Die drei von der Zankstelle
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Der deutsche Abzug aus Afghanistan war ein Desaster. Wer aber trΓ€gt die Schuld? Zwischen drei Ministerien gab es wenig Abstimmung, stattdessen herrschte das Prinzip Hoffnung.
Am 30. Juni ereignete sich auf einem militΓ€rischen Flughafen nahe Hannover eine Szene, die jetzt wieder unter Bundestagspolitikern die Runde macht: Nach 20 Jahren des internationalen Einsatzes in Afghanistan landete an diesem Tag die letzte Bundeswehrmaschine aus dem jahrzehntelangen BΓΌrgerkriegsland. Am Rollfeld standen Offiziere.
Kein Spitzenpolitiker war gekommen. Die Soldatinnen und Soldaten hatten teils jahrelang ihr Leben riskiert und dabei Dutzende Kameraden verloren. Nun verlieΓen sie den Flughafen, als wΓ€ren sie heimgekehrte Touristen.
Im Nachhinein heiΓt es aus der Union, es habe an mangelnder Abstimmung gelegen, dass weder Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer noch AuΓenminister Heiko Maas oder Innenminister Horst Seehofer die Heimkehrer in Empfang genommen hΓ€tten. Und mancher sagt: Bereits an dieser Szene zeigte sich beispielhaft, wie schlecht das politische Management der Afghanistan-Mission in dieser Bundesregierung laufe.
Keiner will die Verantwortung tragen
Eineinhalb Monate spΓ€ter haben die Taliban das Land am Hindukusch nahezu vollstΓ€ndig unter ihre Kontrolle gebracht. Die letzten deutschen StaatsbΓΌrger kΓΆnnen in diesen Tagen erst ausgeflogen werden. Nun wird versucht, in einem Hauruck-Verfahren so viele afghanische Helfer wie mΓΆglich zu retten β was schon lΓ€ngst hΓ€tte geschehen sollen.
Das Durcheinander der Rettungsaktion legt die chaotische Zusammenarbeit von Maas, Kramp-Karrenbauer und Seehofer offen. Nur dass es dieses Mal um mehr geht als um die WΓΌrdigung von Soldaten am Flughafen. Die drei Kabinettsmitglieder sind die Verantwortlichen der Krise, wobei kurz vor der Bundestagswahl keiner der drei die Verantwortung tragen will.
Fragt man in der Union, wer fΓΌr den missglΓΌckten Abzug der Bundeswehr verantwortlich ist, fΓ€llt als Erstes der Name von Heiko Maas. Und das liegt vor allem an einem Satz. Der SPD-AuΓenpolitiker sagte noch am 9. Juni, es sei "nicht die Grundlage meiner Annahmen", dass in "wenigen Wochen die Taliban das Zepter in Afghanistan in der Hand" hΓ€tten. Dieser Satz offenbart, wie falsch Maas die Lage vor Ort eingeschΓ€tzt hatte. Er war damit zwar nicht allein β doch die Aussage ist nun die perfekte AngriffsflΓ€che fΓΌr die CDU.
Maas und seine fragwΓΌrdige Selbstverteidigung
Heiko Maas ist ein leichtes Ziel fΓΌr Kritik. Der Sozialdemokrat gilt selbst vielen in seiner eigenen Partei nicht gerade als politisches Schwergewicht. Es ist kein Geheimnis, dass Maas nur der Ersatzkandidat fΓΌr das Amt des AuΓenministers gewesen ist. Weil sich der eigentliche Aspirant Martin Schulz aber verkalkuliert hatte, wurde der bisherige Justizminister Maas ohne nennenswerte auΓenpolitische Erfahrung zum AuΓenminister.
Als solcher steht Maas jetzt so sehr in der Kritik wie nie zuvor. Und wie das oft so ist im politischen GeschΓ€ft, in dem natΓΌrlich immer wieder Fehler passieren werden, scheint fΓΌr Maas in diesen Tagen vor allem die eigene Aufarbeitung des Versagens zum Problem zu werden.
Seine bisherige Selbstverteidigungslinie lΓ€sst sich in einem Satz auf den Punkt bringen, den er schon am Dienstagabend im ZDF sagte: "Die FehleinschΓ€tzungen, die es gegeben hat, die haben alle getroffen." Was Maas sagen will: Ich war es nicht allein! Es ist der Versuch, die Verantwortung breit zu streuen. Damit am Ende eben niemand mehr so richtig Schuld trΓ€gt.
Die heftigsten Angriffe kommen derzeit natΓΌrlich aus der Union. Sie werfen Maas vor, die Warnungen aus Afghanistan nicht adΓ€quat weitergegeben zu haben. Und es ist natΓΌrlich so, dass EinschΓ€tzungen aus der Botschaft in Kabul ΓΌber das AuswΓ€rtige Amt kommen. Dessen Chef Maas ist. Der Vize-Botschafter in Kabul warnte einem ARD-Bericht zufolge noch am 13. August, dass "den dringenden Appellen der Botschaft ΓΌber lΓ€ngere Zeit" erst spΓ€t Aufmerksamkeit gewidmet worden sei. Das liegt in Maas' Verantwortung.
Doch nicht nur Maas war informiert
Der AuΓenminister selbst verteidigte sich im ZDF damit, dass der Diplomat nur ΓΌber die Situation in der Botschaft gesprochen habe. Am vergangenen Freitag habe er dann im Krisenstab betont, dass die Sicherheit der Mitarbeiter in Kabul kurzfristig gewΓ€hrleistet sei. AuΓerdem seien bis auf ein notwendiges Kernteam nun auch alle Botschaftsmitarbeiter in Deutschland. Die Entscheidung, sagte Maas, "die wΓΌrde ich genau so wieder treffen".
Demut klingt anders.
Armin Laschet, Kanzlerkandidat der Union, macht sich die Fehler des SPD-Politikers zunutze. Er sagte vor wenigen Tagen bei der Jungen Union, Maas habe "so rum und so rum, hin und herβ agiert. Mit seinen Attacken versucht Laschet aber vor allem, die eigene Parteifreundin zu schΓΌtzen: Annegret Kramp-Karrenbauer stand bereits vor der Afghanistan-Krise aufgrund mehrerer Bundeswehr-Pannen unter Druck.
Dabei sind die Fehler fΓΌr den unglΓΌcklichen Abzug der Bundeswehr keineswegs nur dem AuΓenminister anzulasten. Auch die Bundeswehr meldet immer wieder einen Zwischenstand in Lageberichten, die FΓ€den dafΓΌr laufen im Verteidigungsministerium unter Kramp-Karrenbauer zusammen. Mindestens grob sei auch sie informiert gewesen, heiΓt es in Unionskreisen.
Zudem fiel im Verteidigungsministerium das System fΓΌr eine sichere Kommunikation am Wochenende teils aus, wie die "Bild" zuerst berichtete. Mitten in der Zeit, als die OrtskrΓ€fte gerettet werden sollten, konnte keine geheime Abstimmung des Vorgehens mehr erfolgen β fatal in einer Auseinandersetzung mit radikalislamistischen Fundamentalisten, die ΓΌber modernste Technik verfΓΌgen.
Die Achse wirkt, als wΓ€re sie vereist
Doch der entscheidende Fehler von Kramp-Karrenbauer ereignete sich frΓΌher: Vor sieben Wochen hatte das Verteidigungsministerium fΓΌr 90.000 Euro mehrere Flugzeuge gechartert. Damit sollten 60 afghanische OrtskrΓ€fte der Bundeswehr mit ihren AngehΓΆrigen, insgesamt 300 Personen, ausgeflogen werden. Das Problem: Vor Ort waren nicht mehr die erforderlichen technischen GerΓ€te der Bundeswehr vorhanden, um PΓ€sse und Visa auszustellen. Diese waren zuvor bereits wegen des Abzugs der Soldaten auΓer Landes gebracht worden.
Das deutsche Innenministerium wollte aber keine unbΓΌrokratische LΓΆsung, bestand auf die Papiere. Die Afghanen konnten deshalb nicht einsteigen, die Flieger waren umsonst gechartert worden. Die Chefin der Bundeswehr hatte sich schlicht verkalkuliert. Ein Teil der OrtskrΓ€fte hΓ€tte viel frΓΌher gerettet werden kΓΆnnen, und das Chaos in diesen Tagen wΓ€re geringer.
Trotzdem hΓ€tte das jetzige Debakel noch eingedΓ€mmt werden kΓΆnnen, wenn die Kommunikation ΓΌber die Lage zwischen beiden AuΓen- und Verteidigungsministerium nicht groΓen Schwierigkeiten unterworfen wΓ€re: Denn zu den fachlichen Fehltritten von Maas und Kramp-Karrenbauer gesellt sich eine persΓΆnliche AnimositΓ€t. Die Achse zwischen AuΓen- und Verteidigungsministerium wirkt bisweilen, als wΓ€re sie vereist, so gering ist der Kontakt zwischen den beiden.
Der Innenminister als Zuschauer
Maas und Kramp-Karrenbauer duellieren sich seit Jahren, und der SPD-Politiker hat dabei oft das Nachsehen: 2011 kandidierten beide um den Posten des MinisterprΓ€sidenten des Saarlands, Kramp-Karrenbauer gewann. Im Oktober 2019 forderte sie eine "Schutzzone" fΓΌr Nordsyrien, der VorstoΓ war mit Maas nicht abgesprochen. Zwei Monate spΓ€ter schlug Kramp-Karrenbauer vor, dass die Bundeswehr in Mali auch gegen Terrorgruppen vorgehen solle. Wieder war Maas nicht eingeweiht, wieder herrschte Missstimmung zwischen den beiden Regierungsmitgliedern.
Eine weitere Zuspitzung fand dieser Konflikt nun in der Afghanistan-Krise. Vom AuΓenministerium wurden zu wenige Informationen weitergegeben, die Warnungen des stellvertretenden Botschafters in Kabul erreichten das Verteidigungsressort kaum. Und das Chaos vor Ort nahm seinen Lauf.
Der dritte Mann, der den Afghanistan-Abzug eigentlich besser hΓ€tte vorbereiten sollte, war damit nur indirekt beschΓ€ftigt, weil es ihn zunΓ€chst auch nur indirekt betraf: Innenminister Horst Seehofer. Der ΓΌberlieΓ den Konflikt zunΓ€chst seinen Kabinettskollegen, sollten sich doch AuΓen- und Verteidigungspolitiker um eine Krise im Ausland kΓΌmmern. Er hielt an den vorhanden Regeln fest und lieΓ sich von den Lageberichten von vor Ort nicht irritieren. Der Innenminister als Zuschauer.
Erst letzte Woche, als die Fanatiker Afghanistan bereits fast an sich gerissen hatten, Γ€nderte Seehofer seine Strategie: Ab da war auch die Einreise ohne gΓΌltige Papiere fΓΌr afghanische OrtskrΓ€fte mΓΆglich. Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, SPD-Politikerin BΓ€rbel Kofer, kritisierte in der "Rheinischen Post" den Innenminister: Es wΓ€re wΓΌnschenswert gewesen, schon frΓΌher unbΓΌrokratische Verfahren fΓΌr die Erteilung von Visa zu ermΓΆglichen.
Nicht nur die Opposition ist entsetzt
Und kurze Zeit spΓ€ter, jetzt, wo die Taliban die Macht ΓΌbernommen haben, macht Seehofer mit einer Zahl Politik. Die Zahl lautet: fΓΌnf Millionen. So viele Menschen kΓΆnnten sich laut dem Innenminister nach Deutschland auf den Weg machen, erklΓ€rte er. Aus Seehofer, dem Zuschauer, wurde nun Seehofer, der Warner. Dabei ist vΓΆllig unklar, wohin die Menschen tatsΓ€chlich flΓΌchten β und wie viele davon nach Deutschland kommen werden.
In der Opposition glaubt man bereits jetzt, dass Seehofer mit der Zahl fΓΌnf Millionen vor allem versucht, Wahlkampf zu machen. Ein letztes Mal noch, bevor er sich im September nach gut 50 Jahren aus der Politik verabschieden wird. Der Γrger im Verteidigungs- und AuΓenressort darΓΌber, dass sich Seehofer jetzt lautstark zu Wort meldet, doch bei der Evakuierung wenig tat, ist groΓ.
So bleibt das Bild dreier Minister, die in der Krise aneinander vorbei Politik betrieben. Der Innenpolitikexperte der FDP, Konstantin Kuhle, sagt dazu: "Es ist unglaublich, dass die Detailplanung zur Evakuierung deutscher StaatsangehΓΆriger sowie afghanischer OrtskrΓ€fte auf den letzten DrΓΌcker zwischen Verteidigungsministerium, AuswΓ€rtigem Amt und Innenministerium ausgehandelt wird." Doch nicht nur die Opposition ist entsetzt.
Auch in der Union wird bereits diskutiert, wie solche Szenarien kΓΌnftig vermieden werden kΓΆnnen. Die erfahrene CDU-Abgeordnete Elisabeth Motschmann sagt: "Mir ist unerklΓ€rlich, wieso wir so spΓ€t auf die Lage in Afghanistan reagiert haben. Das muss dringend aufgeklΓ€rt werden." Auch Michael von Abercron, ebenfalls CDU-Parlamentarier, fordert: "In Anbetracht der enormen Risiken, unter denen der Abzug jetzt ablΓ€uft, mΓΌssen sich alle Verantwortlichen der Bundesregierung die Frage stellen, ob der Informationsaustausch im Vorweg solcher Operationen verbessert werden kann!"
Die Vize-Fraktionsvorsitzende der Union, Katja Leikert, sagt: "Afghanistan hat klar gezeigt: Armin Laschet hat recht, wir brauchen einen Nationalen Sicherheitsrat mit klaren Kompetenzen und der Verantwortung, strategische Ziele festzulegen." Der Hamburger CDU-Chef Christoph PloΓ geht noch einen Schritt weiter. Er fordert: "In solchen FΓ€llen sollte sichergestellt werden, dass die Entscheidung schnell zentral getroffen wird." Ein zweites ZerbrΓΆseln der ZustΓ€ndigkeit dΓΌrfe sich nicht wiederholen, heiΓt es in der Union.
- Eigene Recherche