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Exklusiv: Die Russland-Affäre
AfD und Linke im Zwielicht der russischen Agenda


16.08.2017Lesedauer: 7 Min.
Russland-Kongress der AfD in Magdeburg: André Poggenburg (l.), Landesvorsitzender in Sachsen-Anhalt, auf einer Bühne mit Manuel Ochsenreiter (M.) und Jürgen Elsässer.Vergrößern des Bildes
Russland-Kongress der AfD in Magdeburg: André Poggenburg (l.), Landesvorsitzender in Sachsen-Anhalt, auf einer Bühne mit Manuel Ochsenreiter (M.) und Jürgen Elsässer. (Quelle: Jonas Mueller-Töwe/t-online)

Wie nah rückt der Kreml an deutsche Politiker und Abgeordnete? Recherchen von t-online.de zeigen: Ein der Spionage Verdächtiger unterhält engste Verbindungen zu zwei pro-russischen Vereinen, die AfD und Linke nahestehen.

Der Russland-Kongress der AfD in Magdeburg beginnt an einem frühen Samstagmorgen im August mit einem freundlichen "Hallo", noch bevor sich die lange Schlange vor den Veranstaltungsräumen des gutbürgerlichen "Halber85" lichtet. So begrüßt Christina Schade, AfD-Landtagsabgeordnete in Brandenburg, ihren Bekannten Manuel Ochsenreiter. Sie sind "per Du", sie kennen sich – so gut offenbar, dass auf beiden Gesichtern ein herzliches Lächeln erscheint und sie aufeinander zugehen, sobald Schade die Tür ihres Taxis schließt.

Die Szene wäre nicht weiter von Belang, wäre Schade nicht im Brandenburger Landtag Teil des Parlamentarischen Kontrollgremiums, das den Verfassungsschutz kontrolliert, und hätte damit nicht Zugriff auf geheime Unterlagen des Amtes – und wäre Ochsenreiter nicht Leiter des Deutschen Zentrums für Eurasische Studien, als dessen Vertreter er später mit Sachsen-Anhalts AfD-Landesvorsitzendem André Poggenburg die Bühne teilen wird. Es ist eine Wahlkampfveranstaltung der AfD zur Bundestagswahl.

Außenpolitik soll "de-amerikanisiert" werden

"Der 24. September macht nicht nur uns Hoffnung", sagt Ochsenreiter in seinem Vortrag über die Situation in den Separatistengebieten der Ost-Ukraine, "sondern auch unseren Nachbarn, die unter unserer falschen Außenpolitik leiden." Diese müsse "de-amerikanisiert" werden, dürfe Deutsche nicht mehr als "Diener und Fußsoldaten" der USA verstehen, dafür brauche es die AfD im Bundestag.

Sein Verein steht deswegen für eine explizit eurasische Agenda. An einem Verkaufsstand bietet Ochsenreiter am Rande des Kongresses ein Buch von Alexander Dugin an, den er gerne als Experten interviewt. Tatsächlich ist Dugin ein russischer, neofaschistischer Ideologe, der bereits forderte: "Wir müssen Europa erobern, eingliedern und anschließen." Auf der Internetpräsenz des Vereins taucht der Ideengeber und Ziehvater der neo-eurasischen Rechten immer wieder auf.

Stellvertretender Vorsitzender des Zentrums ist seit seiner Gründung im April 2016 der derzeit in Polen inhaftierte Ex-Abgeordnete und Querfront-Aktivist Mateusz Piskorksi. Das belegen Registerunterlagen des Vereins, die t-online.de vorliegen. Die Staatsanwaltschaft Warschau ermittelt gegen Piskorski wegen Spionageverdachts – Details werden seit seiner Verhaftung vor einem Jahr geheim gehalten. Die Untersuchungshaft dauert an.

Polnische Medien spekulieren darüber, dass ihm nachrichtendienstliche Tätigkeiten für Russland und China zur Last gelegt werden. Und auch deutschen Nachrichtendiensten sind Piskorski und seine beiden Vereine in Deutschland bekannt, wie t-online.de aus Sicherheitskreisen erfuhr.

Piskorskis Anwalt wollte den Verdacht der Behörden gegen Piskorski und die Medienberichte nicht kommentieren. Viele der Informationen zu dem Fall seien ohnehin unter Verschluss. Seine Kanzlei werde aber Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof gegen die "exzessiv lange" Untersuchungshaft einlegen.

Sowohl Piskorksi als auch Ochsenreiter und der AfD-Landtagsabgeordnete Thomas Rudy aus Thüringen stehen in den Gründungsunterlagen des Deutschen Zentrums für Eurasische Studien. Gemeinsam unternahmen sie mit dem Verein 2016 eine sogenannte Wahlbeobachtungsmission in die Separatistengebiete der Ost-Ukraine und auf die Krim.

Immer wieder reisten Gruppen mit Vereinsmitgliedern dorthin und in andere von Russland unterstütze Separatistengebiete – unter anderem mit von der Partie: NRW-Landesvorsitzender Marcus Pretzell, JA-Vorsitzender Markus Frohnmaier und Landtagsabgeordnete wie Udo Stein und Holger Arppe.

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Deswegen verwundert es nicht, dass der Verein offensiv die AfD im Wahlkampf unterstützt und Ochsenreiter immer wieder an Parteiveranstaltungen teilnimmt. Auch beim "Anti-Sanktions-Gipfel" der AfD-Fraktion Sachsen mit Spitzenkandidat Alexander Gauland war er beispielsweise zu Gast. Gauland dürfte dem Verein zumindest nicht ablehnend gegenüber stehen – nach einer Russlandreise im vergangenen Jahr lobte er Dugin als angenehmen Gesprächspartner.

Positioniert sich die AfD also als Partei mit dem Willen zum Ausgleich zwischen us-amerikanischen, russischen und deutschen Interessen, wie Poggenburg es auf dem Russland-Kongress der Partei in Magdeburg darstellt? Trotz der auffälligen Nähe des parteinahen Vereins zu russischen Radikalen und ukrainischen Separatisten? Experten widersprechen.

Bereits im Februar warnte Hans-Georg Maaßen, der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz: "Wir gehen davon aus, dass derzeit Russland eine Propaganda- und Desinformationskampagne gegen Deutschland und deutsche Interessen führt." Die enge Bindung Europas an die USA solle geschwächt werden, um den eigenen Machtbereich auszuweiten, warnten die Geheimdienste. Von einem "konfrontativen Kurs" der russischen Seite gegenüber Deutschland war die Rede.

"Diese sogenannten Wahlbeobachtungsmissionen sind ein Legitimationsinstrument der russischen Außenpolitik. Von Russland unterstützte Separatistengebiete werden aufgewertet, seriöse Wahlbeobachtungen u.a. der OSZE abgewertet", sagt Stefan Meister, der Leiter des Robert-Bosch-Zentrums für Mittel- und Osteuropa, Russland und Zentralasien. "Die Missionen stärken gleichzeitig auch die internationale Anerkennung anti-amerikanischer, teilweise EU-kritischer Parteien, deren Mitglieder teilnehmen. Auf diesem Weg versucht Russland, liberale Demokratien zu schwächen."

Gleicher Ansicht ist der Politikwissenschaftler Anton Shekhovtsov vom Wiener Institut für die Wissenschaft vom Menschen. Er veröffentlicht in Kürze sein Buch über die Kontakte der europäischen Rechten zur eurasischen Bewegung Russlands im renommierten Routledge-Verlag. "Besonders nach den Farbrevolutionen in einigen Staaten der ehemaligen Sowjetunion realisierte der Kreml, dass unfaire Wahlen ein Auslöser für Proteste und Regime-Wechsel sein konnten – also beschloss er, loyale Nichtregierungsorganisationen zu unterstützen, die ein Gegengewicht zu seriösen Wahlbeobachtungs-Organisationen wie der OSZE bilden konnten."

In Zusammenarbeit mit den kremltreuen NGOs habe Piskorski bereits seit über zehn Jahren Beobachtungsmissionen auch in die kontroversesten Gebiete der ehemaligen Sowjetunion unternommen, schildert Shekhovtsov: Transnistrien, Südossetien – und schließlich 2014 auf die Krim. Als Vehikel dafür diente ihm ein Vereinskonstrukt, das er 2007 in Warschau ins Leben rief: das Europäische Zentrum für Geopolitische Analysen (EZGA). Für dessen Expansion in Europa brauchte Piskorski allerdings Partner.

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In Berlin fand er sie mitunter in dem Linke-Aktivisten Piotr Luczak, dem Linke-Landtagsabgeordneten Torsten Koplin aus Mecklenburg-Vorpommern und dem ehemaligen DDR-Spion Rainer Rupp, Deckname "Topas". Das geht aus den auf 2011 datierten Gründungsunterlagen des Berliner Vereins hervor, die t-online.de exklusiv vorliegen. Über Piskorskis Rolle im Verein und die genauen Vereinsstrukturen, die laut Koplin auch ein weiteres Partnerbüro in Brüssel umfassen, will Vorsitzender Luczak am Telefon nicht reden – auch er müsse davon ausgehen, unter Beobachtung zu stehen, sagt er.

Doch klar ist: Auch dieser Verein ist – genau wie das Deutsche Zentrum für Eurasische Studien – am Amtsgericht Charlottenburg in Berlin registriert. Und sucht – ähnlich wie sein rechtes Pendant im Falle der AfD – den Kontakt zu Die Linke. Rupp beispielsweise reiste mit dem polnischen EZGA bereits 2009 nach Südossetien. Luczak, Koplin und der Landtagsabgeordnete Hikmat Al-Sabty reisten auf die Krim. Ihr jeweiliges Fazit: alles in Ordnung mit den Wahlen. Zu diesem Ergebnis kam das EZGA erstaunlich oft, in erstaunlich vielen Regionen.

Mit Hilfe der Strukturen des EZGA in Warschau, in Berlin und Brüssel organisierte Piskorski seine Wahlbeobachtungen in von Russland unterstützten Separatistengebieten. Als Koordinationsstelle für die Reise zum Krim-Referendum diente zum Beispiel, laut Shekhovtsov, erneut eine kremltreue NGO in Russland. Er hält Piskorski für "einen der Hauptkoordinatoren" in dem schwer überschaubaren Netzwerk rechter und linker Initiativen aus ganz Europa.

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Die Querfront der Amerikagegner

Die Struktur der EZGA-Wahlbeobachtungen sei ohne Piskorski vermutlich "nicht einsatzbereit". Denn der umtriebige Pole brachte alle an einen Tisch. Ob französischer Front National und belgische Rechtsextremisten, British National Party und ungarische Jobbik oder griechische Kommunisten und deutsche Linke - politische Differenzen schienen für die Wahlbeobachter keine Rolle zu spielen. Das gemeinsame Ziel: Wahlen im postsowjetischen Raum zu legitimieren, die die OSZE kritisiert, und außenpolitische Interessen Russlands zu befördern.

Auch in Deutschland war das EZGA aktiv. Nicht nur indem unter anderem Koplin und Al-Sabty an den Wahlbeobachtungsmissionen teilnahmen. Auf Veranstaltungen der Vereinsvertreter ließen sich auch Prominente der Partei blicken. Oskar Lafontaine sprach als Hauptredner bei einer von Luczak organisierten Veranstaltung 2014 in Stendal. Auch Gregor Gysi und Sarah Wagenknecht wurden dort gesehen. Sevim Dagdelen und Hans Modrow sprachen wenige Wochen zuvor bei einer Diskussionsrunde des EZGA zum Thema "Die ukrainische 'Revolution' und das Problem des Neonazismus in der Ukraine". Zumindest von der Teilnahme der Abgeordneten am Krim-Referendum distanzierte sich der Linken-Vorstand aber schnell:

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"Es wäre sehr problematisch, sollte das EZGA der Linken nahestehen, da jede Abteilung klar für die Interessen des Kremls arbeitet. Es gibt da keinen Zweifel – 100 Prozent. Genau das ist das Hauptziel dieser Organisationen und das, wofür sie gegründet wurden", sagt Forscher Shekhovtsov. Sogar der Name gehe auf russische Ultranationalisten zurück – er sei erstmals durch den Gründer einer russischen NGO registriert worden, Piskorskis langjährigem Ansprechpartner für dubiose Wahlbeobachtungen.

Zwar bezweifelt Shekhovtsov, dass Piskorski tatsächlich der Spionage schuldig sein könnte: „Ich wüsste nicht, wen oder was so eine politische Randfigur ausspionieren sollte.“ Es sei allerdings "völlig offensichtlich", dass Piskorski für die russische Agenda in Polen werbe. "Ich habe keinen Zweifel, dass er dafür Geld annehmen würde."

Vereine bestreiten illegale Aktivitäten

Genau darin könnten polnische Ermittlungsbehörden ein ernstes Problem sehen: Laut einer anonymen Quelle der Gazeta Wyborcza aus Ermittlerkreisen soll der Inlandsgeheimdienst davon ausgehen, dass Piskorskis pro-russische Splitterpartei "Zmiana" von russischen Geheimdiensten finanziert und kontrolliert wurde – um das russische Narrativ in Polen zu verbreiten, die öffentliche Meinung zu manipulieren und anti-ukrainisches Ressentiment zu schüren. Lobbyarbeit im Sinne des Kreml. Sein Anwalt betonte aber im Gespräch mit t-online.de, Piskorski habe keine polnischen Gesetze gebrochen, sondern auch während seiner Wahlbeobachtungsmissionen lediglich seine staatsbürgerlichen Rechte in Anspruch genommen.

Seine Organisationen in Deutschland und Polen bestreiten die Verwicklungen ihres Vereins-, Parteifreunds und Mentors in illegale Aktivitäten. Auf Anfrage schrieb EZGA-Vorsitzender Luczak: "Mateusz Piskorski ist seit Anfang Mai 2016 von polnischen Geheimdienstmitarbeitern von der Straße verschleppt. Die Spionagevorwürfe ließen sich in Bezug auf russische, chinesische und irakische Spionage nicht aufrechterhalten, sodass als Tatvorwurf russische Propaganda übrig blieb."

Manuel Ochsenreiter, der Vorsitzende des AfD-nahen Deutschen Zentrums für Eurasische Studien, war nicht zu einer Stellungnahme bereit. Auf dem AfD-Kongress lehnte er ein Interview ab. In einer Stellungnahme auf der Homepage des Vereins schreibt er: "Die Vorwürfe der ‚Spionage für ein ausländisches Land‘ sind fabriziert. Piskorski hat kein Gesetz gebrochen. Sein ‚Verbrechen‘ ist seine Opposition gegen die Präsenz des US-Militärs in Europa."

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