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Türkei: Zwischen Syrien-Krieg und Lira-Krise – Erdogan hat schlechte Karten


Türkei zwischen Lira-Krise und Syrien-Krieg
Erdogan hat schlechte Karten

Von Patrick Diekmann

25.11.2019Lesedauer: 7 Min.
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Der türkische Präsident Erdogan konnte innenpolitisch vom Krieg in Syrien profitieren.Vergrößern des Bildes
Der türkische Präsident Erdogan konnte innenpolitisch vom Krieg in Syrien profitieren. (Quelle: Getty images/ Burak Kara/Sean Gallup)

Der Einmarsch der Türkei in Syrien verschafft Präsident Erdogan innenpolitisch eine Verschnaufpause, die Umfragewerte der AKP erholen sich. Doch vor allem die wirtschaftlichen Probleme des Landes sind nicht gelöst.

Ankara, 14 Uhr. Kampfflugzeuge donnern im Tiefflug über die türkische Hauptstadt. Es ist ein Test, der schon im Vorfeld groß in den türkischen Medien angekündigt war. Nun zeigt das türkische Fernsehen F-16-Jets in der Luft, die in den USA hergestellt wurden. Am Boden werden demnach zeitgleich die Radaranlagen der S-400-Raketenabwehr getestet, die die türkische Regierung trotz massiver Kritik der Nato von Russland gekauft hat.

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Die große Inszenierung des Tests ist eine erneute Provokation gegenüber den westlichen Bündnispartnern, die dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vor allem innenpolitisch nutzen soll. Er präsentiert sich als starker Führer, der außenpolitisch auf Augenhöhe mit den USA, Russland und der Europäischen Union die türkischen Interessen vertritt. Trotz der wirtschaftlichen Krise im Land konnten Erdogan und die AKP in den jüngsten Meinungsumfragen zulegen, vor allem dank des türkischen Angriffs auf kurdische Milizen in Nordsyrien.

Der türkische Präsident hat es geschafft, mit dem Krieg in Syrien die innenpolitischen Probleme der Türkei zu überspielen, von der Kriegslust profitieren vor allem nationalistische Kräfte im Land. Erdogan hat sich eine Verschnaufpause verschafft, doch während das Interesse an dem Feldzug in der türkischen Öffentlichkeit weniger wird, fallen erneut andere Themen ins Gewicht, die seiner AKP schaden könnten. Diese Probleme holen die türkische Regierung nun wieder ein.

Erdogans strategische Ziele

Die türkische Regierung verfolgte mit dem Angriff auf die Kurden in Nordsyrien viele unterschiedliche strategische Ziele. Einerseits ging es um türkische Sicherheitsinteressen: Man wollte der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK die Rückzugsorte an der türkisch-syrischen Grenze nehmen und gleichzeitig am Tisch sitzen mit Russland, der syrischen Regierung und dem Iran, wenn es um die Nachkriegsordnung in Syrien geht.

Andererseits wollte Ankara einer möglichen neuen Flüchtlingswelle vorbeugen, die dann wahrscheinlich entstehen wird, wenn Idlib – die letzte von Rebellen kontrollierte Provinz in Syrien – durch die syrische Armee und mit der Unterstützung Russlands eingenommen wird. Die Wahrnehmung der türkischen Öffentlichkeit hat sich in diesem Jahr durch die wirtschaftlichen Probleme des Landes deutlich verändert, eine Mehrheit der Bevölkerung lehnt laut aktuellen Umfragen die Aufnahme von neuen Flüchtlingen ab. Deshalb sollen mögliche Flüchtlinge aus Idlib nach dem Willen der türkischen Regierung gar nicht erst in die Türkei, sondern in die Sicherheitszone gehen, die die Türkei und Russland im Norden Syriens eingerichtet haben.

Hinzu kamen Erdogans innenpolitische Interessen: Im Zuge sinkender Umfragewerte für die AKP wollte er vor allem von den wirtschaftlichen Problemen des Landes ablenken – mit einem Krieg, der zeitweise den Patriotismus in der Türkei in weiten Teilen der Bevölkerung beflügelte und alle anderen Themen in den Hintergrund drängte. Er wollte die prokurdische HDP politisch schwächen und isolieren, weil sie die einzige Oppositionspartei im türkischen Parlament ist, die sich gegen den Feldzug positionierte.

Steigende Umfragewerte für die AKP

"Bisher hat Erdogan diese strategischen Ziele in Syrien aber größtenteils nicht erreicht", sagt Kristian Brakel, Türkei-Experte und Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul, im Gespräch mit t-online.de.

Lediglich die Sicherheitszone steht, im türkischen Fernsehen sind oft Bilder von gemeinsamen Patrouillen von türkischen und russischen Soldaten zu sehen. Damit kontrolliert die türkische Armee die Grenzregion zu Syrien, was der PKK die Brücke zur verbündeten kurdischen Miliz YPG nimmt. Damit hat die Türkei vorerst verhindert, dass die kurdischen Milizen das Machtvakuum in Nordsyrien nutzen können, um sich zu bewaffnen und um eine autonome Region zu errichten. Dies hätte auch die PKK und ihren Kampf für Autonomie in der Türkei gestärkt.

"Die türkische Regierung möchte so lange nicht mit der PKK verhandeln, bis es ein für sie günstiges Kräfteverhältnis gibt. So lange möchte man der kurdischen Nationalbewegung, zu der die HDP auch in Teilen gehört, die Möglichkeit nehmen, ein legales politisches Umfeld aufzubauen", meint Brakel. Deswegen möchte die türkische Regierung die Partei kleinhalten, damit sie keine demokratische Legitimität erhalten kann. "Denn eine starke HDP könnte sich positiv für die PKK bei Friedensverhandlungen auswirken."

Die politische Isolierung der HDP durch den Syrien-Feldzug, der in der türkischen Bevölkerung mehrheitlich positiv gesehen wird, ist auch teilweise erfolgreich. Die Umfragewerte der HDP sinken leicht, bei der nächsten Parlamentswahl im Jahr 2023 wird es für sie darum gehen, die Zehn-Prozent-Hürde zu knacken.

Während die HDP aktuell leicht verliert, gewann Erdogans AKP in den letzten Monaten an Zustimmung. "Meinungsumfragen sehen ein deutliches Plus. Man kann davon ausgehen, dass das mit dem Feldzug in Syrien zu tun hat", meint Brakel. Zuvor hatte man durch die Lira-Krise deutlich an Zustimmung verloren. Das innenpolitische Ziel von Erdogan, die AKP zu stabilisieren und die HDP zu schwächen, wurde vorerst erreicht.

Erdogans Abhängigkeit von Putin

Den Syrien-Feldzug verkauft die türkische Regierung jedoch auch als außenpolitischen Erfolg im Kampf gegen den Terrorismus. "Erdogan wollte außerdem Karten im Spiel haben, wenn es um eine Nachkriegsordnung in Syrien geht. Aber seine Karten sind schlechter geworden, weil die Angebote der Russen die türkische Regierung nicht zufriedenstellen", erklärt Brakel. "Die Türkei hat sich die Pufferzone in Nordsyrien anders vorgestellt, weil die YPG nicht komplett abgezogen ist und weil die Russen sie offenbar auch nicht dazu drängen." Russland sieht im Gegensatz zur türkischen Regierung in den kurdischen Milizen keinen Feind.

Russland hat durch die Unterstützung des Regimes von Baschar al-Assad weitestgehend die Kontrolle über die politischen Entscheidungen im Land. Und Erdogan kann gegenüber Russland viel weniger Druck entfalten als beispielsweise gegenüber den Nato-Partnern, denen er zum Beispiel mit neuen Flüchtlingen oder mit der Zuwendung der Türkei zu Russland droht. Die große strategische Bedeutung der Türkei macht es Erdogan möglich, eine Schaukelpolitik zwischen Russland und der Nato zu betreiben.

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Denn auch Moskau hat laut Brakel starke politische Interessen in der Region: "Es ist ein wichtiges strategisches Ziel Russlands, die Türkei entweder aus der Nato herauszulösen oder sie als Unruheherd im westlichen Militärbündnis zu halten." Trotzdem verfolgt der russische Präsident Wladimir Putin in Syrien bislang rigoros russische Interessen, ohne Rücksicht auf die Türkei. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich das ändert. Das zentrale Interesse in Russland ist eine möglichst zeitnahe Befriedung Syriens, denn der Konflikt ist auch für Moskau teuer. Deswegen wird Putin mit aller Macht eine Konfrontation zwischen der syrischen Armee – die die Kurden protegiert – und der Türkei verhindern.

Die Türkei als Besatzungsmacht

Außerdem ist beispielsweise die von der Türkei angestrebte Umsiedlung von Flüchtlingen in Nordsyrien kaum realisierbar, die internationalen Partner reagieren ungehalten auf die Pläne Ankaras. "Die Ansiedlung von bis zu zwei Millionen Flüchtlingen in Nordsyrien ist nach Völkerrecht illegal. Die Türkei darf nicht einfach als Besatzungsmacht die ethnische Zusammensetzung eines Gebietes verändern", meint Brakel. "Das würde auch den Flüchtlingspakt zwischen Europäischer Union und der Türkei infrage stellen. Die Türkei ist auf dieses Geld angewiesen, deshalb ist eine Umsiedlung unrealistisch."

Demnach ist der politische Erfolg der Operation vom Wohlwollen Russlands abhängig. Andere mögliche Konsequenzen in den Wirren des syrischen Krieges sind noch unabsehbar. In den Besatzungsgebieten kommt es beispielsweise immer wieder zu Anschlägen, auch türkische Soldaten sterben. Die von der Türkei unterstützten syrischen Rebellen richten durch Hinrichtungen von Kurden und der Verfolgung von Christen großen politischen Schaden für Erdogan an, Ankara fehlen offenbar die Möglichkeiten, diese in großen Teilen islamistischen Gruppierungen stärker zu kontrollieren.

All das könnte dazu führen, dass sich die innenpolitische Stabilisierung der AKP wieder ins Gegenteil umkehrt. Erdogan ist mit der Invasion in Syrien große politische Risiken eingegangen und schon jetzt ist die Offensive nicht mehr das zentrale Thema in den Medien.

Große Probleme der türkischen Wirtschaft

Und auch wenn der Verfall der türkischen Lira aktuell aufgehalten wurde, sind die wirtschaftlichen Probleme des Landes nicht gelöst. Dafür fehlt der türkischen Regierung ein tragbares Konzept. Laut einer aktuellen Umfrage des türkischen Meinungsforschungsinstituts ORC im November geben 45 Prozent der befragten Menschen in der Türkei an, Probleme mit den Lebenshaltungskosten oder mit Arbeitslosigkeit zu haben. Statt Maßnahmen gegen die hohe Staatsverschuldung zu ergreifen, erhöhte Erdogan lediglich den Druck auf die türkische Zentralbank, die Zinsen zu senken. Die Arbeitslosenquote ist aktuell mit 14,3 Prozent auf einem Zehn-Jahres-Hoch, der Wert der Lira im Vergleich zu anderen Währungen hat sich zwar nicht weiter verschlechtert, aber auch nicht verbessert. Importe und das Bedienen von ausländischen Krediten bleiben teuer. Erdogan macht für diese Entwicklungen eine ausländische Verschwörung gegen die Türkei verantwortlich.

In der gleichen Umfrage gaben 57 Prozent der Befragten an, dass sie noch Vertrauen in ihren Präsidenten hätten. Anders ist die Wahrnehmung der türkischen Rechtssprechung: 68 Prozent haben laut der Umfrage kein Vertrauen in die Justiz. Dies hat sich durch die Maßnahmen der türkischen Regierung im Südosten der Türkei zu Beginn des Feldzuges intensiviert. "Die Demokratie im Südosten wurde teilweise außer Kraft gesetzt. Es verstößt gegen jegliche demokratische Normen, dass Bürgermeister, teilweise aus fadenscheinigen Gründen, einfach abgesägt wurden", meint Brakel. "Hätten sie sich etwas zu Schulden kommen lassen, hätte die Wahlkommission sie gar nicht erst zur Wahl zulassen können. Dazu kommt, dass die Absetzung erfolgt, noch bevor ein Gericht die Vorwürfe überprüfen konnte."


Das wirtschaftlichen Probleme der Türkei und das zunehmende Misstrauen in das Rechtssystem werden in den nächsten Monaten und Jahren gewichtige Themen sein. Besonders dann, wenn Erdogan gerade keinen Krieg führt oder sich außenpolitische Konflikte mit seinen Partnern sucht. Innenpolitisch hat ihm der Krieg eine Verschnaufpause verschafft, aber die Zeit bis zur nächsten Wahl ist noch lang.

Verwendete Quellen
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