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Tagesanbruch: Schneise der Schande – Flüchtlingskrise und Klimaerwärmung


Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 13.08.2018Lesedauer: 8 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

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In den ersten Tagen des Berliner MauerbausVergrößern des Bildes
In den ersten Tagen des Berliner Mauerbaus (Quelle: Bildarchiv/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

ich freue mich, Sie ab heute wieder begrüßen zu dürfen. Hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Zwar haben viele Bundesländer noch Ferien, aber so langsam erwachen Politik und Gesellschaft wieder aus ihrer Urlaubsseligkeit. Gebräunt, gestärkt, manche auch geläutert, schwingen sich die Protagonisten wieder in den Ring der Debatten. Auf dem Weg dorthin mag mancher von ihnen (und vielleicht auch von Ihnen) sich noch einmal umsehen – was sieht man dann? Vielleicht das: ein Land, dessen Bürgern es so gut geht wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Sie kaufen Autos und Aktien, gehen Essen, fahren in den Ferien an Ostsee, Mittelmeer, die Alpen oder jetten gleich rüber nach Bali/Sydney/in die Staaten. Das ist die eine Seite der Medaille.

Auf der anderen Seite mehren sich die Berichte über Menschen, die sich all diese schönen Dinge nicht oder nicht mehr leisten können. Ein diffuses Gefühl der Ungerechtigkeit macht sich breit, das sich offenkundig bei vielen Bürgern mit dem Eindruck vermengt, von der "Politik da oben" nicht mehr gehört zu werden – während die Politik da oben zugleich keine Mühe scheue, kriselnden Banken und Konzernen aus der Patsche zu helfen, selbst wenn deren Bosse es mit Recht und Gesetz nicht so genau nehmen.

Da nimmt es wenig Wunder, wenn sich Tausende Menschen von der Idee einer linken Sammlungsbewegung angesprochen fühlen, die Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine initiiert haben. Wenn ich die beiden so reden höre, frage ich mich allerdings, was den beiden wohl wichtiger ist: die hehre Idee oder ihre persönliche Profilierung? Außerdem stimmt es mich nachdenklich, dass die ehemals wichtigste linke Kraft des Landes wieder mal überflügelt wird. Und dann auch noch von einem Mann, der mal ihr eigener Vorsitzender war. Merke: Die SPD liegt immer noch am Boden.

Was fällt noch auf, wenn man sich nach einer längeren Abwesenheit in Deutschland umhört? Es ist so leise. Was da fehlt, bemerkt man allerdings erst, wenn man im Urlaub zum Beispiel durch Alpentäler gewandert oder Landstraßen in Südeuropa entlang geradelt ist. Da summt, surrt und zirpt es, dass die Luft erklingt. Und wenn man dann ins Auto steigt und eine Strecke fährt, kleben hinterher auf der Frontschutzscheibe unzählige (leider) tote Insekten. Ist mir in Deutschland schon lange nicht mehr passiert. Unsere Natur verändert sich. Und es kann mir keiner erzählen, unsere durchoptimierte Landwirtschaft habe nichts damit zu tun.

Und sonst? Ein leises Gefühl der Enttäuschung. Da kommt man energiegeladen und tatkräftig aus dem Urlaub zurück – und dann sind die Themen, Argumente und Gesichter im Politikbetrieb immer noch dieselben wie vorher. Da ist wenig, was begeistert, mitreißt, beflügelt. Kein Macron nirgendwo, nicht mal ein Macrönchen. Frischer Wind täte dem Berliner Betrieb mal ganz gut, denkt man – und rügt sich selbst im nächsten Augenblick für den Gedanken. Wer nicht selbst bereit ist, sich im harten Geschäft der Politik zu engagieren, dessen Grundsatzkritik klingt schnell wohlfeil.

Also umschalten. Und – tatsächlich! – da war sie dann, die Begeisterung, täglich viele Stunden lang. Allerdings nicht im Berliner Regierungsviertel, sondern im Berliner Olympiastadion (und im schottischen Glasgow): die European Championships. Der Goldweitsprung der Heidelbergerin Malaika Mihambo! Der Goldhochsprung des Leverkuseners Mateusz Przybylko! Das nervenzerreißende Stabhochsprungfinale gestern Abend! Und die packende Choreografie von ARD und ZDF: Kaum war der Oh!-Schrei nach einem Finallauf verklungen, schwenkte die Kamera schon zur nächsten entscheidenden Szene eines Sprints/Diskuswerfens/Turmspringens. Mitreißend, beflügelnd – toll! Schade, dass es schon vorbei ist.

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Ach ja, und dann war da gestern noch das "ZDF-Sommer-Interview" mit AfD-Chef Alexander Gauland. Falls Sie es verpasst haben, kann ich Sie beruhigen: Sie haben nichts verpasst. Falls Sie trotzdem wissen wollen, worum es ging: Die Deutsche Presse-Agentur und Reuters haben knapp zusammengefasst, auf welche Fragen Herr Gauland keine schlüssigen Antworten hatte – von der Rente über die Digitalisierung bis zum Klimawandel.

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WAS STEHT AN?

Zwar im Schneckentempo, aber immerhin, es geht voran: In kleinen Schritten feilt die Bundesregierung an den Koordinaten ihrer Asylpolitik. Oder sollte ich lieber sagen: ihrer Asylbewerberfernhaltepolitik? Jedenfalls ist sie das im Kern. Seit Samstag darf Deutschland Flüchtlinge nach Spanien zurückschicken, die dort bereits offiziell registriert wurden. Das sind nicht viele, aber immerhin. Ähnliche Abkommen mit Griechenland und Italien sollen folgen – irgendwann, wenn Athen und Rom mitspielen (oder mit allerlei Zugeständnissen dazu bewogen werden).

Das Problem ist allerdings: Viele Flüchtlinge, die hierzulande einreisen, wurden zuvor in keinem anderen EU-Land registriert. Kommen tun sie trotzdem. Auch in der Bundesregierung hat man verstanden, dass sich das Problem nicht allein mit mehr Polizei, mehr Stempeln, mehr Schleierfahndung und höheren Zäunen an unseren Grenzen lösen lässt. Eine nachhaltige Lösung kann nur in Afrika und im Nahen Osten liegen. Das sieht auch die Bundeskanzlerin so, deshalb fordert sie nun eine engere Kooperation mit afrikanischen Ländern. Beide Seiten müssten etwas davon haben, "dass Schleppern und Schleusern das Handwerk gelegt wird", sagt sie. Es reiche nicht aus "über Afrika zu sprechen, sondern wir müssen mit Afrika sprechen.

Gute Idee. Ich frage mich nur, warum trotzdem so wenig geschieht. Spricht man das Thema im Berliner Regierungsviertel an, bekommt man zwar allerhand eloquente Bekenntnisse zu hören, wie wichtig es sei, die Herkunftsländer der Flüchtlinge zu stabilisieren. Bohrt man nach, was die Außen- und Entwicklungspolitiker der Bundesregierung konkret in Ländern wie Nigeria, Guinea, der Elfenbeinküste tun, wird es schnell still. Zu still.

Mit dieser Ratlosigkeit ist die Regierung in Berlin allerdings nicht allein. Weil immer mehr Menschen versuchen, per Boot nach Spanien überzusetzen, ist die marokkanische Regierung nun dazu übergegangen, Flüchtlinge an der Küste festzunehmen, in Busse zu pferchen und in den Süden des Landes zu karren, zum Teil in der Wüste auszusetzen. Das mag auf den ersten Blick wie eine Lösung wirken. Auf den zweiten ist es heilloser Aktionismus für die Kameras. Das Fluchtproblem wird so jedenfalls nicht gelöst. Vielleicht kann Angela Merkel auf ihrer geplanten Afrikareise Ende August mehr bewirken.

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Heute empfängt sie erst mal Denis Zvizdic, Vorsitzender des Ministerrats von Bosnien und Herzegowina. Auch bei diesem Termin wird es um Flucht und Migration gehen. Das Thema wird die Kanzlerin in diesem Jahr nicht mehr los.

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Wer sagt eigentlich, dass man Jahrestage nur rund und groß begehen kann? Manche historischen Ereignisse sind so gravierend, dass man sich jedes Jahr tiefgründig an sie erinnern sollte. So wie der Bau der Berliner Mauer, der sich heute zum 57. Mal jährt. Eine Schneise der Schande, die die DDR-Regierung mitten durch Deutschland pflügte, die Familien und Freunde entzweite, Millionen Menschen zu Gefangenen ihres eigenen Staates machte, mindestens 140 Menschenleben kostete. Es war eine historische Zäsur an jenem 13. August 1961, an die wir Deutsche uns ebenso regelmäßig erinnern sollten wie an das Glück der friedlichen Revolution und des Mauerfalls gut 28 Jahre später.

Deshalb schaue ich heute aufmerksam auf die Veranstaltungen in unserer wiedervereinigten Hauptstadt: am Vormittag die Andacht in der Kapelle der Versöhnung auf dem früheren Todesstreifen, anschließend die Kranzniederlegung am Mauerdenkmal in der Bernauer Straße und das Gedenken am Kreuz für die Maueropfer. Und am Mittag die Kranzniederlegung mit Berlins Regierendem Bürgermeister Müller am Peter-Fechter-Mahnmal in der Zimmerstraße 26/27.

Falls Sie jetzt grübeln: Fechter, Fechter, wer war das noch mal? Dann empfehle ich Ihnen diesen Artikel in der "Chronik der Mauer" über ein Schicksal, das einst ganz Deutschland aufgewühlt hat. Und wenn Sie schnell noch mal schauen wollen, wie Berlin mit und ohne Mauer aussah bzw. aussieht, dann finden Sie hier unseren Vorher-nachher-Fotovergleich.

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Linkshänder sind kreativer, intelligenter und besser im Sport. Wussten Sie bestimmt schon. Aber wussten Sie auch, dass diese biologischen Mythen ebenso fadenscheinig sind wie die Sprichwörter "Das mach ich doch mit links" oder "Du hast zwei linke Hände"? Moment, oder habe ich das Thema jetzt etwa zu linkisch anmoderiert? Welche Aussagen über Linkshänder stimmen denn wirklich? Weiß ich nicht. Aber meine Kollegin Jennifer Buchholz weiß es. Passend zum heutigen Weltlinkshändertag hat sie den Faktencheck gemacht. Und hier ist der links, Entschuldigung: Link! zu Ihrem Text.

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WAS LESEN?

Wenn man kurz innehält und zur Lage in Deutschland eine Zwischenbilanz zieht, kommt manche Unbill auf den Tisch. Flüchtlingskrise (in Deutschland gefühlt, im Mittelmeer real), Regierungskrise (in der Sache fingiert, der Machtkampf echt), ein "Alliierter" namens Trump, ein "Partner" namens Erdogan, Dieselskandal, Klimaerwärmung, und mit der Fußball-WM war es auch nichts. Und dann kommt da einer daher und sagt: Jetzt stellt Euch mal nicht so an. Kopf hoch!

Mit diesen Worten verabschiedet sich der Korrespondent des britischen "Economist" aus Deutschland. Mit der Distanz des Außenstehenden schreibt er uns einiges ins Stammbuch. Erstens: Es geht uns sehr, sehr gut in Deutschland. Arbeitslosigkeit auf dem Tiefstand. Boomende Exporte. Die Kriminalität so niedrig wie seit 30 Jahren nicht mehr. Die Infrastruktur gehört zu den besten der Welt, bei der Lebensqualität sehen uns die Vereinten Nationen weltweit auf Platz 4. Und auch die Kluft zwischen Arm und Reich ist kleiner als in anderen vergleichbaren Ländern.

Zweitens: Das Meckern in Maßen hat durchaus seine Vorteile. Moderne, zuverlässige Züge rauschen durchs Land, aber den Passagieren drinnen ist es zu heiß, Gepäck auf dem Gang stört, die Unpünktlichkeit – schlimm. Eine Nation, die so denkt, feilt an den Details. Die Nörgelei und der sprichwörtliche Hang zur Perfektion: Das gehört zusammen.

Aber, drittens, zu viel davon tut nicht gut. Der gewohnheitsmäßige Pessimismus stehe uns im Weg, schreibt der "Economist". Er hindere uns daran, auf der Weltbühne selbstbewusst Verantwortung zu übernehmen. Er befördere die Schwarzmaler an den politischen Rändern, die den Untergang des Abendlandes hinter jeder Ecke lauern sehen. Und in die Zukunft investieren? Geschehe zu wenig in einem Land der Pessimisten.

Da hat er wohl nicht ganz unrecht. Wir können uns die aufmunternd gemeinten Abschiedsworte des britischen Korrespondenten zu Herzen nehmen. Und ihm eine gute Reise zu seiner nächsten Station in Brüssel wünschen. Hoffentlich ist wenigstens sein Zug pünktlich. Artikel lesen (engl.)

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WAS STÄRKT MICH?

Sie werden es bemerkt haben: Ich war drei Wochen lang nicht da. Glücklicherweise haben meine beiden Kollegen Jan Hollitzer und Rüdiger Schmitz-Normann Sie währenddessen bestens versorgt. Das hat mir die Gelegenheit zum Durchschnaufen gegeben. Und was findet man, wenn man beim Müßiggang hier und da stöbert, nette Menschen trifft, Neues erfährt? Einen Song, der zwar schon 17 Jahre alt ist, aber den ich trotzdem noch nicht kannte. Vermutlich, weil er direkt nach dem 11. September 2001 veröffentlicht wurde, und ich als Journalist damals anderes zu tun hatte, als Musik zu hören. Dafür jetzt mit umso mehr Begeisterung. Also bitte: Stöpseln Sie die Kopfhörer ein oder drehen Sie die Anlage auf und gönnen Sie sich hier und jetzt diese dreieinhalb Minuten pure Energie. Danach kommen Sie locker durch diesen Montag.

Ich wünsche Ihnen einen frohen Start in die Woche. Im Osten und Süden soll es wieder über 30 Grad heiß werden. Nehmen Sie die Jacke aber trotzdem lieber mit: Fast in der ganzen Republik kann es heute gewittern.

Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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