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Brexit, Rassismus & Corona: Boris Johnson, der britische Bruchpilot


Brexit, Corona, Rassismus
Der britische Bruchpilot


Aktualisiert am 15.06.2020Lesedauer: 6 Min.
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Anti-Rassismus-Proteste, Corona, Brexit: Premierminister Boris Johnson hat gegenwärtig mit vielen Krisen zu kämpfen.Vergrößern des Bildes
Anti-Rassismus-Proteste, Corona, Brexit: Premierminister Boris Johnson hat gegenwärtig mit vielen Krisen zu kämpfen. (Quelle: dpa)

Großbritannien ist der Corona-Hotspot in Europa, es droht der harte Brexit, und auch die Anti-Rassismus-Proteste in den USA schlagen auf der Insel ein. Auch die britische Wirtschaft leidet, doch Premier Johnson handelt planlos.

Queen Elizabeth II. feiert ihren Geburtstag traditionell in der zweiten Juniwoche. Das britische Fernsehen zeigte am Samstag Bilder von der Militärparade zu Ehren des inzwischen 94-jährigen Staatsoberhauptes. Doch in diesem Jahr ist alles anders: Das Königshaus ist für die britische Bevölkerung die Verkörperung der schönen, heilen Welt. Einer Welt, die in Großbritannien derzeit nicht existiert.

So spürt auch die Königin an ihrem Ehrentag die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Keine große Militärparade, keine Menschenmassen, die der Queen vor dem Buckingham Palace zujubeln. In diesem Jahr feiert sie auf Windsor Castle, die Parade im Garten des Schlosses besteht aus weniger als 100 Soldaten.

Aber die Corona-Pandemie ist nicht die einzige globale Krise, die Großbritannien derzeit hart trifft. Nach dem Mord an George Floyd in den USA haben die Massenproteste auch die Insel erreicht, viele wütende Menschen demonstrieren auf der Straße. Sie zeigen: Auch Großbritannien hat ein großes Rassismus-Problem. Hinzu kommen immer größere wirtschaftliche Probleme, nach dem Stillstand in den Gesprächen mit der Europäischen Union droht im Januar der harte Brexit.

Für Boris Johnson sind die Krisen und Probleme im Land tickende Zeitbomben. Aber der britische Premierminister verunsichert die Bevölkerung zusätzlich mit Ignoranz, ein Symptom seiner Planlosigkeit.

Schwere Fehler im Kampf gegen Corona

Die schweren Konsequenzen dieser Ignoranz bekamen die Briten zu Beginn der Corona-Pandemie im März zu spüren. Das Virus erreichte die Insel, ähnlich wie Italien, im Januar. Aber im Gegensatz zu Italien gab es im Februar in Großbritannien noch keine größeren Infizierten-Zahlen.

Die britische Regierung nutzte diesen Vorsprung nicht und Boris Johnson weigerte sich nach dem massiven Anstieg der Erkrankungen zunächst, weitreichende Beschränkungen des öffentlichen Lebens zur Bekämpfung der Pandemie zu beschließen. Seine Strategie: Die britische Gesellschaft sollte schnell durch die Krise geschleust werden, indem durch eine Corona-Durchseuchung eine weitreichende Immunität in der Bevölkerung entsteht.

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Johnsons Plan schlug fehl: Im April explodierten die Infektionen auf der Insel, das britische Gesundheitssystem war überfordert. Auch dadurch ist Großbritannien mit 295.828 Infektionen und 41.747 Menschen, die mit dem Virus gestorben sind, die Corona-Hochburg in Europa (Stand: 13. Juni, 23 Uhr). In Anbetracht dieser Zahlen hat das Land längst die ehemaligen Infektionsherde Italien und Spanien deutlich überholt. Das liegt auch an der Fehlkalkulation von Boris Johnson.

Britische Wirtschaft in der Krise

Neben der Bevölkerung steht vor allem auch die britische Wirtschaft unter Schock. Wie das Statistikamt ONS mitteilte, schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt in Großbritannien im April um 20 Prozent im Vergleich zum Vormonat. Es ist der größte Einbruch von Monat zu Monat, der jemals verzeichnet wurde und drei Mal so groß wie bei der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/09. Im Vergleich zu Februar war das britische Bruttoinlandsprodukt im April sogar um ein Viertel kleiner. Die Produktion brach in allen Bereichen ein.

Für kommende Woche hat Premierminister Boris Johnson weitere Lockerungen der Ende März eingeführten Kontaktbeschränkungen angekündigt. Beispielsweise sollen Läden wieder öffnen dürfen. Heftige Kritik gibt es aber an einer 14-tägigen Quarantänepflicht für alle Einreisenden, die seit Beginn dieser Woche in Kraft ist. Auch die Pflicht zur Einhaltung eines Abstands von zwei Metern trifft auf scharfe Kritik.

Die britische Regierung kämpft momentan gegen die Pandemie und gegen die wirtschaftliche Rezession. Johnson, der den Briten eine neue wirtschaftliche Blütezeit nach dem Brexit versprach, muss nun vielleicht die schwerste wirtschaftliche Krise des Landes seit dem Zweiten Weltkrieg bewältigen. Die Schwäche der Ökonomie bringt Großbritannien auch in eine schlechte Verhandlungsposition in den Brexit-Verhandlungen mit der EU.

Stillstand beim Brexit

Als Brexiteer der ersten Reihe hat Johnson für den EU-Austritt gekämpft und der Bevölkerung Versprechungen gemacht, die er nun nicht erfüllen kann. Spätestens seit Corona steht fest: Der Brexit zum jetzigen Zeitpunkt ist für die gebeutelte britische Wirtschaft ein Himmelfahrtskommando. Doch das politische Vermächtnis für Johnson wird die Bewältigung des EU-Austritts sein, auch deshalb bleibt der Premierminister auf Kurs, zur Not in Richtung eines harten Brexits.

Die EU und Großbritannien hatten ein Jahr Zeit, um die gegenseitigen Beziehungen nach dem 1. Januar 2021 zu regeln. Der Zeitplan war schon vor Corona ehrgeizig, durch die Pandemie blieb viel Zeit ungenutzt, die Verhandlungen sind festgefahren.

Die EU weiß von der angeschlagenen britischen Wirtschaft und bleibt bei Zugeständnissen gegenüber des ehemaligen Mitgliedes hart. Die britische Regierung kontert, bringt erneut den harten Brexit als Option ins Gespräch. Der britische Kabinettsminister Michael Gove bestätigte am Freitag formell, die Übergangsperiode nicht zu verlängern. Der Zeitpunkt dafür sei verstrichen: "Am 1. Januar 2021 werden wir wieder die Kontrolle übernehmen und unsere politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit wiedererlangen", twitterte Gove. Großbritannien hat zugleich seine Pläne für vollständige Grenzkontrollen im Warenverkehr mit der EU zum 1. Januar fallengelassen. Stattdessen sollen sie stufenweise bis zum 1. Juli 2021 eingeführt werden, um der Wirtschaft mehr Zeit zur Umstellung zu geben.

Großbritannien versucht damit vor einer geplanten Videokonferenz mit Johnson, Kommissionschefin Ursula von der Leyen und EU-Parlamentspräsident David Sassoli, Druck auf die EU aufzubauen. Die Regierung in London kündigte an, man habe einem beschleunigten Zeitplan für die Handelsgespräche zugestimmt. Vom 29. Juni bis zum 27. Juli solle es wöchentliche Sitzungen geben, "ein Mix aus formellen Verhandlungsrunden und kleineren Gruppentreffen".

Aber die nun intensiveren Verhandlungen kommen nicht von ungefähr, in der Corona-Krise und ihren wirtschaftlichen Konsequenzen sind EU und Großbritannien auf eine Einigung angewiesen. Durch die gegenwärtige Situation im Land drängt die Zeit für die Briten besonders. Das weiß auch Johnson, der jedoch die erforderlichen Zugeständnisse den Brexit-Hardlinern und seinem gespaltenen Land verkaufen muss.

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Johnson ignoriert Rassismus im Land

Johnson profitiert politisch von dieser Spaltung im Land, weil er beispielsweise mit seiner kompromisslosen Brexit-Politik die Mehrheit der Konservativen im Land hinter sich vereinen kann. Das macht ihn jedoch, ähnlich wie Präsident Donald Trump in den USA, für die Probleme seines Landes blind, die sich schlagartig in Form von massiven Protesten auch auf der Insel niederschlagen.

Der Mord an George Floyd durch einen Polizisten in den USA Ende Mai hat zu globalen Solidaritätsbekundungen und Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt geführt. In Großbritannien sind viele wütende Menschen auf der Straße, denn auch die Insel hat ein Rassismusproblem. Am Samstag gab es London und in vielen anderen britischen Städten erneut Proteste der "Black Lives Matter"-Bewegung, andererseits hatten auch rechtsextreme Gruppen zu Kundgebungen in der Hauptstadt geladen.

In puncto Problembewusstsein scheint die britische Bevölkerung aber der eigenen Regierung mindestens einen Schritt voraus zu sein. Eine kürzlich erhobenen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov kam zu dem Ergebnis, dass nur sechs Prozent der Briten denken, nicht in einer rassistischen Gesellschaft zu leben. Vorige Umfragen vor dem Floyd-Mord kamen schon zu ähnlichen Befunden.

Doch die britischen Konservativen reagierten auch auf die Massenproteste mit Ignoranz. Anstatt die Probleme ernst zu nehmen und die Bevölkerung miteinander zu versöhnen, schäumte man in London vor Wut, als beispielsweise Anfang Juni in Bristol eine Statue von dem ehemaligen britischen Sklavenhändler Edward Colston vom Sockel gehoben und im Hafen versenkt wurde.

Johnson sprach darauf von "Rücksichtslosigkeit". "Absolut skandalös", schimpfte Innenministerin Priti Patel. Das Königreich kämpft im Zuge dieser Protestwelle auch mit seiner Vergangenheit als Kolonialmacht, und trotz eines geschichtlichen Studiums hat der Premier eine eigentümliche Sicht auf die britische Vergangenheit. Im Jahr 2002 schrieb er in einer Zeitungskolumne, das Problem Afrikas sei nicht, dass Briten dort einst das Sagen hatten – sondern dass sie dort heute nichts mehr zu sagen hätten. In anderen Artikeln verwendete er Beschreibungen wie "Negerkinder" und deren "Wassermelonen-Lächeln".

Die gespaltene Insel

Während der gegenwärtigen Proteste war es zunächst ruhig um den Premier geworden. Doch am Freitag verurteilte Johnson Gewalt gegenüber Polizisten und den Vandalismus einiger Demonstranten. "Die Proteste wurden leider von Extremisten mit gewalttätigen Absichten gekapert", schrieb Johnson auf Twitter. Die Attacken auf Polizisten und andere gewaltsame Vorfälle in der vergangenen Woche seien "unerträglich" und "abscheulich".

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Außerdem empörte er sich über einen Angriff auf eine Statue des früheren Premiers Winston Churchill im Zentrum Londons. Aktivisten hatten auf das Denkmal den Schriftzug "War ein Rassist" gesprüht. Es sei "absurd und beschämend", dass die Statue Angriffen ausgesetzt sei, erklärte Johnson. Churchill führte Großbritannien im Zweiten Weltkrieg im Kampf gegen das nationalsozialistische Deutschland.

Letztlich resultiert die momentane Gewalt auf den Straßen des Königreiches aber auch aus der Ignoranz von Boris Johnson. Es ist aber falsch, dafür den Premier zum alleinigen Sündenbock zu erklären. Die Krisen in Großbritannien sind Sinnbild der Planlosigkeit und der Unfähigkeit der Konservativen im Land, auf die Probleme relevanter Bevölkerungsteile einzugehen. Der Premierminister ist vor allem daran interessiert, seine Machtbasis in den eigenen Reihen zu festigen, aber das löst die Probleme im Land nicht. Im Gegenteil: Die politischen Zeitbomben auf der Insel ticken weiter.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Mit Material von Reuters und dpa
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