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Nato, Russland und China ringen um die Arktis: Es droht der nächste Knall


Krieg in der Arktis?
Der nächste große Knall droht im Norden

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 10.01.2023Lesedauer: 9 Min.
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Es geht um Einfluss und Macht: Diese abgelegene Region birgt ein großes Konfliktpotenzial. (Quelle: t-online)

Im Schatten des Ukraine-Krieges ringen Nato, Russland und China um die Vorherrschaft in der Arktis. Die Region wird zunehmend militarisiert – und das ist brandgefährlich.

Für viele Menschen ist sie das Thermometer der Klimakrise – der Ort, an dem uns die Eisschmelze stets daran erinnert, wie ernst die Lage ist. Aber die Arktis ist mittlerweile auch zu einem geostrategischen Hotspot geworden. Das Eis schmilzt, und es entsteht ein neuer Verkehrs- und Wirtschaftsraum, der bei vielen Nationen Begehrlichkeiten weckt.

Das Problem am nördlichen Polarkreis: Während die Erdtemperatur immer weiter steigt, haben sich die Beziehungen zwischen den Großmächten, die auch in der Arktis um Einfluss konkurrieren, immer weiter abgekühlt. Die Folge: Ein massives Sicherheitsrisiko.

Das Tischtuch zwischen Russlands Präsident Wladimir Putin und dem Westen ist nach dem russischen Angriff auf die Ukraine zerschnitten. Das gegenseitige Misstrauen wirkt sich auf die Arktis aus, denn auch am Polarkreis rüsten alle Seiten militärisch auf. Daneben versucht China, unter dem Deckmantel der Klimaforschung seinen Einfluss in der Region stets weiter auszubauen.

Die Nato, Russland und China streiten sich vor allem um Rohstoffe und um die Kontrolle über die mutmaßlich wichtigste Handelsroute der Zukunft. Die Folgen dieses Konfliktes sind verheerend: Je schneller das Eis in der Arktis schwindet, desto größer scheint auch die Kriegsgefahr im Norden zu werden. Kompromisse sind nicht in Sicht.

Region des Friedens und des Austauschs?

Dabei interessierte sich lange Zeit kaum jemand für die Arktis. Neben wenigen indigenen Völkern waren es hauptsächlich Forscher, Abenteuerlustige oder einige Naturliebhaber, die sich in den kalten und rauen Norden verirrten. Das änderte sich erst Ende des vergangenen Jahrhunderts.

Damals verfolgte man einen Menschheitstraum: Die Arktis sollte – allen Konflikten auf der Welt zum Trotz – eine Region des Friedens und des Interessenausgleichs zwischen den Anrainerstaaten und der indigenen Bevölkerung bleiben. In diesem Sinne wurde auch 1996 der Arktische Rat gegründet – von Russland, den USA, Kanada und den skandinavischen Ländern. Deutschland ist als Beobachter in dem Rat, ähnlich wie China.

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In dem Rat sollten die Kooperation zwischen den Nationen, die nachhaltige Entwicklung der Arktis und der Umweltschutz in der Region koordiniert werden. Dieser Austausch ist für den nördlichen Polarkreis ungemein wichtig, denn immerhin treffen hier alle Großmächte aufeinander. China, die USA, Kanada, Russland und die europäischen Nato-Mitglieder Norwegen und Dänemark – Grönland ist autonomer Teil des dänischen Königreiches.

Handelsrouten, Rohstoffe: Deswegen ist die Arktis so wichtig

Aber der Traum von einer internationalen Kooperation und einem Interessenausgleich weicht inzwischen zunehmend dem wachsenden Streben der Großmächte nach Profit und Macht in der Region.

Das hängt in der Arktis vor allem mit drei Faktoren zusammen:

  • In der Arktis befinden sich 30 Prozent der unentdeckten Ergas- und 15 Prozent der unentdeckten Erdölvorkommen, schätzen Wissenschaftler. Hinzu kommen seltene Erden, die in der Weltwirtschaft für die Produktion moderner Technologie immer wichtiger werden. Durch die Eisschmelze wird der Abbau dieser Rohstoffe zunehmend attraktiv.
  • Noch wichtiger als die Rohstoffe: Das schwindende Eis ermöglicht neue Handelsrouten zwischen Asien und Europa, die extrem lukrativ werden. Der Handel läuft größtenteils über den Seeweg und ein Schiff braucht aktuell von Shanghai nach Hamburg 25 Tage. Noch ist die Nordostpassage am Polarkreis ganzjährig wegen des Eises nur für wenige Schiffe passierbar, aber in Zukunft wird eine Fahrt von Shanghai nach Hamburg über diese Route in 15 Tagen möglich sein. Die Großmächte wissen: Wer den Handel kontrolliert, hat in Konflikten immer ein Druckmittel.
  • Daneben stehen sicherheitspolitische Interessen, vor allem für die Nato und Russland. Russische Mittelstreckenraketen können aus dem Polarkreis leicht den US-Bundesstaat Alaska erreichen, und russische Atom-U-Boote starten aus dem Norden in den Atlantik und sind damit ein wichtiges Puzzlestück im russischen Raketenschirm. Die Großmächte verfolgen demnach auch geostrategische Ziele in der Arktis.

In der Summe führen diese Interessen dazu, dass es seit einigen Jahren zu Machtdemonstrationen, militärischen Muskelspielen und zu verdeckten Operationen einiger Mächte in der Arktis kommt, mit denen sie einen möglichst großen Teil des Polargebietes unter ihre Kontrolle bringen wollen. Der Traum einer friedlichen internationalen Zone des Interessenaustauschs und der Kooperation scheint mit zunehmender Eisschmelze ausgeträumt zu sein.

Arktis ist Spielball der Großmächte

Vor allem Putin und sein chinesischer Amtskollege Xi Jinping geben sich mit dem gegenwärtigen Status Quo nicht zufrieden. Aber auch die Nato-Staaten kämpfen um Einfluss in der Arktis.

1. China

China interessiert sich erst seit den 80er-Jahren aktiv für die Arktis. Zunächst versuchte es Peking mit Wissenschaftsdiplomatie, um am nördlichen Polarkreis Fuß zu fassen. Und das war nicht einmal nur Fassade, denn die Klimakrise sorgt auch in der Volksrepublik für große Sorgen, weil Millionenmetropolen wie Shanghai immer häufiger von Hochwasser oder Hitzewellen heimgesucht werden.

Trotzdem verfolgt die chinesische Führung aber vor allem knallharte wirtschaftliche Interessen. Die Volksrepublik ist durch Wirtschaftswachstum und durch Export zu einer Supermacht geworden. Die Kontrolle über den globalen Handel möchte Xi festigen und ausbauen – vor allem mit Projekten wie der Neuen Seidenstraße. In der Arktis soll dagegen eine "Polare Seidenstraße" entstehen – zumindest wenn es nach dem Willen Pekings läuft. Der Grund dafür ist klar: Eine Blockade des Welthandels könnte China in die Knie zwingen, und deshalb möchte die chinesische Führung die Handelsrouten nicht der Kontrolle der US-Marine überlassen. Immerhin sieht man sich in einem globalen Wettstreit mit den USA.

Für Peking sind aber auch die seltenen Erden interessant. Schon jetzt kontrolliert China den globalen Markt mit den Rohstoffen und möchte dieses Monopol auf keinen Fall verlieren.

Einfach war der chinesische Vorstoß in den Polarkreis allerdings nicht. Der nördlichste Punkt der Volksrepublik ist 1.400 Kilometer vom Polarkreis entfernt, und deswegen stößt die Rechtmäßigkeit der chinesischen Ansprüche in der arktischen Region weltweit eher auf Skepsis. Warum meldet China Ansprüche im Norden an, und viele andere Länder können das nicht? Diese Frage kann Peking eher nicht beantworten.

Trotzdem ist mit der Machtübernahme von Xi das chinesische Interesse an der Arktis massiv gestiegen. Zwar kaufte die chinesische Regierung bereits 1993 ihren ersten Eisbrecher Xue Long und rüstete ihn zu einem Polarforschungsschiff um. Aber unter Xi gab sich China selbst die Bezeichnung "arktisnaher Staat" und baute bis 2019 den zweiten Eisbrecher Xue Long 2.

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China geht bei seinen machtpolitischen Vorstößen in der Arktis jedoch relativ subtil und vorsichtig vor. Es schickt nicht einfach Kriegsschiffe, sondern Wissenschaftler. Den Zugang sicherte sich die Volksrepublik über eine Besonderheit im Spitzbergen-Vertrag von 1920, der bis heute die norwegische Souveränität über das Archipel regelt. Demnach hat Norwegen vertraglich zugesagt, dass alle Vertragsstaaten in der Region Spitzbergen wirtschaftlich tätig sein dürfen. Deswegen konnte Peking 2004 die Polaranlage "Gelber Fluss" bauen, die einerseits als Forschungsstation dient, mit der China aber insbesondere vor Ort Präsenz zeigen und globales Networking im Polarkreis betreiben will.

Seither versucht China vor allem eines: Es möchte seinen Einfluss in der Region ausbauen. Chinesische Unternehmen investieren in skandinavische und russische Hafenanlagen, sie versuchen, vor allem Land in Wassernähe zu kaufen. China half Island 2009 im Kampf gegen die Finanzkrise, schloss 2013 ein Freihandelsabkommen mit dem EU-Land ab und plant eine große Hafenanlage – Island soll für Peking das Tor zur Arktis werden. In Finnland zeigte China Interesse an einer Bahnstrecke, in Grönland an einem Bergwerk.

Die Volksrepublik hat sich erfolgreich in die Polarregion eingekauft – und vor allem die Nato schaute lange Zeit weg.

2. Die USA und die Nato

Für die Nato und die USA war die Arktis bisher eher ein Nebenkriegsschauplatz. Der Westen ist im Prinzip mit der jetzigen Machtverteilung im Polargebiet zufrieden – die USA sind eigentlich nicht mehr auf Rohstoffimporte angewiesen, und auch Norwegen hat eher ein Problem mit Förderkapazitäten als mit fehlenden Rohstoffquellen.

Auch beim Klimaschutz waren der Westen und auch vor allem die USA eigentlich nicht gewillt, konsequente Maßnahmen zu ergreifen. Wie sehr die Arktis zum internationalen Interessenspielball wurde, zeigte sich vor allem unter dem vorigen US-Präsidenten Donald Trump.

Trump glaubt bis heute nicht an die globale Erwärmung, der Wissenschaft zum Trotz. Er stieg aus dem Pariser Klimaabkommen aus, und als ihn beim G7-Gipfel in Kanada 2018 seine westlichen Partner – auch die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) – überreden wollten, sich zumindest zum Kampf gegen die Erderwärmung zu bekennen, warf der Republikaner zwei Bonbons vor den anderen Staats- und Regierungschefs auf den Tisch. "Hey Angela. Sag nicht, dass ich dir nie etwas gebe", sagte Trump damals. Der damalige US-Präsident wollte China zudem zunächst erlauben, in Alaska Erdgas zu fördern.

Für die Strategie des Westens in der nördlichen Polarregion drohte Trumps Amtszeit früh zur völligen Katastrophe zu werden.

Doch mit dem zunehmendem Wirtschaftskrieg zwischen den USA und China wurde der Deal über Gasförderung auf Eis gelegt und die US-Regierung schien sich nun mehr für die Arktis zu interessieren. Plötzlich wollte Trump Grönland kaufen. Ein Witz für viele Staaten in Kontinentaleuropa, aber in Grönland machte es viele Menschen stolz. Endlich wurden sie von einem US-Präsidenten ernst genommen und gesehen.

Wahrscheinlicher ist allerdings, dass Trump das wirtschaftliche Potenzial der Arktis zumindest spät erkannt hat. Der damalige US-Außenminister Mike Pompeo erklärte 2019 im Arktischen Rat: "China hat keinen Anspruch auf die Arktis."

Für das westliche Bündnis geht es heute im hohen Norden vor allem um zwei Punkte:

1. Den Schutz der freien Schifffahrt durch internationales Gewässer – vor allem dann, wenn die Nordostpassage durchfahren werden kann.

2. Den Schutz des eigenen Territoriums vor allem gegen einen möglichen russischen Angriff. Deswegen möchten die Nato-Staaten vermehrt ihre Soldaten in der arktischen Region trainieren – das gilt vor allem für die Staaten, deren Soldaten das Kämpfen in kalten Regionen nicht gewohnt sind.

In Norwegen wächst nach der russischen Invasion in der Ukraine die Sorge vor einem Angriff Russlands in der Polarregion. Auch Finnland und Schweden werden wahrscheinlich in die Nato eintreten, somit muss das Militärbündnis weitere Gebiete in der Polarregion verteidigen können. Um das zu trainieren, findet etwa im zweijährigen Turnus das Nato-Manöver "Cold Response" in Norwegen statt. Dabei kamen zuletzt im März 2022 knapp 30.000 Nato-Soldatinnen und -Soldaten aus 27 Ländern zusammen.

Aber damit nicht genug. Die Stimmung in der norwegischen Bevölkerung, die lange keine Nato-Truppen im Land haben wollte, weil man eine gute Beziehung zu Russland pflegte, ist mittlerweile umgeschlagen. Der Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, ein Norweger, hat bereits innerhalb des Bündnisses dafür geworben, "mehr Präsenz" in der Arktis zu zeigen – mit Bodentruppen, Flugzeugträgern und Kampfflugzeugen der 5. Generation. Auch ein US-Stützpunkt in Norwegen ist plötzlich ein Gedankenspiel – vor dem russischen Überfall auf die Ukraine wäre das undenkbar gewesen.

3. Russland

Die militärische Aufrüstung im Polargebiet ist vor allem eine Reaktion auf die zunehmende Militarisierung der Arktis durch Russland. Es war Putin, der ehemalige Militärbasen aus Sowjetzeiten wieder aktivierte, der medienwirksam Atom-U-Boote durch eine Eisschicht auftauchen ließ und der russische Fahnen auf dem Meeresgrund aufstellen ließ.

Die russischen Ansprüche in der nördlichen Polarregion reichen weit über das Gebiet hinaus, das Russland laut internationalem Recht zusteht. Für den Kreml geht es um Rohstoffförderung, die Arktis ist für Russland aber auch ein strategisches Ziel mit hoher Symbolkraft. Der Streit mit dem Westen ist vorprogrammiert – und das, obwohl Schiffe die Nordostpassage noch nicht ganzjährig passieren können.

Für die Förderung von Rohstoffen und den Bau von Infrastruktur ist der Kreml allerdings auch auf Investitionen aus dem Ausland angewiesen – sie kommen größtenteils aus China. So betreibt Peking zusammen mit Moskau in der sibirischen Teilrepublik Jakutien eine gemeinsame Lagerstätte für Öl und Gas. Doch das Misstrauen in der russischen Bevölkerung gegenüber der aufstrebenden Supermacht China ist noch immer groß, deswegen muss Putin vorsichtig sein.

Russland geht es in der Arktis vor allem um Kontrolle. Auf einer Konferenz mit Wirtschaftspartnern 2021 sagte der russische Präsident: "Wir erklären, dass Russland die nördliche Seeroute aktiv ausbaut. Wir sind froh darüber, dass die wirtschaftlich rentabelste Route durch russisches Binnenmeer führt. Je mehr dieser Weg von allen Ländern genutzt wird, desto besser."

Putin verkennt damit internationales Recht: In Wahrheit ist die Nordostpassage laut dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, das auch von Russland unterschrieben wurde, keineswegs russisches, sondern internationales Gewässer. Alle Schiffe dürfen dort frei operieren, bis zu einer Grenze von zwölf Seemeilen zum russischen Festland.

Die höhere Militärpräsenz wird dazu führen, dass die Nato die Handelsrouten auch in Zukunft mit Kriegsschiffen kontrollieren wird. Für das russische Militär ist Murmansk der wichtigste Hafen der Nordflotte. In der Region hat der Kreml Kampfflugzeuge, Atom-U-Boote, Raketenkreuzer und Mittelstreckenraketen stationiert. Operieren hier das Militär von Russland und der Nato in Zukunft noch enger beieinander, ist das brandgefährlich.

In den vergangenen Jahren gab es immer wieder russische Provokationen in der Region. Russische Kampfflugzeuge starteten in Richtung Alaska oder das russische Militär verjagte US-Fischer aus internationalem Seegebiet. Bisher reagierten die USA und ihre Verbündeten besonnen auf die militärischen Muskelspiele, aber das Eskalationspotenzial wächst mit der zunehmenden wirtschaftlichen Bedeutung der Region.

Letztlich wird das die Arktis zu einem großen geopolitischen Hotspot der Zukunft machen. Zwar droht aktuell kein Krieg, aber schon jetzt tun sich die Großmächte schwer, Kompromisse zu finden – ein Dialog ist in Zeiten des Ukraine-Krieges unrealistisch. Es bleibt die Hoffnung, dass der Kampf gegen die Klimakrise die Großmächte doch noch vereint, dass die Handelsrouten unter internationaler Kontrolle bleiben und dass die Rohstoffe im arktischen Raum fair aufgeteilt werden können.

Aber diese Hoffnung könnte am Ende vor allem eines sein: naiv.

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