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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Die können es nicht" Laschets Rede sorgt für Empörung – aber stimmt, was er sagt?
Armin Laschets Rede auf dem CSU-Parteitag sorgt beim politischen Gegner für Empörung. Der Unions-Kanzlerkandidat hatte die linken Parteien hart attackiert. Was ist dran an Laschets Behauptungen? Ein Faktencheck.
Armin Laschet ließ sich am Samstagmittag feiern, als wäre er schon zum Kanzler gewählt worden. Doch es waren nicht die Bundesbürger, die ihm in Nürnberg zujubelten, sondern die Delegierten des CSU-Parteitags. Die zeigten sich von der mitreißenden Rede ihres Unions-Kanzlerkandidaten angetan und bedachten ihn mit minutenlangem Beifall.
In den 45 Minuten zuvor hatte der NRW-Ministerpräsident und CDU-Vorsitzende sich in ungewohnter Rolle geübt und die Abteilung Attacke übernommen. Seine Rede war ein wohl kalkulierter Angriff auf den politischen Gegner, auf das Personal und die Programmatik von SPD, Grünen und Linken. t-online hat die Rede des Kanzlerkandidaten in fünf Beispielen auf ihre Stichhaltigkeit geprüft.
Beispiel 1: Die Linken richten Deutschland zugrunde
So etablierte Laschet in seiner Rede etwa das Narrativ, dass es unter einer SPD-geführten Bundesregierung mit Deutschlands Wohlstand bergab gehen würde. "Können sie sich vorstellen, dass Olaf Scholz mit Grünen und Linken Deutschland regiert?", fragte Laschet rhetorisch. "Ich weiß, dass das ein Angriff auf den Wohlstand Deutschlands ist, und das können wir nicht zulassen."
Fakt ist, dass die sozioökonomische Bilanz in Deutschland unter der letzten SPD-geführten Regierung (unter dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder und mit Beteiligung der Grünen) durchaus ambivalent gewesen ist. Schröders erste Legislaturperiode war gekennzeichnet von den Erschütterungen an den Börsen und dem Platzen der New-Economy-Blase um die Jahrtausendwende. Die daraus sich ergebenden wirtschaftlichen Turbulenzen, insbesondere am Arbeitsmarkt, stürzten Deutschland in die Krise, wurden durch die Hartz-IV-Reformen nach der Wiederwahl Schröders kompensiert.
So stieg letztlich nicht nur die Zahl der Erwerbstätigen, während die Zahl der Arbeitslosen sank, auch die Lohnnebenkosten fielen, von rund 6,5 auf 3 Prozent. Gerade die Höhe der Lohnnebenkosten gilt der Wirtschaft gemeinhin als Indikator für die Innovationsfreudigkeit des Standorts Deutschland.
In der Frage der Wirtschaftskompetenz malte Laschet in seiner Rede dagegen ein regelrechtes Schreckensszenario: "Die anderen können es nicht", lautete sein Fazit mit Blick auf das linke Lager.
In der Tat streiten sich Experten ebenso wie Teile der SPD bis heute darüber, ob die Agenda 2010, wie die Hartz-IV-Reformen ursprünglich hießen, sozial gerecht gewesen ist. Ihre in vielen ökonomischen Bereichen positiven Effekte bestreiten jedoch die Wenigsten. Selbst die heutige Bundeskanzlerin Angela Merkel gelangte im Jahr 2005 zu der bemerkenswerten Feststellung: "Ich möchte Kanzler Schröder ganz persönlich danken, dass er mit der 'Agenda 2010' mutig und entschlossen eine Tür aufgestoßen hat, unsere Sozialsysteme an die neue Zeit anzupassen."
Beispiel 2: Olaf Scholz kann es nicht
Nun kämpft Laschet aber nicht gegen Gerhard Schröder, sondern gegen Finanzminister Olaf Scholz. Seinen sozialdemokratischen Widersacher nahm der CDU-Vorsitzende deshalb besonders häufig aufs Korn. So habe Scholz das Amt des Finanzministers nur deshalb einigermaßen ordentlich ausfüllen können, weil Bundeskanzlerin "Angela Merkel auf ihn aufgepasst hat".
Solche verbalen Blutgrätschen gehören zur politischen Folklore. Besonders glaubwürdig erscheinen sie angesichts der weitgehenden Einigkeit, die in der Großen Koalition über die Finanzpolitik der vergangenen Jahre herrschte, jedoch nicht. Als Beispiele seien hier nur die Einhaltung der Schuldenbremse oder die Milliardenausgaben im Rahmen des Corona-Hilfspakets genannt. Substanzielle Kritik von Merkel an den Fähigkeiten ihres Finanzministers ist jedenfalls nicht bekannt. Im Gegenteil: Die Zusammenarbeit zwischen der Kanzlerin und Vizekanzler verlief bis zuletzt geräuschlos.
Ein Faktencheck zu Scholz' Bilanz als Hamburger Bürgermeister, den die renommierte Wirtschaftszeitung "Handelsblatt" nach dessen Wechsel in die Bundespolitik im Jahr 2018 vornahm, kam übrigens zu dem Schuss, dass der Vorwurf, linke Politiker könnten nicht mit Geld umgehen, "in dieser Härte nicht zutrifft".
Beispiel 3: Rechtsfreie Räume in Berlin
Auch bei einem anderen Thema schossen Laschet und seine Redenschreiber in Nürnberg äußerst scharf. So warf der 60-Jährige Rot-Rot-Grün in Sachen innere Sicherheit Versagen vor. Als Beispiel dafür nannte er Berlin. In der Bundeshauptstadt gebe es zahlreiche No-Go-Areas, oder wie Laschet es nannte, "rechtsfreie Räume". Aber stimmt das?
Dazu sagte etwa die Gewerkschaft der Polizei schon vor einigen Jahren ganz klar: "Es gibt keine No-Go-Areas, in die sich keine Polizei traut. Es gibt aber sehr wohl Kriminalitätsschwerpunkte." Dass Berlin in manchen Stadtteilen ein Kriminalitätsproblem hat, ist unbestritten. Doch solche Brennpunkte existieren zum Teil auch in anderen deutschen Großstädten, etwa in Köln oder im Ruhrgebiet. Vor allem also in Laschets eigenem Bundesland Nordrhein-Westfalen.
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Beispiel 4: Die Sozialdemokratie als Verräterverein
In der Folge weitete Laschet den Fokus. Er suchte die quasi naturgesetzliche Kompetenz und Glaubwürdigkeit der Unionsparteien in einen historischen Kontext von Konrad Adenauer über Ludwig Erhard bis Helmut Kohl einzubetten, deren politischen Leistungen er huldigte.
Die SPD hingegen skizzierte Laschet als wankelmütigen Verräterverein, der seinen eigenen Kanzlern gern in den Rücken fällt. Das sollte das Beispiel der Abwahl Helmut Schmidts 1982 belegen; dieses wurde letztlich jedoch weniger durch Schmidts schwindenden Rückhalt in der eigenen Partei ermöglicht, als durch die Kehrtwende der mitregierenden Liberalen, die sich entgegen anderslautender Beteuerungen und eines erklecklichen Teils ihrer Mitglieder auf die Seite der Union schlugen und damit die Koalition aus SPD und FDP aufsprengten.
Beispiel 5: Die Union liegt immer richtig
Das Sozen-Bashing des Unions-Kanzlerkandidaten kulminierte schließlich in einem Satz von erstaunlicher Kühnheit: "In all den Entscheidungen der Nachkriegsgeschichte standen die Sozialdemokraten immer auf der falschen Seite."
Stimmte Laschets Behauptung, wäre Willy Brandts Ostpolitik ebenso falsch gewesen wie die harte und konsequente Haltung Helmut Schmidts gegenüber dem linksextremistischen Terror der Rote Armee Fraktion (RAF) oder auch das Nein der Bundesregierung Schröder/Fischer zum Irakkrieg. Dass aber, um nur ein Beispiel zu nennen, ohne Brandts Politik des 'Wandels durch Annäherung' die deutsche Einheit kaum möglich gewesen wäre, ist unter Historikern heute relativ unumstritten.
Epilog: Laschet und die Ehe für alle
Es lässt sich also festhalten, dass viele von Laschets Aussagen, darunter auch Kernaussagen seiner Rede, zugespitzt sind oder nur in Teilen den Fakten entsprechen. Dass dies beabsichtigt gewesen ist, darf angenommen werden, schließlich diente die Rede in Nürnberg vor allem dazu, die eigenen Leute zu mobilisieren und die Schwesterpartei CSU hinter sich zu bringen. Das ist Laschet an diesem Tag durchaus gelungen.
Eine weitere Chance der Profilierung bietet sich ihm schon am Sonntag, wenn das zweite Triell der Kanzlerkandidaten ansteht. Dann wird Laschet vermutlich wieder stärker an den Fakten entlang argumentieren, sonst könnte ihm ein ähnlicher Proteststurm drohen wie am Donnerstagabend, als er in der ZDF-Sendung "Klartext" behauptete, er sei schon immer für die Ehe für alle gewesen.
Dagegen sprechen Laschets Aussagen unmittelbar nach dem Beschluss des Bundestags für die gleichgeschlechtliche Ehe im Jahr 2017. Damals hatte Laschet sich explizit gegen diese Öffnung der Ehe für Homosexuelle ausgesprochen und im Bundesrat gegen das Gesetz gestimmt. Im Netz trendet deshalb schon seit Tagen der Hashtag "#Laschetluegt".
Nachtrag vom 12.09.: Im Anschluss an die Laschet-Rede beim CSU-Parteitag entbrannte ein Streit um den Satz, die SPD habe in der Nachkriegszeit immer "auf der falschen Seite der Geschichte" gestanden (siehe Punkt 5). Das CDU-Lager, darunter Laschets Medienberaterin Tanit Koch, warf einigen Sozialdemokraten vor, Fake News zu verbreiten. Koch argumentierte, die Aussage habe sich nur auf die Wirtschafts- und Finanzpolitik und nicht auf die politische Gesamtleistung der SPD bezogen. Laschets Kritiker hätten die Aussage bewusst verkürzt und sie dadurch verfälscht.
Tatsächlich steht der umstrittene Rede-Teil in einem größeren Kontext. "In all den Entscheidungen der Nachkriegsgeschichte standen Sozialdemokraten immer auf der falschen Seite,...", sagte Laschet. Dann macht er eine markante Pause, setzt den Satz ab und hebt erneut an: "...in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, Edmund Stoiber hat das erlebt..." Durch die Pause kann man Laschets weitere Ausführungen als Nebensatz verstehen, der sich deutlich vom Hauptsatz abhebt.
Möge sich jeder selber ein Urteil bilden, ob diese Pause nun beabsichtigt oder unbeabsichtigt erfolgte. Sie verleiht der Laschet-Aussage jedenfalls die Aura des Ungefähren und lädt zu unterschiedlichen Interpretationen ein. So ist es dann ja auch gekommen.
- tagesschau.de: Eine Reform mit Wirkungen und Nebenwirkungen
- Redaktionsnetzwerk Deutschland: Twitter-Trend: Was hinter Hashtag #LaschetLuegt steckt
- bundestag.de: Das Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt
- Berliner Morgenpost: GdP-Sprecher: "Wir haben in Berlin keine No-go-Areas"
- Handelsblatt: So viele Schulden hat Olaf Scholz als Hamburgs Bürgermeister wirklich gemacht
- Eigene Recherche