann aber schnell umschlagen und plötzlich schmerzlich bedrückend sein. Wir haben eine Wohnküche als Gemeinschaftsraum, der besonders an diesen Weihnachtstagen ein Treffpunkt für die Familien, Patienten und Mitarbeiter darstellt.
Das klingt traurig, aber auch schön …?
Das ist es. Dazu fällt mir noch ein passendes Beispiel ein: Letztes Jahr an Heiligabend hatten wir eine Patientin, deren Zustand sich plötzlich extrem verschlechterte. Niemand hatte an diesem Tag damit gerechnet. Wir erreichten noch rechtzeitig die Angehörigen, die sich am Heiligen Abend um ihr Bett versammelten. Alle waren still und es herrschte eine andächtige Ruhe. Und so hat ihre Familie sie begleitet, während sie starb. Danach saßen die Angehörigen noch im Gemeinschaftsraum beisammen. Meine Kollegin hatte vorher eine Suppe gekocht, die sie eigentlich mit den anderen Pflegekräften essen wollte. Am Ende haben sich Pflegepersonal und die Familie diese Suppe geteilt. Auch die Pastorin kam noch mit ihrem kleinen Sohn vorbei, der für die Runde Weihnachtslieder sang. Das war zwar ein trauriges Ereignis, aber dennoch ein friedvolles und sehr schönes Ende.
Wie gestalten Sie sonst die Weihnachtstage auf der Station mit den Patienten?
Wir schaffen eine weihnachtliche Atmosphäre, schmücken unsere Wohnküche und platzieren dort am ersten Advent einen Adventskranz. Später kommt noch ein Weihnachtsbaum dazu. Es ist dann richtig heimelig. Die meisten Patienten kommen gern dort zusammen, einige andere suchen eher die Stille und das Alleinsein. Auf der Station steht auch ein Klavier, auf dem unser Musiktherapeut oder Angehörige spielen können. Und die Krankenhausseelsorge organisiert Gottesdienste in unserer hauseigenen Kapelle. Über einen internen Radiosender können auch Patienten, die nicht mehr mobil sind, daran teilnehmen. Sie können sich außerdem ihr Weihnachtsessen selbst aussuchen und bekommen dazu einen Schokoweihnachtsmann. An Heiligabend verteilen wir noch ein kleines Geschenk des Krankenhauses – zum Bespiel ein Handtuch oder einen Kulturbeutel mit Inhalt.
Und Sie als Fachkrankenschwester sind rund um die Uhr präsent?
Auch Weihnachten müssen wir das Schichtsystem aus Früh-, Spät- und Nachtschicht abdecken – allerdings nur mit der Hälfte des Pflegepersonals. Emotional fühlen wir uns in dieser Zeit den Patienten noch näher verbunden und sind für sie da.
Sie zeigen viel Einsatz. Wird er von den Patienten und Angehörigen wahrgenommen?
Oh ja, die Angehörigen und Patienten wissen, dass wir nicht bei unseren Familien sein können und versuchen, sehr verständnisvoll zu sein. Sie möchten uns etwas zurückzugeben. So erreichen uns viele kleine Aufmerksamkeiten und Danksagungen. Mal steht ein Teller voller Süßigkeiten auf dem Tisch oder es wird ein Kuchen gebacken. Auch einen lieben Brief habe ich einmal bekommen – es ist ganz unterschiedlich. Die Patienten selbst geben uns ebenfalls viel. Es sind die kleinen Gesten: ein Händedruck, ein "Danke", ein lieb gemeinter Satz, ein Lächeln. Vor einiger Zeit hat mir ein Patient eine Lebensweisheit zugesteckt. Ich habe hier wirklich die kleinen Dinge schätzen gelernt.
Sie sagten, dass Sie gern zu dieser Zeit arbeiten. Vermissen Sie nicht Ihre eigene Familie?
Mein Sohn feiert dieses Jahr den Heiligabend und den ersten Weihnachtstag bei seinem Vater. Da wir in unserem Beruf auch die Feiertage abdecken müssen, ist es für mich in Ordnung, mit dieser kleinen, sich ergebenen Gemeinschaft bei der Arbeit beisammen zu sein. Ich arbeite mit einer netten Kollegin zusammen – vielleicht setzen wir auch eine Weihnachtsmütze auf. Am Ende meines Dienstes werde ich noch in einen Spätgottesdienst gehen, das ist dann die wertvolle Zeit nur für mich. An Heiligabend finde ich schön, wenn die jüngeren Kollegen mit kleinen Kindern frei haben. Ich habe mir dafür den zweiten Weihnachtstag bewusst freigenommen.
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Wie feiern Sie dann den zweiten Weihnachtstag?
Weihnachten ist ein christliches Fest und das Fest der Liebe. Es bedeutet für mich, Zeit mit der Familie und Freunden zu verbringen. Wir haben die lange Tradition, alle gemeinsam – mit Eltern, Tanten, Onkeln, Freunden und Hunden – im Schaumburger Land, meiner Heimat, eine lange Wanderung im Wald zu unternehmen. Unser Ziel ist der gemütliche Annaturm mit knisterndem Kamin. In dieser urigen, holzgetäfelten Waldgaststätte wird gemeinsam gegessen und das eine oder andere Weihnachtslied mit Freude angestimmt. Ich bin sehr eng mit meiner Familie verbunden, darum ist mir dieser Weihnachtstag so wichtig.
Das klingt wirklich schön. Vielen Dank, Frau Wehrhahn, für das Gespräch und schöne Weihnachtstage!
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.