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Ukraine-Krieg: Präsident Wladimir Putin sitzt in der Falle


Krieg in der Ukraine
Putin sitzt in der Falle

Von Patrick Diekmann

07.03.2022Lesedauer: 6 Min.
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Wladimir Putin: Der Präsident gerät in Russland wegen des Angriffes auf die Ukraine zunehmend unter Druck.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Der Präsident gerät in Russland wegen des Angriffes auf die Ukraine zunehmend unter Druck. (Quelle: imago-images-bilder)

Beim Angriff der russischen Armee auf die Ukraine läuft vieles schief. In Russland wächst der Unmut, der Kreml reagiert mit äußerster Gewalt – im Krieg und gegen die eigene Bevölkerung. Wie groß ist der Druck auf Putin?

Sie liegen am Boden, bekommen Stromschläge verpasst. Bevor sie abgeführt werden, treten ihnen Polizisten gegen den Kopf und schlagen mit Knüppeln zu. Diese Gewalt droht den Menschen derzeit bei Antikriegsprotesten in Russland – weil Präsident Wladimir Putin es so will. Wer schließlich verhaftet wird, der muss nach neuer Gesetzgebung außerdem bis zu 15 Jahre Haft fürchten.

Trotzdem haben allein am Sonntag Tausende Menschen in 50 russischen Städten gegen den Krieg in der Ukraine demonstriert. Bürgerrechtler sprachen danach von 4.400 Verhaftungen, der Kreml von 1.600.

Der Ärger wächst: Immer mehr Menschen in Russland haben mittlerweile erkannt, dass ihr Land in einen Krieg gegen ihr "Brudervolk" gezogen ist. Sie merken, dass Russland international isoliert ist und spüren die harten Sanktionen des Westens.

Der Kreml reagiert und lässt die Meinungsfreiheit im Land massiv einschränken. Putin verkauft das als Reaktion auf die Maßnahmen des Westens, aber es ist vor allem eines: ein Eingeständnis, dass Moskau die Kommunikation in dem Konflikt nicht unter Kontrolle hat.

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Im Gegenteil. Es wirkt, als sei Putin dabei, den Informationskrieg zu verlieren. Der Druck auf den Präsidenten wird größer; er reagiert darauf mit Repression. In den vergangenen Tagen erlebte Russland eine neue Stufe der Zensur.

Putin verliert Propagandakrieg

Die Opfer sind nicht nur westliche Medien oder soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter, sondern auch vergleichsweise freie russische Medien wie der Radiosender Echo Moskwy.

Manipulation der Medien war stets ein wichtiges Standbein für Putins Macht. Er brachte die Staatssender unter seine Kontrolle und war gleichzeitig äußerst geschickt darin, sich selbst zu inszenieren und politische Gegner zu diskreditieren. So wurde er vor Wahlen gerne zum oberkörperfreien Großwildjäger oder zum Schatztaucher, seine Kritiker hingegen zu drogenabhängigen Vaterlandsverrätern.

Um sich in der eigenen Bevölkerung die Legitimation für den Ukraine-Krieg zu sichern, setzte der Kreml auf zwei tief verwurzelte Feindbilder: ein angebliches Naziregime und die USA, die Russland ohnehin nur kleinhalten würden. Das verfängt, denn viele Menschen haben sowjetische Kindergärten und Schulen besucht, in denen ihnen jeden Morgen vermittelt wurde, wie menschenverachtend der Westen und insbesondere die Amerikaner sind.

Russlands Kommunikation ergibt keinen Sinn

Deshalb steht in Russland auch weiterhin ein großer Teil der Bevölkerung hinter Putin und seinem Kriegskurs. Besonders in der Provinz scheinen viele dem Narrativ des Kremls von der Bedrohung durch die Nato und dem angeblichen Naziregime in der Ukraine zu glauben. Wie das exakte Stimmungsbild aktuell in ganz Russland ist, bleibt jedoch weitgehend unklar. Denn viele Menschen trauen sich schlichtweg nicht, ihre Meinung offen zu sagen – aus Angst vor Repressionen.

Auch wenn die internationale Gemeinschaft es sich anders wünschen würde: Russland hat über 144 Millionen Einwohner; Zehntausende Demonstranten sind angesichts der Kriegsverbrechen ihres Präsidenten deshalb nicht viele. Momentan sind es vor allem junge Menschen, die aufgeklärte Mittelschicht und Unternehmer, die in den russischen Städten auf die Straße gehen.

Putins Propaganda bekommt jedoch zusehends mehr Probleme:

  • Die russische Generalität hatte mit einem schnellen Kriegssieg gerechnet und den Überfall auf die Ukraine als "Militäroperation gegen ukrainische Nationalisten" verkauft. Russische Staatsmedien hatten die Siegesnachricht schon vorbereitet und fälschlicherweise vier Tage nach Kriegsausbruch veröffentlicht. Das war peinlich für den Kreml.
  • Dass Politiker wie Außenminister Sergej Lawrow nun doch von einem "Kriegsgebiet" in der Ukraine sprechen müssen, liegt auch an den vielen russischen Todesopfern. Moskau spricht inzwischen von Hunderten toten russischen Soldaten, Kiew von bis zu 13.000. Es ist wahrscheinlich, dass die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegt.
  • Bilder des Krieges werden umfangreich in den sozialen Medien geteilt. Dabei sind nicht nur die Abschüsse von russischen Panzern und Flugzeugen zu sehen, sondern auch die ukrainische Zivilbevölkerung. Sie wehrt sich und ruft den russischen Soldaten "Haut ab!" entgegen. Das passt nicht in das Bild eines "Befreiungskrieges".
  • Hinzu kommen Videos von Opfern in der Zivilbevölkerung, zerbombten Städten und Geflüchteten, die die russische Bevölkerung nicht sehen soll. Und die weltweiten Proteste, auf denen Putin mit Adolf Hitler verglichen wird.
  • Die Ukraine macht gute Kriegspropaganda. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wirkt wie ein Kriegsheld, der sich einem aussichtslosen Kampf stellt. Das kommt auch in Teilen der russischen Bevölkerung an. Auch, weil er die russische Bevölkerung direkt auf Russisch anspricht.
  • Zusätzlich beging der Kreml Kommunikationsfehler, wie beispielsweise Selenskyj als Nazi darzustellen. Schließlich ist er Jude, Außenminister Lawrow musste in einer Pressekonferenz am Freitag zumindest etwas zurückrudern. Selenskyj habe die Nationalisten im Land hofiert und gefördert, heißt es nun.
  • Bislang konnte Russland keine Belege für einen angeblichen Genozid an der russischsprachigen Bevölkerung vorlegen. Der Vorwand für den Angriff verliert auch im Inland an Glaubwürdigkeit.

"Wusste nicht, dass ich in einen Krieg fahre"

Zusammengefasst ist der Krieg für den Kreml ein Propaganda-Albtraum – und mit jedem toten russischen Soldaten steigt das Misstrauen gegenüber der öffentlichen Darstellung in Russland.

Besonders gefährlich für Putin sind dabei die Verhöre der russischen Soldaten in Kriegsgefangenschaft, die die Ukraine veröffentlicht hat. Sie äußern sich alle ähnlich: "Ich wusste nicht, dass ich in einen Krieg fahre." Die Armeeführung haben ihnen nur gesagt, dass sie zu einem Manöver ausrücken würden. Es ist unklar, ob diese Aussagen unter Zwang stattfanden, trotzdem richten sie großen Schaden an.

In der Bevölkerung weckt das schlechte Erinnerungen: Auch in der Sowjetunion wurden die Soldaten nicht vorher informiert, wenn sie in den Krieg zogen. Einige dachten, dass sie zum Militärdienst müssten und befanden sich ab 1979 plötzlich in Afghanistan.

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Da ist es wenig überraschend, dass sich auch Berichte über ein Moralproblem unter den russischen Soldaten häufen. Nachrichten oder Videos, die dem Narrativ aus dem Kreml widersprechen, könnten viele junge Soldaten weiter ins Grübeln bringen. Auch deshalb ist es keine Überraschung, dass die Arbeit der Medien weiter eingeschränkt wird.

Wie sich die Situation in den kommenden Tagen entwickeln wird, ist kaum absehbar. Es ist auf jeden Fall unwahrscheinlich, dass die Friedensbewegung aus der Zivilbevölkerung allein in der Lage wäre, Putin zum Rückzug oder gar zum Rücktritt zu zwingen. Dazu bräuchte es Widerstand aus dem innen Machtzirkel im Kreml. Und dort scheinen die jahrelangen Getreuen von Putin noch immer auf der politischen Linie des Präsidenten.

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Welche Möglichkeiten hat Putin?

Sorgen muss sich der Präsident eher um die mittelfristigen Folgen seines Krieges machen. Die Nato rüstet nun militärisch auf, Ausfälle der Exporte von Erdöl und Gas hätten katastrophale Folgen für die russischen Staatseinnahmen. Und Putin ist international isoliert und wird es nach seinen Kriegsverbrechen auf absehbare Zeit auch bleiben.

Selbst wenn die russische Armee die ganze Ukraine erobern sollte, gibt es kaum eine Strategie, mit der Russland aus der Misere kommen könnte. Es drohen Proteste und Partisanenkämpfe.

Drei Szenarien wären für die russische Führung denkbar:

  1. Putin erobert die ganze Ukraine und installiert eine Marionettenregierung in Kiew: Russland würde hart gegen russlandkritische Bevölkerungsteile vorgehen und wahrscheinlich müssten Menschen aus Russland in die Ukraine umgesiedelt werden, um für Akzeptanz für eine neue Führung zu sorgen.
  2. Russland erobert Kiew, die Landbrücke von der Krim zum Donbass und die Küstenregion zum Schwarzen Meer: In russischen Staatsmedien wird bereits eine Teilung der Ukraine diskutiert. Damit könnte Putin den Bevölkerungsteil, der die russische Herrschaft nicht anerkennt, in den Westen vertreiben.
  3. Putin lässt die ukrainischen Städte belagern und beschießen, um in Verhandlungen Zugeständnisse zu erpressen: Bislang hat die russische Armee die größeren Städte in der Ukraine noch nicht erobert. Kein Soldat möchte Häuserkämpfe führen und das würde auch ein Blutbad auf russischer Seite bedeuten.

Unter eines dieser drei Szenarien kann Putin kaum zurück. Er sitzt jetzt in einer Falle, die er sich selbst gebaut hat. Nach der Kriegspropaganda und den Lügen über das Naziregime kann er sich aus innenpolitischen Gründen mit der ukrainischen Regierung nicht einfach wieder versöhnen. Zu viele russische Soldaten sind schon gestorben. Putin braucht einen "Sieg", sonst ist das der Anfang vom Ende seiner Herrschaft.

Putin ist Judokämpfer, den Sport beschrieb er stets als "charakterbildend". "Man muss seinen Gegner respektieren, auch wenn er schwach wirkt. Der kleinste Fehler kann fatale Folgen haben", sagte er einst. Hätte er nicht den ukrainischen Widerstand und die heftige Reaktion des Westens unterschätzt, wäre vielen Menschen viel Leid erspart geblieben – vor allem in der Ukraine, aber auch in Russland.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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