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UN: Olaf Scholz und Joe Biden starten die Operation Erdogan


UN-Generalversammlung
Operation Erdoğan

  • Johannes Bebermeier
  • Bastian Brauns
Von Johannes Bebermeier, New York und Bastian Brauns, Washington

Aktualisiert am 20.09.2022Lesedauer: 4 Min.
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Recep Tayyip Erdoğan: Ein ziemlich komplizierter Partner. (Quelle: Sergei Bobylev/imago images)

Deutschland und die USA knöpfen sich in New York den türkischen Präsidenten Erdoğan vor. Es gibt viel zu besprechen – und eine Gemeinsamkeit.

Vom Deutschen Haus, der Zentrale der Bundesrepublik in New York am Campus der Vereinten Nationen, dauert es nur knapp fünf Minuten, dann ist man am Türkischen Haus. Zu Fuß geht man entlang der 1st Avenue, überquert zwei Straßen – und zack: Auf Wiedersehen Deutschland, Merhaba Türkiye.

Es sind kurze Wege, die helfen können, wenn die politische Distanz wächst. Und zwischen der Türkei und Deutschland wuchs sie zuletzt. Bei ihrem Besuch in Istanbul Ende Juli kritisierte Deutschlands höchste Diplomatin, Annalena Baerbock, ihren Außenministerkollegen Mevlüt Çavuşoğlu bei einer Pressekonferenz auf offener Bühne. Ganz undiplomatisch. Kam eher nicht so gut an in der Türkei.

Doch es hilft nichts, die Probleme mit der Türkei sind zwar groß und vielfältig, aber die Abhängigkeiten auch. Das erste bilaterale Gespräch von Kanzler Olaf Scholz bei seinem Besuch der UN-Generalversammlung in New York am Dienstag ist deshalb natürlich kein Zufall: Er trifft den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Und es ist natürlich auch kein Zufall, dass Baerbock in New York ebenfalls ihren Amtskollegen wiedertreffen wird.

Das ist umso bemerkenswerter, als die Mächtigen der Welt die Woche des Polit-Wahnsinns in New York in der Regel dafür nutzen, mit Staaten zu sprechen, mit denen sie sonst nicht so oft das Vergnügen haben. Die Gesprächsoffensive ist deshalb ein Zeichen, so wie in der internationalen Politik so ziemlich alles ein Zeichen ist. Es ist so etwas wie die Operation Erdoğan, an der sich auch die USA beteiligen.

Probleme über Probleme

Der türkische Präsident ist wichtig und er ist schwierig. Erdoğans Türkei ist Nato-Mitglied und ein unverzichtbarer diplomatischer Partner, wenn es um die Sicherung von Getreide aus der Ukraine geht. Es ist latenter Aggressor innerhalb des westlichen Militärbündnisses, wenn es etwa um Ansprüche auf griechische Inseln geht oder um die Aufnahme von Schweden und Finnland in die Nato.

Das türkische Verhältnis zu China und Russland wirkt undurchsichtig. Erdoğans geopolitische Ambitionen im Nahen Osten und das Schleifen des Rechtsstaates im eigenen Land bleiben eine dauernde Herausforderung. In Nordsyrien besetzt Erdoğan Gebiete, um die Kurdenmiliz YPG zu bekämpfen, was unter anderem Russland gar nicht gefällt. Und Annalena Baerbock eben auch nicht.

Erst am Samstag kam ein neues Problem hinzu. Erdoğan kündigte an, der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit beitreten zu wollen. Einer Gruppe, die zur Terrorbekämpfung gegründet wurde und der auch eher schwierige Staaten wie China, Russland, Iran und bald auch Belarus angehören. Die Türkei wäre der erste Nato-Staat in diesem zweifelhaften Club.

Probleme über Probleme also.

Zuckerbrot und Peitsche aus den USA

Am frühen Morgen schon traf US-Außenminister Antony Blinken deshalb seinen Amtskollegen Mevlüt Çavuşoğlu in New York. Anschließend traten sie gemeinsam vor die Presse. "Wir haben wie immer viel zu besprechen", sagte Blinken. Das kurze Gespräch der Außenminister spiegelt wider, was das westliche Verhältnis zur Türkei einerseits so wertvoll, andererseits so kompliziert macht. Blinken lobte ausdrücklich die diplomatischen Bemühungen der Türkei, sicherzustellen, dass weiterhin ukrainisches Getreide durch das Schwarze Meer transportiert wird.

Doch es ging auch um den zweiten, derzeit eskalierenden Konflikt in Europa: die militärischen Spannungen im Südkaukasus zwischen Aserbaidschan und Armenien. Blinken betonte, die USA würden sich weiterhin dafür einsetzen, den Dialog zwischen den beiden Ländern zu erleichtern und zu einer langfristigen politischen Lösung beizutragen. Das soll möglichst neutral klingen, dabei stehen die USA eher auf der Seite Armeniens. Die Türkei hingegen sieht sich in dem Konflikt an der Seite Aserbaidschans und ist nicht gut auf die Amerikaner zu sprechen.

Denn die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, war in den vergangenen Tagen mit einer Delegation nach Armenien gereist. Schon der Besuch alleine sollte die Unterstützung für Armenien unterstreichen. Pelosi gilt derzeit als inoffizieller außenpolitischer Seitenhieb der USA. Schon ihr Besuch in Taiwan hatte China extrem verärgert. Die Biden-Regierung kann sich heraushalten und darauf verweisen, die Reisen Pelosis seien keine Regierungsreisen, sondern parlamentarische Besuche.

Trotzdem wütete Erdoğans Vizepräsident Fuat Oktay auf Twitter gegen Pelosis Besuch in Armenien. Ihre Äußerungen seien "voreingenommenen", sie würden "die Bemühungen der Diplomatie sabotieren" und seien inakzeptabel. Pelosi hatte von aserbaidschanischen Aggressionen und Feindseligkeiten gesprochen, die sofort eingestellt werden müssten. Blinkens Auftrag war es nun, die Wogen mit Çavuşoğlu wieder etwas zu glätten.

Zu entscheidend ist die jetzige Phase des Ukraine-Krieges, zu wichtig der Zusammenhalt der Nato, als dass solche Scharmützel die Unterstützung gefährden dürfen.

"Sehr irritiert über die Entwicklung"

Das sieht man in Berlin offenbar nicht anders. Eine halbe Stunde soll das Gespräch von Scholz mit Erdoğan am Dienstagmorgen dauern. Es werden einige Minuten mehr. Und auch Scholz betont anschließend in einem kurzen Statement vor allem die Gemeinsamkeiten. Oder eher: die Gemeinsamkeit. Singular.

"Zunächst mal ist es so", sagt Scholz, "dass wir mit der Türkei gemeinsam besorgt sind über den Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt." Man habe darüber gesprochen, dass die Verständigung über die Getreideexporte nicht gefährdet werden dürfe. Man höre da ja Töne, munkelt Scholz, die so klängen, als könne Russland die Exporte wieder stoppen. "Das soll und darf nicht sein." Das sei für Erdoğan und ihn klar, dafür setzten sie sich ein.

Erdoğan selbst hatte sich zuvor mit einer weitreichenden Forderung an Putin vorgewagt. "Wenn in der Ukraine ein Frieden hergestellt werden soll", sagte er in einem US-Interview, "wird natürlich die Rückgabe des besetzten Landes wirklich wichtig." Es werde erwartet, dass Russland die besetzten Gebiete an die Ukraine zurückgebe. Inklusive der Halbinsel Krim.

So viel zu den Gemeinsamkeiten. Doch Olaf Scholz wird dann eben doch noch nach einem der vielen Probleme gefragt. Zur Shanghai-Gruppe nämlich, der Erdoğan beitreten will. "Wir glauben, dass das keine Organisation ist, die irgendwie einen ganz wichtigen Beitrag für ein gutes Miteinander in der Welt leistet", sagt Scholz in schönstem Scholz-Deutsch. "Deshalb bin ich sehr irritiert über die Entwicklung und Diskussionen."

Die Probleme, sie bleiben erst einmal.

Verwendete Quellen
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