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Ukraine-Krieg: CDU-Chef Friedrich Merz warnt vor vielen Flüchtlingen


Friedrich Merz über Flüchtlinge
"Damit verschärft sich das Problem"


Aktualisiert am 04.10.2022Lesedauer: 7 Min.
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Versprach klare Kante zu zeigen: CDU-Vorsitzender Friechrich Merz beim Parteitag im September 2022.Vergrößern des Bildes
CDU-Chef und Oppositionsführer Friedrich Merz: "Das dürfen wir nicht verschweigen, aber das gehen wir in der richtigen Tonlage an." (Quelle: Michael Kappeler/dpa)

Wie soll Deutschland mit den ankommenden Flüchtlingen umgehen? Und welche Antwort braucht es auf Putin? Ein Gespräch mit CDU-Chef Friedrich Merz.

Die Sonne scheint auf die Reichstagskuppel und schimmert auf der Spree – Friedrich Merz hat einen schönen, fast schon idyllischen Blick aus seinem Büro im Jakob-Kaiser-Haus des Bundestags, in dem er zum Gespräch empfängt.

Merz ist der Oppositionsführer Deutschlands – nach der Wahlniederlage seiner Partei vor einem Jahr sicherte er sich erst den Parteivorsitz der CDU und dann den Fraktionsvorsitz der Union im Bundestag.

Die Umfragewerte sind gut, die Bundesregierung bietet in der Energiepreiskrise viele Angriffspunkte für einen Oppositionsführer. Und doch hat Merz eine schwierige Woche hinter sich. Mit einer Warnung vor einem "Sozialtourismus" ukrainischer Flüchtlinge hat er auch in seiner eigenen Partei heftiges Kopfschütteln ausgelöst.

Im Interview mit t-online versucht Merz, seine Äußerung zu erklären. Er spricht über die künftigen Gaspreise und betont, dass viele in der deutschen Politik bei Wladimir Putins Charakter einer Fehleinschätzung unterlägen.

t-online: Herr Merz, wie oft wollen Sie sich von der "Bild" noch aufs Glatteis führen lassen?

Friedrich Merz: Ich habe eine schlechte Formulierung verwendet, und das habe ich korrigiert.

Sie haben in einem "Bild"-Interview von "Sozialtourismus" der Ukraine-Flüchtlinge gesprochen. Vor einiger Zeit brachten Sie bei dem Boulevardblatt Homosexualität in einen Zusammenhang mit Kindesmissbrauch und mussten ebenfalls zurückrudern. Schauen Sie von Zeit zu Zeit, wie weit Sie gehen können?

Selbstverständlich nicht.

Am Ende bleibt bei vielen der Eindruck hängen: Im Zweifel greift Friedrich Merz zu rechten Parolen.

Das ist Unsinn, und jeder, der mich kennt, weiß, dass das Unsinn ist. Wir müssen die Themen ansprechen, die die Menschen bewegen. Es gibt in der Sache ein Problem und das lautet: Diese Bundesregierung will offenbar die Zuwanderung erheblich ausweiten, statt sie in geregelte Bahnen zu lenken. Das dürfen wir nicht verschweigen, aber das gehen wir in der richtigen Tonlage an.

Was ist denn das Problem?

Wir sollten die Hilferufe der Kommunen nicht ignorieren. Dieses Jahr sind so viele Menschen zu uns gekommen wie seit 2015 nicht mehr. In Deutschland leben nun mehr als 84 Millionen Menschen, mehr als je zuvor. Darauf ist die Infrastruktur dieses Landes schlicht nicht ausgerichtet.

Wir haben nicht den Eindruck, dass die deutsche Infrastruktur vor dem Zusammenbruch steht.

Die Kommunen leiden ganz erheblich unter der Last der Zuwanderung und können sie kaum noch bewältigen. Wir müssen ernsthaft darüber reden, was wir zu leisten in der Lage sind und was nicht mehr. Der Präsident des Landkreistages sagt es ganz richtig: Wir setzen die falschen Anreize.

Was meinen Sie damit?

Deutschland nimmt sehr viele Menschen auf. Im europäischen Vergleich ist das soziale Netz, das wir spannen, aber auch sehr groß. Mit der zukünftig "Bürgergeld" genannten Sozialleistung lohnt es sich auch für Zuwanderer häufig nicht mehr, eine einfache Tätigkeit aufzunehmen. Und genau das zieht die Menschen aus vielen Ländern erst richtig an, es schafft einen sogenannten Pull-Faktor.

Man sollte also den Menschen nicht helfen?

Hilfe ist ein Gebot des christlichen Menschenbilds. Aber wir sollten eben nicht die falschen Anreize setzen. Deshalb sind wir in der Unionsfraktion grundsätzlich der Meinung, am Asylbewerber-Leistungsgesetz für jene festhalten zu müssen, deren Aussicht auf Gewährung von Asyl oder einen anderen dauerhaften Aufenthaltsstatus gering ist. Wir sollten eben klar unterscheiden zwischen geregelter Zuwanderung in den Arbeitsmarkt, humanitärem Asyl und illegaler Einwanderung. Die Bundesregierung geht aber einen ganz anderen Weg. Das SPD-geführte Innenministerium will sogar die Identitätsnachweispflicht abschaffen und dafür eine Versicherung an Eides statt einführen. Die Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern ist schon jetzt auf einem sehr niedrigen Niveau, von einer Ausweitung der Liste "sicherer Herkunftsstaaten" ganz zu schweigen. Die Bundesregierung verwischt systematisch die Grenzen des Migrationsrechts. Und damit verschärft sich das Problem.

Die Lage im Land soll ja besser werden – die Ampelkoalition hat gerade ein Paket im Umfang von 200 Milliarden Euro vorgelegt.

Die Bundesregierung will weitere Schulden machen und sagt trotzdem nicht, wie sie denn die hohen Energiepreise unter Kontrolle bringen will.

Was verstehen Sie daran nicht?

Das zusätzliche Geld soll ja die Verbraucherpreise dämpfen, aber der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Und die Details sind alle offen. Es bleibt unklar, wer jetzt wie viel Geld bekommt. Dem Bundestag steht eine sehr komplexe Gesetzgebung bevor, und es gibt bis jetzt noch nicht einmal die ersten Vorschläge dazu.

Und die Regierung bemüht sich offenbar, pragmatische Lösungen für den Umgang mit dieser Summe zu finden.

Pragmatische Lösungen sind immer gut, sie müssen aber auch handwerklich sauber gemacht werden. Und da sind wir von der Bundesregierung bisher wahrlich nicht verwöhnt worden.

Die Union hat auch noch kein Modell zur Deckelung der Preise vorgelegt.

Auf unserem Bundesparteitag in Hannover haben wir ein Modell für einen Bürgerbasistarif beim Gas skizziert. Wir machen seit Monaten Vorschläge, wie diese Krise in den Griff zu bekommen ist. Wir haben von Beginn an die Rücknahme der Gasumlage, die Einführung eines Bürger-Basistarifs beim Gas für den Grundbedarf und einen zielgerichteten Rettungsschirm insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen gefordert. Ich gestehe der Regierung zu, in einer schwierigen Situation zu sein. Aber die Regierung hat einfach zu viel Zeit vertan. Das zieht sich durch die gesamte Krise. Viele Entscheidungen dauern viel zu lange, und einige Entscheidungen müssen dann kurzfristig wieder zurückgenommen werden, siehe die Gasumlage.

Was stört Sie am meisten?

Es gibt in der Regierung offenbar keine ordnende Hand, der Bundeskanzler führt nicht, stattdessen lässt er die wichtigsten Kabinettsmitglieder wochenlang auf offener Bühne miteinander streiten.

Sie würden das anders handhaben?

Ich würde es nicht zulassen, dass die wichtigsten Minister so lange öffentlich im Clinch miteinander liegen wie Lindner und Habeck.

Aber am Ende einigt sich die Ampel doch immer.

Um den Preis, dass viel zu viel Zeit verloren geht und vorher zu viele Fehler gemacht werden, die dann wieder korrigiert werden müssen.

Was würden Sie konkret tun, wenn Sie ab morgen Kanzler wären?

Zunächst: Wir haben eine gewählte Regierung, und diese Regierung muss einfach besser werden. Wir würden die Prioritäten anders setzen. Wir würden das Angebot an Energie so weit wie eben möglich ausweiten, mit allen drei Kernkraftwerken und mit allen verfügbaren Kohlekraftwerken. Wir würden die Nachfrage gezielter begrenzen. Und dann hätten wir längst Lösungen erarbeitet für weitere Preisbegrenzungen und erst dann die Frage nach der Finanzierung gestellt. Bei dieser Bundesregierung dauert das alles zu lange. Das kann sich ein Land, das in solch einer Krise steckt, einfach nicht erlauben. Wir müssten viel schneller sein.

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Wie wollen Sie Privatverbraucher dazu bringen, Gas zu sparen?

Es wird am Ende nur über den Preis gehen. Deshalb dürfen wir den Verbrauchspreis nicht so weit hinuntersubventionieren, dass das Problembewusstsein dahinter verschwindet. Knappheiten müssen sich auch im Preis ausdrücken. Deswegen muss ein Grundbedarf unterstützt werden, nicht aber darüber hinaus.

Wie weit soll das gehen?

In denke nicht, dass der Staat in Privathaushalte hineinregieren sollte. Man kann der Bevölkerung das Sparen nicht über Verordnungen vorschreiben, wie Herr Habeck das gemacht hat, weil man es gar nicht kontrollieren kann. Das wird man nur über den Preis hinbekommen, so bitter das auch ist.

Die Preise werden jetzt mit vielen neuen Schulden gedrückt. Ist das der falsche Weg?

Die 200 Milliarden Euro dürfen jedenfalls nicht den Eindruck erwecken, das Problem sei damit schon gelöst. Das sehen wir als große Gefahr. Dass die Menschen jetzt sagen: Gott sei Dank, jetzt ist alles gut.

Der "Doppel-Wumms", wie Olaf Scholz es ausdrückt, genügt nicht?

Das ist eine schöne Formulierung, aber was konkret steht dahinter?

Anders gefragt: Braucht es eher eine große Einspar-Rede an die Nation, und zwar in erwachsener Sprache?

Ich bezweifele, dass dieser Kanzler das kann. Und ich denke, er will es auch gar nicht. Und selbst wenn er es könnte und wollte, ist die Frage, ob es wirklich etwas nützen würde. Der Kanzler gibt ja eine ganz andere Grundbotschaft.

Nämlich?

Nach seiner Regierungserklärung vom 27. Februar ist der Begriff "Zeitenwende" im Grunde genommen beziehungslos im Raum stehen geblieben, allein die 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr symbolisieren noch dieses Thema. Ansonsten soll sich ja nach Auffassung der Bundesregierung so wenig wie möglich ändern. Das können Sie exemplarisch an den Zahlen des Bundeshaushaltes ablesen.

Währenddessen spitzt sich die Lage in der Ukraine zu. Putin hat weitere Gebiete annektiert. Was muss unsere Antwort darauf sein?

Das Wichtigste ist, dass wir uns auch von diesem Schritt nicht in Angst versetzen lassen. Wir müssen die Ukraine weiter unterstützen, vor allem mit Waffen, damit Russland diesen Krieg verliert und die Ukraine diesen Krieg gewinnt. Und so klar muss man es auch formulieren. Leider versteckt sich auch hier die Bundesregierung hinter unklaren Formulierungen – die Ukraine dürfe diesen Krieg "nicht verlieren", Russland dürfe ihn "nicht gewinnen", das lässt alles zu viel Interpretationsspielraum, auch und gerade für Putin.

Sie meinen mit unklaren Formulierungen den Bundeskanzler.

In dieser Wortwahl steckt ja nicht nur ein begrifflicher Unterschied, sondern auch ein Unterschied in der Haltung, die wir zu dieser Aggression einnehmen. Unsere Haltung muss doch ganz klar lauten: Wir lassen Putins Vorgehen nicht zu und helfen, dass die Ukraine den Krieg gewinnt.

Das sagt sich leicht. Derzeit gibt es aus der deutschen Politik, gerade aus der SPD, wieder viele Warnungen vor Atomkrieg und drittem Weltkrieg.

Und das ist genau die Angst, die Putin will! Ich unterstelle damit nicht, dass die Vertreter der Regierung, die so reden, Putins Spiel spielen. Aber sie fallen auf Putins Spiel herein. Putin will die Menschen in unserem Land verängstigen, er will unsere Gesellschaften verunsichern, und er will Europa destabilisieren. Ein Bundeskanzler muss dem energisch entgegentreten. Er muss mit Selbstbewusstsein sagen: Wir fürchten uns nicht vor Putin!

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CDU-Chef Merz bei einer Pressekonferenz (Quelle: IMAGO/Emmanuele Contini)

Zur Person

Friedrich Merz, 66, ist Parteivorsitzender der CDU sowie Chef der Unionsfraktion im Bundestag – letzteres Amt hatte er bereits von 2000 bis 2002 inne. Nach einem verlorenen Machtkampf mit der damaligen Parteichefin Angela Merkel zog sich Merz zwischenzeitlich aus der Politik zurück. Er arbeitete als Anwalt und Lobbyist. 2018 kandidierte er erstmals für den CDU-Parteivorsitz – und hatte nach einer weiteren Wahlniederlage im Jahr 2020 dann Ende 2021 Erfolg.

Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass Putin tatsächlich taktische Atomwaffen einsetzt?

Ich halte dies persönlich aus verschiedenen Gründen für höchst unwahrscheinlich. Ansonsten sollten wir darüber nicht öffentlich spekulieren.

Haben die Deutschen also zu viel Angst?

Die momentane wirtschaftliche Lage verunsichert die Menschen. Und dass die Bevölkerung Krieg an sich fürchtet, das ist doch nur allzu menschlich. Aber genau das will Putin ja. Dass wir uns fürchten. Und dem muss, ich wiederhole es, der Bundeskanzler stärker entgegentreten. Wir brauchen keine Angst zu haben vor diesem Mann. Wir sind stark genug, wir sind im Zweifel auch militärisch stark genug.

Die eigentliche Waffe ist nicht die Bombe, sondern die Angst vor der Bombe?

Das trifft es ganz gut. Die Anschläge auf die Pipelines senden ja auch genau dieses Signal, das er senden will: Ich zerstöre sogar eure Infrastruktur. Damit will er Angst verbreiten. Wir müssen das ernst nehmen, aber dürfen uns davon nicht in Angst und Schrecken versetzen lassen.

Herr Merz, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Friedrich Merz im Bundestag.
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