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Nach Macrons Absage an Westbalkan: Alle zittern vor Russlands Einfluss


Nach Macrons Absage an den Westbalkan
Alle zittern vor Russlands Einfluss

Von Madeleine Janssen

Aktualisiert am 27.11.2019Lesedauer: 4 Min.
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Der russische Präsident Wladimir Putin: Russland präsentiert sich auf dem Balkan als politische Alternative zur EU.Vergrößern des Bildes
Der russische Präsident Wladimir Putin: Russland präsentiert sich auf dem Balkan als politische Alternative zur EU. (Quelle: ITAR-Tass/imago-images-bilder)

Seit dem Veto Emmanuel Macrons gegen die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen sorgen sich europäische Politiker, wie es auf dem Balkan weitergeht. Brechen alte Konflikte wieder auf? Mehrere Mächte profitieren von der Unsicherheit.

In Albanien bebte die Erde. Heftige Erdstöße, Stärke 6,4 auf der Richterskala, bringen am Dienstagmorgen Häuser zum Einsturz, mindestens 20 Menschen sterben, Hunderte werden verletzt, Dutzende verschüttet. Es war das schwerste Beben in dem Balkanland seit Jahrzehnten. Doch auch politisch ist Albanien zuletzt erschüttert worden: vom entschiedenen "Non" des französischen Präsidenten Emmanuel Macron gegen die Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen mit Albanien und dem anderen Kandidaten Nordmazedonien. Macron hatte Zweifel am Fortschritt beider Länder angemeldet und den gesamten EU-Erweiterungsprozess infrage gestellt. Die Entscheidung löste Unsicherheit aus.

Wegen des Erdbebens sagte der albanische Premier Edi Rama kurzfristig seine Teilnahme am hochkarätig besetzten Berliner Forum Außenpolitik der Körber-Stiftung am Dienstag ab. Wäre er dagewesen, hätte er gespürt, wie sich unter den anwesenden Politikern und Strategen die Sorge breitmacht, wie es jetzt auf dem Balkan weitergeht.

Blockade bremst Hoffnungen und Wünsche aus

Macrons Veto wurde gestützt von den Niederlanden und Dänemark. Auch der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff weist gegenüber t-online.de auf bestehende Probleme hin: "Albanien muss sein Justizsystem reformieren und die organisierte Kriminalität bekämpfen." Um zu verhindern, dass die Länder des Westbalkans ihre Probleme in die EU importieren, müssten die Länder erst untereinander kooperieren.

Doch Macrons Blockade bremst Hoffnungen und Wünsche der progressiven Kräfte auf dem Balkan aus, die seit über zehn Jahren auf einen EU-Beitritt hinarbeiten. Die Beitrittsperspektive gilt als der stabilisierende Faktor Nummer eins, um Korruption, Menschenrechtsverletzungen und alte ethnische Konflikte einzudämmen.

Galt, muss man sagen. Denn seit Macrons Veto dürfte die Motivation, Reformen voranzutreiben, und die Lust, Europa nachzulaufen, drastisch gesunken sein.

Schließlich müht sich Albanien seit knapp 20 Jahren, dem Bündnis beizutreten. 2003 sicherte die EU Tirana und anderen im "Versprechen von Thessaloniki" zu, mehrere Balkanländer aufzunehmen. Auf dem Weg dahin hat Albanien sein Justizsystem westlichen Standards angepasst und die europäische Menschenrechtskonvention ratifiziert. Die Wirtschaftskraft ist gewachsen. Seit 2009 ist es offiziell Beitrittskandidat. Die Zeichen standen gut, die Bemühungen waren klar zu erkennen.

Im Beitritt sehen die pro-europäischen Kräfte ein Heilmittel gegen viele Probleme: Viele Albaner verlassen ihr Land und gehen in den Westen. Zurück bleiben die schlechter Ausgebildeten und die Alten, das demografische Problem wird zur Wachstumsbremse.

Ganz andere wirtschaftliche Möglichkeiten

Flösse Geld aus dem EU-Strukturfonds ins Land, hätte Albanien ganz andere Möglichkeiten, seine Infrastruktur auszubauen, bessere Ausbildungen anzubieten, als staatlicher Arbeitgeber höhere Gehälter zu zahlen, den Wandel hin zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft zu vollziehen. Nicht zuletzt ist die Aussicht auf den Beitritt ein wesentlicher Anreiz, ethnische Konflikte zu entschärfen und die Folgen des Kosovokrieges aufzuarbeiten.

Ähnlich sieht es in Albaniens Nachbarländern aus. Mazedonien hatte sogar auf Drängen Griechenlands seinen Landesnamen in Nordmazedonien geändert, um einen alten Gebietsstreit zu entschärfen. Das muss man sich vor Augen führen, wenn man begreifen will, wie sehr diese Länder den Beitritt wollen.

Für die EU steht viel auf dem Spiel

Für die Beitrittskandidaten steht also viel auf dem Spiel. Für die EU aber auch. Schließlich formt die Region einen Teil des Verbindungsstücks zwischen Europa und dem Nahen Osten, schließlich geht es um die Demokratisierung und Stabilisierung am direkten Rand der EU. Macrons Veto hat auch eine verheerende Signalwirkung für alle weiteren Balkanländer, die sich langfristig in der EU sehen, also Serbien, Montenegro, Kosovo, Bosnien und Herzegowina: Wie viel Hoffnungen sollen sie sich machen, wenn schon die Länder abgewatscht werden, die sich gemäß europäischen Standards schon so stark weiterentwickelt hatten? Entsprechend harsch fällt die Kritik an Macrons Blockade aus. Außenminister Heiko Maas (SPD) nannte sie "den größten Fehler der EU", der scheidende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bezeichnete sie als "historischen Fehler".

Der zweite Grund für diese harten Worte liegt weiter östlich, in Russland. Beim Berliner Forum Außenpolitik brachte es Olena Zerkal auf den Punkt. Die stellvertretende ukrainische Ministerin für EU-Integration sagte: "Russland hat kein Interesse an Sicherheit und Stabilität in Europa. Das muss man sich vor Augen halten." Russland dürfte nutzen, dass die Balkanstaaten gerade eines lernen: Die EU hält sich nicht an ihre Versprechen. Das Vakuum, das entsteht, bietet Moskau Raum.

Russland war schon immer als Schutzmacht in Serbien aktiv

Gerade in Serbien war Russland schon immer als Schutzmacht aktiv und baut diesen Einfluss jetzt aus. Kürzlich haben Serbien und die von Russland geführte Eurasische Wirtschaftsunion ein Freihandelsabkommen unterzeichnet. Russland ist der wesentliche Partner Serbiens in der Energieversorgung und hilft Belgrad, die internationale Anerkennung des Kosovo zu erschweren – was konträr zu den Bemühungen Brüssels läuft, die Aussöhnung von Serben und Kosovaren voranzutreiben. Ganz offensiv bewirbt Moskau sich als Alternative zur EU. Der EU-Ratspräsident Donald Tusk fand dafür im "Economist" kürzlich deutliche Worte: "Russland ist nicht unser strategischer Partner, sondern unser strategisches Problem."

Und Russland ist nicht allein. Auch China und die Türkei investieren Milliarden im Westbalkan. China setzt im Rahmen seiner Initiative "Neue Seidenstraße" auf Infrastrukturprojekte wie Autobahnen, Brücken, Eisenbahnstrecken und Häfen. Die Türkei ist ebenfalls wirtschaftlich aktiv, fördert etwa in Bosnien Türkischunterricht und versucht, die Ausbildung von Imamen zu beeinflussen. Ankara will die muslimische Bevölkerung auf dem Balkan stärken. Mit dem albanischen Premier Rama ist Recep Tayyip Erdogan persönlich gut befreundet; Rama war auf der Hochzeit von Erdogans Tochter Sümeyye zu Gast.


An all dem sieht man: Die Einflussnehmer neben der EU fangen nicht bei Null an. Sie haben sich schon längst in der Region etabliert. Wie Brüssel sich dagegen aufstellt und ob es für den Beitrittsprozess Albaniens und Nordmazedoniens einen neuen Anlauf gibt, zeigt sich erst im Frühjahr. Dann soll das Thema erneut auf die Agenda kommen. Bis dahin haben die anderen Player viel Zeit, ihre Projekte weiter auszubauen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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