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Boris Johnson tritt zurück: Die Ukraine verliert ihren Helden


Johnson tritt zurück
Die Ukraine verliert ihren Helden


07.07.2022Lesedauer: 4 Min.
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Boris Johnson (l) und Wolodymyr Selenskyj: Die Ukraine dankt dem britischen Premier.Vergrößern des Bildes
Boris Johnson (l) und Wolodymyr Selenskyj: Die Ukraine dankt dem britischen Premier. (Quelle: Zuma Wire/imago-images-bilder)

Entschlossen und kämpferisch stellte sich Boris Johnson stets hinter die Ukraine. Das Land zeigt sich schockiert von seinem Rückzug – anders als Russland.

Boris Johnson hat sein Amt als Tory-Chef am Donnerstag abgegeben und damit bei vielen Briten für Aufatmen gesorgt. Wochenlang hatte der britische Premier unter massivem Druck gestanden. In der Ukraine fällt die Reaktion auf Johnsons Rücktritt, der der Ukraine immer wieder Unterstützung zugesichert hatte, anders aus. Dort drängt sich die Frage auf: Hat seine Entscheidung Einfluss auf den Ukraine-Krieg?

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dankte Johnson nach Angaben aus Kiew für dessen "kompromisslose Unterstützung" seit Beginn des russischen Angriffskriegs Ende Februar. Er habe die Nachricht von Johnsons Rücktritt mit Trauer vernommen. "Nicht nur ich, sondern die ganze ukrainische Gesellschaft, die sehr mit Ihnen sympathisiert." Er zweifle nicht an der weiteren Unterstützung Großbritanniens. "Aber Ihre persönliche Führung und Ihr Charisma haben sie zu etwas Besonderem gemacht", sagte Selenskyj einer Mitteilung zufolge.

Johnson war am Donnerstag wegen des massiven Drucks von seiner Partei von seinem Amt als Vorsitzender der britischen Konservativen zurückgetreten. Üblicherweise bleibt der scheidende Premier so lange im Amt, bis ein Nachfolger gewählt wird. Doch dagegen regt sich den Berichten zufolge Widerstand. Lesen Sie hier mehr dazu.

Johnson zu Selenskyj: "Sie sind ein Held, jeder mag Sie"

Der britische Premier gilt als einer der glühendsten Unterstützer der ukrainischen Regierung in ihrem Kampf gegen den russischen Angriffskrieg. Er sicherte Selenskyj am Donnerstag die ungebrochene Unterstützung des Vereinigten Königreichs zu. Wie eine Regierungssprecherin am Donnerstag sagte, habe Johnson im Telefonat versichert, dass Großbritannien so lange wie nötig wichtige "Defensivhilfe" leisten werde.

Er werde zudem gemeinsam mit Partnern und Verbündeten daran arbeiten, die russische Blockade von ukrainischen Getreidelieferungen zu lösen. Johnson hatte Selenskyj seit Kriegsbeginn zweimal in Kiew getroffen. Zum Abschluss des Gesprächs habe der Premier gesagt: "Sie sind ein Held, jeder mag Sie."

Johnson demonstrierte seit Beginn des Krieges immer wieder seine Unterstützung für die Ukraine – sowohl mit Taten als auch mit Worten. Ende Juni teilte er mit, Großbritannien wolle der Ukraine für ihren Abwehrkampf gegen Russland weitere Luftabwehrsysteme, Drohnen und andere Militärausrüstung liefern.

"Britische Waffen, Ausrüstung und Training transformieren die ukrainische Verteidigung gegen diesen Angriff", sagte der Premier. Man stehe weiter hinter dem ukrainischen Volk, um sicherzustellen, dass Russlands Präsident Wladimir Putin in der Ukraine scheitere. Konkret kündigte London militärische Hilfe von einer Milliarde Pfund (1,16 Mrd. Euro) an – zusätzlich zu den bisher zugesagten 1,3 Mrd. Pfund (1,51 Mrd. Euro).

Johnson wird in der Ukraine als Held gefeiert

Am Dienstag twitterte Johnson: "Ich glaube, dass das ukrainische Militär das Territorium zurückerobern kann, das Putins Truppen gerade eingenommen haben." Mit Aussagen wie diesen zeigt sich der britische Premier zumeist kämpferischer als etwa Bundeskanzler Olaf Scholz.

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In der Ukraine kommt das offenbar gut an: Nach seinen Besuchen im Kriegsgebiet bekam Johnson den Spitznamen "Johnsoniuk". Der ukrainische Reporter Illia Ponomarenko vom "Kyiv Independent" schrieb erst vor wenigen Tagen auf Twitter über Johnson: "Ich weiß, dass viele von euch ihn hassen, aber er ist zu 100 Prozent der beliebteste ausländische Politiker hier in der Ukraine." Er werde scherzhaft der "glorreiche Kosakenfreund Boris Johnsoniuk" genannt. "iuk" ist ein typisches Suffix in ukrainischen Nachnamen.

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Um Johnson zu ehren, benannten die Ukrainer im April zudem eine Straße nach ihm. Die Wladimir-Majakowski-Straße in Fontanka, ein Vorort von Odessa, heißt nun Boris-Johnson-Straße. Die Begründung: "Der Premierminister des Vereinigten Königreichs ist einer der entschiedensten Gegner der russischen Invasion, ein Vorreiter bei den Sanktionen gegen Russland und bei der Verteidigungshilfe für die Ukraine. (...) Wir haben einen neuen Helden."

Croissant wird nach Johnson benannt

Die Stadt Odessa verlieh Johnson Anfang Juli den Titel "Ehrenbürger". Hätte die gesamte Weltgemeinschaft die gleiche Position wie die Briten eingenommen, hätten die Ukrainer die Invasoren schon längst besiegt, sagte der Bürgermeister Gennadiy Trukhanov.

Auch ein Café in der Hauptstadt Kiew signalisierte starke Sympathie für Johnson – und brachte kurzerhand ein "Boris-Johnson-Croissant" anlässlich des Misstrauensvotums im Juni heraus. Baiser und Vanilleeis sollten dabei an die Frisur des britischen Premiers erinnern, hieß es bei Twitter.

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Der ukrainische Regierungsberater Michail Podoljak dankte Johnson am Donnerstag in einer Videobotschaft dafür, dass er das "russische Böse" beim Namen genannt und Verantwortung übernommen habe. Er sei immer in vorderster Reihe dabei gewesen, die Ukraine zu unterstützen.

Der ukrainische Botschafter in Österreich, Olexander Scherba, schloss sich dem Lob an und twitterte: "Viele meiner Freunde hassten Boris Johnson für seine Rolle beim #Brexit. Ehrlich gesagt mochte ich ihn dafür auch nicht. Aber mein Gott, er hat das Richtige in Sachen #Ukraine getan. Und ich bin mir nicht sicher, ob er dazu in der Lage gewesen wäre, wenn das Vereinigte Königreich noch in der EU wäre. Wie auch immer, danke, Boris!"

Russland hat nur Häme für Johnson übrig

Ganz anders als die ukrainische Regierung reagierte erwartungsgemäß die russische Seite auf Johnsons Rückzug – und bejubelte diesen mit Häme. "Die 'besten Freunde der Ukraine' gehen. Der 'Sieg' ist in Gefahr!", schrieb der Vizechef des russischen Sicherheitsrates, Ex-Präsident Dmitri Medwedew, am Donnerstag im Nachrichtendienst Telegram.

Johnsons Abgang sei das "rechtmäßige Ergebnis britischer Unverfrorenheit und niveauloser Politik. Besonders auf internationalem Feld", meinte Medwedew. Er schrieb, dass vielleicht weitere Verbündete der Ukraine wegbrechen könnten. "Wir warten auf Neuigkeiten aus Deutschland, Polen und dem Baltikum", so der frühere Staatschef. Allerdings wackeln dort die Regierungen nicht.

Kremlsprecher Dmitri Peskow sprach von einer schweren Krise in Großbritannien. "Was Herrn Johnson selbst angeht, so mag er uns überhaupt nicht. Und wir ihn auch nicht", sagte Peskow der Agentur Interfax zufolge. Zugleich äußerte er die Hoffnung, dass in Großbritannien irgendwann "professionellere Leute" an die Macht kämen, die auch die Notwendigkeit von Dialog verstünden. "Aber im Moment ist darauf kaum zu setzen."

Verwendete Quellen
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