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Tagesanbruch: Wer könnte statt Angela Merkel im Kanzleramt sitzen?


Deutschland erlebt eine andere Kanzlerin

Von Florian Harms

Aktualisiert am 26.06.2020Lesedauer: 7 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

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Angela Merkel steuert gemeinsam mit Olaf Scholz Deutschland durch die Corona-Krise.Vergrößern des Bildes
Angela Merkel steuert gemeinsam mit Olaf Scholz Deutschland durch die Corona-Krise. (Quelle: Hannibal Hanschke/ap-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Politik ist meistens eine Frage der Alternativen. Inhaltlich, organisatorisch und auch beim Personal. Das ist bei Hinterbänklern nicht anders als an der Spitze der Regierung. Bisher hat jeder Kanzler der Bundesrepublik einen würdevollen Abgang versemmelt. Adenauer wurde senil, Erhard entglitt die Macht in der CDU, Kiesinger stolperte über seine frühere NSDAP-Mitgliedschaft, Brandt hatte Depressionen, Schmidt überwarf sich mit dem Koalitionspartner FDP, Kohl wurde starrsinnig, Schröder zerhartzte die SPD.

Und nun Angela Merkel. Wenn sie im Herbst kommenden Jahres abtritt, wird sie nach 16 Jahren Amtszeit mit Helmut Kohl gleichgezogen haben. In dieser Zeit hat sie Erfolge gefeiert und Niederlagen erlitten, kluge und falsche Entscheidungen getroffen. Bis Anfang dieses Jahres schien es so, als würden auch ihre letzten Regierungsjahre in einem quälenden Niedergang münden. Die schwierige Koalitionsbildung nach der letzten Bundestagswahl. Der Aufstieg der AfD. Der Asylstreit mit Horst. Der verlorene Parteivorsitz. Das Drama mit AKK. Die verkorkste Klimapolitik. Die Distanz zur Bevölkerung. Die verbummelte Digitalisierung. Das ewige Zaudern. Merkels Autorität stürzte bis Anfang des Jahres rapide der Nulllinie entgegen.

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Dann kam Corona, und Deutschland erlebte plötzlich eine andere Kanzlerin: hellwach, entscheidungsfreudig, empathisch, präsent. Während sich Angst und Unsicherheit breitmachten, strahlte Angela Merkel Ruhe und Autorität aus. Anders als während der Flüchtlingskrise kommunizierte sie im Kampf gegen die Pandemie transparent, erklärte ihre Politik, zeigte Mitgefühl und Verständnis für die Nöte der Bevölkerung. Ja, ich sehe die riesigen Probleme und ich kann nicht versprechen, dass alles gutgehen wird – aber ich verspreche, dass ich alles dafür tun werde: Die Botschaft, mit der man Menschenmassen überzeugt, ist so einfach, aber nur wenige Politiker können sie glaubhaft herüberbringen. Merkel konnte. Und erntete die Früchte: Sowohl ihre persönlichen als auch die Umfragewerte für die CDU sind so gut wie seit Jahren nicht mehr; bei rund 40 Prozent steht die Union heute. Der Merkel-Kritiker Christian Lindner von der FDP würde nun einwenden: Krisenzeiten sind halt Regierungszeiten, und da hat er natürlich recht. Als Erklärung reicht die Feststellung trotzdem nicht. Schauen wir nach Amerika, Brasilien oder Schweden, sehen wir, wie viele Fehler eine Regierung gerade in Krisenzeiten machen kann. Es kommt auf die richtigen Entscheidungen an, und die sind eine Frage der Alternativen. Um Frau Merkels Leistung besser beurteilen zu können, lohnt sich deshalb ein Gedankenspiel: Was wäre, säße statt ihr ein anderer im Kanzleramt?

Man stelle sich vor, wir hätten Armin Laschet als Bundeskanzler, der sich an die Spitze der Lockerungsdrängler stellte und ein schnelles Ende der Kontaktsperreregeln verlangte. Ende April forderte er, Kirchen, Synagogen und Moscheen möglichst schnell wieder zu öffnen. Nun kommt heraus: Der Corona-Ausbruch in den Fleischfabriken in Westfalen geht auf einen Gottesdienst zurück. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat gestern entsprechende Recherchen meines Kollegen Jonas Mueller-Töwe bestätigt. In Gütersloh wächst der Unmut über das zögerliche Krisenmanagement von Laschets Regierung. Bürger fühlen sich stigmatisiert, sie erleben Misstrauen und Feindseligkeit, Autoreifen werden zerstochen, die Wut wächst. "Im Prinzip ist alles kaputt", klagt Bürgermeister Henning Schulz im Interview mit unserer Reporterin Sophie Loelke.

Oder wie wäre es, wenn Friedrich Merz Bundeskanzler wäre, der zu diesem und jenem seine Tweets absondert, aber trotzdem nicht so recht erklären kann, was er eigentlich anders machen würde? Vor einem Dreivierteljahr fand er das Erscheinungsbild der großen Koalition "grottenschlecht" und ließ sich dafür von Merkel-Verächtern feiern, heute applaudiert er der Regierung laut. Eine Alternative? Hm.

Oder Norbert Röttgen, der kluge Gedanken zum Zustand der CDU, der EU und der weiten Welt von China bis Peru formuliert, aber kaum Macht in seiner eigenen Partei besitzt? Könnte der politische Allianzen mit den selbstbewussten Ministerpräsidenten schmieden und das Land aus der Krise führen?

Was, wenn Markus Söder Kanzler wäre, der… ah das wüssten Sie nun gern, liebe Leserin und lieber Leser, aber ich muss Sie vertrösten. Über die Ambitionen des CSU-Chefs werden wir im Herbst noch ausführlich schreiben können. Bis dahin gilt, dass er sich vornehm zurückhält und dabei zusieht, wie andere ihre Chance aufs Kanzleramt verspielen.

Aber wir brauchen den Söder noch nicht, um Merkels Leistung zu bewerten. Sie hat im richtigen Moment die Kurve gekriegt. Sie hat zugepackt, sie führt. Natürlich ist das nicht allein ihr Verdienst, sie kann sich auf den tüchtigen Kanzleramtsminister Helge Braun, den erfahrenen Regierungssprecher Steffen Seibert, die reibungslose Zusammenarbeit mit Finanzminister Olaf Scholz, den konstruktiven Koalitionspartner SPD und auch die meisten ihrer übrigen Minister stützen. Nein, diese Leute machen beileibe nicht alles richtig, und es sind schon eine Menge Tagesanbruch-Ausgaben erschienen, in denen ihre Fehler angekreidet worden sind. Aber im Vergleich zu den meisten anderen Staaten steuert diese Kanzlerin samt ihren Ministern das Land ziemlich gut durch die Krise. Es ist eben alles eine Frage der Alternativen.


WAS STEHT AN?

Wir schauen den lieben langen Tag auf Gütersloh, Berlin oder Washington, dabei sollten wir öfter schauen, was im Rest der Welt vor sich geht. Im Jemen zum Beispiel. Fünf Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs wächst die Not dort ins Unermessliche. In einem Bericht, den das UN-Kinderhilfswerk heute vorstellt, warnt Unicef: Weil Hilfsgelder fehlen und sich nun auch noch das Coronavirus ausbreitet, wird die Zahl mangelernährter Kinder bis Ende des Jahres wohl auf 2,4 Millionen steigen.

Diese Zahl klingt monströs, aber auch unpersönlich. Also stellen Sie sich bitte sämtliche Einwohner Münchens und Kölns vor: So viele Kinder könnten im Jemen bald Hunger leiden. Kein Bauchgrummeln, wie wir es vor der Mittagspause kennen, sondern brutale Schmerzen, Krämpfe und Schwäche, oft begleitet von Durchfall, Malaria oder anderen Krankheiten. Es ist ein Wahnsinn, dass die Menschheit das zulässt. Die Krankenhäuser und Arztstationen sind zerstört, die Wasserversorgung vielerorts ebenfalls, Schulen, Regierungsgebäude, Straßen und viele Wohnhäuser sind zerbombt. Und nun auch noch Corona. "Man kann das ganze Ausmaß dieser weltweit schlimmsten humanitären Krise kaum übertreiben. Kinder kämpfen um ihr Überleben, während Covid-19 im Land Einzug hält", sagt Sara Beysolow Nyanti, die Leiterin der Unicef-Mission im Jemen. "Wenn wir dringend benötigte Finanzmittel nicht erhalten, werden die Kinder an den Rand einer Hungersnot gedrängt und viele werden sterben. Die internationale Gemeinschaft wird damit die Botschaft aussenden, dass es auf das Leben von Kindern in einem Land, das durch Konflikt, Krankheiten und wirtschaftlichen Kollaps zerstört wurde, einfach nicht ankommt."

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In Hamburg wird das nächste Urteil in einem G20-Prozess erwartet: Ein damaliger Münchner Polizist, der privat in Hamburg war, und eine Frau sollen im Juli 2017 beim G20-Gipfel fast zeitgleich Bierdosen von einer Brücke auf Polizisten geworfen haben.

Im umstrittenen Strafverfahren gegen Russlands bekanntesten Regisseur Kirill Serebrennikow spricht ein Moskauer Gericht sein Urteil. Der 50-jährige Künstler steht mit weiteren Angeklagten wegen angeblicher Unterschlagung staatlicher Fördergelder für seine Theaterprojekte vor Gericht, ihm drohen sechs Jahre Haft. Er bestreitet die Vorwürfe. Internationale Beobachter sehen in dem Verfahren einen Schauprozess gegen die liberale Kunstszene Russlands.

Volkswagen baut sein Werk in Zwickau zur größten E-Auto-Fabrik in Europa um. Heute rollt der letzte Wagen mit Verbrennungsmotor vom Band. Die meiste Arbeit übernehmen Roboter.


WAS LESEN?

Am Horizont droht sich eine zweite Corona-Welle aufzubauen. Wenn wir uns im Alltag nicht zusammenreißen, wird sie über uns hereinbrechen, meint unsere Kolumnistin Lamya Kaddor.


Es ist ein einmaliger Vorgang, der in der jüngeren Wirtschaftsgeschichte seinesgleichen sucht: Mit Wirecard hat erstmals ein Dax-Konzern Insolvenz beantragt. Der Zahlungsdienstleister, hochgejubelt und nun im Bilanzskandal tief gefallen, steht vor der Pleite. Zwar ist das wahre Ausmaß der Verwicklungen noch gar nicht abzusehen. Wer den Schaden hat, steht für meinen Kollegen Mauritius Kloft dennoch bereits fest.


In der Corona-Krise ist kaum jemand so abgedriftet wie der Vegan-Koch Attila Hildmann, bekannt geworden durch TV-Auftritte und Bücher. Wie in einem schlechten Film lässt sich verfolgen, was er täglich Absurdes im Internet verbreitet. Mein Kollege Lars Wienand hat sich die Veröffentlichungen genauer angeschaut – und Verstörendes gefunden: Der Mann proklamiert nicht nur den Sturz der deutschen Regierung, mit seiner Reichweite zieht er auch militante Extremisten an.


Jürgen Klopp hat es geschafft: Nach 30 Jahren hat er den FC Liverpool wieder zum Gewinn der englischen Meisterschaft geführt. Die Corona-Krise schmälert diese Leistung nicht. Dass Klopp & Co. ihren Triumph aber mit Abstand und auf der heimischen Couch feiern müssen, ist ein tragisches Ende, kommentiert mein Kollege Noah Platschko.


Köstlich, wie der britische Oppositionsführer seinem Gegenüber Boris Johnson erklärt, was Deutschland von Großbritannien unterscheidet. Falls Sie es noch nicht gesehen haben, schauen Sie mal hier.


WAS AMÜSIERT MICH?

Ein super Krisenmanagement macht der Laschet, da hat man als Bürger richtig was davon!

Ob Sie in NRW oder anderswo leben: Bleiben Sie bitte zuversichtlich und entspannt. Gemeinsam werden wir diese Krise überstehen. Mehr dazu erfahren Sie morgen in der Wochenendausgabe des Tagesanbruchs: Mein Kollege Marc Krüger und ich ziehen nach vier Monaten ein Zwischenfazit zur Corona-Lage. Anschließend geht der Wochenend-Tagesanbruch in die Sommerpause. Die Werktagausgaben erhalten Sie natürlich weiterhin wie gewohnt montags bis freitags: in den kommenden drei Wochen von meinen lieben Kollegen. Ich schnappe währenddessen ein wenig Urlaubsluft und verschone Sie mit meinen Gedanken. Ab 21. Juli bin ich dann in alter Frische wieder für Sie da.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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