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Regierungsbildung: Jamaika-Aus sorgt für Chaos im Bundestag


Streit in Krisenzeiten
Jamaika-Aus sorgt für Unruhe im Bundestag

Von dpa, pdi

Aktualisiert am 22.11.2017Lesedauer: 4 Min.
Alexander Gauland geht im Bundestag zum Rednerpult: Die AfD will syrische Flüchtlinge zurück in ihr Heimatland schicken.Vergrößern des BildesAlexander Gauland geht im Bundestag zum Rednerpult: Die AfD will syrische Flüchtlinge zurück in ihr Heimatland schicken. (Quelle: dpa-bilder)
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Jamaika ist geplatzt, wie es weitergeht, noch völlig offen. Der Bundestag kann mit der Arbeit aber nicht auf eine neue Koalition warten. Ein paar Wochen mit geschäftsführender Regierung, das kennen erfahrene Abgeordnete - aber diesmal ist alles anders.

Im Vergleich mit anderen Ländern wirkt die deutsche Hängepartie noch harmlos. Der Libanon etwa musste 29 Monate auf eine neue Regierung warten. In Belgien war es eineinhalb Jahre nach den Wahlen so weit. Die Bundestagswahl ist noch keine neun Wochen her - allerdings ist die Situation ziemlich verfahren. Nicht nur in den Parteien geht es nach dem Jamaika-Scheitern drunter und drüber. Auch im Bundestag geht es derzeit ungewöhnlich chaotisch zu, wie schon die ersten Sitzungen zeigen.

Wer ist eigentlich Opposition, wer ist Regierung? Geschäftsführend ist die große Koalition noch im Amt. Die SPD-Minister sitzen noch ein paar Monate mit ihren Unionskollegen am Kabinettstisch. Aber muss die SPD-Fraktion noch zu allen Kompromiss-Positionen stehen? Sind die Grünen jetzt noch Opposition oder vielleicht bald schon Juniorpartner einer schwarz-grünen Minderheitsregierung? Dass die Grenzen verschwimmen, sorgt für Verunsicherung und einen schärferen Ton.

Weidel ätzt gegen Merkel

Hans Michelbach von der CSU etwa beklagt sich diese Woche in einer Debatte: "Wir beraten doch einen Antrag der Bundesregierung. Dem haben auch die SPD-Minister im Kabinett zugestimmt. Das ist die Wahrheit. Die SPD schlägt sich einfach in die Büsche und übernimmt eben keine Verantwortung." Auch die FDP muss sich viele Sticheleien anhören, weil sie die schwarz-gelb-grünen Sondierungen platzen ließ.

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Dazu kommt, dass jetzt die AfD dabei ist. Deren Fraktionsvorsitzende Alice Weidel ätzt gleich mal gegen die "Damen und Herren, die schon länger hier sitzen". Die Bewohner der AfD-Filterblase wissen: Weidel spielt auf eine Äußerung von Bundeskanzlerin Angela Merkel an. Die CDU-Politikerin hatte in einer Talkshow einmal unterschieden zwischen denen, "die vor Kurzem zu uns gekommen sind" und denen, "die schon länger bei uns leben". Die AfD-Anhänger hatte das empört.

"Wir haben im Plenarsaal eine andere Stimmung als sonst", stellt Tobias Lindner von den Grünen nach den ersten Debatten fest. Ein Mitarbeiter der Grünen-Fraktion spricht von "unkartiertem Gelände". Eine langjährige Abgeordnete sagt, dass man den Schock über den Abbruch der Sondierungsgespräche noch allen Beteiligten anmerke.

Keine Fachausschüsse

Es gibt aber auch beschwichtigende Stimmen. "Es ist eine Bewährungsprobe, aber es ist keine Staatskrise", sagt Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU). Und Noch-Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) stellt fest: Es sei schön, dass der Bundestag als "wichtigste deutsche Institution" trotz der Debatten über eine Regierungsbildung "handlungsfähig" sei.

Um zu handeln, braucht der Bundestag nicht nur Debatten im Plenum, sondern vor allem auch seine Fachausschüsse, in denen die Experten der Fraktionen über Anträge beraten. Diese Ausschüsse allerdings gibt es erst mal nicht - schließlich steht noch nicht mal fest, welches Ministerium künftig für welche Themen zuständig sein soll. Und nun?

Stattdessen hat der Bundestag diese Woche einen Hauptausschuss eingesetzt. Das Gremium für die Übergangszeit habe sich "nach der letzten Bundestagswahl bewährt", erklärt der Parlamentarische Geschäftsführer der Union, Michael Grosse-Brömer. Im Hauptausschuss landet nun so gut wie jeder Antrag. Da kein Politiker sich mit allen Themen auskennt, schicken die Fraktionen dann tagesaktuell diejenigen Abgeordneten ins Rennen, die sich auskennen. Kein ganz einfaches Verfahren - monatelang wäre das kaum praktikabel.

Aufgeschobene Entscheidungen

Auch für Menschen außerhalb der Politik hat die Warteschleife bei der Regierungsbildung Konsequenzen. Ein Beispiel sind die Soldaten in den Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Da man einer neuen Regierung nicht vorgreifen will, soll der Bundestag demnächst eine dreimonatige Verlängerung der Mandate für die laufenden Einsätze beschließen.

Doch es kann durchaus sein, dass Deutschland auch Ende März, wenn die drei Monate enden, immer noch keine neue Regierung hat. Und dann? Nochmal nur drei Monate Verlängerung? Verteidigungspolitiker Lindner von den Grünen findet: "Die Soldaten haben einen Anspruch darauf, dass die Politik sie nicht in der Luft hängen lässt."

Ungewiss ist auch, wie es mit einem der größten Jamaika-Streitthema weitergeht. Derzeit dürfen Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutz, zum Beispiel aus dem Bürgerkriegsland Syrien, Ehepartner und minderjährige Kinder nicht nach Deutschland holen. Aber dieser Familiennachzug ist nur bis März 2018 ausgesetzt. Passiert bis dahin nichts, dürfen die Angehörigen dann wieder nachkommen.

AfD schockt mit Forderung

Die AfD hat mit der Forderung nach einer Rückkehr syrischer Flüchtlinge im Bundestag Kopfschütteln und Entsetzen geerntet. Der FDP-Abgeordnete Stephan Thomae sagte, der "vergiftete Antrag" der AfD strotze nur so vor "Zynismus und Heuchelei". Der SPD-Abgeordnete und ehemalige Flüchtling Josip Juratovic sagte: "Entweder sie haben keine Ahnung in der Sache oder sie wollen über Leichen gehen." Der CSU-Abgeordnete Stephan Mayer sagte, der Antrag der AfD für ein "Abkommen zur Förderung der Rückkehr syrischer Flüchtlinge" sei "populistisch und weltfremd".

Die AfD stellte fest, die Sicherheitslage in großen Teilen Syriens habe sich in den vergangenen Monaten "substanziell verbessert". Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) sei zurückgedrängt worden. Deshalb solle die Bundesregierung unverzüglich mit der syrischen Regierung Verhandlungen über eine Rückkehr der syrischen Flüchtlinge aus Deutschland aufnehmen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Bernd Baumann, sagte, Syriens Präsident Baschar al-Assad sei zwar ein Diktator. Es sei aber davon auszugehen, dass er "auf absehbare Zeit" im Amt bleiben werde. Assads Regierung sollte Deutschland zusichern, dass "die Rückkehrer unbeschadet wieder nach Syrien einreisen können und in die Gebiete aufgenommen werden, die befriedet sind".

Abgeordneter anderer Parteien wiesen darauf hin, dass Oppositionelle in Syrien nach wie vor mit "Folter und Mord" zu rechnen hätten. Auch bedeute die Vertreibung des IS aus einigen Gebieten keineswegs, dass dort heute Frieden herrsche.

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