Frauke Brosius-Gersdorf "Unwählbar": Koalition streitet über Top-Personalie

Der Bundestag soll im Juli drei neue Verfassungsrichter küren. Nun gibt es Unmut über SPD-Vorschlag Frauke Brosius-Gersdorf. Alles nur, weil zuvor ein CDU-Mann durchfiel?
Die Zeit drängt. Seit vergangenem November ist die Amtszeit von Josef Christ als Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe abgelaufen. In den nächsten Monaten werden zwei weitere Posten frei. Um die drei der 16 Richter in Karlsruhe neu zu wählen, bedarf es einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Über die verfügen die Regierungsparteien CDU, CSU und SPD nicht. Mit der AfD soll nicht gesprochen werden. Also braucht es die Stimmen von Grünen und Linkspartei.
Wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtete, will die SPD die Professorinnen für Staatsrecht, Frauke Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold, für zwei Richterposten in Karlsruhe nominieren. Die Union benannte Günter Spinner, Richter am Bundesarbeitsgericht (BAG).
Doch gegen den SPD-Vorschlag regt sich Widerstand. Die Potsdamer Staatsrechtlerin Brosius-Gersdorf sei eine "ultralinke Juristin" und "nicht wählbar", heißt es aus der Bundestagsfraktion. Und auch die Linke ist unzufrieden. t-online gibt einen Überblick auf die Debatte.
Die Kandidatin von links
Frauke Brosius-Gersdorf, 54, stammt aus Hamburg. Dort hat sie auch weite Teile ihres Jura-Studiums absolviert. Derzeit lehrt sie an der Universität Potsdam als Professorin für Öffentliches Recht, insbesondere Verwaltungsrecht. Ihre Habilitationsschrift wurde 2011 mit dem Marie-Elisabeth-Lüders-Wissenschaftspreis ausgezeichnet. Zudem ist sie Mitglied in der Zentralen Ethikkommission der Bundesärztekammer und stellvertretendes Mitglied des Verfassungsgerichtshofs im CDU-regierten Sachsen. Ihre juristische Kompetenz ist also unbestritten.
Die Union stört sich eher an den juristischen Positionen der Rechtsexpertin. So trat Brosius-Gersdorf in der Pandemie für eine gesetzliche Impfpflicht ein. Sie plädierte auch dafür, das Grundgesetz gendergerecht umzuschreiben. Zudem spricht sie sich in der Abtreibungsdebatte für eine Abschaffung des Paragrafen 218 aus. Für die meisten in der Union undenkbar. Zudem setzt sie sich offen für ein AfD-Verbot ein. Kritiker aus der Union meinen, das mache sie angreifbar. Allerdings möchte kaum jemand seine Kritik mit Namen äußern.
Anonym äußerte sich ein CDU-Mann in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung": "Unsere Kandidaten trafen in der Vergangenheit auf Ablehnung, weil sie zu migrationskritisch waren. Frau Brosius-Gersdorf ist lebenskritisch. Die Personalie ist für uns niemals wählbar.“
Der gescheiterte Kandidat von rechts
Die Union hatte im Vorjahr bereits einen eigenen Kandidaten benannt: Robert Seegmüller, 56, Richter am Bundesverwaltungsgericht und Vorsitzender des Bunds Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen (BDVR). Auch er vertritt prononcierte Meinungen. So beklagte er bei Asylentscheidungen "zu viele unklare und unsystematische Vorschriften". In der Corona-Pandemie plädierte Seegmüller für Zurückhaltung bei der Maskenpflicht.
Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" schätzt Seegmüller als "gemäßigt konservativ" ein, der "Tagesspiegel" nennt ihn "erzkonservativ". Für die SPD jedenfalls war der Jurist nicht tragbar – und die Union zog den Vorschlag zurück.
Seegmüller macht aber dennoch Karriere. Er ist als beamteter Staatssekretär im Bundesinnenministerium von Alexander Dobrindt vorgesehen.
Warum die CDU blockiert
Personalentscheidungen für das Verfassungsgericht sind immer politisch. Und parteipolitische Positionierungen kein Ausschlusskriterium. Peter Müller amtierte vor dem Wechsel nach Karlsruhe als CDU-Ministerpräsident im Saarland. Stephan Harbarth, der in Karlsruhe dem Ersten Senat vorsitzt, saß davor für die CDU im Bundestag.
So nährt die öffentliche Kritik am SPD-Vorschlag Frauke Brosius-Gersdorf einen Verdacht: Die Union will nach dem Scheitern ihres konservativen Kandidaten auch eine Kandidatin von links aufhalten. Parität der anderen Art.
Und wie geht es weiter?
Die 16 Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts werden jeweils zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt, für die Wahl ist jeweils eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Der Bundestag will am 9. Juli entscheiden.
Das Vorschlagsrecht für die Kandidaten richtet sich nach Fraktionsstärke. Union und SPD konnten pro Senat je drei Richterinnen und Richter vorschlagen, Grüne und FDP jeweils einen. AfD und Linke gehen bislang leer aus.
Allzu viele Abweichler kann sich die Union nicht erlauben. Schon wird im Bundestag auf die Linkspartei geschielt. Die pocht auf eine stärkere Einbindung. "Wir erwarten, dass die demokratischen Fraktionen miteinander sprechen, statt Fakten zu schaffen und andere vor vollendete Tatsachen zu stellen", sagte ihre rechtspolitische Expertin Clara Bünger.
Linken-Politikerin Reichinnek: "Unwürdige Schlammschlacht"
Die Linke hat ihre Unterstützung der Wahl an Bedingungen geknüpft. "Für uns kommt eine gemeinsame Wahl nur dann in Frage, wenn vorher Gespräche stattgefunden haben - sowohl über die Vorschläge als auch über das weitere Verfahren", sagte Fraktionschefin Heidi Reichinnek. "Dass die Union das nicht einsehen will, offenbart ein mehr als fragwürdiges Demokratieverständnis."
Den Unionswiderstand gegen die SPD-Nominierte nannte Reichinnek eine "unwürdige Schlammschlacht". "Einzelne Abgeordnete lassen sich anonym zitieren, greifen die vorgeschlagenen Personen an und sagen ganz klar, dass sie sie nicht wählen werden", monierte Reichinnek. Wie die Kandidatinnen öffentlich von der Union demontiert würden, sei des Parlaments und des Verfassungsgerichts unwürdig.
Der Richterwahlausschuss tagt nach Reichinneks Worten am Montagabend, die Abstimmung im Plenum ist ebenfalls für kommende Woche vorgesehen. Vordringlich geregelt werden soll die Nachfolge des Verfassungsrichters Josef Christ, der die Altersgrenze erreicht hat und nur noch geschäftsführend im Amt ist. Für seine Position ist Spinner im Gespräch.
- www.faz.net: Diese drei Juristen will Schwarz-Rot nach Karlsruhe schicken (kostenpflichtig)
- www.lto: Widerstand gegen Brosius-Gersdorf
- www.lto.de: Aus Berlin nach Karlsruhe
- www.bz.de: SPD schickt radikale Juristin aus Potsdam nach Karlsruhe