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Joe Biden in der Krise: Der US-Präsident hat den Fokus verloren


Zwölf Monate nach der Wahl
Joe Biden hat den Fokus verloren

  • Bastian Brauns
Von Bastian Brauns, Washington

Aktualisiert am 03.11.2021Lesedauer: 6 Min.
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Joe Biden nach seinem Wahlsieg im November 2020 (Archivbild): Die Erwartungen an den neu gewählten US-Präsidenten waren hoch.Vergrößern des Bildes
Joe Biden nach seinem Wahlsieg im November 2020 (Archivbild): Die Erwartungen an den neu gewählten US-Präsidenten waren hoch. (Quelle: Tom Brenner/Reuters-bilder)

Am 3. November 2020 gelang Joe Biden ein Erdrutschsieg über Donald Trump. Doch der Präsident, der mit hohen Erwartungen startete, enttäuscht inzwischen vor allem. Was ist bloß passiert?

Ein Wort verwendet die Sprecherin von Joe Biden besonders gerne, wenn sie der Hauptstadtpresse in Washington die Agenda der Regierung darlegt. Angesprochen auf die zahlreichen Probleme im Land, redet Jen Psaki dann oft davon, die Biden-Administration arbeite absolut "laser-focused" an den Lösungen. Übersetzt heißt das so viel wie: hundertprozentig konzentriert.

Ob Afghanistan-Abzug, Pandemiebekämpfung oder Wirtschaftswachstum – das Wort "laser-focused" fällt so häufig, als sei es von der Regierung eigens ersonnen worden. So als würden damit bereits jene drei großen Versprechen eingelöst, die Bidens Wählern angesichts von Pandemie und wirtschaftlicher Rezession vor einem Jahr gemacht wurden. Wer Joe Biden wählt, so die Botschaft damals, bekommt anders als mit seinem chaotischen Vorgänger vor allem Kompetenz, Stabilität und Verlässlichkeit.

Geweckte Hoffnungen...

Doch was ist daraus nach einem Jahr geworden? Mehr als 150 Millionen Amerikaner hatten sich am 3. November 2020 auf den Weg gemacht, um ihre Stimme bei den Präsidentschaftswahlen abzugeben. Mehr als jemals zuvor in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Für Joe Biden stimmten rund 83 Millionen Menschen, für Donald Trump rund 74 Millionen. Weil Biden trotz des komplizierten Wahlrechts auch unter den Wahlmännern eine deutliche Mehrheit hatte, wurde er der 46. Präsident der USA.

Und einer, der große Hoffnungen weckte.

Nicht nur die Spaltung der Gesellschaft, die sowohl von Anhängern der Demokraten als auch der Republikaner beklagt wird, wollte er lindern. Mit billionenschweren Investitionen würde er, so Biden, die USA nach der Pandemie in eine bessere Zukunft für alle Amerikaner führen.

"Building back better", lautet seither sein Mantra. Bessere Gesundheitsversorgung, finanzielle Entlastungen für die Mittelschicht, neue Jobs, Klimaschutz und eine modernisierte Infrastruktur sind nur ein Teil von dem, was Biden in Aussicht gestellt hatte. Hinzu kamen gesellschaftspolitische Themen wie der Kampf gegen Rassismus, Unterstützung für Familien und mehr Schutz und Gleichberechtigung für Minderheiten.

...gelieferte Enttäuschungen

Doch die anfängliche Euphorie ist ein Jahr nach der Wahl weitgehend verflogen. Joe Bidens Umfragewerte sind so schlecht wie bei keinem bisherigen US-Präsidenten ein Jahr nach der Wahl. Mit einer berüchtigten Ausnahme: Nur Donald Trump hatte noch schlechtere Zahlen. Fanden anfänglich 55 Prozent der befragten US-Amerikaner, Joe Biden mache seinen Job gut, sind es jetzt nur noch 42 Prozent.

Der US-Präsident verliert massiv an Zustimmung, auch bei den eigenen Anhängern. Das jüngste Wahldesaster der Demokraten im Bundesstaat Virginia und die Verluste in New Jersey zeugen ebenfalls davon.

Selbst nach Rom und Glasgow, wo Joe Biden zuletzt zum G20-Gipfel und zur Weltklimakonferenz gereist ist, verfolgen ihn seine schlechten Zahlen. Als Reporter den US-Präsidenten dort mit Fragen löcherten, gab er sich betont entspannt: "Ich bin nicht angetreten, um zu bestimmen, wie gut ich in den Umfragen abschneiden werde." Die Werte gingen immer hoch und runter. "Ich bin angetreten, um sicherzustellen, dass ich das durchziehe, wovon ich gesagt habe, dass ich es als Präsident tun würde", sagte Biden.

Sein Problem: Er kann wenig durchziehen. Denn nicht nur die Republikaner, sondern auch die Vertreter seiner eigenen Partei blockieren sich gegenseitig im US-Kongress. Während progressive Demokraten im Repräsentantenhaus mehr Investitionen fordern, halten die beiden moderaten Senatoren Joe Manchin und Kyrsten Sinema die Agenda des Präsidenten auf, weil ihnen selbst die bereits abgespeckten Gesetzesvorhaben noch zu umfangreich sind.

Ausgerechnet die jungen Wähler und die benachteiligten Gruppen, die für Joe Biden und den Regierungswechsel vor einem Jahr wochenlang auf die Straße gingen, wenden sich inzwischen enttäuscht ab. Ob Energiewende oder Subventionen für E-Autos, ob höhere Unternehmenssteuern oder mehr Abgaben für hohe Einkommen, ob geringere Studiengebühren, niedrigere Medikamentenpreise oder bezahlter Mutterschutz – vieles wird in Bidens Sozial-Investitionspaket "Building back better" wohl fehlen.

Von den ursprünglich geplanten 3,5 Billionen Dollar sind nur noch 1,75 Billionen übrig. Und ob die Senatoren Joe Manchin und Kyrsten Sinema wirklich zustimmen werden, lassen sie nach wie vor offen.

Chaotische Außenwirkung

Joe Bidens Umfragewerte begannen spätestens dann deutlich zu sinken, als der chaotische Afghanistan-Abzug Mitte August ausgerechnet an der ihm zugeschriebenen Stärke, seiner außenpolitischen Kompetenz, Zweifel weckte. Als dann auch noch die europäischen Verbündeten mit dem neuen Pazifik-Sicherheitsbündnis Aukus und dem damit verbundenen U-Boot-Deal brüskiert wurden, bestätigte das den Eindruck nur noch. Biden selbst gab gegenüber dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron sogar öffentlich zu, dass das ein wenig "clumsy", also durchaus tollpatschig, gewesen sei.

Hinzu kommt die noch immer nicht überstandene Pandemie, die zu zahlreichen schwerwiegenden, vor allem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Problemen führt – und die der US-Präsident beinahe verzweifelt bislang kaum einzufangen vermag.

Um endlich eine ausreichend hohe Impfquote zu erreichen, die eine Überlastung des Gesundheitssystems verhindern könnte, führte er ausgerechnet im Land der Freiheit weitreichende Impfpflichten ein. Mehr als 100 Millionen Arbeitnehmer sind davon betroffen und das führt längst nicht nur in New York, sondern landesweit zu Protesten. Zwar handelt es sich um eine Minderheit, doch deren Wut über diese staatliche Gängelung bestimmt trotzdem die Schlagzeilen. Hängen bleibt: Biden hat das Pandemie-Management nicht im Griff. Dabei war er es, der die Impfkampagne erst richtig in Gang gebracht hatte.

Steigende Preise als Umfragekiller

Das größte Problem für die Biden-Administration aber ist wohl die aktuelle Rekord-Inflation. Denn die spüren fast alle Amerikaner, vor allem durch die massiv steigenden Öl- und Benzinpreise. Die jährliche Preissteigerungsrate erreichte mit 5,4 Prozent im September zuletzt einen so hohen Stand wie seit 13 Jahren nicht. Einen spürbaren Rückgang der Inflation soll es erst Ende nächsten Jahres geben.

Die Anzahl der Probleme ist ein Jahr nach der US-Präsidentschaftswahl so groß, dass es den Demokraten schwerfällt, zu vermitteln, worauf Joe Biden den von seiner Sprecherin stets betonten "Laser-Focus" eigentlich gerade richtet. Den Republikanern und Donald Trump fällt es hingegen leicht, der Regierung ein Riesenchaos vorzuwerfen. Also genau das Gegenteil dessen, was Biden einst versprach. Die Demokraten drohen, die Kontrolle über ihre Erzählung einer besseren Zukunft und die vielfach beteuerte Fokussierung auf die Lösung der Probleme zu verlieren.

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Genüsslich zeichnet Bidens Amtsvorgänger, der bis heute den Wahlsieg der Demokraten nicht anerkennt, in zahlreichen Auftritten ein düsteres Bild der USA. So sagte Trump bei einer seiner Auftritte: "Gewalttäter und blutdürstige Gangs übernehmen unsere Straßen, illegale Einwanderer und tödliche Drogenkartelle übernehmen unsere Grenzen, die Inflation übernimmt unsere Wirtschaft, China übernimmt unsere Jobs, die Taliban haben Afghanistan übernommen, wahnsinnige Linke übernehmen unsere Schulen und radikale Sozialisten übernehmen unser Land. Aber das werden wir nicht geschehen lassen!"

Auch weil die Demokraten am Dienstagabend bei der Gouverneurswahl in Virginia ihr erstes Wahldesaster miterleben mussten, scheinen die schlimmsten Befürchtungen nun einzutreten. Obwohl Biden dort gar nicht zur Wahl stand, war sie ein Stimmungstest. Vielleicht gibt die Niederlage den Kongressabgeordneten nun einen Stoß, ihre gegenseitigen Blockaden zu beenden und endlich zu liefern. Doch die Gefahr, dass sie sich über die Schuld an der Niederlage weiter zerstreiten, ist da.

Es gibt noch Hoffnung

Immerhin: Joe Biden hat auch gute Gründe, bislang gelassen auf seine schlechten Umfragen zu reagieren. Seine ihm zugeschrieben Hartnäckigkeit könnte ihm schließlich helfen. Denn egal, wie viel eine demokratische oder eine republikanische Regierung in ihren ersten beiden Jahren auch geliefert hat. Fast immer verlor die Präsidenten-Partei bei den Zwischenwahlen. Und trotzdem wurden viele Amtsinhaber schließlich wiedergewählt. Barack Obama, George Bush und Bill Clinton konnten jeweils eine zweite Amtszeit antreten.

Die gegenseitigen Blockaden der Demokraten im Kongress bei Bidens Investitionsprogramm mag Beobachtern von außen absurd erscheinen. Doch selbst wenn am Ende viel weniger Geld zur Verfügung steht als vom Präsidenten beabsichtigt, stehen die USA noch immer vor Rekordinvestitionen. Und wie meistens wird auch bei den nächsten Präsidentschaftswahlen im Jahr 2024 voraussichtlich wieder die Wirtschaft das entscheidende Thema sein.

Sollten die Menschen dann spüren, dass es ihnen unterm Strich besser geht als 2020, stehen die Chancen zumindest nicht schlecht, dass sie sich dann mehrheitlich für Kontinuität entscheiden. Sollte Biden seine Versprechen von Kompetenz, Stabilität und Verlässlichkeit erst spät, aber trotzdem wahrmachen – dieses verflixte erste Jahr nach der so deutlich gewonnenen Wahl, es wäre womöglich schnell vergessen.

Verwendete Quellen
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