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Joe Bidens Afghanistan-Desaster: Das Ende von "Uncle Joe"


Bidens Afghanistan-Desaster
Das Ende von "Uncle Joe"

  • Bastian Brauns
Von Bastian Brauns

Aktualisiert am 27.08.2021Lesedauer: 7 Min.
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Joe Biden
"Wir werden sje jagen": Mit drastischen Worten hat Joe Biden Vergeltung für die Anschläge in Kabul angekündigt. (Quelle: Glomex)

Das Image des netten Onkels hat Joe Biden mit seinem desaströsen Afghanistan-Abzug verloren. Stattdessen bringt er Freunde und Gegner gegen sich auf. Wie will er das richten?

Lange konnte sich Joe Biden auf sein Image als cooler und netter Onkel verlassen. "Uncle Joe" – das war schon zu seiner Zeit als Vizepräsident ein Spitzname, der ihm von seinen Anhängern und vielen Medien immer wieder gern gegeben wurde. Das Internet ist darum auch voll mit Artikeln über den Onkel Joe und unzähligen Memes, die Joe Biden mal oberkörperfrei beim Autowaschen zeigen, mal lässig mit einer kalten Dose Bier in der Hand.

Biden selbst pflegte lange dieses Image des "cool and nice guys", des netten Typs. Das wirkte überparteilich, versöhnlich und zugleich nicht unnötig anbiedernd. Auch noch im vergangenen Präsidentschaftswahlkampf ums Weiße Haus und in seinen ersten Reden als US-Präsident. Mit "It's time to heal America", "America is back" und seiner Ray-Ban-Aviator-Sonnenbrille fiel es selbst Konservativen bisweilen schwer, ihn nicht doch irgendwie zu mögen. Und das Ausland? Zumindest in Europa überschlugen sich Politik und Presse mit Lob und Anerkennung für den außenpolitisch so erfahrenen und den Alliierten nun im Vergleich zu Donald Trump so zugewandten neuen US-Präsidenten.

Doch der nette Onkel ist Vergangenheit. Zwar gab sich Joe Biden bei seiner Pressekonferenz anlässlich des Terroranschlags am Kabuler Flughafen in Afghanistan sichtlich Mühe, auch weiterhin sein Mitfühlen zu bekunden. "It's a tough day", leitete der Präsident seine Ansprache ein: "Es ist ein harter Tag" – und wirkte tatsächlich sichtlich mitgenommen.

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Aber mit dem chaotischen Abzug der Amerikaner aus Afghanistan und den brutalen Folgen, spätestens seit Donnerstag auch für US-Amerikaner, sind Joe Biden und mit ihm die USA und der Rest der Welt in der politischen Realität angekommen. Nettigkeit, Coolness und Onkelhaftigkeit sind zwar ohnehin keine politischen Kategorien. Aber bisweilen notwendig, um den Wählern eine Bauchentscheidung leichter zu machen.

Bidens Zustimmungswerte auf dem Tiefststand

Tatsächlich kündigte schon der heftige Konflikt zwischen Israel und palästinensischen Terroristen im Gazastreifen gleich zu Beginn von Bidens Amtszeit an, wie ungelegen ausgerechnet außenpolitische Konflikte dem außenpolitisch erfahrenen US-Präsidenten kommen. Bei Afghanistan aber sind die USA direkt involviert und so wie Joe Biden den Abzug derzeit managt – auch kommunikativ – stürzt er sich und seine Regierung zunehmend in ein riskantes Spiel.

Es sind bislang nur Momentaufnahmen. Aber seine Zustimmungswerte fielen laut einer Umfrage für "USA Today" zuletzt auf nur noch 41 Prozent jener, die seine Arbeit für gut befinden. 55 Prozent der Befragten sehen Bidens Arbeit kritisch. Nicht alle Umfragen der vergangenen Tage waren derart deutlich, aber alle zeigen erstmals deutlich einen Trend nach unten.

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Das ist kein Wunder, denn der US-Präsident scheint es sich derzeit mit allen zu verscherzen – mit den Republikanern sowieso, aber auch mit den Alliierten, den Veteranenverbänden und selbst mit den eigenen Leuten. Biden kann sich zwar sicher sein, mit dem Abzug der US-Truppen grundsätzlich dem Willen der deutlichen Mehrheit der Amerikaner zu entsprechen. Doch die Art und Weise, sie könnte für ihn womöglich nicht nur kurzfristig zum Problem werden. Immerhin sind jetzt auch US-Bürger gestorben.

Die Republikaner: Bidens Inkompetenz

Die Republikaner wissen, dass sie selbst unter ihrem Präsidenten Donald Trump den Abzug aus Afghanistan eingeleitet hatten. Damit können sie nicht punkten. Also konzentrieren sie sich darauf, Joe Biden als unfähigen Oberbefehlshaber darzustellen, der die Sache schlicht nicht im Griff hat. Die Bilder vom Donnerstag, sie scheinen ihnen recht zu geben. Egal, ob Trump es besser gemacht hätte oder nicht.

"Wir stehen an der Schwelle zur größten Massengeiselnahme, die dieses Land je erlebt hat", sagte beispielsweise der Republikanische Abgeordnete Mike Waltz aus Florida vor einigen Tagen. Wütend fuhr er fort: "Wie viele werden jetzt sterben? Sie müssen sich durch unsere eigene Ausrüstung kämpfen. Unsere eigene verdammte Ausrüstung. Um mit al-Qaida 3.0 fertigzuwerden." Und deshalb würde Amerika weitere Anschläge erleben. "Einen weiteren Pulse-Nachtclub. Ein weiteres San Bernadino. Einen erneuten 11. September. Wegen dieser Inkompetenz." Dieses Blut klebe an Joe Bidens Händen und werde auch daran kleben bleiben.

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Der Minderheitsführer der Republikaner im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy, gab Biden nach dem Anschlag die Schuld für den "chaotischen Abzug", von dem die Gegner schlicht profitiert hätten.

Es ist nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was die Republikaner und auch Donald Trump derzeit als Kampagne gegen Joe Biden lostreten. Auf seinen Rallyes beteuert der Ex-Präsident, der das konkrete Abzugsdatum mit den Taliban einst für den Mai dieses Jahres ausgehandelt hatte, dass er selbstverständlich ein gewisses Kontingent an Truppen im Land belassen hätte. Ein Vorwurf, mit dem sich Biden auseinandersetzen muss. Laut einem Bericht des "Wall Street Journals", hatten Militärberater den Präsidenten beschworen, eine Anzahl an Soldaten vor Ort zu belassen. Biden entschied sich dagegen.

Die Demokraten: Bidens Herzlosigkeit

Das sorgsam gepflegte Image des netten Onkels bekommt auch bei Bidens Demokraten ordentlich Risse. Insbesondere bei der ersten Ansprache des US-Präsidenten zur Lage in Afghanistan, schien Biden vielen als geradezu herzlos. Als er darin den afghanischen Truppen die Schuld gab, weil diese sich kampflos ergeben hätten, warfen ihm viele vor, die Komplexität der Lage vollkommen zu ignorieren.

Die Überraschung Bidens über den schnellen Vormarsch der Taliban erscheint indes einigen Beobachtern als nicht glaubwürdig. In seinem Interview mit dem Sender "ABC" ließ der US-Präsident erkennen, dass er sich politisch eben für die positivste aller möglichen Interpretationen der Geheimdienstberichte entschieden hatte. Der Oberbefehlshaber der Vereinigten Staaten, er hätte auch anders entscheiden können.

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"Die sich rapide verschlechternde Situation in Afghanistan zeigt, dass man sich nicht auf ein Szenario vorbereitet hat, in dem die afghanische Regierung und das Militär sich weigern würden, die Vorstöße der Taliban zu bekämpfen, wenn sie auf die Probe gestellt werden", sagte etwa der Demokratische Senator aus Arizona Mark Kelly, direkt nach Bidens erster Ansprache. Im Kongress sind zudem viele Demokraten wütend, dass die Biden-Regierung Übersetzer, Dolmetscher und andere Afghanen, die für die USA gearbeitet haben, im Stich gelassen habe. Diese Menschen jetzt auf so hektische und gefährliche Weise in USA zu bringen, sei das Resultat einer zögerlichen und viel zu langsamen Aktion.

Die Veteranen: Biden verspielt den Einsatz

Hinzu kommen die in den USA wichtigen Veteranen-Organisationen. 45 von ihnen forderten den US-Präsidenten in einem öffentlichen Brief zu einem zumindest virtuellen Treffen auf. Das Anliegen der ehemals in Afghanistan kämpfenden US-Soldaten: Wie wichtig die Unterstützung afghanischer Verbündete war. Die sichere Evakuierung dieser Verbündeten und Partner müsse sichergestellt werden, ebenso jene von gefährdeten Afghanen, die noch kein Visum haben.

"Wir [...] bleiben in Sorge über das Schicksal unserer Kriegspartner", heißt es in dem Brief.

Angesichts der Machtübernahme der Taliban fühlen sich viele US-Soldaten, die am Hindukusch kämpften, um ihren Einsatz (mit dem eigenen Leben) betrogen. Dabei waren es eigentlich eben jene viele Tausend tote, verletzte und traumatisierte Kämpfer samt deren Familien, die Joe Biden als Grund anführte, aus Afghanistan abzuziehen. In allen relevanten Umfragen war und ist deutlich zu erkennen, dass die Amerikaner kriegsmüde sind. Bidens Ansprachen zielen deshalb bis heute immer wieder darauf ab.

Fürsorgend fragte er in einer Rede, wer denn weiterhin seine eigenen Kinder in einen aussichtslosen Kampf schicken wolle? Die Mission, al-Qaida zu besiegen und Osama bin Laden zu töten, sei doch längst erfüllt. Dazu liefert der US-Präsident immer wieder auch die Geschichte seines eigenen Sohnes Beau Biden, den er einst in den Irakkrieg verabschiedet hatte. Auch am Donnerstag wieder, nach den Anschlägen, berief er sich auf diese eigene Erfahrung als Vater.

Doch diesen Abzug der eigenen Armee aus Afghanistan, der nun vielen als nutzlos und zudem ehrlos erscheint, dürften die meisten eben nicht herbeigesehnt haben.

Die Alliierten: Auch auf Biden scheint kein Verlass

Kritik bekommt Joe Biden nicht zuletzt deshalb, weil er die von den USA logistisch und strategisch abhängigen Nato-Bündnispartner überrumpelte. Danach gefragt, behauptete der US-Präsident, er habe von den Alliierten keinerlei Kritik zu hören bekommen. Tatsächlich kommt die Kritik von deren Regierungschefs bisweilen auch eher indirekt.

Was Angela Merkel in ihrer vergangenen Regierungserklärung im deutschen Bundestag sagte, war ungefähr das Gegenteil dessen, was Joe Biden bis heute versucht vorzugeben: Nie sei es bei der Afghanistan-Mission um "Nation Building" gegangen, betont er immer wieder. Das Land liege nicht im strategischen Interesse der USA. Nichtsdestotrotz war man nun 20 Jahre dort.

Die Bundeskanzlerin korrigierte Biden quasi geübt diplomatisch: "Die Entwicklungen sind aber auch bitter für alle Verbündeten, die nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 gegen den Terrorismus und für freiheitliche Strukturen gekämpft und gearbeitet haben." Was als Einsatz gegen Terroristen begonnen habe, sei bald danach eben auch zu einem "größeren Bemühen geworden", so Merkel. Anschließend zitierte sie gar den ehemaligen Grünen-Außenminister Joschka Fischer, der einst versprach, dass die Menschen in Afghanistan "auch nach dem Kampf gegen die Terroristen der al-Qaida und gegen das Taliban-Regime nicht alleine gelassen werden".

In diesem Sinne habe die internationale Gemeinschaft es sich zum Ziel gemacht, freiheitliche Strukturen aufzubauen, Sicherheitskräfte auszubilden, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu stärken, Menschenrechte, allen voran die Rechte von Mädchen und Frauen, zu verteidigen, Journalisten, Künstler und Unternehmer zu fördern, um bürgerliche Freiheiten zu stärken, sagte Merkel. "Das war aller Ehren wert."

Image des netten Onkels ist vorbei

Das Bild der USA als Weltmacht, auf die Verlass ist, zerfällt offensichtlich auch unter Trumps Nachfolger Joe Biden. "America First", so etwas sagt der amtierende Präsident zwar nicht. Trotzdem handelt er danach und es ist auch die Maxime, für die er gewählt wurde. Seine Vizepräsidentin Kamala Harris bekam auf ihrer aktuellen Reise nach Singapur und Vietnam die Folgen dieser Politik zu hören. Auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Singapurs Premierminister Lee Hsien Loong sagte dieser über den chaotischen Abzug der USA: "Manchmal gehen Dinge schief und es braucht Zeit, um sie in Ordnung zu bringen." Das war ein diplomatischer Affront, den die Vizepräsidentin nur müde weglächeln konnte.

Joe Biden wird nicht viel Zeit haben, um noch vor den wichtigen Zwischenwahlen im kommenden Jahr die Dinge außenpolitisch in Ordnung bringen zu können. Nachdem nun auch US-Soldaten bei der Evakuierungsmission gestorben sind, ist es unwahrscheinlich, dass der US-Präsident innenpolitisch so schnell wieder aus dem Taumeln kommt. Das Image des netten Onkels dürfte ihn dann jedenfalls nicht mehr retten.

Allenfalls noch die Schnelllebigkeit der sich überschlagenden Ereignisse. Die Mehrheit der US-Bürger befürwortet den Abzug. Womöglich verschwindet die schlechte Stimmung so schnell wie die schlechten Bilder verschwinden, also dann wenn auch die letzten US-Bürger und -Soldaten aus Afghanistan verschwunden sind.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Pressekonferenzen des Weißen Hauses
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