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25 Jahre nach Völkermord in Ruanda: Deutschland hat nur zugeschaut


Deutschland hat beim Genozid nur zugeschaut – und tut es weiterhin

Eine Analyse von S. Brockmeier & P. Rotmann

Aktualisiert am 04.04.2019Lesedauer: 5 Min.
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Ein Flüchtlingsjunge in Ruanda blickt auf ein Massengrab: Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl beließ es bei einem Statement zu Völkermord in Ruanda: Er dankte sich bei seinem belgischen Kollegen für die Hilfe Belgiens bei der Evakuierung deutscher Staatsbürger.
Ein Flüchtlingsjunge in Ruanda blickt auf ein Massengrab: Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl beließ es bei einem Statement zu Völkermord in Ruanda: Er dankte sich bei seinem belgischen Kollegen für die Hilfe Belgiens bei der Evakuierung deutscher Staatsbürger. (Quelle: Corinne Dufka/Reuters-bilder)
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800.000 Tote in weniger als 100 Tagen: Der Völkermord in Ruanda ist einzigartig in Geschwindigkeit und Brutalität. Die Rolle Deutschlands ist es nicht. Die Bundesregierung kämpft oft nicht entschlossen gegen Genozide.

Wenn in den nächsten Tagen an die Opfer des Genozids in Ruanda erinnert wird, werden Politiker aller Parteien beschwören, sich stärker gegen Völkermord und schwerste Menschenrechtsverbrechen zu engagieren. So wie vor fünf Jahren. Bei der Gedenkfeier des Bundestags zum 20. Jahrestag des Genozids sagte der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier über die Opfer: "Wir schulden ihnen, dass wir uns nicht dem Gefühl der Ohnmacht und schon gar nicht der Gleichgültigkeit hingeben – dass wir nicht nur anprangern, sondern das tun, was in unser Macht steht, um Völkermord zu verhindern!"


Völkermord in Ruanda: Eine Chronologie der Gewalt

Vorbereitung des Genozids: Bereits in der Kolonialzeit im 19. Jahrhundert schwelte in Ruanda ein Konflikt zwischen den beiden Volksgruppen der "Hutu" und der "Tutsi", die von den europäischen Mächten vermehrt unterstützt werden. In Zuge der Entkolonialisierung radikalisiert sich der Konflikt zwischen den beiden Gruppen. Letztendlich übernehmen die "Hutu" die Macht und beginnen, die Vernichtung der "Tutsi" zu propagieren.
6. April 1994: Der Abschuss der Präsidentenmaschine von Juvénal Habyarimana löste den Völkermord aus. Bis heute ist ungeklärt, wer das Flugzeug abgeschossen hat. Es wird vermutetet, dass extremistische Hutu-Rebellen für den Abschuss der Maschine verantwortlich waren. Aber es gibt auch Gerüchte, dass "Tutsis" die Tat geplant hatten, um einen Bürgerkrieg zu forcieren.
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Tun wir das?

In den fünf Jahren seit Steinmeiers Rede setzte das Assad-Regime beinahe 300 Mal Chemiewaffen in Oppositionsgebieten ein. Als ob systematische Folter und Bombardierung von Zivilisten nicht genug wären, vergaste das Regime Teile der eigenen Bevölkerung. Im Südsudan berichten die Vereinten Nationen von ethnischen Säuberungen von Seiten beider Bürgerkriegsparteien. Von schwangeren Frauen und Mädchen, die erst vergewaltigt und dann verbrannt, von Kindern, die von Panzern überrollt werden.

Der damalige Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in Ruanda: Zum 20. Jahrestag des Genozids versprach Steinmeier künftig "das tun, was in unser Macht steht, um Völkermord zu verhindern!"
Der damalige Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in Ruanda: Zum 20. Jahrestag des Genozids versprach Steinmeier künftig "das tun, was in unser Macht steht, um Völkermord zu verhindern!" (Quelle: Ute Grabowsky)

Um das Fortbestehen der ethnischen Minderheit der Rohingya zu verhindern, rissen Sicherheitskräfte in Myanmar Müttern ihre Babies aus der Hand und warfen sie vor ihren Augen ins Feuer. Im Irak verübte der Islamische Staat 2014 einen Völkermord an den Jesiden.

Aus den Akten gäbe es viel zu Lernen

Mehrere hunderttausend Menschen starben allein in diesen vier Ländern, allein in den letzten fünf Jahren seit sich die Bundesregierung wieder einmal geschworen hat, in den Worten des heutigen Bundespräsidenten, "das zu tun, was in unserer Macht steht, um Völkermord zu verhindern." Zumindest zwei dieser Katastrophen erfüllen die hohen völkerrechtlichen Standards für Völkermord. Und das ist nur eine Auswahl an Orten und Verbrechen.

Was können wir tun? Hier lohnt sich auch ein Blick zurück. Die deutsche Rolle während des Völkermords in Ruanda wurde nie offiziell aufgearbeitet. Die Akten von damals bleiben verschlossen. Eine Historikerkommission einzurichten, hat die Unionsfraktion bisher verhindert, auch wenn die Grünen den Vorschlag dieses Jahr wieder eingebracht haben.

Dabei gäbe es viel aus den Akten zu lernen. Denn was wir jetzt schon wissen: In den Jahren und Monaten vor dem Völkermord reagierte die Bundesrepublik genau wie andere internationale Akteure nicht auf die Warnsignale, die deutsche Entwicklungshelfer und Militärberater vor Ort durchaus wahrnahmen – sie beobachteten systematische Hasspropaganda gegen die Tutsi, den Import großer Mengen handlicher Waffen, Anwerbung und Training von Milizen.

Blauhelmsoldaten bitten um Hilfe

Doch die Bundesregierung tat nichts. Im Gegenteil, sie erhöhte die Finanzhilfen für die ruandische Regierung noch, als bereits eine Reihe von Massakern im Rahmen des ruandischen Bürgerkriegs (1990 - 1993) bekannt geworden waren. 1993, im Jahr vor dem Genozid, war Deutschland der größte Geldgeber Ruandas. Als der Völkermord begann, versuchte die damalige Bundesregierung nicht einmal im Ansatz, diesen aufzuhalten.

Eine Anfrage der Vereinten Nationen, die völlig überforderten UN-Blauhelme im Land mit einem unbewaffneten Transportflugzeug der Bundeswehr und 100 Sanitätssoldaten zu unterstützen, lehnte sie ab. Als das Land Rheinland-Pfalz, seit 1982 Partnerland von Ruanda, um die Aufnahme von gerade einmal 147 Flüchtlingen bat, entschied die Innenministerkonferenz dagegen.

Deutschland könnte Friedensmissionen steuern

Wenn wir uns nicht der Ohnmacht oder der Gleichgültigkeit hingeben, wenn wir das tun wollen, was in unserer Macht steht, dann können wir hier anknüpfen. Nicht mit dem Allmachtsanspruch, allein als Deutsche jeden Völkermord und jedes Massaker zu verhindern, sondern um mit einem pragmatischen Ehrgeiz des Machbaren konkrete Beiträge zu leisten, um gemeinsam mit vielen anderen Partnern das Schlimmste zu verhindern – oder es zumindest glaubwürdig und ernsthaft versucht zu haben: Früher auf Warnzeichen reagieren, politischen Einfluss durch das Gewicht Deutschlands und das persönliche Ansehen der Bundeskanzlerin nutzen, Entwicklungszusammenarbeit im Sinne der Krisenprävention steuern, die Friedensmissionen der Vereinten Nationen stärken, Schutz bieten für diejenigen, die Völkermord und Kriegsverbrechen entkommen wollen.

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In unserer Macht hätte gestanden, Anfang 2014 auf die ersten Eroberungen des "Islamischen Staates" im Irak zu reagieren und über alle Optionen zur Verhinderung eines genozidalen "Kalifats" zu diskutieren, darunter auch Waffenlieferungen, militärische Ausbildung, Luftschläge oder deutsche und europäische Bodentruppen, wie sie US-Präsident Obama letztendlich in kleinem Umfang eingesetzt hat. Stattdessen appellierte die Bundesregierung monatelang nur gebetsmühlenartig an die irakischen Politiker und lieferte ein halbes Jahr später Hals über Kopf Waffen an die kurdischen Peschmerga.

In unserer Macht hätte gestanden, die Botschaft im Irak, das Kontaktbüro für Syrien und eine Reihe anderer Vertretungen in Krisenländern personell ordentlich aufzustellen, statt von einer "Politischen Abteilung" aus nur einem oder zwei Diplomaten eine ständige detaillierte Lageanalyse, wirksame politische Einflussnahme und strategische Projektsteuerung zu erwarten.

Große Worte reichen nicht

In unserer Macht hätte gestanden, beim Ausbruch des Bürgerkriegs im Südsudan die wiederum überforderte UN-Friedensmission zu verstärken statt die wenigen Dutzend deutschen Soldaten und Polizisten unter UN-Kommando dort gerade in dem Moment 2016 abzuziehen, als die Mission sie am dringendsten brauchte.

Nirgendwo gibt es einfache Lösungen, um Krieg und Gewalt von heute auf morgen zu stoppen. Aber überall hätte es in unserer Macht gelegen, mehr zu tun, als die Bundesregierung getan hat, und damit letztlich hunderten oder tausenden weiteren Menschen das Leben zu retten. Und es steht weiterhin durchaus jeden Tag in unserer Macht, die Instrumente der Bundesregierung und der Europäischen Union dort weiterzuentwickeln, wo sie heute noch schwächeln. Das geschieht zum Beispiel schon bei der Frühwarnung im Auswärtigen Amt, im Verteidigungsministerium und bei der EU in Brüssel, doch an anderen Stellen klaffen große Lücken: zum Beispiel beim Personal in den Botschaften, bei der Konflikt- und Gewaltprävention in der Entwicklungszusammenarbeit, bei der Umsetzung der NATO-Doktrin zum Schutz von Zivilisten durch die Bundeswehr.

Rwandan government soldiers atop a tank equipped with a 90mm gun flee civilians in front of advancin..
Rwandan government soldiers atop a tank equipped with a 90mm gun flee civilians in front of advancin.. (Quelle: Corinne Dufka/Reuters-bilder)
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2017 beschloss die Bundesregierung, getragen von CDU/CSU und SPD, unter Vorsitz von Bundeskanzlerin Angela Merkel, "das Verhindern von Völkermord und schweren Menschenrechtsverletzungen“ sei Teil "deutscher Staatsräson". Das sind große Worte. Doch wenn das Gedenken von heute in fünf Jahren nicht wieder hohl klingen soll, muss sich die deutsche Politik auch in ihren Taten noch stärker für die Verhinderung von Völkermord einsetzen.

Was wir aus dem Völkermord lernen können

Aber nicht nur die Politik ist gefragt. Es steht in der Macht von Medien und Gesellschaft Druck auf die Politik zu auszuüben. Sie immer wieder zu fragen: Tun wir genug? Was ist unsere Strategie, nicht nur um diesen oder jenen Krieg oder gleich alle Kriege zu beenden, sondern um hier und jetzt, so schnell wie möglich, mehr Menschen zu helfen? Nicht zuletzt wäre es in der Macht jedes Bürgers, nicht nur gegen Handelsabkommen oder Uploadfilter auf die Straße zu gehen, sondern auch für Menschenleben in Syrien oder im Südsudan.

Auch das hätten wir aus dem Völkermord in Ruanda lernen können. Obwohl Zeitungen und Fernsehnachrichten regelmäßig über den Völkermord berichteten, gab es während der 100 Tage im April, Mai, Juni, Juli 1994 keine öffentliche Diskussion zu Ruanda. Keine Debatte im Bundestag. Kein Druck auf die deutsche Politik durch Medien oder Zivilgesellschaft.


Am 14. April, eine Woche nach Beginn des Völkermords, dankte Bundeskanzler Helmut Kohl seinem belgischen Kollegen für die Hilfe Belgiens bei der Evakuierung deutscher Staatsbürger. Die Rettung der letzten noch in Ruanda verblieben Deutschen sei "eine sehr gute Nachricht", so Kohl. Es war das einzige Mal, dass sich der Bundeskanzler in den folgenden drei Monaten zum Thema Ruanda äußerte.

Sarah Brockmeier und Philipp Rotmann arbeiten am Global Public Policy Institute (GPPi) in Berlin. Ihr neues Buch "Krieg vor der Haustür: Die Gewalt in Europas Nachbarschaft und was wir dagegen tun können" zeigt viele weitere praktische Beispiele dessen, was machbar ist (Dietz-Verlag).

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Von Marc von Lüpke
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