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Migranten | Keine deutsche Hilfe für Italien: Diese Heuchelei muss aufhören


Keine deutsche Hilfe für Italien
Diese Heuchelei muss aufhören

MeinungVon Patrick Diekmann

Aktualisiert am 04.06.2021Lesedauer: 3 Min.
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Immer mehr Geflüchtete kommen auf der italienischen Insel Lampedusa an: Die europäische Politik ignoriert das Problem weitestgehend.Vergrößern des Bildes
Immer mehr Geflüchtete kommen auf der italienischen Insel Lampedusa an: Die europäische Politik ignoriert das Problem weitestgehend. (Quelle: imago-images-bilder)

Vor knapp drei Wochen haben führende Politiker von Union und SPD letztmals um mehr Hilfe für Geflüchtete im Mittelmeerraum geworben. Nun lässt auch Deutschland Italien erneut im Stich.

Mit der steigenden Zahl an Flüchtlingsbooten im Mittelmeer sinkt die Glaubwürdigkeit der deutschen Politik. Seit Anfang Mai schlagen italienische Kommunalpolitiker wie Salvatore Martello, der Bürgermeister von Lampedusa, wieder Alarm. Es kommen mehr Boote mit immer mehr Menschen. Doch ihr Hilferuf verhallt, die Bundesregierung möchte vorerst keine Menschen nach Deutschland holen, lässt Italien im Stich, wieder einmal.

Mitte Mai hatten in 24 Stunden mehr als 2.000 Menschen die Mittelmeerinsel Lampedusa erreicht. Die italienische Regierung zählte bis dahin rund 13.000 angelandete Migranten, mehr als dreimal so viele wie im Vorjahreszeitraum. Aber Europa schaut weg, ist beschäftigt mit der Corona-Pandemie. Auch Union und SPD stellen sich blind.

Union und SPD halten Hilfe nicht für notwendig

Die Appelle für mehr Solidarität mit den Mittelmeerstaaten scheinen in Europa nur dann laut zu werden, wenn gerade weniger Menschen über das Mittelmeer kommen. Nun übt man sich in Ignoranz, es stehen schließlich wichtige Wahlen an und die Bundesregierung fürchtet wahrscheinlich, dass die AfD durch die Aufnahme von Geflüchteten stärker werden würde. Die Leidtragenden dieser Politik sind die Bewohner von Lampedusa und vor allem die Menschen, die unter größten Gefahren über das Mittelmeer kamen. Sie leiden unter Zuständen, die der Europäischen Union unwürdig sind.

Politiker von Union und SPD versuchen das Problem zu relativieren: "Das ist im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ein deutlicher Anstieg, aber sicherlich nichts, was Italien nicht alleine bewältigen könnte", sagte Unions-Fraktionsvize Thorsten Frei (CDU). In Deutschland seien bis Ende April 38.000 Asylerstanträge gestellt worden. Einen Notfallmechanismus hielt er nicht für nötig. "Auch eine deutsche Beteiligung ist vor diesem Hintergrund ausgeschlossen." Auch der migrationspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Lars Castellucci, sagte: "Es besteht aktuell kein Bedarf zur Unterstützung."

Keine Solidarität, dafür Doppelmoral

Dabei sind die Geflüchteten, die in Italien ankamen, nur die Spitze des Eisberges. Lampedusa hat nur sehr begrenzte Kapazitäten, die Warnungen beziehen sich eher auf die Sommerzeit, in der die Fluchtzahlen für gewöhnlich deutlich steigen – Experten warnen dieses Jahr vor noch volleren Booten und noch mehr Menschen. Aber es muss wohl erst wieder ein Flüchtlingslager brennen, damit Union und SPD die kritischen Zustände wahrnehmen. Eine nachhaltige Politik? Europäische Solidarität? Fehlanzeige.

Die Doppelmoral der Regierungsparteien in Deutschland ist dabei nur schwer zu ertragen. Nicht einmal drei Wochen ist es her, da wollte man das Problem noch ernst nehmen. "Wir sind grundsätzlich der Auffassung, dass man Italien nicht alleine lassen kann mit dieser Situation", sagte Außenminister Heiko Maas (SPD). Innenminister Horst Seehofer (CSU) erklärte: "Wir müssen etwas tun, damit wir nicht wieder in bedenkliche Größenordnungen kommen." Jetzt wird die Hilfe verweigert und das Problem kleingeredet.

Die Ignoranz muss aufhören

Klar, die Migrationspolitik ist noch immer ein Spaltpilz der EU, viele Länder möchten von einem fairen Verteilungsmechanismus nichts wissen. Das ist peinlich für die europäische Gemeinschaft, die sich auch als Wertebündnis versteht. Diese Werte scheinen unter der Asche des abgebrannten Flüchtlingslagers in Moria begraben worden zu sein.

Deutschland hat vergleichsweise viele Geflüchtete aufgenommen und will mit Recht verhindern, dass sich die europäischen Partner in Migrationsfragen immer auf die Bundesregierung verlassen. Doch es darf nicht die Lösung sein, dass wir in Europa mit Ignoranz auf dieses Problem antworten. Besonders dann nicht, wenn es um Menschenleben geht.

Das Migrationsthema muss nun möglichst schnell wieder auf die Tagesordnung der europäischen Staats- und Regierungschefs. Gegenseitige Solidarität darf in der EU keine Einbahnstraße sein, das müssen Länder wie Ungarn oder Polen verstehen lernen. Die EU muss beweisen, dass sie mehr ist als ein Staatenbund der Rosinenpickerei. Sonst ist sie unglaubwürdig.

Falsches Signal von Andreas Scheuer

Auch Deutschland hat dabei eine wichtige Vorbildfunktion. Im letzten Jahr sah man sich als Architekt einer Koalition der Willigen. Doch im Wahljahr belässt man es bei Appellen und Warnungen, handeln will die Bundesregierung nicht. Im Gegenteil: Es war Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), der die deutsche Schiffssicherheitsverordnung mit Vorsatz so veränderte, dass die Arbeit für Seenotrettungsorganisationen extrem erschwert und teuer wurde. Das ist nicht nur ein fatales Signal und Wasser auf die Mühlen der migrationsskeptischen Kräfte in Europa – sondern es gefährdet Menschenleben.

Die Bundesregierung darf verbal keine moralischen Luftschlösser mehr bauen. Die Mahnungen von Regierungsmitgliedern sind schön und gut, doch am Ende zählen Taten, keine Worte.

Fest steht: Union und SPD haben Italien am Freitag diese Hilfe verweigert, trotz Bitten der EU-Kommission. Damit wird Deutschland seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht. Diese Heuchelei muss aufhören.

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