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Wahlen bei der AfD: Alice Weidel & Tino Chrupalla siegen trotz Skandale


Wahlen in der AfD-Fraktion
Befreiungsschlag für Alice Weidel


11.10.2023Lesedauer: 5 Min.
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Alice Weidel: Sie hat viele Gegner in ihrer Partei - doch setzt sich immer wieder durch.Vergrößern des Bildes
Alice Weidel: Sie hat viele Gegner in ihrer Partei – doch setzt sich immer wieder durch. (Quelle: IMAGO/Chris Emil Janssen)

Das Mallorca-Gate hat Alice Weidel bundesweiten Spott eingebracht. In der AfD liefen ihre Gegner sich warm. Doch aus den Wahlen zum Fraktionsvorstand geht sie als Siegerin hervor.

Dirk Spaniel ist gestresst: "Es wird abgestimmt, Christina, komm!" Der AfD-Abgeordnete hetzt am Dienstagabend über den Flur vor dem Fraktionssaal der Partei, checkt die Toiletten und trommelt Nachzügler zusammen. Denn Spaniel weiß: Jetzt zählt jede Stimme.

Die AfD wählt an diesem Abend einen neuen Fraktionsvorstand. Es ist von außen keine viel beachtete Wahl, für die Presse eher eine Randnotiz. In der Partei aber spielt sie eine große Rolle.

Denn für Alice Weidel und Tino Chrupalla, die Fraktion wie Partei im Duo anführen, ist sie nach den Tumulten in den letzten Wochen ein erster Stimmungstest. Wie viel Rückhalt genießen sie noch in der Partei? Wie reagieren die eigenen Leute auf Weidels Mallorca-Gate und den behaupteten Nadel-Angriff auf Chrupalla?

Die Fraktionswahlen sind außerdem ein früher Test für die sehr viel wichtigeren Wahlen zum Bundesvorstand im Sommer nächsten Jahres. Dafür werden schon jetzt, sehr viel früher als üblich, Schattenkabinette entworfen und Kandidatenlisten geführt. Die AfD ist schließlich auf der Höhe ihrer Macht – und viele in der Partei wollen von dieser Macht ein Stück abhaben.

Weidel unter Druck

Besonders unter Druck steht an diesem Abend Alice Weidel. Denn die Frau, die nach außen die AfD verkörpert wie niemand sonst, steht in der Partei und besonders in der Fraktion immer wieder unter Beschuss.

Das hat verschiedene Gründe. Eine lesbisch lebende Frau an der Spitze der AfD – für manches Mitglied des rechtsextremen Flügels der Partei ist schon das ein Hohn. Und mag Weidel sich immer radikaler positionieren, so stammt sie ursprünglich doch aus dem wirtschaftsliberalen Lager. Weil sie sich seit Jahren mit Flügel-Chef Björn Höcke gut gestellt hat, ist sie von dessen Truppen geduldet – aber unter ihnen keineswegs beliebt.

Bei Chrupalla ist das anders: Er stammt aus Sachsen, der gesamte Verband gilt als Flügel-treu, der ehemalige Malermeister ist deswegen bestens geschützt.

Mallorca-Gate: "Weidel hat es überreizt"

Weidels Mallorca-Gate verleiht ihren Kritikern zudem gerade Auftrieb. Nach einem Polizeieinsatz an ihrem Wohnort in der Schweiz am Wochenende des 23. und 24. September wurde sie mit ihrer Familie "an einen sicheren Ort verbracht", wie sie und ihr Team es formulieren. Am 3. Oktober sagte sie deswegen ihre Teilnahme an einer Wahlkampfveranstaltung der AfD im thüringischen Mödlareuth ab.

Parteikollegen jazzten die Nachricht hoch: Erst der bayerische Bundestagsabgeordnete Tobias Peterka, danach der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Norbert Kleinwächter sprachen auf der Bühne in Mödlareuth davon, dass Weidel "untergetaucht" bleiben müsse und "im Safehouse" sitze.

Dann aber kommt durch Recherchen des "Spiegel" ans Licht: Weidel hält sich am 3. Oktober auf Mallorca auf. Sie begründet das damit, dass sie nach den "traumatischen Erlebnissen" mit ihrer Lebensgefährtin und den zwei Kindern Abstand und Ruhe gesucht habe.

Die Fallhöhe aber ist nach den Erzählungen ihrer Parteikollegen vom "Safehouse" hoch, der Aufprall hart: "Mallorca-Urlaub statt Safehouse", titelt die Presse.

Auch in der AfD ist die Kritik groß: "Weidel hat es überreizt", heißt es da. Selbst ihre Unterstützer räumen ein: Die Kommunikation sei katastrophal gewesen. Und ein Strandrestaurant auf Mallorca sei eine extrem ungünstige Wahl, um sich als prominente Deutsche in Sicherheit zu bringen.

Günstige Bedingungen für Weidels Gegner also. Am Dienstagabend aber scheitern sie. Statt die Parteivorsitzende abzusägen oder anzuschießen, siegt Weidel in mehreren Runden gegen ihre Widersacher:

1. Das Mallorca-Gate wird abgeräumt – Kleinwächter fliegt

Bereits vor den Wahlen wird über das Mallorca-Gate diskutiert. Die Stimmung hat sich inzwischen jedoch zu Weidels Gunsten gedreht. Die Schuld, so sehen es viele, trägt primär nicht Weidel. Vielmehr seien jene verantwortlich, die die Mär vom "Safehouse" so prominent in die Welt trugen. Peterka räumt in der Sitzung kleinlaut Fehler ein, entschuldigt sich.

Anders hält es Norbert Kleinwächter: Er verteidigt sich, beklagt am Mikrofon, dass Weidels Büro schuld sei, die Kommunikation der Vorsitzenden zu viel Interpretationsspielraum gelassen habe.

Kleinwächter aber hat schlechte Chancen, er ist in der Fraktion nicht beliebt. In der Vergangenheit stemmte er sich immer wieder öffentlich gegen Rechtsextreme und Putin-Freunde in der AfD – und die sind in der Fraktion zahlreich. Zuletzt zerriss er das Buch des AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah, "Politik von rechts", das in der AfD viele lesen. Krah propagiere darin "nichts anderes als einen brutalen Führer- und Gewaltstaat", kritisierte Kleinwächter.

Besonders übel nehmen sie Kleinwächter in der Fraktion an diesem Abend allerdings, dass er seine Kritik an Weidel zuvor bereits so breit gestreut hatte, dass sie an die Presse geriet. Parteiinterna auf diese Weise in die Öffentlichkeit zu tragen – in der AfD ist das für viele ein No-Go.

Kleinwächter wird im weiteren Verlauf des Abends abgestraft: Er kandidiert erneut als Stellvertreter der Fraktion und unterliegt mit 26 zu 40 Stimmen deutlich dem weitgehend unbekannten Jörn König.

Für Weidel ein wichtiger Siegpunkt. Für Kleinwächter vermutlich das Ende seiner Karriere in der AfD. Denn die rechtsextremen Kräfte sind auch in seinem Landesverband Brandenburg stark, er genießt dort keinerlei Rückhalt.

2. Knappes Votum gegen die Einerspitze – das Duo hält sich

Auf Antrag des verteidigungspolitischen Sprechers Rüdiger Lucassen wird darüber abgestimmt, ob an der Spitze der AfD-Fraktion in Zukunft wieder ein Duo oder eine Einzelperson stehen soll.

Es ist eine Frage, die immer wieder diskutiert wird. Viele in der AfD befürworten die Einerspitze. Sie wünschen sich einen starken Führer und wollen besonders im Fall von Fehlern "Verantwortungsschieberei" verhindern.

Es ist außerdem der Weg, der die Abwahl eines Vorsitzenden ermöglicht. Und der mehr Konkurrenz bei den Wahlen erlauben würde: Mit Dirk Spaniel hatte parteiintern ein Weidel-Gegner angekündigt, im Fall einer Einerspitze für das Amt des Vorsitzenden antreten zu wollen. Deswegen hetzt Spaniel kurz vor der Abstimmung über den Flur, deswegen trommelt er alle zusammen.

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Das Ergebnis fällt denkbar knapp aus: 35 Abgeordnete sind für die Solo-Spitze, 37 dagegen, es gibt 6 Enthaltungen.

Damit läuft es wie schon bei der letzten Wahl: Weidel und Chrupalla treten ohne Gegenkandidaten im Duo als Vorsitzende an – und werden im Duo gewählt. Wer genau wie viel Rückhalt in der Fraktion genießt, ist so nicht ablesbar. Es gibt nur das Ergebnis für beide zusammen: 44 Abgeordnete stimmen für sie, 22 gegen sie. 61 Prozent – angesichts der aktuellen Wahlerfolge der AfD ein mäßiges Ergebnis. Aber genug, um an der Macht zu bleiben. Alles, was zählt.

3. Weidel-Nachwuchs schneidet gut ab, Weidel-Gegner abgestraft

Als wichtigen Erfolg kann Weidel außerdem die Wahl des ersten Stellvertreters verbuchen: Mit Sebastian Münzenmaier wird eine Nachwuchshoffnung auf den Posten gewählt, die Weidel groß gemacht hat und mit der sie vertrauensvoll zusammenarbeitet. Gegen Münzenmaier kandidiert ausgerechnet Weidels Gegner Spaniel – und das Ergebnis fällt deutlich aus: 41 Stimmen für Münzenmaier, 28 für Spaniel.

Spaniel gibt nicht auf, versucht es im Laufe des Abends noch einmal. Im Ringen um den Posten des fünften Stellvertreters in der Fraktion tritt er erneut an, dieses Mal gegen den Abgeordneten Martin Hess. Doch mehrfach kommt es zwischen den beiden zum Patt – am Ende beschließt man, es ganz sein zu lassen. Der Posten des fünften Stellvertreters wird kurzerhand einfach gestrichen.

Fazit: Das Gesicht der AfD wird weiterhin kämpfen müssen

In einer Pressemitteilung verbreitet die AfD noch während der Sitzung, dass Weidel und Chrupalla "mit großer Mehrheit" wiedergewählt worden seien. Bei ihrem Auftritt vor der Presse räumen die beiden alten und neuen Vorsitzenden nach kritischen Nachfragen rasch ein, dass das nicht stimmt.

Doch 61 Prozent seien ein "klares Votum", sagt Chrupalla. Und Weidel lacht: "Ich bin jetzt zehn Jahre in diesem Laden – so etwas muss man sportlich nehmen."

In der Öffentlichkeit mag Weidel bereits als logische Kanzlerkandidatin für die AfD gehandelt werden – in der Partei wird sie weiter gegen massiven Widerstand kämpfen müssen, um sich überhaupt zu halten. Die erste kleine Machtfrage aber hat sie am Dienstagabend für sich entschieden.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Beobachtungen
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