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Corona, Islam und Fremdenhass: "Kann fünf Mal am Tag beten und Alkohol trinken"


Corona, Islam und Fremdenhass
"Man kann fünf Mal am Tag beten und trotzdem Alkohol trinken"

InterviewEin Interview von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 05.07.2020Lesedauer: 7 Min.
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Ein Mann betet in einer Moschee (Symbolbild): "Deutschland ist kein rassistisches Land, aber auch die deutsche Gesellschaft hat ein Problem mit Rassismus", findet Lamya Kaddor.Vergrößern des Bildes
Ein Mann betet in einer Moschee (Symbolbild): "Deutschland ist kein rassistisches Land, aber auch die deutsche Gesellschaft hat ein Problem mit Rassismus", findet Lamya Kaddor. (Quelle: Samantha Zucchi/Insidefoto/imago-images-bilder)

In der Corona-Krise wurden Muslime in Deutschland teils heftiger kritisiert als andere Bevölkerungsgruppen. Islam-Expertin Lamya Kaddor erklärt im Interview, wer daran Schuld hat – und warum selbst liberale Muslime kämpfen müssen.

Rassistischer Hass auf Ausländer, unfaire Berichterstattung über Muslime an Ramadan, wachsender Fundamentalismus in den Religionen: Durch die Corona-Krise geraten viele Probleme der muslimischen Bevölkerung in Deutschland in den Hintergrund.

t-online.de-Kolumnistin Lamya Kaddor erklärt im Interview, warum Deutschland ein Problem mit Rassismus hat, warum der Boulevardjournalismus nicht alleine Schuld an stigmatisierenden Artikeln trägt und warum sich auch liberale Muslime ausgegrenzt fühlen.

t-online.de: Frau Kaddor, wir erleben seit dem gewaltsamen Tod von George Floyd in den USA eine globale Protestwelle gegen Rassismus und Polizeigewalt. Auch in der Bundesrepublik war Gewalt gegen Migranten ein großes Thema. Hat Deutschland ein Rassismusproblem?

Lamya Kaddor: Deutschland ist kein rassistisches Land, aber auch die deutsche Gesellschaft hat ein Problem mit Rassismus, und dieses Problem besteht seit vielen Jahren.

Wo zeigt sich Rassismus in Deutschland?

Die Debatte hat sich in den letzten Jahren verändert. Rechtspopulistische Gruppen und Parteien wie die AfD haben im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise ab dem Jahr 2015 Rassismus vermehrt in die Politik gebracht. Als mir das zunehmend bewusst wurde und ich angefangen habe, auch über Rassismus in Deutschland zu schreiben, bekam ich prompt Morddrohungen und musste zeitweise unter Personenschutz gestellt werden.

Wie ist es heute?

Die Verleumdungen gehen nach wie vor weiter, ich bekomme weiter Hassnachrichten, aber nur noch selten Morddrohungen. Vielleicht ist die Sensibilität für dieses Thema größer geworden. Rassismuskritik hat es inzwischen ja auch in die Mitte unserer Gesellschaft geschafft. Wir reden häufiger über Rassismus, leider brauchte es dazu offenbar einschneidende Erlebnisse wie zum Beispiel den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU).

Also ist Deutschland offen für den Diskurs, der aktuell aus den USA kommt?

Teilweise. Auf der anderen Seite erlebe ich, dass bei vielen Menschen das Verlangen aufkam, mit dem Thema schnell wieder abzuschließen. Das gibt einem zu denken, weil Menschen, die von Rassismus betroffen sind, nicht einfach damit abschließen können.

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Wie hat das Aufkommen der AfD den gesellschaftlichen Diskurs verändert?

Durch die AfD sind früher tabuisierte Dinge für mehr Menschen in der Mitte der Gesellschaft sagbarer geworden. Die Grenze des Sagbaren hat sich verschoben. Zudem gibt es ganz konkrete Folgen. So führt das Bundeskriminalamt neuerdings in seiner Statistik "Deutschfeindlichkeit" als Kategorie. Das ist ganz klar ein Ergebnis dieses Rechtsdrangs.

Wie gravierend sind diese Probleme für Muslime im Land?

Muslime sind oft mehrfach betroffen von Diskriminierung und Rassismus. Einerseits äußert sich das in Islamfeindlichkeit, andererseits werden sie, weil die meisten Migrationsbiografien haben, wegen ihrer Herkunft ausgegrenzt. Manche rassifizieren sie und werten sie aufgrund der verbreiteten Vorurteile ab. Das führt dazu, dass sich viele Muslime in der Gesellschaft ziemlich gebeutelt fühlen.

Wie ist die Situation in Deutschland?

Die Muslime hier sind seit Jahren besonders stark mit Rassismus konfrontiert. Bedenken Sie nur, bei jedem zweiten Deutschen lassen sich heute islamfeindliche Einstellungen finden. Allerdings hat die rassistische Diskriminierung gegenüber allen gesellschaftlichen Minderheiten zugenommen. Wir müssen uns von der Sichtweise verabschieden, dass nur eine Gruppe dem ausgesetzt wäre. Auch Homosexuelle beispielsweise klagen über die zunehmende Homophobie.

Auch der Antisemitismus nimmt zu.

Genau. Hass und Phobien nehmen allgemein zu, und deshalb darf man beim Thema Rassismus nicht nur über Muslime sprechen.

Nun ist die Religionsfreiheit in Deutschland von der Verfassung abgedeckt. Wo gibt es dennoch Probleme bei der Akzeptanz?

Zum Problem werden Religionen oft gemacht, wenn sie in den öffentlichen Raum getragen werden. Das hat man in der Corona-Zeit wieder gemerkt: Wegen der Kontaktbeschränkungen durften Muslime beispielsweise nicht mehr in ihre Gebetsräume, weswegen manche auf öffentliche Plätze ausgewichen sind. Und wenn Religion dann öffentlich sichtbarer wird, wird sie von vielen Menschen zum Problem gemacht.

Lamya Kaddor ist Islam-Wissenschaftlerin, Religionspädagogin, Publizistin und Gründerin des Liberal Islamischen Bunds e.V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr aktuelles Buch heißt "Muslimisch und liberal!: Was einen zeitgemäßen Islam ausmacht." und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

Wie erlebten Muslime in Deutschland die Corona-Pandemie bislang?

Der Ramadan war trostlos und ganz schön einsam. Das Ramadan-Chaos, das einige Medien und Politiker prophezeit hatten, ist ausgeblieben. Ich bin aber eh nicht davon ausgegangen, dass die Muslime in Deutschland wegen der Einschränkungen auf die Barrikaden gehen.

Warum gibt es immer wieder derartige Medienberichte?

Die Vorstellungen, dass es unbedingt zu Konflikten kommen muss, weil es Muslime sind, hat sich irgendwann nach dem 11. September verselbstständigt. Das erschreckt mich. Muslime nehmen die Corona-Zeit genauso wahr wie Nicht-Muslime. Natürlich fiel der Lockdown in den Ramadan, aber in die Oster- und Pessachzeit auch. Und bekanntlich war es eine christliche Gemeinde, die als erste gegen Corona-Auflagen verstoßen hat.

Machen Sie den Medien diesbezüglich einen Vorwurf?

Nein, die Konsumenten sollten sich eher hinterfragen. Wir wissen mittlerweile, wie bestimmte Mechanismen von Boulevardmedien funktionieren. Die Gesellschaft muss sich überlegen, ob sie Medien einfach unkritisch konsumieren will. Und wenn Teile das wollen, liegt es in unserer Verantwortung, die Geschichten einzuordnen. Ein Stück weit müssen wir alle kompetenter im Umgang mit Massenmedien werden.

Sie haben ein neues Buch über den Islam herausgegeben. Es geht nicht um Rassismus, sondern um den liberalen Islam. Warum braucht es diesen Diskurs?

Bei dem Begriff gibt es sehr viele Fehlverständnisse innerhalb der Gesellschaft. Viele Menschen verbinden mit dem liberalen Islam, dass das die guten Muslime seien. Das seien die gut integrierten und angepassten Muslime und der Rest ist böse. Aber das ist falsch. Mir persönlich ist es wichtig, zu zeigen, dass es viele unterschiedliche Muslime und Diversität im Islam gibt.

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Warum?

Innerhalb des Islams gibt es sehr große Unterschiede. Eine Unterscheidung in gute und böse Spektren ist schlichtweg falsch. Es gibt nicht den einen Islam, sondern viele unterschiedliche Verständnisse.

Wie blickt die Gesellschaft auf liberale Muslime?

Liberale Muslime haben es in unserer Gesellschaft besonders schwer, weil sie von unterschiedlichen Gruppen angefeindet werden. Einerseits von fundamentalistischen und streng konservativen Muslimen, andererseits von Islamhassern, die einem vorwerfen, im Stillen eine "Islamisierung" voranzutreiben. Auf dieses Problem wollte ich die Aufmerksamkeit lenken.


Sind liberale Muslime stets für die Trennung zwischen Kirche und Staat?

Liberale Muslime akzeptieren Säkularismus. Trotzdem kann der Glauben ein wichtiger Teil ihres Lebens und ihrer religiösen Identität sein. Das schließt sich nicht aus. Denn jenseits von Fundamentalismus ist Religion immer nur ein Identitätsmerkmal eines Menschen unter vielen. Auch viele konservative Muslime denken säkular.

Und selbst als konservativer Muslim ist man nicht gleich Fundamentalist. Konservative gibt es auch im Christentum.

Genau. Für diese Unterschiede muss man in der Gesellschaft weiter sensibilisieren. Nur ein Bruchteil der Muslime in Deutschland sind Fundamentalisten, die ihre Auffassung von religiösem Recht über staatliche Gesetze stellen. Die meisten Muslime befinden sich zwischen konservativ und liberal. Man kann beispielsweise fünf Mal am Tag beten und trotzdem Alkohol trinken – solche Widersprüche sind Realität. Deshalb ist die genaue Zuordnung vieler Menschen schwer, aber auch nicht unbedingt nötig.

Wachsen fundamentalistische Strömungen in Deutschland?

Der Islamismus, der oft auf dem Fundamentalismus aufbaut, ist derzeit eher auf dem Rückzug, die Rekrutierungsversuche sind weniger erfolgreich als früher. Jugendliche schließen sich kaum noch der Terrormiliz IS an oder wollen in einen sogenannten Dschihad ziehen. Die Zahlen sind im Vergleich zu den vergangenen Jahren gesunken, die islamistische Propaganda nimmt ab. Auch die muslimische Gemeinschaft ist beim Thema Islamismus stärker sensibilisiert als noch vor einigen Jahren und weniger anfällig für die Gehirnwäsche der Extremisten. Hier haben wir einiges erreicht.

Sie thematisieren auch die Themen Homosexualität und Transgender in Ihrem Buch. Hat sich die theologische Debatte im Islam diesbezüglich in den letzten Jahren verändert?

Ja, durchaus. Fundamentalisten und viele konservative Muslime vertreten weiterhin die Position, dass Homosexualität eine Sünde sei. Zugleich erlebe ich jedoch, dass viele Gläubige mittlerweile der Auffassung sind, dass es das nicht ist. Es ist zwar noch keine Befreiung von den alten Vorstellungen in der Theologie, aber der Einfluss liberaler Strömungen wird auch bei diesem Thema spürbarer.

Wie sehen Sie den Einfluss aus dem Ausland auf Muslime im Land, beispielsweise aus der Türkei?

Der findet definitiv statt. Dass eine Religion politisch nutzbar gemacht wird, ist kein Phänomen der Neuzeit. Das gibt es schon immer. Der Glaube von Menschen wird missbraucht, um an Macht zu gelangen.

Nun kommen von führenden AKP-Politikern aus der Türkei Stimmen, die Homosexualität als Grund für die Corona-Pandemie anführen. Wie wirkt sich so etwas auf den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland aus?

Solche Äußerungen beeinflussen das Religionsverständnis einzelner hier im Land und sie sind Wasser auf den Mühlen der Hetzer. Natürlich haben solche Aussagen keine seriöse Grundlage, aber sie werden von jenen aufgegriffen, die polarisieren wollen, um die dadurch entstandenen Gräben politisch zu nutzen. Das erleben wir nicht beim türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und seinen Anhängern, sondern so geht auch ein US-Präsident Donald Trump vor.

Wie genau?

Auch Trump versucht Religion politisch zu nutzen. Zum Beispiel droht er den Demonstranten in den USA mit dem Militär, um sich dann mit einer Bibel ablichten zu lassen. Das ist ähnlich perfide. Aber ich sehe auch, dass immer mehr Menschen das merken und langsam die Nase voll von Populisten haben.

Also wird Trump nicht wiedergewählt?

Ich gehe zumindest davon aus, dass die gegenwärtigen Geschehnisse in den USA in Bezug auf George Floyd und Corona ein Wendepunkt sein können und die US-Bevölkerung vielleicht mit größerer Mehrheit wieder in eine andere Richtung tendiert.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Kaddor.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Lamya Kaddor
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