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Wladimir Putin: Diese Psychospielchen sollen den Westen spalten


Kriegsführung
Mit diesen Psycho-Tricks arbeitet Putin

MeinungVon Michael Roth

Aktualisiert am 12.09.2022Lesedauer: 5 Min.
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Der russische Präsident Wladimir Putin versucht mit allerlei Tricks, die westlichen Gesellschaften in der Ukraine-Frage zu spalten. (Quelle: IMAGO/Gavriil Grigorov/Kremlin Pool)

In Deutschland verbreitet sich ein fataler Irrglaube: Man müsse nur die Sanktionen gegen Russland aufheben, um die Energiekrise und den Krieg zu beenden.

Wenn das mal nur so einfach wäre: Wir verhalten uns endlich wieder nett gegenüber Russland, beenden die Sanktionen und vermitteln einen Waffenstillstand mit der Ukraine. Und dann wird alles wieder gut: sinkende Energiepreise, funktionierende Lieferketten, Frieden in Europa und endlich wieder "Business as usual". Was für ein Unsinn! Trotzdem verbreitet sich dieser fatale Irrglaube auch in Deutschland immer weiter. Und genau das macht ihn so brandgefährlich.

Michael Roth
Michael Roth (SPD) (Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa-bilder)

Der Außenexperte

Der SPD-Politiker Michael Roth ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag und Mitglied des SPD-Präsidiums. Dem Parlament gehört er seit 1998 an; von 2013 bis 2021 war er Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt.

Dabei ist klar: Im Verhältnis zu Russland kann es kein Zurück geben in die Zeit vor dem brutalen Überfall auf die Ukraine. Der Wunsch nach Verständigung mit Russland und Frieden in der Ukraine ist zwar allzu verständlich, aber derzeit schlicht nicht realistisch. Putins Russland wird auf absehbare Zeit eine Bedrohung für Frieden und Sicherheit in Europa bleiben. Putin zeigt keinerlei Interesse an einer friedlichen Lösung, er will die Ukraine weiterhin als unabhängigen Staat von der Landkarte löschen. Es geht ihm um die Zerstörung der kulturellen Identität der Ukraine. Dieser bitteren Realität müssen wir uns stellen, wir können uns den Frieden nicht einfach herbeiwünschen.

Ukraine nicht in eine politische Sackgasse drängen

Und wie sollten denn die immer wieder geforderten "Friedensinitiativen" aussehen, solange Russland nur dann zu Verhandlungen bereit ist, sollte die Ukraine zuvor bedingungslos kapitulieren. Wir sollten uns davor hüten, die Ukraine vom sicheren heimischen Sofa aus in eine solche politische Sackgasse zu drängen.

Wenn überhaupt, dann kann Diplomatie derzeit nur im ganz Kleinen helfen, wie bei dem unter UN-Vermittlung zustande gekommenen Abkommen über Getreidelieferungen oder der Inspektion durch ein Expertenteam der Internationalen Atomenergiebehörde im Atomkraftwerk Saporischschja. Das sind bescheidene Fortschritte, die aber von einem Durchbruch zu einer friedlichen Lösung weit entfernt sind. Und nicht zuletzt beweist Putin selbst, was er von diplomatischen Bemühungen hält: Während des Besuchs von UN-Generalsekretär António Guterres ließ er Kiew mit Raketen beschießen, auch der Hafen von Odessa wurde nur wenige Stunden nach der Unterzeichnung des Getreidedeals bombardiert.

Putin weiß um die kontroversen Debatten über Krieg und Frieden in Deutschland und zielt mit seiner psychologischen Kriegsführung ganz bewusst auf die öffentliche Meinung, die der Politik Druck machen soll. Putins Propagandamaschine läuft bereits seit Monaten auf Hochtouren. Mit beträchtlichem Erfolg schürt er bis weit in die Mitte unserer Gesellschaft hinein Ängste vor einem massiven Energie-Chaos im Winter und einem atomaren GAU im Atomkraftwerk Saporischschja.

Gaslieferungen fallen nicht unter das Sanktionsregime

Doch die Fakten sprechen eine andere Sprache: Anders als der Kreml die Deutschen glauben lassen möchte, fallen Gaslieferungen aus Russland nicht unter das EU-Sanktionsregime. Dass aktuell kein russisches Gas nach Deutschland fließt, ist einzig und alleine die Entscheidung Putins, der unsere über die Jahrzehnte gewachsene Abhängigkeit von russischer Energie nun gnadenlos für seine Zwecke ausnutzt.


Quotation Mark

"Putin denkt nicht wie ein Geschäftsmann, sondern wie ein Diktator."


Michael Roth (SPD)


Nach Belieben dreht er den Gashahn auf und zu und verstößt damit gegen geltende Lieferverträge. Dabei nimmt Putin sogar massive wirtschaftliche Einbußen in Kauf – bis hin zum drohenden Ruin des russischen Geschäftsmodells, das bislang vorrangig auf Energielieferungen in den Westen fußte. Noch zu Zeiten des Kalten Krieges galt: Trotz aller Krisen bleibt die Sowjetunion ein verlässlicher Energielieferant. Dieses Prinzip hat Putin aufgekündigt und setzt nun Gas als Waffe in einem Wirtschaftskrieg gegen den Westen ein. Lieber verbrennt er Gas, anstatt es zu liefern. Putin denkt eben nicht wie ein Geschäftsmann, sondern wie ein Diktator. Und genau das ist er ja auch.

Klar ist: Auch ein Comeback von Nord Stream 2 würde an der Gasversorgung in Deutschland rein gar nichts ändern, denn es mangelt ja nicht an Pipelines. Im Gegenteil: Der politische Schaden für Deutschland – insbesondere bei unseren mittel- und osteuropäischen Partnern – wäre verheerend, wenn die Pipeline doch noch in Betrieb ginge. Der Ausweg aus unserer verhängnisvollen Gasabhängigkeit kann doch nicht sein, sich abermals in Putins Hände zu begeben.

Außerdem sind wir inzwischen auf den kommenden Winter vorbereitet: Die Gasspeicher sind gut gefüllt, die Energiesparmaßnahmen zeigen bereits Wirkung, die Niederlande und Norwegen liefern mehr Gas und Anfang 2023 gehen die ersten neuen Flüssiggas-Terminals ans Netz. Gleichzeitig müssen wir die Energiewende noch entschlossener vorantreiben. Bereits im kommenden Jahr wird Putins Energiewaffe ihren größten Schrecken verloren haben. Der schnellstmögliche und definitive Bruch mit Russland als wichtigstem Energielieferanten liegt also in unserem ureigensten Interesse.

Das Atomkraftwerk in Saporischschja als Kriegsinstrument

Auch die russische Besetzung und der wiederholte Beschuss des größten ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja ist Teil der perversen psychologischen Kriegsführung Russlands. Putin weckt damit im Westen die Erinnerungen an die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl – und spielt mit den Ängsten vor einem neuen atomaren GAU. Er will, dass wir Druck auf die Ukraine ausüben, jetzt endlich "Frieden" zu schließen und Ruhe zu geben. Das dürfen wir nicht zulassen.

Frieden schaffen – mit Waffen

Die Waffenlieferungen des Westens stehen im Einklang mit dem Völkerrecht und sind kein Beitrag zur Eskalation. Es hört sich schlimm an, ist aber so: Waffen schaffen Frieden – und sie retten Menschenleben. Vergessen wir nicht: Mit jeder Rakete aus einem deutschen Mehrfachraketenwerfer MARS II, die in einem russischen Waffen- oder Munitionslager einschlägt, wird militärisches Material zerstört, das ansonsten gegen die ukrainische Zivilbevölkerung eingesetzt worden wäre.

Unsere Waffenlieferungen verlängern also nicht etwa das Leid des Kriegs, sondern sie lassen sein Ende näherrücken. Und die Lieferung moderner westlicher Waffen zeigt ja Wirkung: Der russische Vormarsch im Donbass ist quasi zum Stillstand gekommen, im Süden der Ukraine verzeichnet die ukrainische Armee erste Erfolge bei ihrer Gegenoffensive. In dieser Phase des Krieges braucht sie aber Waffen, die sie befähigen, von Russland besetzte Gebiete zurückzuerobern. Der Westen, insbesondere die USA, Deutschland, Frankreich und Polen, sollten sich hier rasch abstimmen und ihre Lieferungen den neuen Bewährungsproben anpassen.

Nur wenn wir die Ukraine militärisch in eine Position der Stärke versetzen, wird Putin einsehen, dass dieser Krieg für Russland nicht zu gewinnen ist, und zu ernsthaften Gesprächen an den Verhandlungstisch zurückkehren. Ein "Frieden" auf Basis des Status quo würde dagegen schon bald zu einem neuen Krieg führen. Wenn die Ukraine auf 20 Prozent ihres Territoriums verzichten müsste, hätte Russland gewonnen. Der Aggressor Putin würde seine imperialistische Politik fortsetzen, gegenüber Moldau, Georgien oder in Zentralasien. Statt Frieden hätten wir neue Konflikte in Osteuropa – mit der Gefahr eines dramatischen militärischen Flächenbrands.

Für diesen Krieg gibt es keine Blaupause

Was wir derzeit erleben, ist kein Krieg zwischen zwei ehemaligen Sowjetrepubliken, in den wir uns tunlichst nicht einmischen sollten. Russischer Nationalismus, Imperialismus und Kolonialismus attackieren nicht nur die Ukraine, sondern auch unsere Freiheit, Sicherheit und Demokratie. Hat sich mal jemand gefragt, warum das ferne Australien die Ukraine so engagiert unterstützt? Wenn Russland mit seinem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg erfolgreich sein sollte, kann das auch eine Blaupause für China sein, noch aggressiver im indopazifischen Raum aufzutreten, beispielsweise gegenüber Taiwan. China beobachtet derzeit sehr genau, wie ge- und entschlossen wir auf die russische Aggression in der Ukraine reagieren.

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Es geht eben auch ganz konkret um uns, unsere Werte, unser Leben, unsere Freiheit. Solidarität mit der Ukraine braucht in Demokratien gesellschaftliche Akzeptanz. Auch deshalb ist das dritte Entlastungspaket der Ampelkoalition so wichtig. Offenheit ist essenziell: Niemand hat für diesen Krieg und die Bewältigung seiner Folgen einen Masterplan oder eine Blaupause. Aber Demokratien wie wir sind Meister im Lernen, Nachjustieren und Verbessern.

Die deutsche Bevölkerung muss wissen: Auch wir zahlen einen Preis für den Krieg in der Ukraine, aber die Lasten werden gerecht und fair verteilt. Niemand wird in seiner Not allein gelassen, wir halten als Gesellschaft solidarisch zusammen. Wenn die Ukraine diesen Krieg als freies, demokratisches Land unter Wahrung ihrer territorialen Integrität gewinnt, dann ist das in unserem ureigensten Interesse. Nur dann besteht die echte Chance auf nachhaltigen Frieden und Sicherheit in Europa und der Welt.

Verwendete Quellen
  • Gastbeitrag
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