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Nato – Kaputte Panzer und veraltete Kampfjets: Unsere Sicherheit ist gefährdet


Was heute wichtig ist
Unsere Sicherheit ist gefährdet

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 28.11.2019Lesedauer: 7 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Deutscher Marine-Soldat bei einem Nato-Manöver.Vergrößern des Bildes
Deutscher Marine-Soldat bei einem Nato-Manöver. (Quelle: imago images)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Der Jürgen. Endlich. Danke. So lange haben wir auf ihn gewartet. Jetzt kehrt er zurück nach Deutschland, in die Bundesliga, übernimmt als Trainer die olle Hertha. Nennt es "das spannendste Fußballprojekt in Europa". Na ja. Was man halt so sagt. Der windige Lars Windhorst will den Verein mit seinen Millionen aufpäppeln, gut, das ist schon ‘ne Nummer. Aber das Leben im ewigen Sonnenschein Kaliforniens, als Ex-VfB-Held, Ex-Tottenham-Held, Ex-Bayern-Held, Ex-Sommermärchen-Held, als umworbener Gast auf Charity-Events und gelegentlicher TV-Kommentator, das wäre doch das Paradies für einen 55-jährigen Fußballrentner gewesen, der sich keine Sorgen um seine Reputation und seinen Kontostand machen muss – oder?

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Wäre es nicht. Nicht für Jürgen Klinsmann. Der Jürgen kommt zurück, weil er immer noch so viel Energie hat wie damals, als er gemeinsam mit seinem Bruder Horst in der Backstube von Papa Siegfried die Mehlsäcke schleppte. Botnang, einst urigster Teil Stuttgarts, ein Dorf in der Stadt. Schreibwaren gab es bei Ameling, Comics in der öddeligen Stadtbücherei, Seife beim Gaißmayer, Bier beim Nanz, Schrauben, Dübel, Weihnachts-Ausstecherle und ein Schwätzle bei Kohlhöfer & Tannebaum. Alle weg. Läden weg, Schwätzle weg, Dorf weg, Heimat weg. Heute: Vorstadt-Atmo, Supermarktketten, SUVs und Aufbackbrötchen.

Nicht in der Bäckerei Klinsmann. Da waren die Brezeln immer schon frisch und die Autogrammkarten vom Jürgen stets in ausreichender Menge vorhanden. Als er neunzehnneunzig mit Beckenbauer, Völler und Matthäus in Italien Weltmeister wurde, da sind wir natürlich sofort hin, war ja um die Ecke, war ja unser Held, ein bisschen waren ja auch wir Botnanger nun Weltmeister. Der Jürgen zog nach Mailand, und wir verfolgten jeden seiner Schritte, jedes seiner Tore. Mutter Martha am Tresen schimpfte auf den Lothar. Der mache ihren Jürgen immer schlecht, weil der mit seiner blonden Mähne bei den Italienerinnen besser ankomme als der Lothar. "Mama, des sollsch doch ned sage", rief der Jürgen aus der Backstube. Wir fanden, dass sie das auf jeden Fall sagen sollte. Saugten jedes Wort unseres Helden und seiner Familie auf, tradierten die Sprüche Jahr für Jahr. Gaben ihm bei seinem Abschiedsspiel im Neckarstadion, das wir bis in alle Ewigkeiten Neckarstadion nennen werden, die Ehre. Sahen ihn noch einmal einen tollkühnen Fallrückzieher vollführen, so wie damals beim 3:0 gegen die Bayern, Tor des Jahres 1987. Kein Kicker hat je so schön gejubelt wie der Jürgen.

Nun kommt er zurück, nach all den Jahren in Amerika, wo sich die Debbie doch viel wohler fühlt als hier im kalten, griesgrämigen Deutschland. Sie hat ihr O.K. gegeben, Jürgen darf nach Berlin. Sie weiß ja, wie viel ihm am Spitzenfußball liegt. Danke, Debbie, danke.

Warum ich heute Morgen diese nostalgischen Sätze notiere? Weil vermutlich jeder von uns tief in seinem Herzen die Erinnerung an die schönen, hellen, erhebenden Erlebnisse der Kindheit hat. An die Helden der Vergangenheit, überlebensgroß und vorbildlich. Für manche war es Stan Libuda, für andere Hildegard Knef, für einige Jürgen Sparwasser oder Steffi Graf, oder, oder, oder. Jedem seinen Helden oder seine Heldin. Irgendwann verstreicht das Leben, wir altern, zählen morgens vor dem Spiegel die Falten, und mit der wachsenden Lebenserfahrung schwindet die jugendliche Schwärmerei, die Begeisterungsfähigkeit weicht dem abgeklärten Blick, wir verlieren unsere Helden aus dem Auge. Aber dann kann der Tag kommen, da sind sie plötzlich zurück. Die Nachricht des Tages, Eilmeldung aufs Handy, Dingdong. Ein warmes Gefühl in der Brust. Auf einmal werden unsere Schritte beschwingter und die Falten im Spiegel sehen gar nicht mehr so tief aus. Ein kleiner Hauch der Jugend fährt uns in die alternden Glieder. Danke dafür, Jürgen. Danke.


Die nicht mehr ganz so jungen Westdeutschen unter uns können sich noch gut daran erinnern, was sich in dieser Jahreszeit so regelmäßig ereignete wie das Fallen der Blätter: Staus auf den Autobahnen, umgepflügte Landstraßen und Äcker. Männer mit geschwärzten Gesichtern robbten durch den Wald, grüne Klamotten am Leib und Grünzeug auf dem Kopf. Panzer und Lastwagenkonvois rollten durchs Land, Jets kreischten am Himmel. Die Nato-Herbstmanöver mit Zehntausenden Soldaten verwandelten die gesamte Westrepublik im Kalten Krieg in einen Truppenübungsplatz. Vergangene Zeiten.

Als Angela Merkel gestern während der Haushaltsdebatte im Bundestag die Bedeutung der Nato betonte und ankündigte, mehr Geld für die Verteidigung locker zu machen, dachte sie vermutlich nicht an die Panzerkolonnen, die einst durch norddeutsche Ebenen und über westfälische Äcker walzten. In den vergangenen Jahren haben schnelle Eingreiftruppen und asymmetrische Kleinkriege das Denken der Allianz bestimmt. Nach dem Ende des Warschauer Pakts agierte der potentielle Gegner in Afghanistan oder anderen unwirtlichen Gegenden nicht in mechanisierten Bataillonen, sondern war eher in Plastiklatschen unterwegs und deponierte abgesägte Rohre voller Sprengstoff neben staubigen Straßen.

Zwar wurden wir zuletzt auf unangenehme Weise daran erinnert, dass an den Grenzen zu Russland nicht nur der tiefste Frieden herrscht, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen. "Grüne Männchen" auf der Krim. "Urlaubende" russische Kampftruppen in der Ukraine. Spannungen im Baltikum und gefährliche Rangeleien von Jets im Luftraum über der Ostsee. Trotzdem glaubt kaum jemand daran, dass ein entfesselter Krieg der Nato mit Russland zu den realistischen Gefahren der Gegenwart gehört. Wenn man der Bundeswehr also Geld zuschustern möchte, wie Kanzlerin Merkel und Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer, dann doch bestimmt nicht, um die konventionellen Landstreitkräfte zu verstärken – oder?

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Eine Studie des Royal United Services Institute wirft bei unseren britischen Nachbarn diese Gewissheit gerade über den Haufen, und sie hält auch für uns einige Lehren bereit. Sie stellt fest, dass die Truppen der Krone gegen einen russischen Gegner zurzeit keinen Stich machen würden. Es mangelt beispielsweise an weitreichender Artillerie, die es mit der russischen aufnehmen könnte, Munition ist auch viel zu knapp. Die Russen könnten die britischen Bataillone einfach aus sicherer Entfernung zusammenschießen. Ja und?, darf da die berechtigte Gegenfrage lauten. Aber es ist leider nicht egal.

Denn zwar ist ein konventioneller Großkonflikt mit Russland tatsächlich unwahrscheinlich. Doch militärische Eskapaden Moskaus auf kleinerer Flamme haben wir inzwischen oft genug erlebt. Einer Nato, die sich sogar bei einer begrenzten Eskalation schnell die Finger verbrennen würde, bliebe als einzige Option, frühzeitig klein beizugeben. Den Bündnisfall ausrufen, also die ganz große, tödliche Keule schwingen, einen unbegrenzten Konflikt anzetteln bis hin zum nuklearen Showdown? Das ist kein glaubhaftes Abschreckungsszenario, wenn man vom Gegner nur wohlkalkulierten Nadelstichen ausgesetzt ist. Kampftruppen, die ihre Artillerie zuhause vergessen haben, sind es aber auch nicht.

Dank der militärischen Defizite der Nato dürfen Herr Putin und seine Generäle damit rechnen, mit Provokationen, Nadelstichen und Grenzüberschreitungen immer wieder durchzukommen – was eine aggressive Politik Moskaus auch in der Praxis wahrscheinlicher macht. Eine Bundeswehr mit einem üppigen Panzerfuhrpark, der in erster Linie in den Kasernen herumsteht? Nein, selbst beim besten Willen ist das kein attraktiver Einsatz von Steuergeld. Wir müssen uns allerdings der Erkenntnis stellen, dass uns der Verzicht auf die parkenden Panzer auch ganz schön teuer zu stehen kommen kann.


WAS STEHT AN?

Das Internet Governance Forum der Vereinten Nationen in Berlin hat einen komplizierten Titel, ist aber ziemlich wichtig. Dort diskutieren Politiker aus aller Welt darüber, wie sich die Freiheit des Internets und der Schutz der Grundrechte sichern lassen. Deutschland könnte hier ein Vorreiter sein – riskiert stattdessen aber, sich auf der Weltbühne lächerlich zu machen, moniert der Grünen-Politiker Konstantin von Notz in einem Gastbeitrag.


In Straßburg stimmen die Abgeordneten des Europäischen Parlaments heute darüber ab, ob in Europa der Klimanotstand ausgerufen werden soll.


ZITATE DES TAGES

"Der Klimawandel ist politisch motivierte Panikmache." (Alexander Gauland, AfD-Vorsitzender)

"Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung." (Kaiser Wilhelm II.)


DIE GUTE NACHRICHT

Es kommt selten vor, dass Donald Trump allseits Lob erntet. Hier ist es mal der Fall: Der Präsident hat der Tierquälerei den Kampf angesagt. Auf entsprechende Delikte stehen in den USA ab jetzt lange Gefängnisstrafen. Selbst wenn man erstens die Frage nach der Verhältnismäßigkeit stellen kann, selbst wenn man es zweitens für ein Manöver hält, um von seinem drohenden Amtsenthebungsverfahren abzulenken, selbst wenn man ihm drittens vorwirft, bei anderen Problemen dieselbe Entschlossenheit vermissen zu lassen: Wem der Schutz von Tieren wichtig ist, der wird Herrn Trump hier applaudieren.


WAS LESEN?

Vor knapp zwei Monaten begann die türkische Armee ihren Angriff auf kurdische Milizen in Syrien. Herr Erdogan lenkte mit dem Kriegszug auch von der Wirtschaftskrise und seinen schlechten Umfragewerten ab. Nun sind die Kampfhandlungen weitgehend beendet – und die Probleme der Türkei holen den türkischen Präsidenten wieder ein, wie mein Kollege Patrick Diekmann zeigt.


Frankreichs Präsident Macron hat die EU-Erweiterung auf dem Balkan ausgebremst: Offizielle Beitrittsgespräche mit Albanien und Nordmazedonien soll es vorerst nicht geben. Das ist ein Schlag ins Gesicht derjenigen, die seit knapp 20 Jahren Reformen in den kriegsgebeutelten Ländern vorantreiben, schreibt meine Kollegin Madeleine Janssen.


Audi trennt sich von 9.500 Mitarbeitern – scheinbar ohne jeglichen Protest. Welchen Grund hat der massive Personalabbau und welche Konsequenzen kommen auf das Unternehmen zu? Unsere Wirtschaftskolumnistin Ursula Weidenfeld klärt Sie auf.


WAS AMÜSIERT MICH?

Alle reden vom Klima. Da haben’s die armen SUV-Fahrer wirklich schwer.

Ich wünsche Ihnen einen federleichten Tag. Morgen und am Montag schreiben meine Kollegen Peter Schink und Florian Wichert den Tagesanbruch, mich lesen Sie am kommenden Dienstag wieder. Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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