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Angela Merkel über Russland-Politik: "Werde mich nicht entschuldigen"


Merkel über ihre Russland-Politik
"Ich werde mich nicht entschuldigen"

Von dpa, afp, lw

Aktualisiert am 07.06.2022Lesedauer: 4 Min.
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Erstes Interview als Ex-Kanzlerin: Angela Merkel stellte sich den Fragen eines Journalisten. (Quelle: reuters)

Lange war es ruhig um die ehemalige Bundeskanzlerin. Selbst ein Statement zum Krieg in der Ukraine war ihr nur schwer abzuringen. Nun hat sich Angela Merkel erstmals seit sechs Monaten ausführlich zur aktuellen Weltlage geäußert.

Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat den Ukraine-Krieg als "großen Fehler" Russlands verurteilt. Der russische Einmarsch sei ein "objektiver Bruch aller völkerrechtlichen Regelungen", sagte Merkel am Dienstagabend bei einer Veranstaltung in Berlin. Sie sehe darin "eine große Tragik" und frage sich, ob dies hätte verhindert werden können.

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Sie habe nie Putins Einschätzung geteilt, dass Russland durch den Westen "permanent gedemütigt wurde", sagte Merkel. Sie habe aber natürlich gewusst, wie er dachte. Merkel verwies darauf, dass Putin ihr schon 2007 bei ihrem Besuch in Sotschi gesagt habe, der Zerfall der Sowjetunion sei für ihn "die schlimmste Sache des 20. Jahrhunderts".

Damit sei schon damals ganz klar gewesen, "dass da ein großer Dissens ist". Und es sei letztlich nie gelungen, "den Kalten Krieg wirklich zu beenden". Merkel plädierte für eine Verstärkung der militärischen Abschreckung gegenüber Russland. "Das ist die einzige Sprache, die Putin versteht", so die Altkanzlerin.

"Ihr wisst, dass er Europa zerstören will"

Die CDU-Politikerin bezeichnete den Angriffskrieg gegen die Ukraine als "brutalen, das Völkerrecht missachtenden Überfall, für den es keine Entschuldigung gibt". Vorwürfe von Naivität im Umgang mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin wies Merkel allerdings zurück. "Putins Hass, Putins – ja, man muss sagen – Feindschaft geht gegen das westliche demokratische Modell".

Sie habe damals gewarnt: "Ihr wisst, dass er Europa zerstören will. Er will die Europäische Union zerstören, weil er sie als Vorstufe zur Nato sieht." Sie erklärte, sich nicht entschuldigen zu wollen. "Diplomatie ist ja nicht, wenn sie nicht gelingt, deshalb falsch gewesen. Also ich sehe nicht, dass ich da jetzt sagen müsste: Das war falsch, und werde deshalb auch mich nicht entschuldigen."

Nicht "blauäugig" im Umgang mit Russland

Merkel räumte zwar ein, dass man der Annexion der Krim durch Russland 2014 härter hätte begegnen können. Man könne aber auch nicht sagen, dass damals nichts gemacht worden sei. Sie verwies auf den Ausschluss Russlands aus der Gruppe führender Industrienationen (G8) und den Beschluss der Nato, dass jedes Land zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben soll. Sie sei im Umgang mit Russland nicht "blauäugig" gewesen.

Auch dass sie sich 2008 gegen eine Nato-Osterweiterung um die Ukraine und Georgien gewandt habe, verteidigte Merkel. Hätte die Nato den beiden Ländern damals eine Beitrittsperspektive gegeben, hätte der russische Präsident schon damals einen "Riesenschaden in der Ukraine anrichten können".

Es sei so, "dass ich mir nicht vorwerfen muss, ich hab es zu wenig versucht", sagte Merkel zu der Frage, inwieweit sie dazu beitragen konnte, eine Eskalation mit Russland zu verhindern. "Ich habe es glücklicherweise ausreichend versucht. Es ist eine große Trauer, dass es nicht gelungen ist."

Merkel sieht sich nicht als Vermittlerin

Merkel sieht sich derzeit nicht als Vermittlerin im Ukraine-Krieg. Auf die Frage, ob sie mit dem russischen Präsidenten telefonieren würde, sagte sie: "Ich habe nicht den Eindruck, dass das im Augenblick etwas nützt." Es gebe "aus meiner Sicht wenig zu besprechen".

Merkel verwies außerdem darauf, dass sie sich nur auf Bitten der Bundesregierung einschalten würde. "Mein Amtsverständnis ist so, dass ich nichts tun werde, um das mich nicht die deutsche Regierung bitten würde." Merkels Vorgänger als Bundeskanzler, Gerhard Schröder (SPD), war nach Kriegsbeginn nach Moskau gereist, um mit Putin zu sprechen – ohne die Bundesregierung zu informieren.

Zwist mit den USA wegen Nord Stream 2

Merkel berichtete in dem Interview zudem offen über einen früheren Zwist mit den USA in Sachen Ostsee-Pipeline Nord Stream 2. Sie habe sich sehr darüber geärgert, dass die USA unter Präsident Joe Biden Sanktionen gegen Unternehmen verhängt hatten, die bei Nord Stream 2 aktiv waren. Das mache man mit dem Iran, aber nicht mit einem Verbündeten, machte sie deutlich. Eine im vergangenen Sommer erzielte Vereinbarung mit den USA sei dann ein "Quantensprung" gewesen, so die Altkanzlerin.

Im vergangenen Juli hatten die USA und Deutschland einen langen Streit über die deutsch-russische Pipeline Nord Stream 2 beigelegt. Die USA hatten erklärt, auf weitere Sanktionen zu verzichten. In der Erklärung wurde Russland zudem davor gewarnt, Energie als politische "Waffe" einzusetzen. In diesem Falle stelle man die Pipeline zur Disposition.

Merkel machte mit Blick auf den russischen Angriff auf die Ukraine deutlich, dies sei nun passiert. Die neue Bundesregierung hatte die Zertifizierung von Nord Stream 2 wegen der Invasion auf Eis gelegt.

"Volles Vertrauen" in die Bundesregierung

Merkel hat nach eigenen Worten "volles Vertrauen" in die neue Bundesregierung und ihren Amtsnachfolger Olaf Scholz (SPD). Der Regierungsübergang sei sehr gut gelaufen. Es seien Menschen am Werk, die keine "Newcomer" seien und die Gegebenheiten kennen würden. Merkel war 16 Jahre lang Kanzlerin. Es sei für sie ganz klar, dass es der richtige Zeitpunkt gewesen sei, aufzuhören.

Merkel äußerte sich zum ersten Mal seit dem Ende ihrer 16-jährigen Amtszeit im Dezember ausführlich in der Öffentlichkeit. Bei der Veranstaltung "Was also ist mein Land?" befragte sie der "Spiegel"-Autor und Schriftsteller Alexander Osang.

Zum Ukraine-Krieg hat sich die Ex-Kanzlerin bisher zweimal geäußert. Am Tag nach dem russischen Einmarsch verurteilte sie diesen "auf das Schärfste" und sprach von einer "tiefgreifenden Zäsur". Vergangene Woche nannte sie den russischen Angriffskrieg bei einer DGB-Veranstaltung "barbarisch".

Keine Schattenkanzlerin

Der Auftritt im Berliner Ensemble am Dienstagabend gehörte zum Plan Merkels für einen sanften Wiedereinstieg in die Öffentlichkeit. Merkel will dem Vernehmen nach unbedingt den Anschein vermeiden, sie fühle sich als Neben- oder Schattenkanzlerin. Sie wolle zeigen, wie man als Altkanzlerin agieren könne, die anders als ihre Vorgänger Helmut Kohl (CDU) und Gerhard Schröder (SPD) nicht abgewählt worden, sondern freiwillig aus dem Amt geschieden sei.

Aufsichtsratsmandate etwa wie Schröder bei russischen Gaskonzernen will Merkel nach diesen Informationen nicht übernehmen. Gut möglich aber, dass es demnächst weitere öffentliche Auftritte bei Gesprächen mit Journalisten und auch wieder Interviews geben wird. Im Interview am Dienstagabend sprach Merkel außerdem darüber, wie sie ihre Freizeit in den vergangenen Monaten nach Ende ihrer Amtszeit gestaltet hat – und über die damaligen Zitteranfälle. Mehr dazu lesen Sie hier.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagenturen dpa und AFP
  • TV-Interview mit Angela Merkel am 7. Juni 2022
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