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Umweltministerin Svenja Schulze (SPD): "Ich werde oft ein bisschen unterschätzt."


Unterschätzte Umweltministerin
"Wenn mich jemand anbrüllt, brüll ich zurück"

Ein Portrait von Horand Knaup

22.07.2018Lesedauer: 6 Min.
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Umweltministerin Svenja Schulze (SPD): Als Politik-Neuling in Berlin muss sie sich noch einiges gefallen lassen.Vergrößern des Bildes
Umweltministerin Svenja Schulze (SPD): Als Politik-Neuling in Berlin muss sie sich noch einiges gefallen lassen. (Quelle: Rolf Vennenbernd/dpa-bilder)

Svenja Schulze soll die Klimaziele der Bundesregierung umsetzen. Von ihren Ministerkollegen hat sie wenig zu erwarten. Noch ist sie guter Dinge: "Ich werde oft ein bisschen unterschätzt."

Angst? Nöö, sie doch nicht. Vor nichts und niemandem. Auch wenn sie nur 1,58 Meter groß ist. In ihrer Jugend hat sie Unterwasserrugby gespielt. Da geht es auch zur Sache. Ist in der Tiefe des Bassins auch nicht für jeden sichtbar. Und wenn jemand tritt, tritt sie zurück. Wie im Becken. Aber eigentlich will sie gar nicht treten. Eigentlich will sie die Dinge friedlich austragen und einvernehmlich regeln.

Die Sozialdemokratin Svenja Schulze ist neue Bundesumweltministerin. Gut vier Monate ist sie nun im Amt. Auf dem Zettel hatten sie nur wenige, als Andrea Nahles und Olaf Scholz im vergangenen März die Verteilung der Ressorts auswürfelten. Ihre Eckdaten: 1968 in Düsseldorf geboren, in Neuss Abitur gemacht, später Asta-Vorsitzende an der Uni Bochum, Landtagsabgeordnete, NRW-Wissenschaftsministerin und jetzt also Bundesumweltministerin.

In den vergangenen Tagen war sie auf Sommerreise. Rote Perlenkette, rote Hose, rote Chucks, eine sehr legere Ministerin. Quer durch Nordrhein-Westfalen. Mit Auto, Bus, Fahrrad. In zweieinhalb Tagen ein knappes Dutzend Programmpunkte, darunter Kunststoffverwertung und Batterierecycling, Brennstoffzellentechnologie und E-Bikes, Schafe streicheln und Insekten schützen. Ein bisschen Natur, ein bisschen Technologie, ein bisschen Mahnen vor den Folgen unserer Lebensweise. Was man so macht als deutsche Umweltministerin.

Beim Klima wird sich Deutschland gewaltig steigern müssen

Die Sonne schien, die Ministerin hatte prima Laune und versprühte Optimismus. Gut für die Stimmung auf der Sommerreise. Nur, für die Aufgaben, die anstehen, werden Sonne und gute Laune nicht reichen. Die Herausforderungen sind monströs.

Zum Beispiel das Klima. Es geht um viel. Global um das Zwei-Grad-Ziel, gerade einmal vor zweieinhalb Jahren in Paris beschlossen, nun scheint es in weite Ferne zu rücken. Deutschland verfehlt sein Klimaziel 2020 und wird sich gewaltig steigern müssen, um das international verbindliche 2030-Limit zu erreichen.

Schulze hat die Daten und Szenarien alle drauf. Dass die Florida Keys im Südosten der USA vom Untergang bedroht sind. Dass es für die besonders gefährdeten Pazifikinseln bereits Evakuierungspläne gibt. Dass im globalen Durchschnitt zwei Grad mehr in der Himalajaregion vier Grad plus bedeuten. Dass damit für ein Fünftel der Menschheit die Frischwasserzufuhr bedroht ist. Und ähnliche Szenarien mehr. Der Klimawandel ist in vollem Gang, da muss ihr niemand mit Relativierungen kommen.

Auch nicht mit Naturschutz. Der Schutz der Biosphäre ist ihr ein intrinsisches Anliegen. Jede Kreatur hat ihr Existenzrecht. Als Kind hat sie lahme Feuersalamander eingesammelt, gepäppelt und wieder ausgesetzt. Wenn der Vater Fische geangelt und in den Wassereimer getan hat, haben Klein-Svenja und ihre Freundin die Fische hinter seinem Rücken wieder ins Wasser gesetzt. Und die Inseln von Plastikmüll auf den Ozeanen haben auch sie entsetzt.

Es gibt gefälligere Aufgaben als das Umweltministerium

Nun also in Berlin. Als Neue im Kabinett, eine globale Bedrohung, ein kleines Ministerium, ein Thema, das nicht zu den Herzensanliegen der Sozialdemokraten gehört – es gibt gefälligere Aufgaben. Ein SPD-Vizekanzler, der beim Thema Umwelt noch nie aufgefallen ist und SPD-Ministerpräsidenten, denen das Wohl der Automobilindustrie wichtiger ist als ein scheinbar abstraktes Zwei-Grad-Ziel. Und schließlich lauter unionsgeführte Ressorts, mit denen sie ihre Themen verhandeln muss – Bauen, Verkehr, Wirtschaft, Landwirtschaft. Es sind schwierige Rahmenbedingungen.

Vor allem die Männer des Koalitionspartners, der Wirtschaftsminister, der Innenminister, der Verkehrsminister haben sie erst einmal auf den Prüfstand gestellt. "Die hat ja keine Kabinettserfahrung", spotteten sie im kleinen Kreis. Wie man so redet unter Männern, die ihr Revier markieren.

Was man noch so macht, wenn es um die Macht geht: Der Kanzleramtsminister lud sie zu einem Vier-Augen-Gespräch ins Kanzleramt. Um den Diesel sollte es gehen und die Probleme mit den Stickoxiden. Schulze kam, aber als sie den Raum betrat, saßen da überraschenderweise neben dem Kanzleramtsminister auch der Verkehrsminister, der Wirtschaftsminister und sein Staatssekretär.

Andere wären sofort wieder gegangen. Schulze blieb. Aber um ein Vier-Augen-Gespräch mit ihr muss sich der Kanzleramtsminister nicht mehr bemühen.

Ein anderes Mal, so erzählt man sich in SPD-Kreisen, rief Altmaier bei ihr an, rüffelte sie mit deutlich erhobener Stimme wegen eines Interviews. Schulze rüffelte energisch zurück. Offenbar so deutlich, dass das Gespräch beim Anrufer Wirkung zeigte. Jedenfalls lamentierte Altmaier später bei Vizekanzler Olaf Scholz: Schulze habe ihn angebrüllt.

Die Ministerin nahm es zur Kenntnis. "Wenn mich jemand anbrüllt, brüll ich zurück." So einfach ist das. "Ich werde oft ein bisschen unterschätzt", sagt sie trocken.

Viel Zeit hat sie nicht, zweieinhalb Jahre vielleicht, in denen sich Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Ganz sicher wird der Kohleausstieg einer der Parameter sein, an dem man sie am Ende messen wird. Das selbst gesteckte Minderungsziel der Bundesregierung für 2020 ist längst nicht mehr zu schaffen, Deutschland ist seit Anbeginn der industriellen Förderung der größte Braunkohleproduzent weltweit. Andere Länder wie China, Russland, Australien, die USA oder Vietnam haben ebenfalls enorme Ressourcen – aber offenbar mehr Weitblick als die Deutschen. In einem soeben veröffentlichten Gutachten des WWF (World Wildlife Fund) heißt es dazu: "Wenn sie sich ähnlich verhalten würden wie Deutschland aktuell, würde das den Klimawandel unaufhaltsam machen."

Eine vielköpfige Kommission hat ihre Arbeit aufgenommen und soll bis Ende des Jahres Vorschläge machen: Zum Ausstiegsdatum, zu Ausgleichsmaßnahmen für die betroffenen Regionen und was bis 2020 doch noch möglich ist, um die Lücke zwischen CO2-Haben und -Soll zu minimieren.

Schulze will Verlässlichkeit – bekommt sie die?

Schulze hat zusammen mit dem Kollegen Peter Altmaier den Hut auf. Einfach wird die Zusammenarbeit nicht werden, selbst in den eigenen Reihen gilt Altmaier als wenig sortiert. Über unabgestimmte Personalentscheidungen und verbindliche Absprachen, die kurz danach wieder aufgekündigt werden, stöhnen sie auch in der CSU. Schulze sagt dazu nur so viel: "Verlässlichkeit ist die Grundvoraussetzung für eine funktionierende Zusammenarbeit."

Ein anderer Prüfstein wird das Klimaschutzgesetz sein, das sie sich für das kommende Jahr vorgenommen hat. Der Kohleausstieg braucht ein Datum, der Verkehr muss seine Emissionen zurückfahren, der Gebäudebereich auch und die Landwirtschaft sowieso. Jeder Sektor hat schon vor Jahren ein klares Minderungsziel verpasst bekommen, erfüllt hat die Vorgaben bisher keiner. Das soll jetzt gesetzlich verankert werden.

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Vor allem beim Verkehr hakt es: Seit 1990 sind die Emissionen nahezu unverändert geblieben, mehr Fahrzeuge und größere Motoren haben alle Sparerfolge aufgefressen, und den zuständigen Verkehrsministern ist in den vergangenen zehn Jahren wenig eingefallen, um dem Problem zu begegnen. Vom Jahr 2020 an drohen Strafzahlungen an die EU, wobei Schulze den CSU-Kollegen besonders im Blick hat: "Andy Scheuer muss liefern." Falls nicht, soll der SPD-Finanzminister sich die fälligen Summen aus dem Verkehrsetat zurückholen. Es wäre die Höchststrafe für einen bayrischen Verkehrsminister – und durchaus nach Schulzes Geschmack.

Erst einmal stehen im Spätsommer aber die neuen CO2-Normen an, die die EU-Kommission für Personenwagen erlassen will. Der Vorschlag liegt vor, die Bundesregierung muss sich auf eine Position verständigen, Schulze hätte gerne ehrgeizigere Ziele, Scheuer und Altmaier halten dagegen.

Zu erwarten hat sie von der Union nichts. Im kleinen Kreis legte der Wirtschaftsminister die Unionsstrategie ungeniert offen: Soll doch die SPD das Autofahren verbieten, limitieren oder mit Auflagen versehen. Der Union käme es gerade recht. Sollen doch die Sozialdemokraten ihr Profil als Verbotspartei weiter schärfen.

Keine Ministerin der Verbote

Schulze weiß um die Falle. Profil erarbeitet sie sich nur über Konflikte. Konflikte vor allem mit dem Koalitionspartner. Sie wird ihnen nicht aus dem Weg gehen, sie aber auch nicht auf die Spitze treiben. "Wir müssen überzeugen", sagt sie. "Umweltpolitik ist ein soziales Thema, ist ein Innovationsthema." Jedenfalls keine Spielwiese für Ordnungspolitik. "Umweltpolitik sollte nicht nur aus Verboten bestehen", fügt sie hinzu. Ja, sie will steuern, aber mit Überzeugen und sachter Hand und nicht mit Beschränkungen. Deshalb keine Blaue Plakette für Dieselautos, keine Steuer auf Plastikprodukte, keine Abgaben für die Nitratproduzenten.

Aber ob das reicht, um die Luft, das Wasser und den Boden hinreichend zu schützen?

Vermutlich nicht und so zeichnet sich längst ab: Letztlich wird sie für ihre wichtigsten Projekte Angela Merkel brauchen. Die Kanzlerin, die im Wahlkampf 2017 noch versprochen hatte: "Wir werden Wege finden, wie wir bis 2020 unser 40-Prozent-Ziel einhalten." Die gleiche Kanzlerin, die dieses Ziel längst kassiert hat.

Dennoch bleibt die Ministerin erst einmal zuversichtlich. Beim Petersberger Klimadialog vor wenigen Wochen habe Angela Merkel doch vom "Sorgenkind Autoverkehr" und vom "Dauerbrenner energetische Gebäudesanierung" gesprochen. Dass Merkel dabei überaus unverbindlich geblieben ist, hat Schulze wohl überhört.

So könnte es sein, dass Deutschland eine Umweltministerin hat, die für Ziele kämpft, auf die sie andere verpflichtet haben. Ziele, von denen sie absolut überzeugt ist, Ziele, die das Schlimmste im Klimabereich verhindern sollen. Es könnte aber auch sein, dass die Umweltministerin innerhalb der Bundesregierung in ihrem Kampf gegen das Schlimmste ziemlich allein dasteht.

Verwendete Quellen
  • "Schulze treibt an – Altmaier bremst", "Handelsblatt", 2.7.2018
  • "Minister auf Kollisionskurs", "SZ", 21.6.2018
  • "Bundesumweltministerin Svenja Schulze – ein Porträt", recyclingnews, 8.5.2018
  • "Svenja Schulze: Umweltpolitik muss sozial gerecht sein", Tagesschau.de, 30.4.2018
  • arepo consult: "Kurzgutachten – Entwicklung der Braunkohlenwirtschaft in ausgewählten Ländern"
  • Global Warmings – Effect on Himalays
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