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"Jetzt treffen auch KrĂ€fte fĂŒr ein Besatzungsregime ein"
Die USA warnen vor einem Einmarsch Russlands in die Ukraine noch in dieser Woche. Deren Regierungschef aber zeigt sich gelassen. Warum â und wie hoch ist die Gefahr vor neuem Krieg in Europa wirklich?
US-Geheimdienste befĂŒrchten einen Angriff Russlands auf die Ukraine noch in dieser Woche. Scharf warnten sie ihre VerbĂŒndeten am Wochenende vor einer zeitnahen Invasion durch Putins Truppen und nannten dabei wohl auch konkret geplante Routen, Details und zahlreiche Quellen. In dieser angespannten Lage besucht Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an diesem Dienstag Moskau fĂŒr ein GesprĂ€ch mit dem russischen PrĂ€sidenten. Wie hoch schĂ€tzen Experten die Kriegsgefahr ein â und wie groĂ Scholzâ Möglichkeiten?
Gustav Gressel ist Experte fĂŒr Russland, Osteuropa und MilitĂ€rstrategien. Er arbeitet beim European Council on Foreign Relations (ECFR). Ein GesprĂ€ch ĂŒber Putins Paranoia, den Einfluss von Altkanzler Schröder in Moskau, Scholz' zentrale Aufgabe und einen betont gelassenen ukrainischen PrĂ€sidenten.
t-online: Herr Gressel, wie wahrscheinlich ist eine Invasion Russlands in der Ukraine noch in dieser Woche?
Das lĂ€sst sich schwer sagen, weil ich nicht in Putins Kopf hineinschauen kann. Aber es stehen genĂŒgend Soldaten bereit. Und jetzt treffen auch die KrĂ€fte ein, die fĂŒr ein Besatzungsregime notwendig sind â zum Beispiel die Nationalgarde und Luftlandetruppen. Ab Mittwoch steht auĂerdem eine geplante Ăbung der strategischen Raketentruppen und der NuklearstreitmĂ€chte Russlands an. Die Ăbung wĂ€re der ideale Schleier, mit der ein konventioneller Angriff einhergehen könnte. Sie sendet zugleich das abschreckende Signal an die USA: Jede Einmischung hat nukleare Folgen.
Die USA warnen sehr konkret vor einem Angriff diese Woche, genauer: am Mittwoch. Worauf stĂŒtzt sich diese Warnung?
Das ist sehr schwer zu beurteilen. Es wird kommuniziert, dass entsprechende Kommunikation entlang der russischen Kommandolinien abgefangen wurde. Bisher waren die Vorhersagen aus den USA immer korrekt â mit leichten terminlichen Verzögerungen. Bereits im Herbst hat man fĂŒr Ende Januar, Anfang Februar vor der Situation gewarnt, wie wir sie jetzt an der ukrainischen Grenze haben. NatĂŒrlich kann Putin aber, selbst wenn er den 16. Februar als Angriffstag geplant hat, seine Meinung noch Ă€ndern und spĂ€ter angreifen â oder alles abblasen.
- Tagesanbruch: Die Entscheidung naht
Warum kommunizieren die USA ihre BefĂŒrchtungen so klar?
Erstens signalisiert man den Russen so sehr deutlich: Man durchschaut das Spiel des Kreml, man durchschaut die Propagandamaschinerie, die Russland angeworfen hat und ĂŒber die fiktive KriegsgrĂŒnde verbreitet werden. Zweitens schickt man so auch eine Botschaft an den ukrainischen PrĂ€sidenten Selenskyi. Er zögert noch, die Armee mobil zu machen, auch, um Russland keinen Angriffspunkt zu liefern. Gibt es eine Warnung wie die aus den USA, fĂ€llt die Mobilmachung leichter.
Selenskyi aber macht nicht mobil. Er warnt vor Panikmache und empfiehlt den USA durchzuatmen. Warum schÀtzt er die Lage so anders ein?
Die russische Propagandamaschine trommelt, dass die Ukrainer Russland angreifen wollen. Selenskyis Stillhalten ist vor diesem Hintergrund rational zu erklĂ€ren. Er will keine verfrĂŒhten MaĂnahmen treffen, will Putin keinen Vorwand liefern, um in die Ukraine einzumarschieren. Es gibt in der ukrainischen Regierung auĂerdem nach wie vor viele, die nicht glauben wollen oder können, dass die Russen ihr Land tatsĂ€chlich angreifen werden. Aus deren Perspektive ist klar: Wir haben eine Bevölkerung, die eine russische Herrschaft nicht dulden wĂŒrde, die eher in den Guerillakrieg ĂŒbergehen wĂŒrde. Man glaubt nicht, dass die Russen so dumm sind, sich das aufzuladen â sondern dass es Putin allein um die DrohgebĂ€rde gegenĂŒber dem Westen geht.
LĂ€sst die Warnung der USA und der Widerspruch aus der Ukraine den Westen gerade nicht wahnsinnig schwach erscheinen â oder schlimmer: als möglichen Kriegstreiber?
Von der BefĂŒrchtung, dass Moskau den Westen als Kriegstreiber darstellt, sollte man sich nicht beeindrucken lassen. Da kann Putin alles Mögliche heranziehen â oder wird einfach GrĂŒnde erfinden. Wer entschlossen ist, Krieg zu fĂŒhren, der findet einen Vorwand dafĂŒr. Vor diesem Hintergrund halte ich Selenskyis Kommunikation gerade fĂŒr sehr unglĂŒcklich. Er will Moskau keinen Kriegsgrund liefern â aber er lĂ€sst das Land auf diese Weise schwach erscheinen, er stĂ€rkt es auch militĂ€risch nicht so, wie es angesichts der Lage geboten wĂ€re, zum Beispiel durch das Einberufen von Reservisten. Selenskyi macht den Eindruck, als ob er die reale Gefahr unterschĂ€tzt.
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Ein Angriff Russlands wurde im Herbst noch fĂŒr spĂ€testens Anfang Februar vorgesagt â weil danach der Boden aufweicht, Fahrzeuge Probleme bekommen könnten. Ist das jetzt nicht ein Hindernis?
Die Schlammfrage wird meiner Meinung nach ĂŒberschĂ€tzt. Wirklich schlammig wird es eher im zentralen und östlicheren Bereich. Der Schlamm hĂ€lt Kettenfahrzeuge auch nicht so sehr zurĂŒck wie Radfahrzeuge. Zwischen Russland und der Ukraine gibt es inzwischen auĂerdem so viele AsphaltstraĂen, ĂŒber die man Lkw nachziehen, Panzer betanken und munitionieren kann. Am stĂ€rksten wird sich das Wetter vermutlich auf die Moral und den Kampfgeist der Soldaten auswirken. In den Zeltlagern wird es sehr schnell sehr unbequem, das schlĂ€gt sich auch auf den Gesundheitszustand nieder.
An diesem Dienstagmorgen hat der Kreml bekannt gegeben, dass einige Einheiten von der Grenze wieder abgezogen werden, weil sie "ihre Aufgabe erfĂŒllt" hĂ€tten. Ein gutes Zeichen?
Das ist zuerst einmal eine AnkĂŒndigung. Es bleibt in den nĂ€chsten Tagen abzuwarten, ob die Truppen tatsĂ€chlich abgezogen werden. Solange KrĂ€fte an der Grenze stehen, die Moskau militĂ€rische Optionen gegen Kiew geben, kann Putin sich immer entscheiden â fĂŒr oder gegen Krieg.
Welche Rolle spielt Deutschland in dieser komplexen Lage?
Auch die Bundesregierung ist lange von einem Bedrohungsszenario ausgegangen, das nicht in einen realen Krieg mĂŒnden wĂŒrde. Inzwischen hat man gemerkt: Hoppla, das könnte wirklich schiefgehen. Nun aber weiĂ man nicht so recht, wie man die Lage wieder einfangen kann. Deutschland muss Putin jetzt klarmachen, dass die EuropĂ€er es mit Sanktionen wirklich ernst meinen, dass Berlin auch Nord Stream 2 mit in die Waagschale wirft. Es hĂ€ngt aber alles davon ab, wie sehr Putin Sanktionen und eine wirtschaftliche Abkopplung schon eingepreist hat. Bis zu einem gewissen Grad hat er das definitiv getan.
Welche Verfehlungen sehen Sie von deutscher und westlicher Seite?
Man hat monatelang verschlafen, die Frage der militĂ€rischen Sicherheit der Ukraine seriös und ausgeruht zu diskutieren. Man hat auch verschlafen, die MilitĂ€rbereitschaft der Nato an der Ostflanke frĂŒher hochzufahren. Das wĂ€re ein Druckmittel gewesen, das Putin vermutlich stĂ€rker beeindruckt als wirtschaftliche Sanktionen. All das rĂ€cht sich nun.
Wenn Bundeskanzler Scholz mit Putin redet: Welche Strategie wird er verfolgen?
In Moskau wird sein Job vor allem sein, Putin die Lage der innenpolitischen Diskussion in Deutschland klarzumachen. Ăber Deutschland unterhĂ€lt sich Putin vor allem mit Menschen wie Gerhard Schröder oder Alexander Rahr, ein verbissen antiamerikanischer, sehr kremltreuer politischer Analyst. Das sind ideologiegetreue Wirtschaftsleute, die ein Eigeninteresse haben, die politische Diskussion anders darzustellen, als sie wirklich ist. Deswegen ist es gut möglich, dass Putin tatsĂ€chlich glaubt, dass Wirtschaftssanktionen einen bestimmten HĂ€rtegrad nicht ĂŒberschreiten werden â weil er Fehlurteilen aufsitzt. Weil er Schröder glaubt, dass Nord Stream 2 so oder so kommt. Deswegen ist es wichtig, dass Scholz persönlich mit ihm spricht.
Putin weià aber doch, dass Schröder und Konsorten von ihm bezahlt werden und da keine objektive EinschÀtzung zu erwarten ist.
Putin lebt in seiner eigenen Informationsblase. Er hat sehr wenig Kontakte zu Leuten, die anders denken als er. Oft ist Putin pragmatisch. In der Mittelost-Politik zum Beispiel ist er brutal â aber pragmatisch. Er kennt da die Grenzen russischer AuĂenpolitik. Aber die Ukraine ist fĂŒr Putin, fĂŒr Moskau, eine Glaubensfrage. Da gibt es unumstöĂliche GlaubenssĂ€tze, da verlĂ€sst auch Putin den Boden der RealitĂ€t. Ich bezeichne das als Political Correctness auf russische Art: Selbstzensur zugunsten eigener PrĂ€ferenzen. Und man darf nicht unterschĂ€tzen: Durch die langjĂ€hrigen Verbindungen zu Schröder und den ganzen Schröderianern wird in Moskau ein komplett falsches Bild der Lage in Deutschland gezeichnet.
Ein Beispiel?
2014 waren viele Russen komplett entsetzt, dass Deutschland wegen der Annexion der Krim Sanktionen gegen Russland mittrĂ€gt. Aus der eigenen Wahrnehmung heraus hat man geglaubt, dass Deutschland Russland den RĂŒcken freihĂ€lt, weil Deutschland fĂŒr die Wiederherstellung eigener GebietsansprĂŒche in Osteuropa, Polen vor allem, russische RĂŒckendeckung braucht. Niemand, der Deutschland besser kennt, wĂŒrde aber auf die vollkommen verblödete Idee kommen, dass Deutschland Schlesien zurĂŒckfordert. Ein Sonderproblem ist, dass Russland neben Schröderianern und Herrn Rahr vor allem mit AfD-Leuten spricht, die genau diesen Idiotismus weiter fördern.
Bisher hat Scholz ein Aus fĂŒr Nord Stream 2 nicht explizit als mögliche Sanktion benannt â das musste US-PrĂ€sident Biden bei Scholzâ Washington-Besuch ĂŒbernehmen. Wird sich das jetzt Ă€ndern?
Das muss sich jetzt Àndern. Scholz scheint zum Teil mehr Angst vor gewissen Genossen in der eigenen Partei zu haben, als vor Putin. Es kann sein, dass er Nord Stream 2 nicht explizit in der Pressekonferenz benennt, aber in den GesprÀchen muss das passieren. Das ist Scholz aber auch sehr wohl bewusst, da mache ich mir keine Sorgen.