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Hessen-Wahl | Grüne-Kandidat Tarek Al-Wazir kritisiert Ampel im Interview


Interview
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Tarek Al-Wazir vor Hessen-Wahl
"So einen Zirkus wird es mit mir nicht geben"

  • Johannes Bebermeier
InterviewVon Johannes Bebermeier

27.09.2023Lesedauer: 8 Min.
imago images 0302837346Vergrößern des Bildes
Tarek Al-Wazir: "So einen Zirkus wie in Berlin wird es mit mir nicht geben." (Quelle: IMAGO/RAINER UNKEL)

Tarek Al-Wazir will in Hessen Ministerpräsident werden, doch seine Grünen erfahren derzeit vor allem Gegenwind. Im Interview erklärt er, was er der Ampel in Berlin vorwirft – und was er in Maghreb-Staaten nicht auf dem Marktplatz tun würde.

Tarek Al-Wazir hat zu tun. Knapp zwei Wochen sind es noch, bis die Hessen am 8. Oktober wählen. Der Grünen-Politiker steckt in der heißen Wahlkampfphase, als er t-online in seinem Wahlkreisbüro in Offenbach empfängt. Und muss zwischendurch noch kurz regieren: Unterlagen wollen sortiert und per Bote ins Ministerium geschickt werden. Muss ja alles seine Ordnung haben.

Seit knapp zehn Jahren ist Tarek Al-Wazir, 52, in Hessen Vizeministerpräsident und Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen. Immer in einer schwarz-grünen Koalition mit der CDU, lange unter Ministerpräsident Volker Bouffier, seit Kurzem mit Boris Rhein an der Spitze.

Diesmal aber will Al-Wazir mehr. Das Ministerpräsidentenamt soll es sein für die Grünen, erstmals. Das Problem: Boris Rhein scheint mit seiner CDU enteilt zu sein, für eine grüne Ampelregierung müsste bei der Wahl sehr viel richtig laufen für Al-Wazir.

Im Gespräch mit t-online sagt Al-Wazir, was eine Ampel unter seiner Führung von der Ampel im Bund unterscheiden würde. Und er erklärt, warum Politik langsam vorangehen sollte, um ihre Ziele zu erreichen – trotz der Klimakrise.

t-online: Herr Al-Wazir, haben Sie in den vergangenen Wochen schon mal bereut, gesagt zu haben, dass Sie Ministerpräsident werden wollen?

Tarek Al-Wazir: Überhaupt nicht. Es ist noch alles drin. Wir sind drei Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten und wir alle spielen in einer Liga.

Sie meinen sich und ihre Konkurrenten Nancy Faeser von der SPD und Boris Rhein von der CDU. Wobei Boris Rhein mit rund 30 Prozent doch eine eigene Liga bespielt.

Bei diesen Umfragen war auch jeder Zweite noch unentschlossen. Und wir wissen, dass sich viele Menschen erst ganz zum Schluss entscheiden.

Die Umfragekurve sieht für Ihre Grünen in den vergangenen Monaten aber nicht so aus, wie Sie sich das wünschen dürften: Es ging von 24 Prozent auf 22 und zuletzt auf 17 Prozent bergab. Was machen Sie falsch?

Falsch läuft nichts. Wir standen zuletzt bei knapp 20 Prozent. Meine persönlichen Werte sind in allen Umfragen sehr gut. Und darum wird es am Ende gehen: Wem vertrauen die Hessen ihr Land an?

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Damit Sie Ministerpräsident werden können, muss aber einiges passieren: Es müsste eine Mehrheit für eine Ampelregierung geben, die Grünen müssten vor der SPD landen, die SPD dürfte nicht lieber in eine Große Koalition mit der CDU gehen. Und die FDP müsste anders als 2018 auch noch mitmachen bei einer grünen Ampel. Ganz schön viele Bedingungen.

Warten wir es ab, wie die Menschen sich entscheiden. Mich interessieren diese Farbenspiele ohnehin nicht. Die Demokraten müssen nach der Wahl schauen, wo es Mehrheiten gibt und mit wem inhaltlich am meisten möglich ist. Und ganz wichtig: Wir müssen ausloten, ob es stabil und verlässlich für eine Wahlperiode hält. So einen Zirkus wie in Berlin wird es mit mir nicht geben.

Sie meinen den Streit der Ampelregierung. Wie sehr schadet Ihnen das?

Eine Regierung ist dann erfolgreich, wenn sie miteinander regiert – nicht gegeneinander. CDU und Grüne in Hessen sind auch sehr verschieden, trotzdem funktioniert es seit zehn Jahren. Weil wir zwar intern über den besten Weg diskutieren, aber nach außen eine gemeinsame Lösung präsentieren. In Berlin wird zu oft der Streit zelebriert.

Gestritten wurde besonders heftig über das Heizungsgesetz. Hat Ihr maßgeblich verantwortlicher Parteifreund Robert Habeck dabei Fehler gemacht?

Als der Prozess vor etwa einem Jahr begann, hatten wir alle Angst, dass wir im Winter im Kalten und Dunklen sitzen. Deshalb haben damals alle gesagt, wir müssen so schnell wie möglich unabhängig werden von Öl und Gas. Das ist grundsätzlich auch richtig, für die Versorgungssicherheit und für das Klima.

Aber?

Wir werden in der Sache nichts erreichen, wenn wir die Menschen auf dem Weg dahin verlieren. Ich sage immer: Du musst wissen, wo du hinwillst – und dann Schritt für Schritt vorangehen. Sonst passiert genau das, was wir beim Heizungsgesetz erlebt haben. Deshalb ist es gut, dass es nun hohe Förderungen beim Heizungstausch gibt und alle wissen, woran sie sind.

Nicht so erfreulich ist die wirtschaftliche Lage in Deutschland. Wie ernst ist es in Hessen?

Wir stehen in Hessen ziemlich gut da. Wir haben im ersten Halbjahr ein Plus von 0,4 Prozent beim Bruttoinlandsprodukt, bundesweit sind es minus 0,3 Prozent. Auf die Herausforderungen der ökologischen Transformation müssen wir aber natürlich auch neue Antworten geben.

Und wie lauten die?

Ich möchte als Ministerpräsident auch auf Landesebene einen Klima- und Transformationsfonds mit 6 Milliarden Euro einrichten und damit so stark wie nie in unsere Zukunft investieren. In Klimaschutz, Klimaanpassung und natürlich in die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen.

Klingt ein bisschen so, als würde der Wirtschaftsminister sich die Lage schönreden. Sprechen wirklich keine besorgten Firmenchefs bei Ihnen vor?

Doch, natürlich. Unsere energieintensiven Unternehmen haben große Schwierigkeiten mit den Energiepreisen. Deshalb bin ich ja für einen vergünstigten Brückenstrompreis. Weil ich weiß, dass unsere großen Chemie- und Pharmaunternehmen Standorte in den USA, in Japan – und in Hessen haben. Die können ihr Geschäft leicht verlagern.

Den Brückenstrompreis wollen FDP und Olaf Scholz derzeit nicht. Haben Sie noch Hoffnungen, dass er kommt?

Ja. Im Oktober und November sind zwei Ministerpräsidentenkonferenzen, und alle Bundesländer sprechen sich für einen Brückenstrompreis aus. Unser Staat war in der Corona-Krise immer stark, wenn Bund und Länder über Parteigrenzen hinweg zusammengearbeitet haben. So muss es jetzt wieder laufen.

Aus den Kommunen kommen schon seit Monaten Warnungen vor einer Überforderung bei der Flüchtlingsaufnahme. Warum ist bislang so wenig passiert?

Es passiert einiges. Wir hessische Grüne haben früh gefordert, die Kommunen stärker zu unterstützen. Die Kindertagesstätten und Schulen sind im vergangenen Jahr an ihre Grenzen und teilweise darüber hinaus gekommen. Deswegen haben wir so dafür gekämpft, dass es eine Milliarde Euro vom Bund gibt. Und wir als Land tun auch viel.

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Zum Beispiel?

Wir haben allein im Doppelhaushalt 2023/2024 in Hessen 4.000 Lehrerstellen zusätzlich geschaffen. Weil wir die Unterrichtsabdeckung verbessern wollen, aber auch weil wir entgegen der Voraussagen nun steigende Schülerzahlen haben.

Braucht es mehr Geld vom Bund?

Die Milliarde war ein Anfang, aber wir müssen die Kommunen weiter unterstützen. Da wird es sicherlich nicht bei der Milliarde bleiben. Es braucht eine gemeinsame Kraftanstrengung. Sonst wird es brandgefährlich für die Demokratie.

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Mehr Unterstützung für die Kommunen ist das eine. Ihr Ministerpräsident Boris Rhein fordert darüber hinaus Kontrollen an den deutschen Grenzen. Braucht es die?

So etwas ist immer schnell gefordert. Man sollte sich gut überlegen, ob man das wirklich will.

Wollen Sie?

Ich bin überzeugt, dass die Freizügigkeit ein Kern der europäischen Idee ist. Und ich möchte sie beibehalten. Wir müssen die Migration ordnen und an den europäischen Außengrenzen dafür sorgen, dass die Flüchtlinge registriert werden. Richtig ist: Wenn die Polizei konkrete Anhaltspunkte für Schleuserkriminalität hat, muss sie auch dort kontrollieren. Ich möchte aber nicht, dass wir dauerhaft die Schlagbäume an den Grenzen runterlassen.

Das Problem ist, dass es die Debatte über eine solche europäische Lösung inklusive verbindlicher Verteilung von Flüchtlingen seit Jahren gibt und es bisher nie funktioniert hat.

Das stimmt. Aber die Verhandlungen zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem, GEAS, sind vor dem Sommer so weit gekommen wie noch nie. Das zu Ende zu bringen, ist unsere große Aufgabe. Zugleich gilt: Wir können stolz drauf sein, dass wir in Deutschland Menschen Schutz bieten, die auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung sind. Aber wer das Asylrecht schützen will, der muss auch dafür sorgen, dass Menschen, die in einem rechtsstaatlichen Verfahren kein Bleiberecht bekommen, am Ende unser Land wieder verlassen.

Für Abschiebungen sind die Bundesländer zuständig – und es hakt regelmäßig.

Am meisten hakt es daran, dass die Herkunftsländer ihre Staatsbürger nicht zurücknehmen. Deshalb sind die Migrationsabkommen mit diesen Staaten so wichtig. Damit sie ihre Staatsbürger zurücknehmen, könnte man ihnen im Gegenzug legale Wege für qualifizierte Zuwanderung anbieten. Davon profitieren am Ende beide.

Braucht es auch mehr sichere Herkunftsstaaten?

Da kommt es auf die jeweiligen Länder an. Bei Georgien und Moldau bin ich dafür, das sind EU-Beitrittskandidaten.

Und die Maghreb-Staaten?

Entscheidend muss die Situation im Land sein. Wir können ja diese Staaten nicht für sicher erklären, nur weil da viele Menschen herkommen. Meine Faustregel lautet: Kann ich mich in dem Land auf den Marktplatz stellen und laut die Regierung kritisieren?

Und? Würden Sie das in Maghreb-Staaten wie Tunesien, Algerien oder Marokko tun?

Ich würde das niemandem raten.

Der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai hat die Grünen wegen solcher Positionen ein "Sicherheitsrisiko für das Land" genannt.

Über manche Wortwahl der FDP auf Bundesebene kann ich nur den Kopf schütteln. Einem Koalitionspartner zu sagen, er sei ein Sicherheitsrisiko – damit schadet die FDP sich selbst.

FDP-Chef Christian Lindner hat eine Verfassungsänderung vorgeschlagen, um das Asylrecht einzuschränken. Sollte man diese Diskussion führen?

Er hat nicht gesagt, was er konkret ändern möchte. So kann man darüber nicht ernsthaft diskutieren. Im Übrigen gilt sowieso die Genfer Flüchtlingskonvention weiter.

Kritiker auch unter den Grünen werfen Ihnen eine unambitionierte Verkehrspolitik vor. Besonders der Ausbau der A49 und die Rodungen im Dannenröder Forst haben Ihnen bundesweit viel Kritik eingebracht. Tun Sie zu wenig für die Verkehrswende?

Im Gegenteil, Hessen ist Vorreiter. Das gilt für die Schieneninfrastruktur und die attraktiven Bedingungen für Bus und Bahn. Ich habe in Hessen erstmals ein Flatrateticket eingeführt, 2017 mit dem Schülerticket. Damit haben wir bewiesen, dass es in einem Flächenland funktioniert: ein Land, ein Ticket, ein Preis. Das haben wir auf verschiedene andere Gruppen ausgeweitet. Es war die Blaupause für das Deutschlandticket.

Pro Bahn ist trotzdem nicht zufrieden mit Ihnen. Der Fahrgastverband hat Ihnen kürzlich den Negativpreis "hessischer Hemmschuh" verliehen. Hessen sei im hinteren Drittel bei der Mitfinanzierung von Bus und Bahn, andere Länder würden deutlich mehr für jeden vom Bund investierten Euro geben.

Das ist schlicht falsch. Wir haben die größten Pro-Kopf-Zuschüsse unter den Flächenländern. Das sage nicht ich, sondern das hat der Bundesrechnungshof berechnet.

Sie sind ein Freund des Prinzips: "Wenn du dein Ziel schnell erreichen willst, gehe langsam." Kann man sich das in Zeiten der Klimakrise noch erlauben?

Wenn man ganz schnell rennt und dann stolpert, hat man in der Sache nichts gewonnen. Wir müssen beweisen, dass Transformation und Verkehrswende funktionieren und keine Bedrohung sind, sondern eine Chance. Dafür dürfen wir die Menschen auf dem Weg nicht verlieren, denn sonst geht es schnell rückwärts.

Das wäre für Sie das Beispiel Berlin, wo Ihre frühere Amtskollegin Bettina Jarasch im Wahlkampf gefordert hatte, schon ab 2030 nur noch E-Autos in der City erlauben zu wollen – und abgewählt wurde?

Ja. Damals hat man sich kurz dafür gefeiert, dass die Friedrichstraße autofrei war. Und jetzt sitzt eine CDU-Senatorin in der Regierung, die sogar freigegebene Radwege wieder überpinseln lässt. So wird es in Hessen nicht laufen.

Herr Al-Wazir, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Tarek Al-Wazir in seinem Wahlkreisbüro in Offenbach
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