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So heftig war der Wahlkampf im Netz


Wahlkampf im Netz
"Videos müssen von Sekunde eins an 'Peng' machen"

t-online, David Ruch

22.09.2017Lesedauer: 6 Min.
Parteien und Politiker warfen sich beim Kampf um Wähler im Netz wie noch nie ins Zeug.Vergrößern des BildesParteien und Politiker warfen sich beim Kampf um Wähler im Netz wie noch nie ins Zeug. (Quelle: Fredrik von Erichsen/dpa-bilder)
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Die Sozialen Medien werden zu einem immer wichtigeren Faktor im Wahlkampf. Politiker und Parteien wetteifern in der digitalen Arena um die Gunst der User. Zugleich nehmen Manipulationsversuche zu, die Wahlkampagnen werden immer undurchsichtiger. Wie stark der Meinungswettstreit im Netz letztlich Wahlentscheidungen beeinflusst, ist umstritten.

Vor zwei Wochen kam es im ZDF zum Eklat: Die AfD-Politikerin Alice Weidel verließ nach einem Disput mit CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer in einer Wahlsendung abrupt das Fernsehstudio. Den vorzeitigen Abgang nutzte Weidel umgehend zum digitalen Gegenschlag. Auf Facebook und Twitter brach sich die Wut ihrer Anhänger Bahn.

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Der Bundestagswahlkampf geht zu Ende und noch nie spielten die Sozialen Medien dabei eine derart große Rolle wie diesmal. Es vollzieht sich ein allmählicher Paradigmenwechsel. Die Kampagnenmacher verlagern ihren Fokus weg von den klassischen Massenmedien hin zum Social Web. Amerika hat es vorgemacht: In der digitalen Arena wird um Stimmungen und Deutungshoheiten gerungen, wird der direkte Kontakt zum Wähler gesucht und um seine Gunst gebuhlt. Gleichzeitig werden mit Falschmeldungen Debatten angeheizt, manipulieren digitale Meinungsroboter das Stimmungsbild.

Mittendrin: Politiker und Parteien, die um Likes, Shares und Retweets wetteifern. 23 Millionen Deutsche sind täglich auf Facebook, 91 Prozent davon auf ihren mobilen Geräten – ein enormes Potenzial, das die Parteien abzuschöpfen versuchen. Dabei experimentieren sie viel, vor allem mit Videos, weil der Facebook-Algorithmus bewegte Bilder bevorzugt. "Für den Erfolg von Kampagnen sind sie enorm entscheidend", erklärt Tobias Nehren, Leiter digitalen Kampagne bei der SPD. "Alle Parteien experimentieren in diesem Bereich, etwa mit Animationen, mit Video-Blogs, oder kurzen Ansprachen, Übertragungen von Bürgersprechstunden, mit Facebook-Live, aber auch mit den Videoformaten."

Inhalte werden den Sozialen Medien angepasst

Die Grünen schneiden alle digitalen Inhalte konsequent auf die Sozialen Netzwerke zu, erklärt Wahlkampfmanager Robert Heinrich. "Plattformen wie Facebook oder Youtube funktionieren heute so, dass die Nutzer sie gar nicht mehr verlassen." Die gleiche Werbung erscheine bei Facebook als Bilder-Story, "Canvas-Ad" genannt, bei Instagram als 60-Sekunden-Video oder als Bild, bei Youtube als Werbe-Vorspann.

Ihren Wahlkampfclip hat die Öko-Partei ganz im Stil der Sozialen Medien gehalten: schnelle Schnitte, plakative Bilder, die die Kernbotschaften der Grünen illustrieren. "Wer auf Facebook erfolgreich sein will, muss Videos ausspielen, die von Sekunde eins an sofort Peng machen", sagt Heinrich. Die wichtigsten Botschaften werden in Großbuchstaben eingeblendet, damit man das Video auch lautlos etwa in der U-Bahn verstehen kann. "Sich langsam aufbauende Spots, die früher im Fernsehen gut funktioniert haben, funktionieren über die sozialen Netzwerke selten."

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Den Kampf um Stimmen im Social Web lassen sich die Parteien einiges kosten. Die Grünen etwa geben rund eine Million Euro für ihren Digital-Wahlkampf aus, die FDP etwa die Hälfte. Die großen Parteien SPD und CDU machen keine Angaben dazu, wieviel sie von ihrem Wahlkampfbudget in die Online-Kampagnen stecken.

Ein nicht unerheblicher Teil wird dabei in zielgruppengenaue Anzeigen investiert. Auf Basis der riesigen Datenmengen, die im Internet und vor allem bei den Sozialen Netzwerken gespeichert werden, lassen die Parteien maßgeschneiderte Werbebotschaften an die User ausspielen. Die Grünen etwa adressieren umweltbewusste Menschen, aber auch Angestellte in Pflegeberufen. Die CDU nutzt das so genannte Targeting auch, jedoch allenfalls nach regionalen Kriterien, etwa bei Wahlaufrufen für die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, wie es aus der Parteizentrale heißt.

Unternehmen nutzen "dark posts" oder "dark ads", wie die nur für die angesprochene Zielgruppe sichtbaren Werbebotschaften genannt werden, schon seit Langem. In der Politik aber werden sie erst in der jüngsten Vergangenheit breit diskutiert. Bei der US-Wahl 2016 und dem Brexit-Referendum sollen "dark ads" angeblich großen Einfluss auf den Ausgang genommen haben. Endgültig bewiesen ist das nicht, aber Datenschützer warnen vor einem Schaden für die Demokratie, wenn Menschen nur noch die politischen Botschaften vermittelt bekämen, die sie hören wollten.

Für die Bundestagswahl haben t-online.de und BuzzFeed News gemeinsam mit der Transparenz-Organisation "WhoTargetsMe" den Wahlkampf auf Facebook beobachtet. Eine speziell programmierte Software spürte mit der Hilfe von über 1000 Facebook-Nutzern mehr als 700 politische Anzeigen auf. Die meisten waren öffentlich – hatten also keine spezielle Zielgruppe. Einige aber schon.

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Die AfD etwa bewarb in Bayern gezielt über 18-Jährige, die sich für Angela Merkel interessierten, mit Anti-Flüchtlings-Botschaften. Menschen, die sich für die FDP interessieren, erhielten von der AfD gegen Euro und Bürokratie gerichtete Anzeigen.

Parteien erheben keine persönlichen Daten

Grünen-Wahlkampfmanager Heinrich verteidigt den Einsatz zielgruppenorientierter Werbung. So würden Streuverluste vermieden und Werbung könnte effizienter eingesetzt werden als etwa im Fernsehen. Daten über Einzelpersonen erhebe seine Partei nicht, ebensowenig erstelle sie persönliche Profile. Trotzdem haben die Grünen Konsequenzen aus der Diskussion um die "dark ads" gezogen, erklärt Heinrich: "Wir veröffentlichen sämtliche unserer Anzeigen im Netz, die nicht ohnehin schon auf unserer Fanseite ausgespielt werden" – allerdings ohne die eingesetzten Zielgruppen-Merkmale zu nennen.

Für besonders scharfe Töne sorgen in diesem Wahlkampf die AfD und ihre Unterstützer. Mit provokanten Slogans und gezielten Tabubrüchen – nicht selten blanker Hetze – feuern sie im Netz Debatten an. Die Partei hat sich dabei so manches von der Kampagne von Donald Trump abgekuckt, der mit einem polarisierenden Wahlkampf und Ressentiments gegen illegale Einwanderer die US-Präsidentenwahl gewann.

Auch Alice Weidel zielte mit ihrem abrupten Abgang im ZDF womöglich auf genau jene Polarisierung. Nach dem Vorfall entlud sich auf Facebook und Twitter reflexartig ein Sturm der Wut. Nicht wenige Beobachter glaubten deshalb an eine Inszenierung der AfD-Frontfrau – die offenbar sogar von digitalen Meinungsrobotern unterstützt wurde.

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Datenjournalist Haluka Maier-Borst ließ am Tag nach dem Eklat die ungewöhnlich hohe Aktivität so genannter Social Bots aufhorchen. Er registrierte eine Vielzahl von Einträgen zum Thema AfD, die von programmierten Nutzerkonten in den Sozialen Netzwerken stammten. Social Bots verfassen automatisiert Beiträge zu bestimmten Themen und spielen sie massenhaft aus, um das Meinungsbild zu einem Thema zu verfälschen. Maier-Borst schätzt, dass im aktuellen Wahlkampf fast zwei Drittel aller Tweets zur Bundestagswahl von Bots stammen.

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"Der Hass im Netz ist größer geworden"

Die Auseinandersetzung im Wahlkampf sei "härter geworden, schneller, auch hysterischer", attestiert Heinrich. "Der Hass im Netz ist größer geworden. Es gibt mehr Fake News." Seine Partei hat sich mit einer "Netzfeuerwehr" gegen Falschnachrichten gewappnet. Tauchen Fake News über die Grünen auf, wird die Facebook-Gruppe mit rund 2500 Mitgliedern aktiv, warnt andere Nutzer vor Fälschungen, und verbreitet Gegendarstellungen. SPD-Wahlkämpfer Nehren sieht nicht zuletzt die sozialen Netzwerke in der Pflicht. "Sie müssen sicherstellen, dass hinter ihren aktiven Nutzerkonten auch tatsächlich Menschen stecken und keine Social-Bots, die Debatten nur vortäuschen und befeuern."

Die CDU erklärte, sie beobachte genau, wie und wo im Internet gefälschte Inhalte verbreitet werden. Ein juristisches Vorgehen gegenüber derlei Inhalten behalte man sich vor, kommentiere dies aber aus prinzipiellen Erwägungen nicht. "Da viele dieser Fälschungen innerhalb relativ geschlossener sozialer Gruppierungen, Stichwort Filterbubble, auftauchen, darf man deren Einfluss auch nicht überbewerten", heißt es aus der Parteizentrale.

Überhaupt ist umstritten, wie stark die Sozialen Medien tatsächlich auf die Meinungsbildung wirken. Einer Umfrage der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC zufolge vertrauen nur 15 Prozent den Nachrichten auf Facebook, bei Twitter sogar nur zehn Prozent.

Ähnlich verhält es sich mit politischer Werbung im Netz. In einer Umfrage von infratest-dimap vor der letzten Landtagswahl in NRW gaben nur elf Prozent an, dass die Online-Aktivitäten der Parteien und Politiker für sie eine große bis sehr große Rolle spielten. Für 34 Prozent war die Rolle gering, für 49 Prozent spielte sie sogar überhaupt keine Rolle. Bei den Unentschlossenen spielten die Online-Kampagnen immerhin für 17 Prozent eine große bis sehr große Rolle, bei Wählern zwischen 18 und 34 Jahren für 21 Prozent.

Parteien hoffen auf langfristige Impulse

Heinrich aber verteidigt den Aufwand. Er hofft auf langfristige Impulse. "Im Netz kann man einerseits viel Reichweite erzielen, kann mit relativ wenig Budget sehr präsent sein. Das ist wichtig, um im Gedächtnis zu bleiben", sagt er. "Aber das wirklich tolle an Online-Werbung ist, dass man die Leute in die Inhalte reinziehen kann, dass man versuchen kann, sie zu überzeugen, sich mal ein paar Minuten mit einem Programm auseinanderzusetzen. Das ist aufwendiger, auch teurer, aber es ist sicher der wertvollere Kontakt."

Nehren geht noch ein Stück weiter. Für ihn ist der Kontakt zum Social-Media-Nutzer ein möglicher erster Schritt auf dem Weg zu einer festen Bindung an die Partei. "Vielleicht markiert er nach einigen Botschaften unsere Beiträge, oder liked die Facebook-Seite der SPD, trägt sich im nächsten Schritt in eine E-Mail-Liste ein, und entscheidet sich nach einiger Zeit sogar, der SPD beizutreten." Der Wahlkampf-Profi nennt es die "ladder of engagement", zu Deutsch etwa "Stufen des Engagements".

Dieser Ansatz fand bislang vor allem in den USA Anwendung. Digitaler und analoger Wahlkampf greifen hier nahtlos ineinander. Nehren vergleicht das Zusammenspiel mit einem "Orchester". Er sagt: "Wir brauchen Online für einen guten Wahlkampf. Aber mit Online allein gewinnen wir keine Wahl. Es kommt auf das Zusammenspiel aller Ebenen an. Und letztlich ist der Dialog von Mensch zu Mensch noch immer die wertvollste und wichtigste Kontaktebene."

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