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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Das Schicksalstelefonat Trump und Putin verhandeln über Europas Zukunft

Trump telefoniert heute mit Putin über den Ukraine-Krieg. Die Welt hofft auf Frieden, aber fürchtet zugleich den großen Ausverkauf. Kann der selbst ernannte "Dealmaker" den Krieg beenden – oder spielt er Russland in die Hände?
Wenn US-Präsident Donald Trump heute gegen 16 Uhr deutscher Zeit im Oval Office in Washington zum Hörer greifen wird, um Wladimir Putin anzurufen, wird die Welt den Atem anhalten – nicht nur in Hoffnung, sondern auch in großer Sorge. Denn der Einsatz, der auf dem Spiel steht, ist enorm, die Erwartungen sind hoch, und das Risiko eines fatalen Fehlers ist größer denn je.
Nach mehr als drei Jahren erbitterter Kämpfe im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine könnte die Zukunft des europäischen Landes – und mit ihr Europas Stabilität – nun ganz besonders von diesem Telefonat abhängen. Geführt wird es zwischen zwei mächtigen Männern, die glauben, allein sie könnten diesen tödlichsten Konflikt auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg beenden. Zumindest einer von ihnen könnte es tatsächlich: Der russische Präsident Putin müsste nur seine Truppen von ukrainischem Boden zurückziehen und das Blutvergießen hätte ein Ende.
Trumps Ankündigung: Ein "historischer Durchbruch"?
Trump hat das für Montagvormittag Ostküstenzeit geplante Gespräch schon vorab auf seinem sozialen Netzwerk "Truth Social" als möglichen Durchbruch inszeniert, als einen entscheidenden Moment, um ebendieses "Blutvergießen zu stoppen" und – wie er es ausdrückt – "einen Krieg zu beenden, der niemals hätte stattfinden dürfen". Er kündigte an, nach dem Gespräch mit Putin auch noch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sowie mehreren Nato-Staats- und Regierungschefs zu telefonieren.
Ob es heute wirklich zu einem Durchbruch mit dem Kremlchef kommen wird, ist offen. Klar sein dürfte aber schon jetzt: Trumps Vorgehen ist keine gewöhnliche Diplomatie – gemessen an dem, was der amerikanische Präsident bisher geäußert hat, ist es vielmehr das persönliche Theaterstück eines Mannes, der so tut, als könnte er den Frieden nach seinen eigenen Vorstellungen formen und schließlich diktieren.
Und während sich in Europa eine große Hoffnung auf eine Waffenruhe regt, überwiegt zugleich Vorsicht. Führende europäische Politiker – Bundeskanzler Friedrich Merz, der britische Premierminister Keir Starmer, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Polens Regierungschef Donald Tusk – haben Trump darum schon vor dem geplanten Gespräch kontaktiert. Und am Sonntagabend, damit auch wirklich nichts anbrennt, gleich noch einmal. Dieses Mal auch mit Italiens Ministerpräsidentin Georgia Meloni, die in Rom zuvor schon mit US-Vizepräsident JD Vance zusammengetroffen war. Dafür fehlte Tusk aus Termingründen.
Ihre gemeinsame Botschaft an Trump dürfte wie in den vergangenen Wochen gewesen sein: Lass dich von Putin nicht einwickeln. Verwechsle Schmeichelei nicht mit Aufrichtigkeit. Opfere nicht Europas Sicherheit für eine schnelle Schlagzeile oder den bloßen Eindruck eines vermeintlichen historischen Deals.
Europas Hoffnung und Putins Antwort
Die diplomatische Bühne für Trumps Telefonat mit Putin wurde seit vielen Tagen sorgfältig vorbereitet. Die Ukraine hat ihre Bereitschaft zu einem bedingungslosen Waffenstillstand signalisiert. Die Gespräche in Istanbul – auch wenn sie bis auf einen Gefangenenaustausch ohne Ergebnis blieben – zeigten, dass Kiew gewillt ist, Trumps Vorschlag einer 30-tägigen Feuerpause zu akzeptieren.
Europäische Staats- und Regierungschefs führten eine konzertierte diplomatische Offensive an: Sie stimmten Selenskyj auf Trumps Vorstellungen ein, sicherten seine Zustimmung ab und übermittelten Trump dann gemeinsam diese Botschaft der Einheit.
Putins Reaktion bislang: Er blieb der Istanbuler Friedenskonferenz nicht nur fern und schickte lediglich eine Delegation auf niedriger Ebene – ein deutliches Zeichen der Geringschätzung. Wenige Stunden später flog Russland den massivsten Drohnenangriff seit Kriegsbeginn: 273 Drohnen, die Städte von Kyjiw bis Dnipro wurden bombardiert. Ein gezielter Angriff auf einen zivilen Bus in der Stadt Sumy tötete neun Menschen. Ein weiteres von unzähligen russischen Kriegsverbrechen.
Trumps als Friedensstifter
In den USA gibt man sich trotz des brutalen russischen Verhaltens zuversichtlich. Die Trump-Regierung zeichnet den eigenen Präsidenten schon jetzt als großen Helden. Der Tenor: Trumps persönliche Geschichte mit Putin, sein Ruf als "Dealmaker" und sein Charisma könnten dort Frieden stiften, wo klassische Diplomatie gescheitert ist.
"Wenn er es nicht schafft, dann schafft es niemand", sagte Trumps Sondergesandter Steve Witkoff am Sonntag im US-Fernsehen. Dabei ist es genau diese Nähe von Trump zu Autokraten wie Putin, die schon oft zu Irritationen bei seinen Verbündeten geführt hat.
Für die Ukraine steht viel auf dem Spiel – insbesondere, wenn das Telefonat in die falsche Richtung läuft. Trump hatte Selenskyj bereits bei früheren Gesprächen vorgeworfen, sich nicht ausreichend friedensbereit gezeigt zu haben. Die bisherige US-Botschafterin in der Ukraine, Bridget Brink, trat sogar aus Protest zurück – und warf der Trump-Regierung vor, das Opfer unter Druck zu setzen und nicht den Aggressor aus Russland.
Selenskyjs Strategie ist daher klar: Trump muss um jeden Preis davon überzeugt werden, dass Putin lügt. Noch vor dem Montagsgespräch traf sich Selenskyj in Rom mit Trumps Vizepräsident JD Vance und Außenminister Marco Rubio, um die Ernsthaftigkeit seiner Position zu unterstreichen. Er betonte, dass Russlands Delegation in Istanbul aus "Entscheidungsträgern zweiter Klasse" bestanden habe – anders als Kiew, das echten Verhandlungswillen zeige.
Die Gefahr von Putins Charmestrategie
Trotz der wochenlangen Bemühungen um eine gemeinsame Linie mit Washington bleibt die größte Sorge in den europäischen Hauptstädten: Putin könnte die Gelegenheit des direkten Gesprächs mit Trump nutzen, um den US-Präsidenten durch eine Charmeoffensive, über wirtschaftliche Versprechen oder populistische Erzählungen von seiner Version eines "Friedens" zu überzeugen.
Die Angst ist, dass Trump dann glaubt, einen historischen Durchbruch erzielt zu haben – und schleichend beginnt, Putins Bedingungen durchzusetzen. Die aufkommenden Diskussionen um eine Wiederaufnahme russischer Gaslieferungen über Nord Stream 2 zeugen davon.
Putins Forderungen haben sich seit Kriegsbeginn nicht geändert: massive Gebietsabtretungen durch Kiew, ein militärisch entwaffneter ukrainischer Staat, Ausschluss eines Nato-Beitritts und keine westlichen Truppen in dem Land. Aus europäischer Sicht sind das aber keine Verhandlungsangebote, sondern Kapitulationsforderungen. Die USA haben Putin einen Großteil dieser Forderungen bereits vor beginnenden Verhandlungen in Aussicht gestellt.
Kommt es wirklich dazu, wäre das aus Sicht der europäischen Mächte ein gefährliches Signal an Putin. Der russische Präsident könnte daraus schließen, dass er mit Erpressung durchkommt. Und der Rest der Welt würde sehen, dass Europas Sicherheit zur Verhandlungsmasse zwischen zwei großen Nuklearmächten geworden ist.
Auch darum versuchen sich die Europäer so einig wie möglich zu zeigen, und drohen mit massiven, weiteren Sanktionen gegen Russland. Doch wenn Trump nicht mitzieht oder sogar die eigenen Sanktionen zurücknimmt, dürften die europäischen weitgehend verpuffen.
Trump darf nicht einknicken
Dabei hätte Trump Möglichkeiten, Putin massiv unter Druck zu setzen. Was seine Berater bislang durchblicken lassen: Das Weiße Haus verfolgt offenbar ein "Deal-or-no-deal"-Spiel. Das heißt, Putin soll mit großen wirtschaftlichen Anreizen gelockt werden, sollte er kooperieren. Bei einer Blockade droht man aber tatsächlich ebenfalls mit harten Sanktionen.
Trumps Finanzminister Scott Bessent deutete zuletzt an, dass die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichten, um Putin wirklich hart zu treffen – besonders, solange Russlands Öleinnahmen ungestört weiterfließen.
Beobachter rechnen deshalb damit, dass Putin in dem Telefonat einmal mehr versuchen wird, Trump gerade so weit zu beschwichtigen, dass dieser sich nicht gegen ihn stellt. Auch die Friedensgespräche von Istanbul waren bereits ein solcher Versuch, Putins vermeintliche Verhandlungsbereitschaft zu zeigen. Herausgekommen ist so gut wie nichts. Und mit jedem weiteren Kriegstag gewinnt der russische Präsident Zeit, um auf dem Boden der Ukraine weitere Fakten zu schaffen.
Die Europäer geben sich alle Mühe, um den US-Präsidenten vor Putin zu warnen. Das ist auch dringend nötig. In Trumps erster Amtszeit standen dem US-Präsidenten ausgewiesene Putin-Experten wie etwa Fiona Hill zur Seite. "Präsident Trump glaubt, dass Präsident Putin ihn respektiert. Er will, dass er ihn respektiert", beschrieb sie im Gespräch mit t-online schon im März die wahren Prioritäten von Trump. Solche kritischen Geister im Oval Office hält Trump inzwischen gezielt fern von sich.
Wer Trump heute vor fatalen Fehlern im Umgang mit dem Kremlchef bewahren soll, ist darum unklar. Im täglich vom Weißen Haus verschickten offiziellen Terminplan des US-Präsidenten ist vom Putin-Telefonat übrigens keine Rede. Ein gemeinsamer Auftritt mit seiner Frau Melania im Rosengarten ist hingegen explizit erwähnt.
- Eigene Beobachtungen
- Tagesvorschau des Weißen Hauses
- mit Material der Nachrichtenagentur AP