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Ukraine-Krieg: Wie sich der Frontstaat Polen gegen Russland wappnet


Bedrohung durch Putin
"Das wird das neue Ramstein"

Von Marc von Lüpke

Aktualisiert am 23.03.2023Lesedauer: 5 Min.
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Polnischer Panzer (Archivbild): Das Nato-Land rüstet massiv auf gegen die russische Bedrohung.Vergrößern des Bildes
Polnischer Panzer (Archivbild): Das Nato-Land rüstet massiv auf gegen die russische Bedrohung. (Quelle: Kacper Pempel /Reuters)

In Deutschland kommt die "Zeitenwende" kaum voran, andere Staaten sind wesentlich weiter. Vor allem Polen wird zu einer Militärmacht, die Ukraine sowieso.

Stählern ist der neue Eiserne Vorhang, der Europa durchzieht. Jedenfalls an der polnisch-belarussischen Grenze, wo das Nato-Land Polen im letzten Jahr eine 5,5 Meter hohe und fast 190 Kilometer lange Grenzbarriere aus Stahl fertiggestellt hat. Zäune durchziehen mittlerweile auch andere Regionen dieses Teils von Europa. So haben Polen und Litauen Kaliningrad, Moskaus Exklave an der Ostsee inmitten von Nato-Gebiet, fleißig eingezäunt. Den Zäunen folgen nun Panzersperren.

Russland wird gefürchtet; Polen weiß aus schmerzlicher Erfahrung, wie es ist, vom großen Nachbarn im Osten beherrscht zu werden. Eine Erfahrung, die sich um keinen Preis wiederholen soll. Dafür ist die Regierung unter Mateusz Morawiecki von der rechtsnationalen Partei PiS auf Einkaufstour gegangen. Hunderte Kampfpanzer vom Typ M1 Abrams aus den USA sowie des südkoreanischen Modells K2 standen auf der Wunschliste, zuletzt orderte Warschau im vergangenen Februar 1.000 Schützenpanzer vom Typ Borsuk.

Russland-Strategie Deutschlands ist krachend gescheitert

Vier Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) will das Nato-Land Polen in diesem Jahr in seine Verteidigung investieren. Eine Zahl, von der die Bundeswehr derzeit nur träumen kann – auch mit dem Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro. Eigentlich hat sich Deutschland, genau wie die anderen Partner innerhalb der Nato, schon vor vielen Jahren dazu verpflichtet, zwei Prozent seines BIP für Verteidigung aufzuwenden. Davon ist die Bundesrepublik trotz des im Februar 2022 erfolgten russischen Überfalls auf die Ukraine immer noch entfernt. Warum hakt es derart mit der von Bundeskanzler Olaf Scholz verkündeten "Zeitenwende"?

"Zunächst gibt es durchaus unterschiedliche Ansichten darüber, womit wir es im Falle Russlands zu tun haben", sagt Marcus Keupp, der Militärökonomie an der Militärakademie der ETH Zürich lehrt. "In Polen herrscht Konsens darüber, dass Russland ein aggressiver imperialer Staat ist, der nicht von dem Versuch ablassen wird, seinen Machtbereich auszudehnen." In Deutschland habe sich diese Überzeugung nicht in allen politischen Lagern durchgesetzt.

Über Jahrzehnte wollte die Bundesrepublik durch "Handel" einen "Wandel" in Russland begleiten – eine Strategie, die 2014 durch die russische Annexion der Krim zunächst gewaltige Risse bekam und spätestens 2022 krachend scheiterte, als Wladimir Putin die Ukraine zum zweiten Mal überfiel. Damit war nicht nur die ohnehin bereits von Russland beschädigte europäische Sicherheitsarchitektur dahin, sondern auch die in Deutschland existierende Vorstellung, dass eine friedliche Verständigung mit Russland unter Putin möglich wäre.

Um die deutsche Zögerlichkeit wie auch das Tempo der polnischen Aufrüstung zu verstehen, hilft zudem der Blick auf die Landkarte. Deutschland ist von Freunden umzingelt, wie der frühere Verteidigungsminister Volker Rühe einmal bemerkt hat. Polen hingegen grenzt nicht nur an die von Putin bekriegte Ukraine, sondern mit Kaliningrad direkt an Russland. Von Belarus, das völlig von Moskau abhängig ist, ganz zu schweigen.

"In Polen herrscht Realismus"

"In Polen herrscht Realismus, anders als in Deutschland", sagt Militärexperte Marcus Keupp. "Der Regierung in Warschau war sehr schnell bewusst, was der russische Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 bedeutet: Polen ist nun ein Frontstaat." Entsprechend dieser Erkenntnis wird die polnische Armee aufgerüstet. Wobei kritisiert wird, dass die Regierung vor allem in Panzer und Haubitzen investiert, weniger in den Zivilschutz.

Dem Verlauf des neuen Eisernen Vorhangs tragen auch die Vereinigten Staaten Rechnung. Rzeszów-Jasionka, früher nur ein kleiner Regionalflughafen in Polen unweit der Karpaten, hat sich zum Logistikzentrum der Nato für Hilfslieferungen in Richtung Ukraine entwickelt. "Das wird das neue Ramstein", erklärt Militärökonom Keupp. Zur Erklärung: Die Ramstein Air Base in Rheinland-Pfalz ist einer der wichtigsten Standorte der US-Streitfkräfte in Europa. Zumindest eine Weile noch.

Falls der Kalte Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion jemals heiß geworden wäre, hätte Deutschland den Streitkräften von Nato und Warschauer Pakt als Schlachtfeld gedient. Möglicherweise wären die sowjetischen Streitkräfte in Hessen, in der bei Militärs gefürchteten Fulda-Lücke, in die Bundesrepublik eingefallen. Dort begünstigte das Gelände einen Einfall. Von "Stettin an der Ostsee bis hinunter nach Triest an der Adria" hatte sich der frühere Eiserne Vorhang gesenkt, wie Winston Churchill 1946 es ausdrückte. Da ergaben die zahlreichen US-Stützpunkte in Deutschland Sinn.

Der neue Eiserne Vorhang verläuft für die Nato weiter östlich: von Norwegen über das zukünftig dem Verteidigungsbündnis angehörende Finnland hin zu den baltischen Staaten, dann über Polen, Slowakei und Ungarn bis zu Rumäniens Schwarzmeerküste. Rzeszów in Polen wird deshalb genau wie andere Orte gleichermaßen an Bedeutung gewinnen, wie weiter westlich lokalisierte Stützpunkte der USA voraussichtlich an dieser einbüßen werden.

Ambitionsloses Deutschland

Denn die Bundesrepublik genießt – anders als man es sich bisweilen in der deutschen Politik bewusst ist – für die Vereinigten Staaten keine sonderlich herausgehobene Bedeutung unter den Nato-Staaten. Gut, wirtschaftlich ist Deutschland ein Riese, aber militärisch und sicherheitspolitisch ein Zwerg, ohne größere Ambitionen, etwas an diesem Status zu ändern. Eine Tatsache, derer sich die USA und insbesondere die östlich gelegenen Nato-Staaten bewusst sind.

"Das strategische Augenmerk der USA verschiebt sich in Richtung Polen und Ukraine", beurteilt Marcus Keupp die Entwicklung. "In Deutschland herrscht ein gewisses Misstrauen gegen die Vereinigten Staaten, die Kooperation ist auf politischer Ebene bisweilen schwierig, wie zuletzt die Diskussion um deutsche Kampfpanzer für die Ukraine gezeigt hat." Warum also nicht amerikanische Stützpunkte in Polen und anderen Staaten aufbauen, die von Politik und Bevölkerung begrüßt werden?

Nicht erst seit der Präsidentschaft von Joe Biden und von dessen Vorgänger Donald Trump wenden die USA ihre Aufmerksamkeit allerdings dem indopazifischen Raum zu, wollten vor Russlands Krieg gegen die Ukraine ihr Engagement in Europa eher zurückfahren. Wladimir Putin hat diese Entwicklung verzögert. Dass die Vereinigten Staaten nun die Ukraine derart unterstützen, passt aber gleichwohl in ihre Geopolitik. "Auf keinen Fall darf Russland zu einem Hegemon aufsteigen, der einen Großteil der wirtschaftlichen Ressourcen Eurasiens kontrolliert", sagt Keupp. "Weil eine solche wirtschaftliche und politische Machtfülle, gepaart mit Russlands imperialen Ambitionen, den Weltfrieden bedrohen würde."

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Immer auf der Hut vor Russland und Belarus

Wenn der neue Eiserne Vorhang entlang der östlichen Nato-Grenze verläuft, was ist dann aber mit der Ukraine, die gerade um ihre Existenz kämpft? Wird das zweitgrößte Land Europas einmal zu seinem Schutz der Nato angehören? "Das ist im Prinzip völlig irrelevant", sagt Marcus Keupp. "Die Ukraine wird so oder so bis an die Zähne bewaffnet." Mit Waffensystemen der Nato, ergänzt der Experte.

An der Grenze zu Belarus schafft die Ukraine bereits die Grundlagen für die Erweiterung des neuen Eisernen Vorhangs, ein Grenzzaun zu Belarus wird errichtet. Gleiches ist das Ziel gegenüber Russland. Was aus Keupps Sicht auch dringend notwendig ist. "Denn Russland wird auch unabhängig von der Person Putin eine revisionistische Politik verfolgen, auch und gerade wenn es seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine verliert", prophezeit der Militärexperte.

Seinen Berechnungen zufolge gehen Putins Streitkräften in den nächsten Monaten Panzer und andere Waffensysteme aus, im Herbst könnte der Krieg zu Ende sein. Und Wladimir Putin wird nicht als strahlender Sieger daraus hervorgehen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Persönliches Gespräch mit Marcus Matthias Keupp
  • zdf.de: "Polen baut Zaun an Grenze zu Kaliningrad"
  • profil.at: "Wie Polens Armee zur Feuermauer Europas wird"
  • zdf.de: "Polen: Grenzzaun zu Belarus fertiggestellt"
  • sueddeutsche.de: "'Trainiere mit der Armee'"
  • rnd.de: "Polen sichert Grenzen zu Russland und Belarus mit Panzersperren"
  • taz.de: "Polens Bunkermentalität"
  • tageschau.de: "Polen kauft 1000 neue Schützenpanzer"
  • zdf.de: "Warum Polen seine Leopard-Panzer aussortiert"
  • chronik-der-mauer.de: "Rede von Winston Churchill in Fulton/USA, 5. März 1946"
  • zdf.de: "Nato-Ziel: Deutscher Wehretat muss steigen"
  • spiegel.de: "Lawrow droht mit neuem 'Eisernen Vorhang'"
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