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US-Wahlen 2020: "Donald Trumps Niederlage muss sehr deutlich ausfallen"


Experte zur US-Wahl
"Trumps Niederlage muss sehr deutlich ausfallen"

InterviewVon Marc von Lüpke

22.10.2020Lesedauer: 11 Min.
Interview
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Donald Trump: Eine mögliche Niederlage des amtierenden US-Präsidenten bei der anstehenden Wahl muss möglichst deutlich ausfallen, sagt USA-Experte Ronald D. Gerste.Vergrößern des Bildes
Donald Trump: Eine mögliche Niederlage des amtierenden US-Präsidenten bei der anstehenden Wahl muss möglichst deutlich ausfallen, sagt USA-Experte Ronald D. Gerste. (Quelle: Gene J. Puskar/ap-bilder)

Der Wahlkampf in den USA geht in die letzte Phase. Wird Donald Trump eine Niederlage akzeptieren? Und was geschieht, wenn er es nicht tut? Experte Ronald D. Gerste erklärt die Spaltung der US-Gesellschaft.

Donald Trump gegen Joe Biden – der Wahlkampf um das Weiße Haus ist das beherrschende politische Ereignis dieser Wochen. Die Gesellschaft in den USA ist so gespalten wie selten zuvor: Von seinen Anhängern wird der amtierende Präsident Donald Trump bejubelt, von seinen Gegnern verabscheut.

Für viele Deutsche sind die Mechanismen, die in den USA aktuell wirken, kaum nachzuvollziehen, angefangen von der extremen Polarisierung der Gesellschaft bis hin zum komplizierten Wahlsystem. Der Historiker Ronald D. Gerste erklärt im t-online-Interview, warum den USA im Falle einer Niederlage Trumps eine schwere Krise drohen könnte, wieso der US-Präsident selbst ganze Familien spaltet und viele Amerikaner eine derartige Begeisterung für Waffen hegen.

t-online: Herr Gerste, am 3. November wählen die Amerikaner ihren Präsidenten. Im Falle einer Niederlage muss Donald Trump das Weiße Haus verlassen – wird er das freiwillig tun?

Ronald D. Gerste: Donald Trumps Verhalten ist schwer vorhersagbar. Aber eine Sache ist wichtig: Trumps Niederlage muss sehr deutlich ausfallen. Denn Zweifel an einem möglichen Wahlsieg Joe Bidens wären Gift in dieser fast explosiven Lage. Trump hat ja bereits einige merkwürdige Äußerungen in diese Richtung getätigt, wobei viele seiner Aussagen oft nur reine Rhetorik sind. Aber wenn Trump das Weiße Haus im Zweifelsfall nicht verlassen sollte, erleben wir tatsächlich den Ernstfall.

Eine solche Ausnahmesituation hat es noch niemals gegeben in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Was wäre die Folge, wenn ein abgewählter US-Präsident einfach nicht gehen will?

Dann werden wir Zeugen eines Härtetests, wie stabil die anderen Institutionen der amerikanischen Demokratie sind und mit dieser Situation umgehen. Und es wird darauf ankommen, wie sich Trumps Anhänger verhalten werden. In manchen Medien kursieren bereits Vermutungen, wie die Sicherheitsbehörden und das Militär bei einer möglichen Eskalation reagieren werden.

Wir Deutsche blicken in der Regel mit einer Mischung aus Faszination und Irritation über den Atlantik. Vor allem die extreme Spaltung der US-Bevölkerung in Anhänger und Gegner Trumps ist sehr befremdlich.

Donald Trumps Präsidentschaft ist eine Reaktion auf die Barack Obamas. Zumindest in gewisser Weise. Mit der Wahl Trumps ist das politische Pendel von einem liberalen Präsidenten der Demokraten zurückgeschwungen zu einem eher populistischen Staatsoberhaupt von Seiten der Republikaner.

Ronald D. Gerste, 1957 in Magdeburg geboren, ist promovierter Mediziner und Historiker. Der USA-Experte lebt in der Nähe der amerikanischen Hauptstadt Washington, D.C. und schreibt regelmäßig als Korrespondent für deutschsprachige Medien. Weiterhin verfasst Gerste Bücher etwa zur amerikanischen Geschichte und Kultur, so unter anderem "Amerika verstehen" oder "Trinker, Cowboys, Sonderlinge. Die 12 seltsamsten Präsidenten der USA".

Um es auf den Punkt zu bringen: In der deutschen Wahrnehmung hätte der Wechsel von Obama zu Trump kaum härter ausfallen können.

Das politische System der USA ermöglicht bewusst radikale politische Systemwechsel. Ganz anders als in Deutschland. Der Demokrat Jimmy Carter, ein für US-Verhältnisse relativ linker Politiker, wurde etwa 1981 von dem Republikaner Ronald Reagan abgelöst. Carter war ein anständiger Mann und beileibe kein schlechter Präsident, aber ihm klebte mit einer Wirtschaftsmisere und außenpolitischen Krisen das Pech geradezu an den Händen. Reagan fuhr mit einem konservativen Programm dann einen Erdrutschsieg ein und holte fast alle 50 Bundesstaaten. Woran sich deutlich zeigt, dass die Amerikaner die sprichwörtliche Nase voll hatten und politisch eine andere Richtung ausprobieren wollten. Was auch ihr gutes demokratisches Recht war und ist.

Als vermeintlicher Erzkonservativer ließ Reagan nicht nur bei den Liberalen in den USA die Alarmglocken schrillen, sondern auch in Europa.

Und wie! Aber mit Reagan sind doch weder die USA noch wir Deutsche schlecht gefahren. Mit seiner Rhetorik, die manchmal sicherlich über das Ziel hinausgeschossen ist, hat er die Vereinigten Staaten wieder zu einer selbstbewussten Führungsmacht des Westens gemacht. Und ausgerechnet der als schießwütiger Cowboy verunglimpfte Reagan, von dem manche dachten, dass er den Dritten Weltkrieg auslösen würde, trug letzten Endes dazu bei, die Mauer zu Fall zu bringen. Sie sehen, die radikalen politischen Umbrüche in der US-Politik können durchaus ihr Gutes haben. Aber sie müssen es nicht, wenn wir in unsere Gegenwart blicken.

Womit wir wieder bei Donald Trump wären.

Donald Trump spaltet mittlerweile selbst ganze Familien, die nicht mal mehr zu Thanksgiving längere Zeit zusammenkommen, weil die einen Trump-Anhänger sind und die anderen Gegner des US-Präsidenten. Trump zeitigt auch erstaunliche andere Folgen. Der Republikaner George W. Bush, der für viele liberale Amerikaner seit 2001 ein absolutes Feindbild war, wird in Zeiten von Donald Trump inzwischen selbst bei den Linken immer mehr geschätzt. Bei allem, was Bush etwa mit dem Irakkrieg angerichtet hat, verlor er etwa so gut wie nie ein hässliches Wort über seine Mitmenschen.

Was man von seinem Nachfolger Trump kaum behaupten kann.

Ich glaube, dass gerade Trumps zahlreiche Verstöße gegen die politische Korrektheit einer der wichtigsten Gründe sind, warum er gewählt worden ist. Viele Amerikaner sind die politische Korrektheit einfach leid. Gerade Durchschnittsamerikaner empfinden sich bevormundet, indem ihnen von Eliten als Trägern der politischen Korrektheit vorgegeben wird, was sie sagen dürfen und was nicht. An den Universitäten geht es seit längerer Zeit so weit, dass Bücher aus Bibliotheken verbannt werden, wenn bestimmte Gruppen sich davon diskriminiert fühlen. Und viele Politiker äußern sich auch nur nichtssagend, damit sie bloß nicht irgendwo anecken. In dieser Situation kam Trump mit seinen aggressiven Sprüchen und der völligen Missachtung jeglicher politischer Korrektheit gerade recht. Bei der anstehenden Wahl wird sich zeigen, ob die Zahl der Unzufriedenen auch heute noch groß genug ist, um ihn wieder ins Weiße Haus zu tragen.

Gutes Stichwort: Kommen wir auf das US-Wahlsystem zu sprechen, das ausländischen Beobachtern als verwirrend, wenn nicht gar undemokratisch erscheint. So erhielt Trumps Konkurrentin Hillary Clinton 2016 landesweit mehr Stimmen, dafür gewann Trump die entscheidenden Staaten, um im Wahlmännerkollegium die ausreichende Unterstützung für seine Wahl zu erhalten.

Richtig, das ist historisch begründet. Und zwar waren die jungen Vereinigten Staaten seit der Unabhängigkeitserklärung 1776 und dem darauffolgenden Krieg mit Großbritannien lange Zeit eine Demokratie unter lauter zentralistisch regierten Königreichen auf der Welt. Die Gründungsväter der USA fürchteten aber nichts mehr als eine neue Despotie. Deswegen gaben sie den einzelnen Bundesstaaten verschiedene Möglichkeiten, das Geschehen auf Bundesebene mitzubestimmen. Etwa durch die Einrichtung des Wahlmännerkollegiums.

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In dem das oft kritisierte Prinzip des "The Winner Takes It All" herrscht, also dass dem Kandidaten mit Stimmenmehrheit in dem betreffenden Staat sämtliche Wahlmännerstimmen zufallen.

Genau. Ein anderes Mittel ist etwa der amerikanische Senat, in den jeder Bundesstaat zwei Senatoren entsendet. Egal, wie groß er ist oder wie viele Einwohner er hat. So wollten die Gründungsväter verhindern, dass die großen Staaten die kleinen dominieren können. Andererseits kann nun wiederum ein kleiner Staat den Ausschlag bei Entscheidungen gegen die großen geben. Bei aller Kritik sollten wir vor allem aber bedenken, dass das politische System der USA seit Jahrhunderten funktioniert.

Außenpolitisch wird den USA hingegen wiederum oft Ignoranz bis Arroganz vorgeworfen. Auch in Bezug auf Deutschland, das immer wieder als Angriffsfläche für Donald Trump dient.

Die USA betrachten sich als Nabel der Welt, teilweise auch durchaus zu Recht. Dort ist alles größer, im Guten wie im Schlechten. In diesem Bewusstsein ist wiederum das Interesse an der übrigen Welt geringer. Und das auch gilt nicht nur für den Durchschnittsamerikaner, sondern auch für viele Intellektuelle. Die Sichtweise der Amerikaner auf die Welt ist einfach eine andere. Deutschland, Frankreich oder Großbritannien haben jeweils auch eine wesentlich längere Geschichte als die USA, bei denen die Entwicklung in den Jahrhunderten in einem hohen Tempo verlief.

Lange waren Deutschland und die Europäische Union über den Atlantik hinweg eng verbunden mit den USA. Nicht erst seit Donald Trump lockert sich diese Beziehung merklich.

Europa ist für die Amerikaner tatsächlich weniger wichtig geworden. China wird als der neue Rivale der USA gesehen, entsprechend verlagert sich das Interesse in den Pazifik. Wobei die Europäer den USA allerdings auch wenig Anlass geben, sie als Großmacht ernst zu nehmen. Und ein wenig Doppelzüngigkeit ist auch im Spiel, wenn US-Politiker ein starkes Europa beschwören.

In welcher Hinsicht?

Bisweilen sehen die USA Europa als lästige Konkurrenz. Denn viele Industrieprodukte aus Europa sind einfach besser als diejenigen aus den Vereinigten Staaten. Angefangen bei den Automobilen. Und es gibt bei manchen Amerikanern auch eine Mischung aus Bewunderung und Neid auf die sozialen Errungenschaften etwa in Deutschland.

Bitte nennen Sie Beispiele.

Zwei Dinge halten wir Europäer nahezu für Grundrechte: Bildung und Gesundheit. Das Gesundheitssystem in den USA ist hingegen eine Schlangengrube. Viele Amerikaner, wenn sie denn überhaupt eine Krankenversicherung haben, lesen erst mal das Kleingedruckte in ihrem Vertrag, bevor sie zum Arzt gehen. Denn sie müssen wissen, welche Behandlungen die Versicherung überhaupt übernimmt. Ein Studium in den USA kostet junge Menschen wiederum Unsummen, sodass viele für den Rest ihres Lebens einen Schuldenberg abtragen müssen.

Letztlich hätte es die amerikanische Politik in der Hand, etwas an diesen Zuständen zu ändern. Barack Obama hat damit in Form von Obamacare auch 2010 begonnen. Allerdings gegen heftigsten Widerstand von republikanischer Seite.

Absolut. Für Republikaner ist das bereits Sozialismus. Fast alles was nach staatlicher Intervention riecht, und das gilt auch fürs Gesundheitswesen, hat so einen unangenehmen Beigeschmack. Diese Vorstellung sitzt sehr, sehr tief in den Köpfen.

Letztlich dient ein allgemeiner Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung auch dem sozialen Frieden. Warum herrscht trotzdem so große Aufregung um diese Themen?

In der amerikanischen Gesellschaft steht Profit an erster Stelle. Verstehen Sie das nicht falsch, viele Wohlhabende und Reiche spenden viel Geld für die Allgemeinheit. Aber was man spendet, muss man sich vorher verdient haben. Der Grundgedanke ist: Jeder kann nahezu alles erreichen, wenn er es denn wirklich will. Das ist ein wichtiger Bestandteil des American Way of Life. Individualismus und Freiheit sind zwei sehr wichtige Werte.

Was auch seinen Ursprung in der Geschichte hat.

Natürlich. Der Wilde Westen wurde von Männern mit weißer Hautfarbe erobert, ohne jede Rücksicht auf die amerikanischen Ureinwohner. Einige haben gewaltige Reichtümer angehäuft, durch Goldminen, Landbesitz oder weil sie in die Eisenbahn investiert haben. Menschen wie diese gelten bis heute als leuchtende Vorbilder.

Dabei bleiben aber die ungezählten Menschen außer Betracht, die für die Leute geschuftet haben.

Das ist richtig. Man erinnert sich nur an die Gewinner. Genau wie die amerikanischen Ureinwohner bis heute mehr oder weniger vergessen sind. Man hat die verschiedenen Stämme vertrieben und betrogen, bekämpft und ausgerottet, allein die vielen Seuchen haben Millionen getötet. Bis heute weisen viele Reservate landesweite Negativrekorde auf, was Arbeitslosigkeit, Gewalt, Suizide oder auch Alkoholismus betrifft.

Der Umgang mit der eigenen Vergangenheit ist in den USA recht selektiv. Auch was Sklaverei und Diskriminierung von Afroamerikanern betrifft.

Die Sklaverei ist die Ursünde der USA. In der Unabhängigkeitserklärung von 1776 und der folgenden Verfassung samt Zusätzen legten die Amerikaner so großartige Werte fest, dass die ganze Welt staunte. Allerdings galten diese Werte nur für Weiße. Und zahlreiche dieser Weißen, die "Freiheit" zum höchsten Gut überhaupt erklärten, duldeten und befürworteten wiederum die Sklaverei. Wie der Verfasser der Unabhängigkeitserklärung, Thomas Jefferson, der selbst Sklaven hielt. Erst der Amerikanische Bürgerkrieg befreite die Sklaven, die Diskriminierung ging weiter. Was sich bis heute in den Protesten etwa nach dem Tod vonGeorge Floydzeigt.

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Stichwort Gewalt: Die so oft auflodernde Gewalt in den USA ist ebenfalls für uns Europäer schwer nachzuvollziehen. Sei es durch Polizisten, sei es durch hochgerüstete Amokläufer. Wieso genießt das Recht auf Waffenbesitz in den USA mit dem Zweiten Zusatz zur Verfassung gar allerhöchsten Schutz?

Dazu müssen wir wieder in die Entstehungszeit der Vereinigten Staaten springen. Von Anfang an herrschte große Angst vor einer zu starken Regierung. Das Recht auf Waffenbesitz durch die Bürger wurde 1791 installiert, um eine mögliche neue Tyrannei verhindern zu können. Und nicht zuletzt richtete es sich auch gegen die amerikanischen Ureinwohner, die sich verständlicherweise gegen ihre Vertreibung wehrten. Die Siedler waren rund um die Uhr bewaffnet deswegen. So spielt auch der Mythos des Wilden Westens durchaus eine Rolle bei der Glorifizierung von Waffen.

Die immer wieder von Waffennarren genutzt werden, um furchtbare Bluttaten anzurichten.

Diese Massaker lösen für ein, zwei Tage Entsetzen aus. Dann geht man wieder zur Tagesordnung über. Die Waffe in der Hand ist ein Stück amerikanischer Identität. Schauen Sie allein auf die Unterhaltungsindustrie und welche Rolle Waffen dort etwa in Filmen einnehmen. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass die einzelnen Bundesstaaten regeln, wie der Zweite Verfassungszusatz auf ihrem Territorium gehandhabt wird. In manchen Staaten ist der Zugang zu Waffen schwerer als in anderen.

Sprechen wir einmal über die Staaten, in denen Donald Trump über eine große Anhängerschaft verfügt. Das sind etwa Staaten des Mittleren Westens wie auch die im sogenannten "Rust Belt", in dem die alten Industriezweige aussterben.

Im Mittleren Westen spielt der Faktor Religion eine wichtige Rolle. In den USA ist die Religion keine Privatsache, sondern gehört zum öffentlichen Auftreten. Es wird sehr genau darauf geachtet, wie sich ein Politiker benimmt. Da macht es sich gut, wenn Trump etwa mit Amy Coney Barrett eine gläubige Katholikin mit sieben Kindern als Kandidatin für den Obersten Gerichtshof präsentiert.

Donald Trumps eigenes Verhalten lässt sich kaum als sehr christlich und moralisch bezeichnen.

Aber im Vergleich zu Hillary Clinton war er für viele Evangelikale die bessere Wahl. Das ist ein weiteres Symbol für die Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft. Trump wird verabscheut oder bejubelt. Vor allem schauen viele auch über die rhetorischen Ausfälle und Schwächen hinweg.

Was macht Trump aber wiederum für die Menschen im "Rust Belt“ attraktiv? Er ist laut eigener Selbstdarstellung Milliardär, die Menschen dort kämpfen gegen den wirtschaftlichen Verfall.

Es ist ein weiteres Paradox der amerikanischen Gesellschaft: Diejenigen, denen es am schlechtesten geht, wählen die, denen es am besten geht. Alles in der Hoffnung, dass die Reichen dann für sie sorgen werden. Trump hat den Menschen dort erzählt, dass er die Abwanderung von Arbeitsplätzen stoppen wird. Ob die Leute es ihm immer noch abnehmen? Das werden wir am 3. November erfahren. Seine Anhänger betonen jedenfalls, dass es der Wirtschaft unter Trump gut ging. Bis dieses "chinesische Virus" kam. Um es in Trumps Vokabular zu sagen.

Wie wirkt sich die Corona-Epidemie auf den US-Wahlkampf aus?

Es ist recht eigenartig. Ich kenne persönlich niemanden in meinem Umfeld, der erkrankt ist, geschweige denn gestorben. Aber die Bedrohung ist natürlich da. Joe Biden verlässt kaum seinen Keller in Delaware, unken manche. Und Trump ist eben Trump.

Wie bewerten Sie selbst als Historiker denn Trumps bisherige Amtszeit?

Es ist noch zu früh, um ein abschließendes Urteil zu bilden. Immerhin hat Trump keine Kriege angefangen.

Wenn man die US-Politik betrachtet, könnte man sagen, dass eine sehr junge Nation von sehr alten Leuten geführt wird. Donald Trump ist 74, sein Herausforderer Joe Biden zählt sogar 77 Lenze. Nancy Pelosi, die starke Frau der Demokraten, ist 80 Jahre alt.

Die Politik-Elite der USA ist wirklich steinalt. Es dauert offensichtlich sehr lange, bis nachfolgende Politiker in höhere Positionen aufsteigen. Barack Obama war immerhin eine Ausnahme. Sein früherer Vizepräsident Joe Biden, der wesentlich älter ist, hat mich bislang nicht überzeugt, er wirkt mental und intellektuell etwas angeschlagen.

Stellt sich die Frage, warum es jüngeren Politikerinnen und Politikern nicht gelingt, früher Karriere zu machen.

Eine politische Karriere in den USA hängt stark vom Geld ab. Wie so vieles. Das heißt, Sie müssen sehr früh einflussreiche und finanzkräftige Förderer haben.

Eine letzte Frage: Wen halten Sie persönlich für den besten Präsidenten, den die USA bislang hatten?

Das ist eine schwierige Frage. Theodore Roosevelt fällt mir dabei von 1901 bis 1909 ein…

…der bis heute der jüngste Präsident der USA.

Genau. Er war eine Mischung aus Abenteurer und Kriegsheld, Intellektuellem und Naturschützer. Dazu war das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts eine Art goldenes Zeitalter der USA. Und natürlich ist Abraham Lincoln eine Ausnahmeerscheinung gewesen.

Jetzt wirklich zum Schluss: Wer war das schlechteste Staatsoberhaupt?

Verschiedene Präsidenten haben sehr unglücklich agiert. James Buchanan wäre ein Beispiel, der von 1857 bis 1861 kurz vor dem Ausbruch des Amerikanischen Bürgerkriegs die zunehmende Spaltung der USA nicht aufhielt.

Herr Gerste, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch via Videotelefonie
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