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Klimaschutzplan der Regierung: Die Angst vor der Wut der Bürger


Klimaschutzplan der Regierung
Die Angst vor der Wut der Bürger

Eine Analyse von Jonas Schaible

Aktualisiert am 20.09.2019Lesedauer: 6 Min.
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Die Kanzlerin präsentiert mit den anderen Mitgliedern des Koalitionsausschusses die Eckpunkte eines Klimaschutzplans: Vor allem der CO2-Preis ist erstaunlich niedrig.Vergrößern des Bildes
Die Kanzlerin präsentiert mit den anderen Mitgliedern des Koalitionsausschusses die Eckpunkte eines Klimaschutzplans: Vor allem der CO2-Preis ist erstaunlich niedrig. (Quelle: Axel Schmidt/AFP Pool/dpa)

Die Regierung legt Eckpunkte eines Klimaschutzplans vor. Das wichtigste Instrument wird stark beschränkt. Für Klimaschützer bleibt nur ein Strohhalm.

Je länger man die Verkündung einer Entscheidung herauszögert, desto höher steigen die Erwartungen. Die Kanzlerin hatte im Sommer schon erklärt: "Der 20. September wird ein entscheidender Tag." Die Spitzen der schwarz-roten Koalition, wechselnd auch mit Fachministern, tagten fast einen ganzen Tag lang im Kanzleramt, bevor sie sich auf ein Maßnahmenbündel zum Klimaschutz einigten.

Mehr als 18 Stunden dauerten die Verhandlungen. Gegen Mittag am Freitag verließ der Fraktionsvorsitzende der SPD, Rolf Mützenich, mit tiefen Augenringen das Kanzleramt. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich bereits Zehntausende nur wenige Gehminuten entfernt auf der Straße des 17. Juni vor dem Brandenburger Tor versammelt, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren. Am Ende waren es nach Angaben der Polizei 100.000, nach Angaben der Veranstalter weit über 200.000 Menschen allein in Berlin.

Die Demonstration wurde von einer Rednerin eröffnet, die rief, man sei hier, weil die Regierung es "verkackt" habe. Nach der Bekanntgabe des Klimaschutzpakets der Koalition wird sich diese Haltung unter den Demonstranten wahrscheinlich nicht ändern.

Nur Eckpunkte, kein ganzes Paket

Nach einer Kurzsitzung des Klimakabinetts traten am frühen Nachmittag Angela Merkel, Vizekanzler Olaf Scholz, CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, die kommissarische SPD-Chefin Malu Dreyer, CSU-Chef Markus Söder, die Fraktionsschefs Mützenich (SPD), Ralph Brinkhaus (CDU) und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt im neuen "Futurium" nahe dem Berliner Hauptbahnhof vor die Presse: Sie stellten ein 22 Seiten kurzes Eckpunkteprogramm vor. Das ganze Paket soll irgendwann nachgeliefert werden, wann genau, ist unklar.

Was sie vorstellten, überraschte sehr. Auch wenn die Kanzlerin betonte, Politik sei, was möglich ist, und man habe das Mögliche ausgelotet: Dieses "Klimaschutzprogramm 2030" bleibt hinter den Erwartungen zurück. Und es ist alles andere als klar, dass Deutschland damit auch nur seine Klimaziele für 2030 einhalten kann – die schon nicht ausreichen, um das Paris-Ziel einer Erwärmung auf 1,5 Grad einzuhalten. Merkel selbst, die wenig Lust an der Schönfärberei zeigte, ließ das in der ihr eigenen vorsichtigen Art durchblicken: Die Chancen auf die Einhaltung der Klimaziele, sagte sie, "sind gewachsen“. Zuversicht klingt anders.

Extrem niedriger CO2-Preis

Dass die Koalition sich gegen eine CO2-Steuer und für einen Zertifikatehandel entscheiden würde, war erwartet worden. Die Union hatte sich früh darauf festgelegt. Allerdings entspricht ein Zertifikatesystem mit einem staatlich festgelegten Festpreis, wie es jetzt kommen soll, quasi einer Steuer – nur dass sie beim Produzenten ansetzt, etwa bei einer Ölraffinerie, nicht beim Autofahrer, der tankt. Und dass es länger dauert, ihn einzuführen.

Dass der Handel erst 2021 beginnen würde, ist eine der großen Überraschungen. Gerade die SPD hatte immer auf einen möglichst schnellen Beginn gedrängt und deshalb auch eine Steuer bevorzugt. So hatte auch die Empfehlung der so genannten Wirtschaftsweisen gelautet.

Noch überraschender ist nur der Preis: Er soll im Jahr 2021 zuerst bei 10 Euro pro Tonne CO2 liegen und damit bei etwa einem Drittel des Preises, der aktuell im Zertifikatehandel zu zahlen ist, der auf EU-Ebene bereits im Industriebereich existiert. Danach soll er bis 2025 jedes Jahr etwas steigen und am Ende bei 35 Euro liegen. Im Jahr 2026 ist er auf maximal 60 Euro gedeckelt. Erst dann beginnt womöglich ein echter, freier Handel auf der Basis von EU-Emissionsbudgets. Erst dann können die oft beschworenen Marktkräfte vielleicht wirken.

"Zugegebenermaßen sehr langsam"

Verschiedene Institute, die für das Bundesumweltministerium eine CO2-Steuer geprüft hatten, die in ihrer Wirkung dem Zertifikatehandel sehr ähnlich ist, hatten mit einem Einstiegpreis von 35 Euro kalkuliert, für das Jahr 2023 bereit 80 Euro pro Tonne CO2 angenommen und für 2030 dann 180 Euro für nötig gehalten, um die Klimaziele zu erreichen. Am Ende waren verschiedene Varianten im Gespräch, aber keine setzte auch nur ansatzweise so niedrig an, wie es jetzt vorgesehen ist.

Auch das ließ die Kanzlerin selbst durchblicken, die fast entschuldigend sagte, der Preis steige "am Anfang zugegebenermaßen sehr langsam". Man fange eben niedrig an, um Menschen mitzunehmen. Aber man komme ja zur Mitte des Jahrzehnts an einen Punkt, an dem der Höchstpreis relevant sei. Umgekehrt heißt das auch: vorher nicht.

Der Preis steigt so langsam, dass lange Strecken für Fernpendler anfangs sogar günstiger werden könnten: Die Pendlerpauschale soll ab dem einundzwanzigsten Kilometer von 30 auf 35 Cent angehoben werden. Das soll bis Ende 2026 so bleiben. Ein CO2-Preis von 10 Euro pro Tonne wird, grob kalkuliert, Sprit um etwa 3 Cent pro Liter verteuern.

Milliardenausgaben für Förderprogramme

Schneller als mit dem CO2-Preis soll es mit Förderungen gehen: Die Regierung nimmt dafür direkt viele Milliarden in die Hand, um schnell mit Förderprogrammen zu beginnen. Bis 2023 rechne man mit Ausgaben von 54 Milliarden, sagte Finanzminister Olaf Scholz. Damit soll etwa der Kauf von Elektroautos gefördert werden, der Einbau von Wärmeschutzfenstern, bessere Gebäudedämmung. Und wer eine neue Heizung einbaut, die mit erneuerbaren Energien oder erneuerbaren Energien und Gas arbeitet, der kann sich 40 Prozent des Preises vom Staat zurückholen – dafür wird der Einbau neuer Ölheizungen ab 2026 in fast allen Häusern verboten. Jetzt schon bestehende Heizungen sind davon nicht betroffen.

Solche kleinen Maßnahmen gibt es viele. Bezahlt werden sollen sie unter anderem durch Einnahmen aus dem Zertifikatehandel – die also nur zum Teil an die Bürger ausgezahlt werden dürften. Aber auch aus einer neuen Kfz-Steuer oder einer CO2-Komponente auf die Lkw-Maut ab 2023, sagte Olaf Scholz.

Zufrieden wirken nur die Bayern

Auf Bahntickets sollen künftig sieben statt 19 Prozent Mehrwertsteuer anfallen, im Gegenzug sollen Flüge teurer werden. Klimaschädliche Subventionen wie das Diesel-Privileg und die Steuerbefreiung von Kerosin bleiben offenbar. Die EEG-Umlage auf Strom wird ab 2021 um 0,25 Cent, ein Jahr später um 0,5 Cent, ein Jahr darauf dann um final 0,625 Cent fallen. Damit wird Strom günstiger – und so auch der Betrieb von Wärmepumpen oder Elektroautos.

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Bis 2030 sollen erneuerbare Energien 65 Prozent des Stromverbrauchs decken. Der Deckel für die Förderung von Photovoltaikanlagen wird aufgehoben. Und der Ausbau von Windkraftanlagen soll vorangetrieben werden. Allerdings mit Einschränkungen, die etwas über die Verhältnisse in der Koalition sagt: "Die bestehende Abstandsregel 10H in Bayern bleibt erhalten", heißt es im Vertrag. Sie besagt, dass der Abstand eines Windrads von Wohnungen zehnmal der Höhe der Anlage entsprechen muss, ist ein bayerischer Sonderfall und der CSU heilig. Kritiker bemängeln, dass dadurch der Ausbau von Windkraft in Bayern fast unmöglich geworden ist.

Danach gefragt, hob CSU-Chef Markus Söder beide Daumen. Er sei dankbar, sagte er dann, "dass man unserer Regel…"

Merkel unterbrach ihn: "… Bestandsschutz gewährt hat". Es klang nicht glücklich.

"Die ist auch gut", scherzte Söder. Er und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt schienen als einzige wirklich zufrieden zu sein.

Der eine Strohhalm der Klimaschützer

Die Kanzlerin, aber auch die SPD-Vertreter gaben sich stattdessen Mühe, als großen Erfolg auf eine andere Klausel im Papier zu verweisen: Es wird, wie von der SPD gefordert, ein Klimaschutzgesetz geben. Darin wird geregelt, dass das Klimakabinett als Ausschuss des Kabinetts dauerhaft existieren wird. Und es werden die so genannten Sektorziele jährlich gesetzlich festgehalten: Man wird also festschreiben, wie viel CO2 der Verkehr, die Landwirtschaft oder die Energiebranche jedes Jahr einsparen müssen. Das wird von einem Expertenrat überwacht.

Gelingt das nicht, müssen die zuständigen Minister im Klimakabinett innerhalb von drei Monaten ein Sofortprogramm vorlegen. So wird die Einhaltung der Ziele sehr eng überwacht. So etwas hatte die Union vor einigen Monaten noch kategorisch abgelehnt. Die einzige Änderung gegenüber den Wünschen der SPD: Mögliche Milliardenstrafen an die EU, weil Deutschland seine Ziele verfehlt, müssen nicht vom verantwortlichen Ministerium bezahlt werden. Verpasst der Verkehr die Ziele, wird nicht der Verkehrsetat belastet, sondern der Gesamthaushalt.

Es ist der eine Strohhalm, an dem sich Klimaschützer festhalten können. Theoretisch bietet diese Überprüfung die Möglichkeit, sehr bald nachzusteuern, wenn die Einsparungen geringer ausfallen als nötig. Allerdings werden auch diese Entscheidungen vom politischen Willen der Minister abhängen. Der war auch jetzt nicht besonders ausgeprägt. Vor allem, weil man, wie mehrere Regierungsmitglieder sagten, die Menschen mitnehmen wolle.

Mehr Angst vor einem Phantom als vor Hunderttausenden

Man konnte den Eindruck haben, die Angst vor den friedlichen Hunderttausenden Demonstranten nur wenige hundert Meter entfernt sei immer noch geringer als die vor Protesten wie denen der Gelbwesten in Frankreich, die sich eventuell irgendwann formieren könnten. Obwohl die Klimaschützer das Koalitionsergebnis mit Entsetzen und Wut aufnahmen. Bisher machen nur sie Druck. Was, wenn es in einigen Jahren wirklich einige Gelbwesten geben sollte? Die Angst vor der Wut der Bürger, die noch kommen könnte, ist groß.


Die Kanzlerin sagte, sie sei beeindruckt, wenn Greta Thunberg, die Klimaschutzaktivistin, sage, "unite behind the sciences". Man solle sich hinter der Wissenschaft versammeln. "Wer diese wissenschaftlichen Meinungen ignoriert und sagt, wir werden schon irgendwie durchkommen, der handelt, glaube ich, nicht zukunftsgrerecht."

Kurz nach Bekanntgabe der Pressekonferenz meldete sich Ottmar Edenhofer zu Wort. Er ist Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, das eines der angesehensten Forschungseinrichtungen in diesem Bereich ist, war zuletzt etwa auch auf der Vorstandsklausur der Unionsfraktion zu Gast und wichtiger Berater für die Regierung. Sein Urteil: "Das Klimapaket ist ein Dokument der politischen Mutlosigkeit. Mit dieser Entscheidung wird die Bundesregierung die selbstgesteckten Klima-Ziele für 2030 nicht erreichen."

Verwendete Quellen
  • Bundesregierung: Klimaschutzplan 2030
  • Eigene Beobachtungen auf der Demonstration im Berlin, vor dem Kanzleramt, auf der Pressekonferenz
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